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Kapitel 

SPIELMANNS GESCHICHTEN DER SAHEL

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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MIT EINER KARTE DER SAHARA UND

EINER BILDERTAFEL / TITEL- UND

EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE


17. Alle Bangodji (Tulemaleßende)

Alle Bangodji vom Stamme der Tulema wurde im Dorfe Nommono, im Lande Bassare (südlich von Kani-Bonso) geboren. Seit er ein kleiner Knabe war, bestahl er andere Leute. Die Leute sagten dem Kinde: "Laß das sein; es wird dir schlecht ergehen." Alle Bangodji kümmerte sich nicht darum. Er stahl weiter. Die Leute wandten sich an seinen Vater und sagten ihm: "Dein Sohn Alle Bangodji stiehlt überall. Wir können es nicht mehr mit ansehen. Es wird dir auch große Unannehmlichkeiten bereiten, wenn du den Burschen nicht streng bestrafst."

Der Vater fesselte den Burschen und schlug ihn mit einem Stock. Er sagte: "Ich muß mich deiner schämen. Ich weiß gar nicht, weshalb du das tust. Bekommst du vielleicht in meinem Hause nicht zu essen? Oder gebe ich dir nicht genug für dein Leben?" Der Bursche sagte: "Für andere würde es genügen. Mir ist es nicht genug." Als er das hörte, band der Vater die Fesseln Alle Bangodjis nicht los. Er rief seinen Kossodje (d. i. das richtige Wort für Dialle in der hiesigen Kaddosprache) und sagte: "Ich kann es mit diesem Jungen nicht mehr mit ansehen. Bringt ihn weit fort und verkauft ihn an die Fulbe." Der Kossodje nahm den Knaben und brachte ihn mit nach Süden. Er verkaufte ihn an einen Fulbe, kehrte zurück und gab das Geld, das er dafür erhalten hatte, dem Vater. Der Vater hob das Geld aber wohlweislich auf, denn er wußte, daß die Fulbe es mit dem Burschen nicht lange aushalten würden.

Alle Bangodji machten es bei den Fulbe nicht anders als daheim. Er stahl Vieh, tat sich mit einem jungen Fulbeburschen zusammen und beging mit dem gemeinsam alle Schlechtigkeiten, die ein Bursche nur ausführen kann. Endlich fragte sein Herr, der Fulbe: "Aus welchem Dorfe bist du?" Alle Bangodji sagte: "Mein Vater lebt im Dorfe Nommono, in der Landschaft Bassare." Der Fulbe nahm den Burschen und wanderte mit ihm nach dem Norden zurück. Er kam nach Nommono und fragte den Vater: "Hast du das Geld noch, das ich dir seinerzeit für diesen Burschen bezahlt habe?" Der Vater antwortete: "Jawohl, das Geld habe ich aufgehoben." Der Fulbe sagte: "So gib es sogleich heraus, sonst schlage ich dich tot. Mit einem Burschen wie dieser hier kann kein Mensch etwas anfangen. Nimm ihn zurück." So kam Alle Bangodji wieder nach Hause.

Inzwischen war der Bursche schon ziemlich ausgewachsen. Er machte nun nicht mehr allein nur kleine Streiche, sondern begann



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sich sein Leben anders einzurichten. Zuweilen raubte er irgendwo einiges Kleinvieh, verkaufte es und erwarb dafür sämtliches Kenge (Hirsebier), das auf dem Markte ausgeboten wurde. Das ließ er dann in den Busch bringen. Er lud einige Kameraden ein und begann mit ihnen ein Gelage. So gewann er Freunde. Diese jungen Freunde sandte er dann aus, um Ziegen, Schafe und Rindvieh zu stehlen. Eines Tages versammelte er sie um sich und sagte zu ihnen: "Wir haben in unserem eigenen Dorfe genug getrieben. Das Land ist weit. Es gibt noch viele Dörfer. Wir wollen uns noch etwas im Lande umsehen!"

Alle Bangodji unternahm mit seinen Genossen Raubzüge in dem umliegenden Lande. Sie banden die Hirten und trieben Kühe und Pferde fort und nach Hause. Als die Bewohner der umliegenden Ortschaften hörten, wer der Anstifter sei, unternahmen sie eine Wanderung nach Nommono und sagten zu dem Vater des Räubers: "Sei vorsichtig und entledige dich dieses Burschen, denn sonst wird es euerer ganzen Ortschaft des Jungen wegen schlecht ergehen." Der Vater sagte: "Ich kann nichts tun." Der Bursche sagte: "Mein Vater kann nichts tun; aber ich habe nun einmal diese Gewohnheit und kann sie nicht lassen." Die Leute gingen.

Alle Bangodji fuhr so fort. Wenn er seinen Kameraden einen Gefallen tun wollte, raubte er eine Kuh, verkaufte sie und kaufte für den Gewinn Kolanüsse, die er unter seinen Kameraden verteilte. Er raubte immer mehr Vieh im Lande. Eines Tages kamen aus allen Dörfern der Landschaft Pignari Abgesandte und sagten zu den Nommonoleuten: "Dieser Bursche Alle Bangodji verwüstet das Land. Wenn ihr ihn nicht jetzt vernichtet und das Land von dieser Plage befreit, so seid ihr ebenso schlecht wie er selbst." Der Vater sagte: "Ich habe den Jungen gezüchtigt. Ich habe ihn verkauft. Man hat ihn mir wiedergebracht. Er ist zu nichts zu gebrauchen. Was soll ich nun noch tun? Nehmt ihn doch selbst." Der Vater sagte zu den Leuten von Nommono: "So schafft ihr ihn doch fort, denn ich als Vater kann es nicht tun." Die Leute von Nommono fürchteten sich aber schon vor Alle Bangodji und seinen Genossen, und daher sagten sie zu den Leuten aus den anderen Dörfern in Pignari: "Nehmt ihr ihn doch! Wir sind seine Verwandten."

Da gingen die Leute aus den Dörfern in Pignari fort und sagten untereinander: "Die alten Leute Nommonos haben die Burschen schlecht erzogen. Jetzt wollen sie sie nicht in Ordnung bringen. Wir wollen uns an das ganze Dorf halten." Sie gingen in ihre



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Dörfer zurück und bereiteten einen Kriegszug vor. Sie rückten vor Nommono. Sie begannen nun Nommono anzugreifen. Die Dörfler verteidigten sich. Alle Bangodji saß gelassen im Dorfe und schaute dem Kampfe zu. Er tat nichts. Die Alten sagten zu ihm: "Da siehst du, was du uns für ein schönes Geschenk gemacht hast. Und nun sitzt du auch noch daneben und tust nichts." Alle Bangodji sagte: "Wartet doch nur ab. Ich muß mir erst ansehen, wie ihr es macht. Ich muß erst zusehen."

Er sah noch eine gute Weile zu, dann sagte er: "Nun ist es genug. Nun legt alle Waffen beiseite. Das übrige überlaßt mir." Die Pignarileute hatten aber soeben einen Vorsprung gewonnen. Die Nommonoleute gehorchten trotzdem und legten die Waffen fort. Alle Bangodji rief aber seine Kameraden. Sie ergriffen die Waffen. Sie griffen die Leute der anderen Pignaridörfer an, und Alle Bangodji tötete nur auf seiner Seite siebzig der Angreifer. Die ganze Truppenmacht ward in die Flucht geschlagen und weit in das Land hinein verfolgt.

Als Alle Bangodji zurückkam, lobten ihn die Alten und sagten: "Du bist ein Anna (d. h. ein Tapferer, gleich den Sagate der Fulbe, den Nganna oder Ganna der Malinke und Bammana). Du bist ein Anna. Jetzt sehen wir, was an dir Gutes ist." Alle Bangodji sagte: "Das ist noch gar nichts. Ihr werdet sehen, was wirklich an mir daran ist." Alle Bangodji hatte nun gute Kameraden Mit denen fiel er bald hier, bald da in ein fremdes Landgebiet ein und raubte Vieh, tötete die Hirten, nahm die Pferde. Was er gewonnen hatte, verkaufte er und kaufte dafür Waffen und Pferde für die Kameraden, so daß er nach einiger Zeit siebzig wohlberittene Reiter zur Seite hatte.

Das ganze Land litt nun unter den Raubzügen dieser tapferen Burschen, die überall und in jedem Winkel Viehherden aufgriffen und Landweiler eroberten. Alle Leute kamen in Pignari zusammen und besprachen die Sache. Einige sagten: "Man könnte einen allgemeinen Kriegszug unternehmen." Die anderen sagten: "Was wollt ihr? Wir kommen gegen diese Reiter nicht auf." Einige sagten: "Wir wollen uns an einen Hogon wenden und ihn bitten, daß er uns helfe." Die anderen sagten: "Ja, das wollen wir tun. Wir wollen uns an den Hogon von Pa wenden."

Die Pignarileute kamen zu dem Hogon von Pa und sagten: "Hilf uns! Wir wissen uns nicht gegen diesen Alle Bangodji zu wehren. Er raubt unsere Herden und plündert unsere Dörfer." Der



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Hogon sagte: "Was soll ich dabei machen? Auf mein Verbot hört er nicht. Greift doch Nommono an und tötet die Burschen." Die Leute aus Pignari sagten: "Das nützt nichts. Wir kommen dagegen nicht auf. Wir sind schon einmal geschlagen worden." Hilf du uns mit einem Endama (das ist das richtige Wort für Baschi, Zaubermittel; das oben gebrauchte Wort Diandama heißt Haus der Endama), du kennst es." Der Hogon sagte: "Ich kann es schon." Die Leute aus den Ortschaften von Pignari brachten nun ioo Kühe, 100 Pferde, 100000 Kauri, ioo Schalen mit Honig, 100 Barren Salz, 100 Mullen Korn herbei. Sie fragten: "Genügt das?" Der Hogon sagte: "Das genügt. Geht nur zurück in euere Dörfer. Alle Bangodji soll nicht mehr länger im Lande herumstreifen." Der Hogon begann sogleich, sein Endama herzustellen.

Alle Bangodji saß (derweilen) beim Trunke. Er machte sich auf den Heimweg. Unterwegs kam er an einer Schmiede vorbei. Er trat in die Schmiede ein, setzte sich nieder und sah der Arbeit zu. Der Schmied hämmerte. Als er auf das glühende Eisen schlug, sprang ein Stück roten Eisens ab und durch den Stiefel in den Fuß Alle Bangodjis. Alle Bangodji blieb gelassen sitzen und sagte nichts. Sie schwiegen lange Zeit. Dann sagte der Schmied: "Die Hälfte ist schon verloren." Alle Bangodji sagte: "Ich bin nur noch eine halbe Kauri." Nach einiger Zeit zog er den Stiefel aus. Das glühende Eisen hatte den Fuß bis in den Knochen hinein durchgebrannt. Der Schmied fragte: "Weshalb hast du den Stiefel nicht früher ausgezogen?" Alle Bangodji sagte: "Mir tut es nicht weh. Aber die Familie wird bald sehen, daß ich nicht mehr lebe." Dann starb er.

Die Alten sagten, im Felsen von Nommono sehe man noch heute die Eindrücke, die die Hufe seines Pferdes schlugen, wenn Alle Bangodji über die Felsen sprengte.


Copyright: arpa, 2015.

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