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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

UBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 2

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON 'ALA ED-DÎN ABU ESCH-SCHAMÂT

\Vie ist denn die? «fragte er; da erzählte sie: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß in alten Zeiten und in längst entschwundenen Vergangenheiten ein Kaufmann in Kairo lebte, namens Schams ed-Dîn; der war einer der besten und zuverlässigsten Kaufleute, und er besaß Eunuchen und Diener. schwarze Sklaven und Sklavinnen, Mamluken und großen Reichtum, und er war der Vorsteher der Kaufmannsgilde von Kairo. Er hatte auch eine Gemahlin, die er sehr liebte und die ilm liebte; doch hatte er schon vierzig Jahre mit ihr gelebt, ohne daß ihm von ihr ein Sohn oder eine Tochter geschenkt wäre. Als er nun eines Tages in seinem Laden saß, sah er, wie von den anderen Kaufleuten ein jeder einen Sohn oder



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zwei oder gar noch mehr Söhne hatte, die gleich ihren Vätern in den Läden saßen. Jener Tag aber war ein Freitag, und so ging der Kaufmann in das Badehaus und vollzog die Feiertagswaschung. Als er wieder herauskam, nahm er den Spiegel des Barbiers, besah sein Gesicht darin und sprach: ,Ich bezeuge, daß es keinen Gott gibt außer Allah, und ich bezeuge, daß Mohammed der Prophet Allahs ist.' Dann blickte er auf seinen Bart und sah, daß die weißen Haare darin die schwarzen bedeckten. und dachte daran, daß die weißen Haare Vorboten des Todes sind. Seine Frau aber wußte die Zeit seiner Heimkehr, und so hatte sie sich gebadet und für ihn zurechtgemacht, wie sie es zu tun pflegte. Als er nun zu ihr hereintrat, sprach sie zu ihm: ,Guten Abend!' Doch er gab ihr zurück: ,Das Gute sehe ich nicht.' Da sie schon vorher der Dienerin befohlen hatte. den Tisch für den Abend zu decken, brachte diese nun das Essen; und die Frau sprach zu ihrem Gatten: ,113, mein Gebieter!' Doch er versetzte nur: ,Ich will nichts essen', stieß den Tisch mit dem Fuße um und wandte sein Gesicht von ihr ab. Da fragte sie ihn: ,Warum tust du das? Was hat dich verstimmt?' Er gab ihr zur Antwort: ,Du bist die Ursache meines Kummers.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 251. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o' glücklicher König, daß Schams ed-Dîn zu seiner Frau sagte: ,Du bist die Ursache meines Kummers.' Da fragte sie ihn: ,Warum denn?' Und er erwiderte ihr: ,Als ich heute meinen Laden öffnete, sah ich, wie ein jeder Kaufmann einen Sohn oder zwei oder gar noch mehr Söhne bei sich hat, die gleich ihren Vätern in den Läden sitzen. Und da sagte ich mir: Er, der deinen Vater zu sich genommen hat, wird auch dich



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nicht verschonen. Du hast mir aber inder Hochzeitsnacht einen Eid abgenommen, daß ich mir neben dir keine andere Gemahlin nehmen würde, noch auch eine Kebse, weder eine Abessinierin noch eine Griechin noch irgendeine andere Sklavin, und daß ich keine Nacht fern von dir zubringen wolle. Nun steht es aber so. daß du unfruchtbar bist, und die Ehe mit dir ist, als ob man auf einen Fels schlage.' Nun rief sie: ,Allah ist mein Zeuge, daß die Schuld nicht an mir, sondern an dir liegt; denn dein Same ist zu dünn.' Er fragte: ,Was ist denn mit einem Manne, dessen Same zu dunn ist?' Sie gab zur Antwort: ,Der kann keine Frau schwanger machen und kein Kind erzeugen.' Da fragte er weiter: ,Wo gibt es denn etwas, das Samen dicker macht? Ich will es mir kaufen, vielleicht wird es den meinen dicker machen.' Sie erwiderte: ,Suche danach bei den Drogenhändlern!' Nach dieser Nacht erwachte der Kaufmann am nächsten Morgen voll Reue darüber, daß er seiner Frau Vorwürfe gemacht hatte, und auch sie bereute ihre Vorwürfe gegen ihn. Dann begab er sich auf den Markt und fand einen Drogenhändler; zu dem sprach er: ,Friede sei über dir!' Und als jener ihm den Gruß zurückgegeben hatte, fragte er ihn: ,Gibt es bei dir ein Mittel, das den Samen dicker macht?' Der Mann antwortete ihm: ,Ich hatte wohl eins,; aber es ist ausverkauft. Doch frage bei meinem Nachbarn an!' Darauf ging er bei allen herum und fragte nach, aber sie lachten ihn aus; schließlich kehrte er zu seinem Laden zurück und setzte sich traurig nieder. Nun war auf dem Markte ein Haschischraucher, der Obmann der Straßenmakler, der Opium in jeder Art genoß und auch dem grünen Haschisch frönte. Jener Obmann hieß Scheich Mohammed Simsim; er war ein armer Teufel und pflegte jeden Tag dem Kaufmann einen guten Morgen zu wünschen. Seiner Gewohnheit gemäß kam er nun zu ihm und sprach: ,Friede sei



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mit dir!' Der Kaufmann gab ihm den Gruß verdrießlich zurück, und da fragte jener: ,O Herr, was ist dir, daß du verdrießlich bist?' Da erzählte er ihm alles, was zwischen ihm und seiner Frau vorgefallen war, und er schloß mit den Worten: ,So bin ich denn seit vierzig Jahren mit ihr verheiratet, aber sie hat mir weder einen Sohn noch eine Tochter zur Welt gebracht. Da wurde mir gesagt: daß sie nicht von dir schwanger wird, liegt daran, daß dein Same zu dünn ist. Und nun habe ich nach einem Mittel gesucht, das meinen Samen dicker macht, aber ich habe keines gefunden.' Der andere erwiderte ihm: ,O Herr, ich habe einen Samenverdicker; was würdest du von einem Manne sagen, der nach diesen vierzig Jahren, die dahingegangen sind, es fertig bringt, daß deine Frau von dir schwanger wird?' Der Kaufmann rief: ,Wenn du das tust, so werde ich dich reichlich belohnen.' ,Gib mir einen Dinar!' sagte der Obmann; und der Kaufmann sprach: ,Hier hast du zwei Dinare.' Jener nahm sie und fuhr fort: ,Gib mir die Porzellanschüssel dort!' Der Kaufmann gab sie ihm, der Makler nahm sie hin und ging zu einem Haschischverkäufer; von dem kaufte er etwa zwei Unzen feines griechisches Opium, etwas chinesische Kubebe, Zimmet, Gewürznelken, Kardamom, Ingwer, weißen Pfeffer und Bergeidechse; das alles zerstieß er und kochte es in feinem Olivenöl. Dann kaufte er noch drei Unzen Weihrauch und etwa einen Becher voll Schwarzkümmel, weichte das Ganze ein und machte es mit griechischem Bienenhonig zu einer Latwerge. Die legte er in die Schüssel, kehrte mit ihr zu dem Kaufmann zurück und gab sie ihm mit den Worten: ,Hier ist der Samenverdicker. Du mußt davon mit einer Spatel einnehmen, nachdem du vorher Lammfleisch und Haustaube. stark gepfeffert und gewürzt, gegessen hast. Also nimm davon mit einer Spatel, dann iß zu Abend, und dann trink Scherbett



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aus feinem Zucker.' Da holte der Kaufmann all das zusammen, schickte das Fleisch und die Tauben zu seiner Frau, indem er ihr sagen ließ: ,Koche dies gut; nimm auch den Samenverdicker und hebe ihn bei dir auf, bis ich ihn brauche und verlange.' Sie tat, wie er sie geheißen hatte, und stellte ihm die Speisen hin. Nachdem er dann zu Abend gegessen hatte, verlangte er nach der Schüssel und nahm von ihr ein; es schmeckte ihm gut, und so aß er das Ganze auf. Nun ruhte er bei seiner Frau; da empfing sie von ihm in derselben Nacht. Als dann der erste, der zweite und der dritte Monat vergangen waren, hörte ihre Reinigung auf, und das Blut floß nicht mehr; da erkannte sie, daß sie schwanger war. Und wie die Tage ihrer Schwangerschaft erfüllet waren, kamen die Wehen über sie, und die Freudenrufe erschallten im Hause. Die Wehmütter aber hatte große Mühe bei ihrer Entbindung; und sie segnete das Neugeborene im Namen Mohammeds und 'Alls, sprach ,Allâhu Akbar" und rief ihm den Gebetsruf ins Ohr. Dann wickelte sie es ein und gab es seiner Mutter. Die legte den Knaben an ihre Brust und gab ihm zu trinken; und er trank, bis er satt war, und schlief ein. Die Wehmütter blieb noch drei Tage bei ihr, bis man Marzipanbrote und Süßigkeiten bereitet hatte; die wurden am siebenten Tage verteilt. Dann sprengte man Salz', und der Kaufmann trat zu seiner Frau ein und wünschte ihr Glück zur Genesung. Und er fragte: ,Wo ist das von Allah anvertraute Gute' Da brachte sie ihm ein Kindlein von strahlender Schönheit, das Werk des allgegenwärtigen Lenkers; es war zwar nur ein Knäblein von sieben Tagen, aber jeder, der es sah, sagte von ihm, es sei ein Jahr alt. Der Kaufmann schaute ihm ins Gesicht und sah, daß es dem leuchtenden Vollmonde glich



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und auf beiden Wangen Schönheits male hatte. Als er dann seine Frau fragte, wie sie ihn nennen wolle, sprach sie: ,Wenn es ein Mädchen wäre, so hätte ich den Namen bestimmt; aber dies ist ein Knabe, und so sollst du allein ihm einen Namen geben.' Nun pflegten die Leute jener Zeit ihre Kinder nach Vorzeichen zu benennen; und da gerade zu der Zeit, in der sie sich über den Namen berieten, ein Mann seinem Freunde zurief: ,Du da, Herr 'Alâ ed-Dîn!' so sagte der Kaufmann: ,Wir wollen ihn 'Alâed-Dîn Abu esch-Schamât' nennen.' Nun übergab er das Kind den Ammen und Pflegerinnen, und es trank zwei Jahre hindurch die Milch. Dann ward es entwöhnt; denn es war gewachsen und gediehen und konnte nun auf dem Boden gehen. Doch als der Knabe sieben Jahre alt war, brachten sie ilm aus Furcht vor dem bösen Blick in ein unterirdisches Gemach, und sein Vater sprach: ,Er soll das Gemach nicht eher verlassen, als bis ihm der Bart sproßt!' Seine Pflege vertraute er einer Sklavin und einem schwarzen Sklaven an; die Sklavin bereitete ihm die Mahlzeiten, und der Mohr brachte sie ihm. Auch ließ sein Vater ihn beschneiden und feierte diesen Tag durch ein großes Festmahl. Dann ließ er einen Lehrer für ihn kommen, der ihn im Schreiben, im Koranlesen und in den Wissenschaften unterrichtete, bis er alles gelernt hatte und reiche Kenntnisse besaß.

Nun traf es sich eines Tages, daß der Sklave, als er ihm die Speisen gebracht hatte, die Falltür offen stehen ließ. Da lief 'Alâ ed-Dîn aus dem Gemache heraus und kam zu seiner Mutter, bei der gerade eine Gesellschaft von vornehmen Frauen zu Besuch war. Und während nun die Frauen mit seiner Mutter plauderten, trat dieser Knabe zu ihnen ein, gleich einem weißen



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Sklaven, der vom Übermaße seiner Schönheit berauscht war. Kaum hatten die Frauen ihn erblickt, da verschleierten sie ihre Gesichter und riefen seiner Mutter zu: ,Allah strafe dich. Frau! Wie kannst du diesen fremden Mamluken zu uns hereintreten lassen? Weißt du nicht, daß die Züchtigkeit zu den Vorschriften des Glaubens gehört?' Sie sprach: ,Rufet Allahs Namen an!' Das ist ja mein Kind, die Frucht meines Leibes, der Sohn des Vorstehers der Kaufmannsgilde Schams ed-Dîn, das Kind, von der Amme gehegt, mit dem Halsband geschmückt und mit zarten Krusten und Krumen gepflegt!' Als die Frauen riefen: ,Unser Leben lang haben wir noch keinen Sohn von dir gesehen', erwiderte sie: ,Sein Vater war um ihn wegen des bösen Blicks besorgt, und darum ließ er ihn in einem Gemache unter der Erde aufziehen.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 251. Nacht anbrach, fahr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Mutter 'Alâ ed-Dîns den Frauen erwiderte: ,Sein Vater war um ihn wegen des bösen Blicks besorgt, und darum ließ er ihn in einem Gemache unter der Erde aufziehen. Vielleicht hat jetzt der Sklave die Falltür offen stehenlassen, und so ist er herausgekommen. Wir wollten ihn nicht eher aus dem Gemache herauskommen lassen, als bis ihm der Bart sprossen würde.' Die Frauen wünschten ihr Glück zu ihm; der Knabe aber ging von ihnen fort und lief in den Hof des Hauses. Dann stieg er zur offenen Empfangshalle hinauf und setzte sich nieder. Während er dort saß, kamen zufällig die Sklaven mit dem Maultiere seines Vaters. Denen rief 'Alâ ed-Dîn zu: ,Wo ist dies Maultier gewesen?'



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Sie gaben zur Antwort: ,Wir haben deinen Vater begleitet, als er auf ihm zum Laden ritt, und jetzt haben wir es zurückgebracht.' Nun fragte er weiter: ,Was für ein Gewerbe hat mein Vater?' und sie erwiderten ihm: ,Dein Vater ist der Vorsteher der Kaufmannsgilde im Lande Ägypten, und er gilt als Fürst bei den Söhnen der Araber.' Da ging 'Alâ ed-Dîn zu seiner Mutter und fragte sie: ,Mutter, sag, was für ein Gewerbe hat mein Vater?' ,Mein Sohn,' antwortete sie, ,dein Vater ist ein Kaufmann, und er ist der Vorsteher der Kaufmannsgilde im Lande Ägypten und gilt als Fürst bei den Söhnen der Araber. Seine Sklaven brauchen ihn beim Verkaufen nur dann zu fragen, wenn der Preis der Ware mindestens tausend Dinare beträgt; wenn aber der Preis einer Ware nur neunhundert Dinare oder noch weniger beträgt, so fragen sie ihn nicht um Rat, sondern verkaufen nach eigenem Ermessen. Auch kommt keine Ware aus der ganzen Welt an, mag es viel oder wenig sein, ohne durch seine Hand zu gehen; und er verfügt darüber, wie es ihm beliebt. Und ebenso wird keine Ware in Ballen verschnürt und in fremde Länder verschickt, ohne daß dein Vater darüber zu bestimmen hätte. Allah der Erhabene hat deinem Vater großen, unermeßlichen Reichtum gegeben, mein Sohn! Da sagte er: ,Liebe Mutter, Allah sei gelobt, daß ich der Sohn des Mannes bin, der als Fürst bei den Söhnen der Araber gilt und der Vorsteher der Kaufmannsgilde ist. Aber weshalb, liebe Mutter, sperrt ihr mich in das unterirdische Gemach und haltet mich dort gefangen?' ,Lieber Sohn,' antwortete sie, ,wir haben dich nur deshalb in das Gemach gesperrt, weil wir um dich wegen der Augen der Menschen besorgt sind. Das böse Auge ist Wahrheit; ja die meisten der Leute, die im Grabe ruhen, sind Opfer des bösen Auges.' Er aber entgegnete ihr: ,Liebe Mutter, wohin soll der Mensch vor dem Schicksale fliehen?



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Auch die Vorsicht schützt vor dem Geschicke nicht; und keiner entgeht dem, was geschrieben steht. Fürwahr, Er, der meinen Großvater zu sich nahm, wird auch mich und meinen Vater nicht verschonen; mag er auch heute noch am Leben sein, morgen kann er schon tot sein. Wenn aber mein Vater nun plötzlich stirbt und ich dann vor trete und sage: ,Ich bin 'Alâ ed-Dîn, der Sohn des Kaufmannes Schams ed-Dîn' - dann wird mir kein Mensch Glauben schenken, und die alten Leute werden sagen: Unser Leben lang haben wir nicht gesehen, daß Schams ed-Dîn einen Sohn oder eine Tochter hatte. Dann wird der Staatsschatz kommen und den Besitz meines Vaters einziehen. Allah habe den selig, der da gesagt hat: Der Edle stirbt, sein Reichtum geht dahin, und die gemeinsten Männer nehmen seine Frauen. Darum, liebe Mutter, sprich du mit meinem Vater, auf daß er mich in den Basar mitnimmt und mir einen Laden öffnet, in dem ich dann mit Waren sitzen kann, und daß er mich lehrt, Handel zu treiben, zu nehmen und zu geben.' Da sprach sie zu ihm: ,Mein Sohn, sobald dein Vater kommt, will ich es ihm sagen.' Als nun der Kaufmann nach Hause kam, sah er seinen Sohn 'Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât bei der Mutter sitzen. Da fragte er sie: Warum hast du ihn aus dem Gemache herausgeholt?' ,Lieber Vetter,' erwiderte sie, ,ich habe ihn nicht herausgeholt, sondern die Sklaven haben vergessen das Gemach abzuschließen und haben die Tin offen gelassen. Während ich hier saß, in Gesellschaft einiger vornehmer Damen, die bei mir waren, trat er plötzlich zu uns ein.' Dann berichtete sie ihm auch, was sein Sohn gesagt hatte. ,Lieber Sohn,' hub nun der Vater an, ,morgen, so Allah der Erhabene will, werde ich dich mit mir in den Basar nehmen. Aber, mein Sohn, wer auf den Basaren und in den Läden sitzen will, der muß in allen Dingen vollkommene Höflichkeit den Menschen entSie



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Erfreut über die Worte seines Vaters verbrachte 'Alâ ed-Dîn die Nacht. Als es wieder Morgen ward, führte sein Vater ihn ins Badehaus und kleidete ihn in ein Gewand, das viel Geld wert war. Und nachdem sie dann gefrühstückt und ihre Scherbette getrunken hatten, bestieg er sein Maultier und ließ seinen Sohn auf einem andern reiten. So nahm er ilm mit sich, indem er selbst voraufritt, und begab sich mit ihm zum Basar. Da sahen die Leute auf dem Basar, daß der Vorsteher der Kaufmannsgilde einherkam, mit einem Jüngling hinter sich, so schön wie die Mondscheibe in der vierzehnten Nacht, und einer sprach zum andern: ,Sieh da diesen Jüngling hinter dem Vorsteher der Kaufmannschaft! Wir dachten gut von ihm; aber er ist wie der Lauch, grau und von innen grün.' Und der Scheich Mohammed Simsim, der Obmann, von dem wir schon früher sprachen, rief den Kaufleuten zu: ,Ihr Handelsherren. wir wollen es nicht mehr dulden, daß er unser Oberhaupt sei, nimmermehr!' Nun war es Sitte, wenn der Vorsteher der Kaufmannschaft morgens von Hause kam und sich in seinen Laden setzte, daß der Obmann des Basars zu ihm trat und vor den Kaufleuten die erste Sure des Korans aufsagte; die pflegten nämlich zusammen mit dem Obmann zu dem Vorsteher der Kaufleute zu gehen und die erste Koransure zu sprechen und ihm einen guten Morgen zu wünschen; dann pflegte ein jeder von ihnen sich zu seinem Laden zu begeben. Als aber an jenem Tage der Vorsteher der Kaufmannschaft sich wie gewöhnlich in seinen Laden setzte, kamen die Kaufleute nicht wie sonst zu ihm. Da rief er den Obmann und fragte ihn: ,Warum versammeln die Kaufleute sich nicht bei mir wie sonst? Der gab zur Antwort: ,Ich verstehe es nicht, die unangenehmen Dinge zu melden. Wisse, die Kaufleute sind übereingekommen, dich als Oberhaupt abzusetzen und nicht mehr die



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erste Sure vor dir zu sprechen.' ,Warum das?' fragte Schams ed-Dîn; da fragte der Obmann ihn: ,Was ist's mit diesem Knaben, der an deiner Seite sitzt? Du bist doch ein alter Mann und das Oberhaupt der Kaufleute! Ist dieser Knabe etwa dein Mamluk oder ein Verwandter deiner Frau? Ich glaube, du hegst unerlaubte Liebe und Neigung zu ihm.' Aber da schrie der Vorsteher ilm an und rief: ,Schweig, Allah mache dich und deine Art zuschanden! Dies ist mein Sohn!' Jener erwiderte jedoch: ,Wir haben unser Leben lang nie gesehen, daß du einen Sohn hast!' Da sagte Schams ed-Dîn: ,Als du mir den Samenverdicker brachtest, empfing meine Frau und brachte den Knaben zur Welt. Aber weil ich um ihn wegen des bösen Auges besorgt war, so zog ich ihn in einem Gemach unter der Erde auf; und ich wollte, er solle nicht eher jenen Raum wieder verlassen, als bis er seinen Bart mit der Hand fassen könnte. Doch seine Mutter war nicht damit einverstanden, und er bat mich, ich möchte für ihn einen Laden öffnen, Waren dort bei ihm niederlegen und ihn lehren, wie man Handel treibt.' Darauf ging der Obmann zu den anderen Kaufleuten zurück und machte sie mit dem wahren Sachverhalt bekannt; und sie alle machten sich gemeinsam mit dem Obmann auf und begaben sich zu dem Vorsteher der Kaufmannschaft, traten vor ihn hin und sprachen die erste Sure; und dann wünschten sie ihm Glück zu seinem Sohne und sprachen: ,Der Herr behüte die Wurzel und den Zweig! Aber selbst der Ärmste unter uns muß, wenn ihm ein Sohn oder eine Tochter geboren wird, für seine Freunde eine Schüssel voll Mehlbrei mit Honig zubereiten und seine Bekannten und Verwandten einladen. Das hast du nicht getan.' Er antwortete ihnen: ,Das bin ich euch noch schuldig; wir wollen uns in dem Garten versammeln!' — —«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 252. Nacht anbrach, sprach ihre Schwester Dinazâd zu ihr: »Schwester. erzähle uns deine Geschichte weiter. wenn du wach bist und noch nicht schläfst! «Jene gab zur Antwort: »Herzlich gern! Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Vorsteher der Kaufmannschaft den anderen Kaufleuten ein Gastmahl versprach und zu ihnen sagte: ,Wir wollen uns in dem Garten versammeln.' Am nächsten Morgen schickte er den Haus diener in die Halle und in den Pavillon. die sich im Garten befanden, und befahl ihm, dort Teppiche zu legen. Auch schickte er dorthin, was man zum Kochen brauchte, Schafe, zerlassene Butter und andere Dinge, wie sie die Gelegenheit erforderte; daim ließ er zwei Tische herrichten, einen im Pavillon und einen in der Halle. Darauf gürteten sich der Kaufherr Schams ed-Dîn und sein Sohn 'Alâ ed-Dîn, und der Vater sprach: ,Mein Sohn, wenn ein Mann mit grauen Haaren eintritt, so will ich ilm empfangen und ihn an den Tisch, der im Pavillon ist, setzen. Du aber, mein Sohn. wenn du einen bartlosen Jüngling eintreten siehst, so empfange ilm und führe ihn in die Halle und weise ihm einen Platz an dem Tische dort an.' 'Alâ ed-Dîn fragte darauf: ,Vater, warum lässest du zwei Tische bereiten, einen für die Männer, und einen für die jungen Leute?' ,Mein Sohn,' entgegnete er, ,wisse, der bartlose Jüngling scheut sich, mit den Männern zu essen.' Das hielt sein Sohn auch für richtig.

Wie nun die Kaufleute kamen, empfing Schams ed-Dîn die Männer und bat sie, sich im Pavillon zu setzen, während sein Sohn 'Alâ ed-Dîn die jungen Leute empfing und ihnen in der Halle Plätze anwies. Dann trug man die Speisen auf, und die Gäste aßen und tranken, waren lustig und vergnügten sich und



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tranken die Scherbette, während die Diener den Weihrauch aufsteigen ließen. Die Alten saßen da und redeten von Wissenschaft und von den Überlieferungen über den Propheten. Unter ihnen war ein Kaufmann des Namens Mahmud el-Balchi; der war nach außen hin ein Muslim, aber im Innern ein Magier, er führte ein schlechtes Leben und war der Knabenliebe ergeben. Dieser Mann schaute auf das Antlitz des 'Alâ ed-Dîn mit einem Blicke, der tausend Seufzer in ihm aufsteigen ließ, und es war, als ob der Satan ihm in dem Antlitz des Knaben ein Juwel vorhielt; da ergriff ihn der sehnenden Liebe Kraft und die heftigste Leidenschaft, und sein Herz ward von der Liebe zu dem Knaben erfüllt. Jener Kaufmann, der Mahmud el-Balchi hieß, pflegte seine Stoffe und Waren von dem Vater des 'Alâ ed-Dîn zu kaufen. Nun stand dieser Mahmud auf, um ein wenig umherzugehen, und er richtete seine Schritte auf die jungen Leute zu; die erhoben sich, um ihn zu begrüßen. 'Alâ ed-Dîn aber hatte sich gerade gedrungen gefühlt, sein Wasser zu lassen, und so war er fortgegangen, um sein Bedürfnis zu stillen. Da wandte Mahmud, der Kaufmann, sich an die jungen Leute mit den Worten: ,Wenn ihr den 'Ah ed-Dîn dazu bewegt, mit mir zu reisen, so gebe ich einem jeden von euch ein Gewand, das viel Geld wert ist.' Dann verließ er sie und kehrte wieder zu dem Kreise der Männer zurück. Die jungen Leute aber blieben dort sitzen, bis 'Alâ ed-Dîn zu ihnen zurückkehrte; da standen sie auf, um ihn zu begrüßen, und ließen ihn auf dem Ehrenplatze am Ende der Halle sitzen. Nun sagte ein Jüngling zu seinem Nachbarn: ,Herr Hasan, erzähle mir von deinem Kapital, mit dem du Handel treibst; wie bist du dazu gekommene' Jener antwortete: ,Als ich herangewachsen und groß geworden war und das Mannesalter erreicht hatte, sagte ich zu meinem Vater: ,Lieber Vater,



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gib mir Waren!' Doch er sagte: ,Mein Sohn, ich habe nichts; geh aber hin und leih dir Geld von einem Kaufmann und fang an, damit Handel zu treiben; lerne, wie man kauft und verkauft, wie man gibt und nimmt!' Ich begab mich also zu einem der Kaufleute und lieh von ihm tausend Dinare; dafür kaufte ich mir Stoffe, reiste damit nach Damaskus und gewann für sie das Doppelte. Dann kaufte ich Waren in Damaskus und reiste damit nach Aleppo; dort verkaufte ich sie und gewann wiederum das Doppelte. Auch in Aleppo kaufte ich Waren und zog damit nach Baghdad, wo sie verkaufte und zum dritten Male das Doppelte gewann. So handelte ich immer weiter, bis mein Kapital an die zehntausend Dinare betrug.' In derselben Weise redete ein jeder von den jungen Leuten mit seinem Nachbarn. bis die Reihe an 'Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât kam und er erzählen mußte. Als man ihn fragte: ,Wie ist's mit dir. Herr 'Alâ ed-Dîn?' antwortete er ihnen: ,Ich bin in einem Gemache unter der Erde erzogen, und ich bin erst in dieser Woche aus ihm herausgekommen. Ich gehe jetzt zum Laden und von ihm nach Hause zurück.' Da sagten die anderen: ,Du bist es gewohnt, zu Hause zu sitzen, und du kennst die Freuden des Reisens noch nicht; das Reisen ist ja auch Sache der Männer.' Er erwiderte: ,Ich habe kein Bedürfnis zu reisen; für mich ist die Ruhe unschätzbar.' Darauf sagte einer von den Jünglingen zu seinem Nachbarn: ,Der da ist wie ein Fisch; wenn er das Wasser verläßt, so stirbt er!' Und alle sagten zu 'Alâ ed-Dîn: ,Die Söhne der Kaufleute sehen ihren Ruhm nur im Reisen um des Gewinnes willen.' Er aber ward zornig über dies Gerede, und er verließ die jungen Leute, mit Tränen im Auge und mit Trauer im Herzen; er stieg auf ein Maultier und begab sich nach Hause. Dort sah ihn seine Mutter, wie er von wachsendem Zorn erfüllt war und ihm die



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Tränen im Auge standen; so fragte sie ihn: ,Was macht dich weinen, mein Sohn?' Er gab ihr zur Antwort: ,Alle die Söhne der Kaufleute haben mich beschimpft und gesagt, daß die Kaufmannssöhne nur im Reisen um des Geid gewinnes willen ihren Ruhm sehen.' —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 253. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Alâ ed-Dîn zu seiner Mutter sagte: ,Die Söhne der Kaufleute haben mich beschimpft und gesagt, daß die Kaufmanns söhne nur im Reisen um des Gewinnes willen ihren Ruhm sehen.' Da fragte seine Mutter ihn: ,Mein Sohn, willst du denn reisen?' ,Jawohl!' rief er, und da fragte sie weiter: ,Nach welchem Lande willst du reisen?' ,Nach der Stadt Baghdad,' erwiderte er; ,denn dort verdient man für das, was man bei sich hat, das Doppelte.' Darauf entgegnete sie: ,Lieber Sohn, sieh, dein Vater hat viel Geld; und wenn er dir nicht aus seinem Gelde Waren zurüsten will, so werde ich es aus meinem eigenen Vermögen tun.' Er aber sagte: ,Am schönsten gibt, wer rasch gibt! Wenn ein gutes Werk für mich geschehen soll, so ist jetzt die Zeit dazu.' Da rief sie die Sklaven und schickte sie zu den Packern; ferner öffnete sie einen Warenspeicher und ließ Stoffe für ihn herausholen, die von den Packern zu zehn Lasten verschnürt wurden.

Wenden wir uns nun von seiner Mutter zu seinem Vater zurück! Der hatte inzwischen im Garten nach seinem Sohne 'Alâ ed-Dîn ausgeschaut, ihn aber nicht gefunden; und als er nach ihm fragte, hieß es, er habe sein Maultier bestiegen und sei nach Hause geritten. Nun saß auch er auf und ritt hinter ihm her. Wie er sein Haus betrat, sah er schon die fertig geschnürten



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Ballen und fragte sofort, was das zu bedeuten habe. Da erzählte seine Frau ihm, was die Söhne der Kaufleute seinem Sohne 'Alâ ed-Dîn eingeredet hatten; und er rief: ,Mein Sohn, Allah mache das Reisen in der Fremde zuschanden! Der Prophet Allahs -Er segne ihn und gebe ihm Heil! —hat gesagt: Es gehört zum Glücke des Menschen, daß er in seiner Heimat das tägliche Brot findet. Und die Alten sagten: Unterlaß das Reisen, wäre es auch nur eine Meile!' Darauf fragte er seinen Sohn: ,Bist du wirklich entschlossen zu reisen und willst du von diesem Entschlusse nicht mehr abstehene' Sein Sohn gab ihm zur Antwort: ,Ich will mit Waren nach Baghdad reisen; sonst lege ich meine Gewänder ab, ziehe Der wisch kleider an und wandre als Pilgrim durch die Welt!' Nun sprach sein Vater: ,Ich bin nicht arm noch mittellos, sondern ich habe viel Gut', und er zeigte ihm alles, was er an Geld, Stoffen und anderen Waren besaß, indem er hinzufügte: ,Ich habe Stoffe und Waren, die für jedes Land sich eignen.' Unter anderem zeigte er ihm vierzig verschnürte Ballen, von denen ein jeder die Aufschrift trug, daß sein Preis tausend Dinare sei; dann sagte er: ,Mein Sohn, nimm diese vierzig Lasten zusammen mit den zehn, die von deiner Mutter sind, und reise unter dem Schutze Allahs des Erhabenen! Aber, mein lieber Sohn, ich bin um dich besorgt wegen eines Waldes, der an deinem Wege liegt und der da der Löwenbusch heißt, und wegen eines Tales dort, das den Namen Hundetal trägt; in ihnen sind ohne Barmherzigkeit alle Seelen dem Tode geweiht.' Als der Sohn fragte: ,Warum das, lieber Vater?' antwortete der Vater ihm: ,Wegen eines Beduinen, eines Wegelagerers, der 'Adschlân heißt.' 'Als ed-Dîn aber sprach: ,Das Leben kommt von Allah; habe ich teil an ihm, so wird mir kein Schaden widerfahren!' Darauf ritt 'Akt ed-Dîn mit seinem Vater nach dem Markte der



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Lasttiere; dort sprang ein Karawanenführer von seinem Maultiere ab, küßte den Boden vor dem Vorsteher der Kaufmannschaft und sprach zu ihm: ,Bei Allah, es ist lange her, mein Gebieter, daß du uns in Geschäften nicht mehr verwendet hast.' Er erwiderte darauf: ,Jede Zeit hat ihren Lauf und ihre Männer. Allah der Erhabene habe den Mann selig, der da sprach:

Ein alter Mann schritt, tief gebückt, am Wanderstab;
Bis auf die Knie wollte ihm sein Bart herab.
Ich fragte ihn: Weshalb denn neigst du dich so tief?
Da hob er seine Hände zu mir auf und rief:
Im Staub liegt meine Jugend, ach, sie wich von mir;
Nun schreite ich gebückt und suche nur nach ihr.'

Nach diesen Versen fuhr er fort: ,Meister, nicht ich, sondern mein Sohn will reisen.' Der Treiber erwiderte: ,Gott erhalte ihn dir!' Darauf schloß der Vorsteher der Kaufmannschaft einen Vertrag zwischen seinem Sohne und dem Karawanenführer, indem er bestimmte, daß der Jüngling ihm gleichsam ein Sohn sein solle, empfahl ihn seiner Obhut und sprach zu ihm: ,Hier hast du hundert Dinare für deine Burschen!' Dann kaufte der Vorsteher der Kaufmannschaft sechzig Maultiere, ferner eine Lampe und eine Grabes decke für den heiligen 'Abd el-Kâdir el-Dschilâni' und sprach: ,Mein Sohn, solange ich fern von dir bin, ist dieser Mann dein Vater statt meiner; gehorche ihm in allem, was er sagt!' Darauf begab er sich mit den Maultieren und den Dienern nach Hause; und an jenem Abend veranstalteten sie eine Koranvorlesung und ein Fest für den Scheich 'Abd el-Kâdir el-Dschilâni. Am nächsten Morgen aber gab der Vorsteher der Kaufleute seinem Sohne zehntausend Dinare und sagte: ,Wenn du nach Baghdad kommst und



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siehst, daß die Stoffe leicht zu verkaufen sind, so verkaufe sie; wenn du aber den Markt für sie schlecht findest, so lebe von diesem Gelde!' Und nun wurden die Maultiere beladen, alle nahmen voneinander Abschied, und dann zog die Karawane dahin, bis sie außerhalb der Stadt war. Inzwischen hatte auch Mahmud el-Balchi sich zur Reise nach Baghdad gerüstet, hatte seine Lasten hinaus geschafft und seine Zelte vor den Toren der Stadt aufgeschlagen; denn er hatte sich gesagt: ,Du kannst dich dieses Jünglings nur in der Einsamkeit erfreuen, wo kein Aufpasser und kein Späher dich stört!' Er schuldete aber dem Vater des Jünglings tausend Dinare, die er ihm noch von einem früheren Geschäfte her zahlen mußte, und so ging er denn zu ihm, um Abschied von ihm zu nehmen. Jener sagte zu ihm: ,Gib die tausend Dinare meinem Sohn 'Alâ ed-Dîn!' und er empfahl ilm seiner Obhut, indem er sprach: ,Er soll dir wie ein Sohn sein.' Und so schloß 'Alâ ed-Dîn sich dem Mahmud el-Balchi an. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 254. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Alâ ed-Dîn sich dem Mahmud el-Balchi anschloß. Dieser Mahmud nun trug dem Koche 'Alâ ed-Dîns auf, nichts für ihn zu kochen; sondern er selber versah den Jüngling und dessen Karawane mit Speise und Trank. Darauf wurde die Reise angetreten. Von dem Kaufherrn Mahmud el-Balchi ist noch zu sagen, daß er vier Häuser besaß, eins in Kairo, eins in Damaskus, eins in Aleppo und eins in Baghdad.

Die Karawane zog nun immer weiter durch Wüsten und Steppen dahin, bis sie in die Nähe von Damaskus kam. Da schickte Mahmud el-Balchi seinen Sklaven zu 'Alâ ed-Dîn,



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und der traf ihn sitzend und lesend an. Er trat auf ihn zu und küßte ihm die Hände; und als 'Alâ ed-Dîn nach seinem Begehr fragte, antwortete er: ,Mein Herr läßt dich grüßen und bittet dich zu Gaste in seinem Zelte.' Aber 'Alâ ed-Dîn erwiderte: ,Ich will erst meinen Vater Kamâl ed-Dîn. den Führer der Karawane, um Rat fragen.' Dann fragte er ihn um Rat, ob er gehen solle; doch der Führer sagte zu ihm: ,Geh nicht!' Von Damaskus zogen sie weiter nach Aleppo, und auch dort veranstaltete Mahmûd el-Balchi ein Gastmahl und sandte zu 'All ed-Dîn, um ilm einzuladen. Der fragte den Führer um Rat; und wiederum riet er ihm ab. Als sie dann von Aleppo weitergezogen waren, und als nur noch eine Tagereise zwischen ihnen und Baghdad lag, rüstete Mahmud el-Balchi zum dritten Male ein Fest und sandte zu 'Alâ ed-Dîn. um ihn einzuladen. Wieder fragte der den Führer um Rat, und der riet ihm wie vorher ab. Dennoch sprach 'Alâ ed-Dîn: ,Diesmal muß ich hingehen.' Darauf legte er unter den Kleidern ein Schwert um und begab sich zu Mahmud el-Balchi. Der erhob sich und kam ihm entgegen und begrüßte ihn; dann setzte er ihm ein prächtiges Mahl vor, man aß und trank und wusch sich zuletzt die Hände. Da neigte sich Mahmud zu 'All ed-Dîn hinüber, um ihm einen Kuß zu rauben, aber der fing ihn mit der Hand auf und rief: ,Was willst du da tun?' Jener erwiderte: ,Sieh, ich habe dich hierher kommen lassen; ich will an dieser Stätte mit dir der Freude pflegen, und wir wollen die Worte des Dichters auslegen:

Kannst du nicht zu mir kommen, nur ein Augenblickchen,
So lang, wie ein Schäfchen gemolken, ein Ei gebraten wird,
Und, was an zartem Fein brote dir nur zusagt, essen,
Und nehmen, was dir an silberner Münze entgegen klirrt,
Und ohne Müh ertragen, was dir behagen soll,
Ein Zöllchen oder ein Spännchen oder ein Händchen voll?'



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Darauf wollte Mahmud el-Balchi den Jüngling vergewaltigen; doch der sprang auf, zog sein Schwert und rief: ,Wehe über dein graues Haar! Fürchtest du dich nicht vor Allah, der im Zorne gewaltig ist? Gott habe den Mann selig, der da sprach:
Bewahr dein weißes Haar vor Schmutz, der es beflecket;
Denn weiße Farben nehmen rasch die Flecken an.'

Nach diesen Worten sprach 'Alâ ed-Dîn weiter zu Mahmud el-Balchi: ,Diese Ware istein von Allah anvertrautes Gut; wenn ich sie einem anderen als dir für Gold hätte verkaufen können, so hätte ich sie dir für Silber verkauft. Aber bei Allah, du Schandbube, ich werde mich nie mehr zu dir gesellen!' Darauf kehrte 'Alâ ed-Dîn zu dem Karawanenführer Kamâl ed-Dîn zurück und sprach zu ihm: ,Der da ist ein Wüstling! Ich werde nie mehr mit ihm zusammen sein, und ich will auch nicht mit ihm weiterreisen.' ,Mein Sohn,' erwiderte jener, ,habe ich dir nicht gesagt, du solltest nicht zu ihm gehen? Aber wenn wir uns jetzt von ihm trennen, mein Sohn, so fürchte ich Gefahr für unser Leben; darum laß uns auch weiter in derselben Karawane reisen!' Doch 'Alâ ed-Dîn rief: ,Es ist unmöglich, daß ich je wieder mit ihm zusammen reise.' So ließ er denn seine Lasten aufladen und zog mit seinen Leuten weiter, bis sie zu einem Tale kamen. Dort wollte er haltmachen; aber der Karawanenführer sprach: ,Macht hier nicht halt, zieht weiter, beschleunigt den Schritt! Vielleicht können wir Baghdad noch erreichen, ehe die Tore der Stadt geschlossen werden; denn dort öffnet und schließt man die Tore stets mit der Sonne, aus Furcht, daß die Ketzer sich der Stadt bemächtigen und die Bücher der heiligen Wissenschaft in den Tigris werfen könnten.' ,Lieber Vater,' erwiderte 'Alâ ed-Dîn, ,ich bin nicht mit diesen Waren ausgezogen und in dies Land gekommen, um Handel zu treiben, sondern um mir die Welt



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anzusehen.' Der Karawanenführer wiederholte: ,Mein Sohn. ich bin um dich und um dein Gut wegen der Beduinen besorgt.' Da rief 'Alâ ed-Dîn: ,Du, Mann, bist du Diener oder Herr? Ich will erst morgen in Baghdad einziehen, damit das Volk der Stadt meine Waren sieht und weiß, wer ich bin!' ,Tu, was du willst,' sprach der Führer, ,ich habe dir meinen Rat gegeben, sieh nun selber zu, wie du mit heiler Haut davonkommst!' Trotzdem befahl 'Alâ ed-Dîn, die Lasten von den Maultieren abzuladen. So lud man denn ab, schlug die Zelte auf und blieb dort ruhig bis Mitternacht. Da ging 'Alâ ed-Dîn hinaus, um einem Rufe der Natur zu folgen, und sah plötzlich in der Ferne etwas aufblitzen. Rasch fragte er den Karawanenführer: ,Meister, was ist das, was dort blinkt?' Der Führer setzte sich auf; spähte sorgfältig aus und erkannte in dem, was da blinkte, Lanzenspitzen, Stahlwaffen und Schwerter von Beduinen. Ja, da waren sie, Beduinen mit ihrem Häuptling, dem Araberscheich des Namens 'Adschlân Abu Nâïb. Und als die Beduinen sich ihnen näherten, erkannten sie die Ballen und sagten einer zum andern: ,Ha, eine Nacht der Beute!' Wie die Leute der Karawane hörten, daß jene so redeten, rief Kamâl ed-Dîn, der Führer: ,Hinweg, ihr elendes Beduinengesindel!' Aber Abu Nâïb traf ihn mit seinem Wurfspeere in die Brust, und die Spitze drang blinkend aus seinem Rücken hervor; da sank er tot an der Zeittür nieder. Nun rief der Wasserträger: ,Hinweg, ihr gemeines Beduinengesindel!' Doch der ward von einem Schwerthieb auf den Nacken getroffen, und die Schneide fuhr leuchtend durch seine Halssehnen hindurch; und auch er sank tot nieder. All das geschah, während 'Alâ ed-Dîn dastand und zuschaute. Darauf umringten die Beduinen die Karawane von allen Seiten, erschlugen die Leute und ließen von der ganzen Schar des 'Alâed-Dîn



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keinen einzigen Mann übrig; dann luden sie die Lasten auf die Maultiere und zogen davon. 'Alâ ed-Dîn aber sprach bei sich selber: ,Dein Kleid und dein Maultier hier wird dich sicher das Leben kosten!' Darum legte er sein Gewand ab, warf es auf den Rücken des Maultieres und blieb so nur in Hemd und Hose; dann blickte er vor sich nach der Zelttüre hin und sah dort eine Lache vom Blute der Erschlagenen. In ihr wälzte er sich mit Hemd und Hose, bis er wie ein Toter aussah, der in seinem eigenen Blute ertrunken war.

Sehen wir nun, was der Araberscheich 'Adschlân weiter tat! Er fragte seine Leute: ,Ihr Araber, kam diese Karawane aus Ägypten hierher, oder zog sie von Baghdad aus?' —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 255. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Leute des Beduinenhäuptlings, als er sie fragte: ,Ihr Araber, kam diese Karawane aus Ägypten hierher, oder zog sie von Baghdad aus?' ihm zur Antwort gaben: ,Diese kam aus Ägypten hierher auf Baghdad zu.' Dann fuhr er fort: ,Gehet zu den Erschlagenen zurück; ich glaube, der Herr dieser Karawane ist noch nicht tot!' Nun kehrten die Beduinen zu den Toten zurück und begannen noch mehr auf sie loszustechen und dreinzuschlagen, bis sie zu 'Alâ ed-Dîn kamen. Er hatte sich zwischen die Leichen gelegt; doch als sie ihn erreichten, riefen sie: ,Du stellst dich nur tot; wir werden dir jetzt den Garaus machen.' Und ein Beduine hob seinen Speer und wollte ilm in die Brust des 'Ah ed-Dîn stoßen; doch da betete der Jüngling: ,Deinen Segen, o Herr 'Abd el-Kâdir, du Heiliger von Dschilân!' Darauf sah er eine Hand, die den Speer von seiner Brust auf die des Meisters Kamâl ed-Dîn, des Karawanenführers, lenkte, so daß



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der Beduine jenen traf, und 'Alâ cd-Dîn war gerettet. Dann machten die Araber sich mit den beladenen Maultieren auf und davon. Vorsichtig blickte 'Alâ ed-Dîn wieder auf; aber als er sah, daß diese Raubvögel mit ihrem gefundenen Fressen fortgeflogen waren, richtete er sich hoch, sprang auf und lief davon. Doch Abu Nâïb der Beduine sprach zu seinen Gefährten: ,Ich sehe dort eine Gestalt sich regen, ihr Araber!' Da eilte einer von ihnen vor, und als er den laufenden 'Alâ ed-Dîn sah. rief er ihm zu: ,Die Flucht soll dir nichts nützen! Wir sind hinter dir!' Und er spornte seine Stute an und jagte hinter ihm her. 'Alâ ed-Dîn aber hatte vor sich eine Tränkrinne mit Wasser neben einem Brunnengebäude entdeckt; rasch kletterte er in eine Fensternische des Brunnengebäudes hinein, streckte sich in ihr aus und stellte sich schlafend; dabei betete er: ,O gütiger Schützer, breite über mich die Decke deines Schutzes. die nicht hinweggenommen werden kann!' Schon stand der Beduine bei dem Brunnenhaus in seinen Steigbügeln auf und reckte die Hand aus, um 'Alâ ed-Dîn zupacken; da rief der Jüngling: ,Deinen Segen, o Herrin Nafîsa!' Jetzt ist es Zeit für dich.' Und plötzlich stach ein Skorpion den Beduinen in die Hand, so daß er laut aufschrie und rief: ,Ha. kommt her zu mir, ihr Araber, ich bin gestochen!' Er fiel von seiner Stute herunter, doch da kamen seine Gefährten und halfen ihm wieder aufsitzen, und als sie ihn fragten, was mit ihm geschehen sei, antwortete er: ,Mich hat ein junger Skorpion gestochen!' Dann erreichten sie ihre Karawane wieder und ritten fort.

Lassen wir sie nun dahinziehen und wenden wir uns zu 'Ah ed-Dîn und Mahmud el-Balchi zurück! Der Jüngling blieb in der Fensternische des Brunnengebäudes liegen; aber der alte Kaufmann hatte inzwischen den Befehl zum Aufladen gel.



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geben und war weitergezogen, bis er zum Löwenbusche kam. Als er dort die Leute des 'Alâed-Dîn alle erschlagen fand, freute er sich und ritt dahin, bis er zu dem Brunnenhause mit der Tränk rinne kam. Sein Maultier aber war durstig, und so wandte er sich zur Seite, um aus der Rinne zu trinken; da sah es den Schatten des 'Alâ ed-Dîn und scheute vor ihm. Nun hob Mahmud el-Balchi seinen Blick und sah 'Alâ ed-Dîn dort liegen, ohne Gewänder, nur noch mit Hemd und Hosen bekleidet; und er fragte ihn: ,Wer hat dies mit dir gemacht und dich in solches Elend gebracht?' 'Alâ ed-Dîn erwiderte: ,Die Araber!' Da fuhr jener fort: ,Mein Sohn, die Maultiere und die Waren befreiten dich aus Todesgefahren! Tröste dich mit den Worten dessen, der da sprach:

Wenn eines Mannes Haupt vom Tod gerettet wird,
Dann ist doch Geld und Gut dem Span des Nagels gleich.

Doch jetzt komm herunter, mein Sohn, und fürchte nichts Böses!' Da stieg 'Alâ ed-Dîn aus der Fensternische des Brunnengebäudes herunter, der Kaufmann gab ihm ein Maultier zu reiten, und sie zogen dahin, bis sie zu dem Hause des Mahmud el-Balchi in der Stadt Baghdad kamen. Dieser führte seinen Gast ins Bad, indem er zu ihm sprach: ,Das Geld und die Ballen sind dein Lösegeld gewesen, mein Sohn! Wenn du nun auf mich hören willst, so will ich dir dein Geld und Gut doppelt ersetzen.' Als der Jüngling wieder aus dem Bade kam, führte Mahmud ihn in eine goldgeschmückte Halle mit vier Estraden; dann ließ er einen Tisch mit vielerlei Speisen bringen, und sie aßen und tranken. Doch nun neigte sich Mahmud ei Balchi wieder zu 'Alâ ed-Dîn hinüber, um ihm einen Kuß zu rauben. Aber der Jüngling fing ihn mit der Hand auf und sprach: ,Läßt du dich denn immer noch von deinen schlechten Absichten auf mich leiten? Hab ich dir nicht gesagt,



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wenn ich diese Ware einem anderen als dir um Gold hätte verkaufen können, so hätte ich sie dir um Silber verkauft?' Doch Mahmûd erwiderte: ,Ich werde dir nur um diesen Preis Waren und ein Maultier und Kleider geben; denn meine Leidenschaft zu dir richtet mich zugrunde. Wie schön hat doch der Dichter gesagt:

Nach Überlieferung von einem seiner Meister
Sprach Abu Bild!, der Scheich, der uns mehr als andere gilt:
Wer liebt, wird durch Umarmen und Küssen nie geheilet
Von seinem Leid, nein, nur wenn er den Trieb gestillt.'

Da rief 'Alâ ed-Dîn: ,Dies ist etwas, das 'nie geschehen soll! Behalte dein Gewand und dein Maultier und mach mir die Tür auf, daß ich hinausgehen kann!' Nun öffnete der Kaufmann die Tür: 'Alâ ed-Dîn schritt hinaus, während die Hunde hinter ihm her bellten, und ging fort. Und wie er so un Dunkel dahin wanderte, erblickte er das Tor einer Moschee; er trat in die Vorhalle, des Gotteshauses und verbarg sich darin. Da kam ein Lichtschein auf ihn zu, und als er genauer hinschaute, erkannte er zwei Laternen in den Händen von zwei Sklaven, die vor zwei Kaufleuten hergingen. Der eine von diesen beiden war ein alter Mann von schönem Angesicht; der andere war ein Jüngling. Nun hörte er, wie der junge zu dem Alten sagte: ,üm Allahs willen, lieber Oheim, gib mir meine Base zurück!' Der Alte aber erwiderte: ,Hab ich dich nicht schon viele Male zurückgehalten, während du die Scheidung gleich der heiligen Schrift immer im Munde führtest?' Zufällig blickte der Alte nach rechts und sah jenen Jüngling, so schön wie die Mondscheibe; er sprach zu ihm: ,Friede sei über dir!' Und nachdem 'Alâ ed-Dîn ihm den Gruß zurückgegeben hatte, fuhr jener fort: ,Mein Sohn, wer bist du?' Er gab zur Antwort: ,Ich bin 'Alâ ed-Dîn, der Sohn des Schams ed-Dîn, des Vorstehers der



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Kaufmannsgilde in Kairo. Ich bat meinen Vater um Waren, und er rüstete mir fünfzig Maultierlasten an Stoffen und Waren aus. — — «

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 256. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Alâ ed-Dîn erzählte: ,Mein Vater rüstete mir fünfzig Maultierlasten an Stoffen und Waren aus und gab mir zehntausend Dinare. Ich reiste dann, bis ich zudem Löwenbusche kam; dort fielen die Araber über mich her und nahmen wir mein Geld und mein Gut ab. Nun bin ich in diese Stadt gekommen, und als ich noch nicht wußte. wo ich übernachten sollte, erblickte ich diese Stätte und verbarg mich hier.' Da fragte der Alte ihn: ,Mein Sohn, was meinst du dazu, wenn ich dir tausend Dinare und ein Gewand im Werte von tausend Dinaren und auch noch ein Maultier im Werte von tausend Dinaren gebe?' 'Alâ ed-Dîn aber fragte den Alten: ,Zu welchem Zwecke willst du mir das geben, mein Oheim?' Da fuhr jener fort: ,Dieser Jüngling, der mich begleitet, ist der Sohn meines Bruders, und sein Vater hat keinen anderen als ihn. Und ich habe eine einzige Tochter, die heißt Zubaida die Lautnerin, ein schönes und anmutiges Mädchen. Die habe ich ihm zur Gemahlin gegeben, und er liebt sie sehr, während sie ihn nicht mag. Und als er sich einmal mit dem dreifachen Eide der Scheidung versah, konnte seine Gemahlin nichts Rascheres tun als ihn verlassen. 1 Da drang er in alle Leute, mich zu bitten, daß ich sie ihm zurückgeben möchte;



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aber ich sagte ihm, das sei nur durch einen Mittelsmann erlaubt. Nun bin ich mit ihm übereingekommen, daß wir einen Fremdling zum Mitteis manne nehmen, damit ihm hier niemand es später vorhalten könne. Und da du ein Fremdling bist, so komm mit uns; wir wollen dich gesetzlich mit ihr vermählen, du kannst dann diese Nacht bei ihr bleiben und mußt dich morgen früh wieder von ihr scheiden. Dann geben wir dir, was ich dir versprochen habe.' 'Alâ ed-Dîn sagte sich: ,Bei Allah, es ist doch viel schöner, die Nacht bei einer jungen Frau, im Hause und im Bette zu verbringen, als auf den Straßen oder in einer offenen Halle zu nächtigen.' So ging er denn mit ihnen zum Kadi. Und als der Kadi auf' Alâ ed-Dîn blickte, ward sein Herz von Liebe zu ihm erfüllt, und er sprach zu dem Vater der Frau: ,Was ist euer Begehr?' Der Alte erwiderte ihm: ,Unser Begehr ist, diesen Jüngling zum Mitteis manne für unsere Tochter und jenen jungen Mann zu machen. Wir wollen ihn aber durch einen Vertrag im voraus verpflichten, zehntausend Dinare als Morgengabe zu zahlen. Wenn er die Nacht bei ihr zugebracht hat und sich morgen früh von ihr scheidet, so wollen wir ihm ein Gewand im Werte von tausend Dinaren und ein Maultier im Werte von tausend Dinaren und außerdem tausend Dinare in Gold geben; wenn er sich aber nicht von ihr scheidet, so soll er zehntausend Dinare bezahlen.' Darauf schlossen sie den Vertrag mit dieser Bedingung, und der Vater der Frau erhielt ein Schriftstück darüber. Dann nahm er 'Ah ed-Dîn mit sich, kleidete ihn in ein neues Gewand und führte ihn zum Hause seiner Tochter. Dort ließ er ihn an der Tür stehen;



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er selbst aber trat zu seiner Tochter ein und sagte zu ihr: ,Hier hast du ein Schriftstück über deine Morgengabe. Ich habe dich mit einem schönen Jüngling namens 'Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât vermählt; nimm ihn daher aufs beste auf!' Darauf gab er ihr das Schriftstück und ging nach Hause.

Nun hatte der Vetter der jungen Frau eine Wirtschafterin, die. oft zu seiner Base Zubaida der Lautnerin ging, und der er manches Gute tat; zu der sprach er: ,Mütterchen, wenn meine Base Zubaida diesen schönen Jüngling sieht, so wird sie mich nachher nicht mehr annehmen wollen. Darum bitte ich dich, eine List zu ersinnen und sie von ihm fernzuhalten.' ,Bei deiner Jugend,' entgegnete sie, ,ich werde nicht dulden, daß er ihr naht!' Darauf ging sie zu 'Alâ ed-Dîn und sprach zu ihm: ,Mein Sohn, ich gebe dir einen guten Rat, um Allahs des Erhabenen willen, und nimm du meinen Rat an; denn ich bin um dich wegen jener Frau da besorgt. Laß sie allein schlafen, rühr sie nicht an, komme ihr nicht einmal nahe!' ,Warum denn?' fragte er; und sie gab ihm zur Antwort: ,Ihr Leib ist voll Aussatz, und ich fürchte, sie wird dich in deiner schönen Jugend anstecken.' Da sagte er: ,Ich habe sie nicht nötig.' Dann begab sie sich zu der jungen Frau und sagte ihr dasselbe von 'Ah ed-Dîn, was sie ihm von ihr gesagt hatte. Da sagte jene: ,Ich habe ihn nicht nötig. Laß ihn nur allein schlafen und morgen früh seiner Wege gehen!' Dann rief sie eine Dienerin und sprach zu ihr: ,Nimm den Tisch mit den Speisen und gib ihm zu essen!' Die Dienerin trug den Tisch mit den Speisen herbei und setzte ihn vor den Jüngling hin, und er aß, bis er gesättigt war. Darauf setzte er sich wieder und trug mit schöner Stimme die Sure Jâ-Sîn' vor. Die junge Frau hörte ihm zu, und sie fand, daß seine Stimme so lieblich klang, wie wenn das Volk Davids



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Psalmen sang. Da sprach sie bei sich selber: ,Allah strafe die Alte da, die mir von ihm sagte, er sei mit dem Aussatze behaftet! Wer ein solches Gebrest an sich trägt, der hat keine so schöne Stimme. Das ist alles nur über ihn gelogen.' Darauf nahm sie eine Laute von indischer Arbeit in die Hand. stimmte ihre Saiten und sang mit einer Stimme so süß, daß die Vögel am Himmel innehielten; dabei trug sie diese beiden Verse vor:

Ich lieb ein schlankes Reh mit schwarzen, versonnenen Augen,
Bei dessen Gang vor Neid die Weidenzweige erbeben.
Mich weist es ab; eine andre beglückt es durch sein Kommen -
Das ist eine Gunst von Gott; er kann sie, wem er will, geben.

Als er sie diese Verse singen hörte, begann er, nachdem er die Sure beendet hatte, gleichfalls zu singen, indem er diesen Vers vortrug:

Meinen Gruß der Gestalt, vom Gewande umfangen,
Und den Rosen auch in den Gärten der Wangen!

Da begann die junge Frau, von wachsender Liebe zu ihm ergriffen, den Vorhang zu lüften. Und als 'Alâ ed-Dîn sie erblickte, sprach er diese beiden Verse:

Sie kommt wie ein Mond und neigt sich gleichwie ein Zweig der Weide;
Sie blickt wie eine Gazelle, ihr Hauch ist Ambra fein.
Es ist, als sei der Gram mir fest ins Herz geschmiedet;
Wenn sie von dannen geht, so findet er sich ein.

Darauf trat sie hervor, die Hüften wiegend und lieblich sich biegend, ein Werk des Schöpfers, der seine Gaben gütig austeilt; und ein jeder warf auf den andern einen Blick, der gab ihm tausend Seufzer zurück. Und als die Pfeile der beiden Blicke. die ein ander trafen, fest in seinem Herzen lagen, begann er diese beiden Verse vorzutragen:

Sie sah den Mond am Himmel und ließ mich der Nächte gedenken,
Die wir gemeinsam einst verbrachten am grünenden Ram.



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Wir beide, wir sahn einen Mond, und dennoch, ich erblickte
Ihr Auge nur, und sie schaute mir in das Auge hinein.

Als sie ihm nun näher kam und nur noch zwei Schritte zwischen ihnen lagen, hub er an, diese beiden Verse vorzutragen:

Sie löste eines Nachts drei Locken ihres Haares
Und zeigte mir, wie nun vier Nächte draus entstanden.
Sie blickte auf zum Mond am Himmel mit ihrem Antlitz,
Und zeigte mir, wie nun zwei Monde zugleich sich fanden.

Als sie aber dicht vor ihn trat, rief er ihr zu: ,Bleib mir fern, damit du mich nicht ansteckst!' Da entblößte sie ihr Handgelenk, und es schien durch die Adern in zwei Teile geteilt zu sein und schimmerte so weiß wie des Silbers heller Schein. Und nun sprach sie zu ihm: ,Bleib du mir fern, der du mit dem Aussatze behaftet bist, damit du mich nicht ansteckst!' Da fragte er sie: ,Wer hat dir denn gesagt, daß ich aussätzig seit' Sie antwortete: ,Das alte Weib hat es mir gesagt.' Darauf rief er: ,Die Alte hat auch mir gesagt, daß du mit dem Aussatze behaftet seist'; und alsbald entblößte er vor ihr seine Unterarme, und sie erkannte, daß auch seine Haut wie reines Silber war. Da zog sie ihn an ihren Busen, und erdrückte sie an seine Brust, und beide umarmten einander. Dann zog sie ilm mit sich nieder, er löste ihre Gewänder, und in ihm regte sich, was sein Vater ihm hinterlassen hatte; und er rief: ,Deine Hilfe. o Scheich Zacharias, o Vater der Adern!' Dann legte er seine Hände an ihre Seiten, setzte die Ader der Süße an das Tor der Schlucht und drang ein, bis er zum Gittertür kam; er ging am Siegestor vorbei, und dann kam er auf den Montags-, Dienstags-, Mittwochs- und Donnerstags markt, er sah, daß der Teppich in seiner Größe der Estrade entsprach, und er schob den Deckel auf die Schachtel, bis er sie traf. Doch als es Morgen ward, rief er: ,Ach, die Freude, die noch nicht ihr Ende



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erreichte! Der Rabe hat sie geraubt und ist weggeflogen!' Wie sie ihn nun fragte, was diese Worte bedeuten sollten, antwortete er ihr: ,Herrin, ich darf nur noch diese eine Stunde bei dir verbringen!' Sie fragte weiter: ,Wer sagt das?' und er erwiderte ihr: ,Dein Vater hat mir einen schriftlichen Vertrag abgenommen, daß ich zehntausend Dinare als Morgengabe für dich zahlen muß; wenn ich sie nicht noch heute abliefere, so werde ich im Hause des Kadi&in Haft genommen. Aber jetzt habe ich nicht einmal einen halben Para von den zehntausend Dinaren in der Hand!' Darauf sagte sie: ,Mein Gebieter, ist der Ehevertrag in deiner Hand oder bei jener?' Er gab zur Antwort: ,Der Vertrag ist in meiner Hand; aber ich besitze gar nichts.' Da hub sie an: ,Das ist ein leichtes Ding! Fürchte nichts! Hier hast du hundert Dinare; hätte ich mehr, ich würde dir gern so viel geben, wie du willst, aber mein Vater hat in seiner großen Liebe zum Sohne seines Bruders alles, was jener von mir an Mitgift bekommen hat, in sein Haus schaffen lassen, ja, auch all meinen Schmuck hat er dorthin gebracht. Wenn er dir nun in der Frühe einen Boten von seiten des geistlichen Gerichts schickt' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 257. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die junge Frau zu 'Alâ ed-Dîn sprach: ,Wenn man dir in der Frühe einen Boten von seiten des geistlichen Gerichts schickt und mein Vater und der Kadi dir sagen lassen, du sollst dich von mir scheiden, so frage du die beiden: ,Nach welchem Gesetze ist es erlaubt, daß ich mich, nachdem ich mich am Abend vermählt habe, am nächsten Morgen schon wieder scheiden lasse?' Dann küsse die Hand des Kadis und gib ihm ein schönes Geschenk; ebenso



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küsse jedem Zeugen die Hand und gib ihm zehn Dinare. Darauf werden sie alle mit dir reden wollen, und wenn sie dich fragen: ,Warum scheidest du dich nicht von ihr und nimmst die tausend Dinare, das Maultier und das Gewand, wie wir es vertraglich mit dir ausbedungen haben?' so erwidere du ihnen: ,Mir ist jedes Haar ihres Hauptes so viel wert wie tausend Dinare; ich will mich nie von ihr scheiden, ich nehme weder das Gewand noch irgend etwas anderes.' Und wenn dann der Kadi zu dir sagt: ,Zahle die Morgengabe!' so antworte ihm: ,Ich bin augenblicklich ohne Geld.' Dann werden der Kadi und die Zeugen Mitleid mit dir haben und dir eine Frist gewähren.' Während sie noch so miteinander redeten, da klopfte plötzlich der Bote des Kadis an die Tür; 'Alâ ed-Dîn ging zu ihm hinaus, und der Bote sprach zu ihm: ,Der Effendi läßt dich rufen, dein Schwiegervater verlangt nach dir.' Daraufhin gab 'Alâ ed-Dîn ihm fünf Dinare und sprach zu ihm: ,O Diener des Gerichts, nach welchem Gesetze ist es erlaubt, daß ich mich, nachdem ich mich am Abend vermählt habe, am nächsten Morgen schon wieder scheiden muß?' Der Bote gab zur Antwort: ,Nach gar keinem unserer Gesetze ist das erlaubt. Und wenn du das geistliche Recht nicht kennst, so will ich wohl dein Vertreter vor Gericht sein.' Darauf gingen sie zum Gericht, und der Kadi sprach zu 'Alâ ed-Dîn: ,Warum scheidest du dich nicht von der Frau und nimmst, was dir nachdem Vertrage zufällt?' Der aber trat auf den Kadi zu, küßte ihm die Hand, legte fünfzig Dinare hinein und sprach: ,Hoher Herr Kadi, nach welchem Gesetze ist es erlaubt, daß ich mich, nachdem ich mich am Abend vermählt habe, am nächsten Morgen schon wieder scheiden lassen muß, wider meinen Willen?' Der Kadi antwortete: ,Die Scheidung durch Zwang ist nach keiner muslimischen Rechtslehre erlaubt.' Doch da hub der



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Vater der jungen Frau an: ,Wenn du dich nicht scheiden willst, so bezahle mir die Morgengabe aus, zehntausend Dinare!' Als 'Alâ ed-Dîn nun bat: ,Gewähre mir drei Tage Frist', entschied der Kadi: ,Drei Tage Frist sind nicht genug; er soll dir zehn Tage Aufschub geben!' Das wurde vereinbart, und er mußte sich verpflichten, nach diesen zehn Tagen entweder die Morgengabe zu zahlen oder sich scheiden zu lassen. Er ging aber von ihnen, nachdem er diese Verpflichtung angenommen hatte, kaufte Fleisch und Reis, zerlassene Butter und alles, was er sonst noch an Speisen nötig hatte, und begab sich nach dem Hause zurück. Dort trat er zu der jungen Frau ein und erzählte ihr genau, wie es ihm ergangen war. Da rief sie: ,Zwischen Nacht und Tag geschehen Wunderdinge! Wie vortrefffich ist doch das Wort des Dichters:

Bezähme deinen Sinn, wenn dich der Zorn ergreifet;
Und sei geduldig, wenn ein Unglück dich befällt!
Denn siehe da, die Nächte sind vom Schicksal schwanger,
Sie lasten schwer und bringen manch Wunderding zur Welt.'

Dann machte sie die Speisen bereit und brachte den Tisch herbei; und beide aßen und tranken, waren lustig und guter Dinge. Nun bat er sie, ein wenig Musik zu machen. Da nahm sie die Laute in die Hand, und sie spielte so schön, daß der härteste Stein darüber Freude empfand, und daß die Saiten riefen: König David, du hast uns gespannt! Und dann spielte sie eine schnellere Weise.

Während sie so dasaßen. in Glück und Fröhlichkeit, in Frohsinn und Seligkeit, wurde plötzlich an die Tür geklopft. Die junge Frau sprach: ,Geh hin und sieh, wer an der Tür ist!' Da ging er hinunter, machte die Tür auf und sah dort vier Derwische stehen. Als er sie fragte, was sie begehrten, gaben sie ihm zur Antwort: ,Lieber Herr, wir sind Bettelmönche, die



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in der Fremde reisen, und wir pflegen unsere Seelen mit Musik und zarter Dichtkunst zu speisen. Wir möchten nun diese Nacht bei dir bleiben und uns die Zeit bis zum Morgen vertreiben; dann wollen wir unserer Wege gehn, und dein Lohn wird bei Allah dem Erhabenen stehn. Und keiner ist unter uns, der nicht Heldenlieder und Gedichte und Strophen auswendig wüßte.' Er sprach: ,Ich muß erst jemand um Rat fragen', ging zurück und berichtete seiner jungen Frau darüber. Und als sie ihm sagte, er solle ihnen die Tür öffnen, tat er es, führte sie hinauf, ließ sie sich setzen und hieß sie willkommen. Darauf brachte er ihnen Speise, doch sie aßen nicht, sondern sprachen: ,Lieber Herr, unsere Speise besteht darin, daß wir Allahs Namen im Herzen sprechen und mit unseren Ohren den Gesängen lauschen. Wie vortrefflich ist doch das Wort des Dichters:

Wir wünschen nur in Gesellschaft zu sein;
Denn am Essen erkennt man das Vieh allein.

Wir vernahmen soeben schöne Musik bei dir; doch seit wir hinaufgekommen sind, ist sie verstummt. Wer mag wohl die Spielerin gewesen sein? War es eine weiße oder eine schwarze Sklavin oder ein Mädchen von Stand?' Er gab ihnen zur Antwort: ,Meine Gattin war es'; und dann erzählte er ihnen alles, was er erlebt hatte, indem er mit den Worten schloß: ,So hat nun mein Schwiegervater mir als Brautpreis die Zahlung von zehntausend Dinaren auferlegt, aber man hat mir eine Frist von zehn Tagen gewährt.' Einer von den Derwischen sagte darauf: ,Sei nicht traurig, sondern denke nur an Gutes! Ich bin der Scheich des Klosters, und mir sind vierzig Derwische untertan, über die ich Gewalt habe. Von denen werde ich dir die zehntausend Dinare einsammeln, und dann kannst du den Brautpreis, den du deinem Schwiegervater schuldest, voll auszahlen. Doch jetzt heiße deine Frau uns eine Weise vorspielen,



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auf daß wir uns erfreuen und erquicken; denn manchen ist die Musik wie ein Mahl, anderen wie eine Arznei, und wieder anderen eine Erfrischung wie der Fächer.'

Jene vier Derwische aber waren der Kalif Harûn er-Raschîd, der Wesir Dscha'far der Barmekide, Abu Nuwâs el-Hasan ibn Hâni' und Masrûr, der Träger des Schwertes der Rache. Sie waren bei jenem Hause vorbeigekommen, weil der Kalif sich beklommen gefühlt und zu seinem Minister gesagt hatte: ,Wesir, es ist mein Wunsch, daß wir zur Stadt hinuntergehen und in ihr umherwandeln; denn mir ist die Brust beklommen.' Darauf hatten sie Der wisch kleidung angelegt und waren in die Stadt hinuntergegangen; und wie sie bei jenem Hause vorbeikamen, hatten sie die Musik gehört, und so hatten sie gewünscht, zu erfahren, was es damit auf sich habe. Dann blieben sie die Nacht über in einträchtiger Freude, indem das Wort bei ihnen die Runde machte, bis der Morgen das Tageslicht brachte. Da legte der Kalif hundert Dinare unter den Gebetsteppich, und dann nahmen sie Abschied und gingen ihrer Wege. Als aber die Dame den Teppich aufhob, erblickte sie die hundert Dinare unter ihm und sprach zu ihrem Gatten: ,Nimm diese hundert Dinare, die ich unter dem Teppich gefunden habe; die Derwische haben sie dorthin gelegt, ehe sie weggingen, ohne daß wir es bemerkten.' Da nahm 'Alâ ed-Dîn das Geld und ging auf den Markt; dort kaufte er Fleisch, Reis, zerlassene Butter, kurz, alles, was er nötig hatte. Am Abend zündete er die Kerzen an und sprach zu seiner Frau:



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,Die Derwische haben mir die zehntausend Dinare, die sie mir versprochen haben, doch nicht gebracht; aber freilich, das sind arme Teufel.' Während sie noch miteinander sprachen, klopften plötzlich die Derwische an die Tür; und die Frau rief: ,Geh hinunter und mach ihnen auf!' Da öffnete er ihnen, und als sie hinaufgegangen waren, fragte er sie: ,Habt ihr die zehntausend Dinare, die ihr mir versprochen habt, mitgebracht?' Sie antworteten: ,Es war uns noch nicht möglich, etwas davon aufzutreiben. Doch fürchte nichts Schlimmes; morgen, so Gott der Erhabene will, kochen wir dir etwas mit Goldmacherkunst. Sag deiner Gattin, sie möchte uns eine schöne Weise hören lassen, auf daß unsere Herzen dadurch erquickt werden; denn wir lieben die Musik!' Da spielte sie eine Weise auf der Laute und sang, daß der härteste Stein vor Freuden sprang. Und alle verbrachten die Nacht in eitel Freude und Seligkeit, in Unterhaltung und Fröhlichkeit, bis der Morgen sich erhob und die Welt mit seinen feurigen Strahlen durchwob. Da legte der Kalif hundert Dinare unter den Gebetsteppich. Dann nahm man Abschied, und die Gäste wandten sich, um ihrer Wege zu gehen. So kamen sie immer wieder zu ihm, an neun Abenden, und in jeder Nacht legte der Kalif hundert Dinare unter den Teppich, bis die zehnte Nacht anbrach; da kamen sie nicht. Der Grund ihres Fernbleibens aber war dieser, daß der Kalif nach einem Großkaufmann gesandt und ihm befohlen hatte: ,Schaffe mir fünfzig Lasten Stoffe herbei, wie sie aus Kairo kommen.' ——«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 258. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Beherrscher der Gläubigen jenem Kaufmann befahl: ,Schaffe mir fünfzig



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Lasten Stoffe herbei, wie sie aus Kairo kommen, deren jede tausend Dinare wert ist; schreibe auf jede Last ihren Preis, und bringe mir auch einen abessinischen Sklaven.' Der Kaufmann schaffte alles herbei, was ihm befohlen war. Darauf übergab der Kalif dem Sklaven ein Becken und eine Kanne aus Gold nebst anderen Geschenken, ferner auch die fünfzig Lasten; und er ließ einen Brief schreiben im Namen von Schams ed-Dîn, dem Oberhaupte der Kaufmannsgilde in Kairo, dem Vater des 'Alâ ed-Dîn. Dann sprach er zu dem Sklaven: ,Nimm diese Lasten und was sonst noch bei ihnen ist, geh damit zu dem und dem Stadtviertel, in dem das Haus des Oberhauptes der Kaufleute ist, und frage: ,Wo ist mein Herr 'Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât?' Dann werden die Leute dich zu dessen Stadtviertel und Haus führen!' Der Sklave nahm die Lasten und die Geschenke, die dabei waren, in Empfang und machte sich auf den Weg, gemäß dem Befehle des Kalifen.

Lassen wir ihn dahingehen und sehen wir, was der Vetter der jungen Dame inzwischen tat! Der ging zu ihrem Vater und sprach zu ihm: ,Komm, wir wollen zu 'Alâ ed-Dîn gehen und ilm von meiner Base scheiden lassen!' So brachen die beiden auf, gingen dahin und begaben sich zu 'Alâ ed-Dîn. Als sie in die Nähe seines Hauses kamen, bemerkten sie dort fünfzig Maultiere, beladen mit fünfzig Lasten von Stoffen, ferner einen Sklaven, der auf einer Mauleselin ritt. Den fragten sie, wem diese Lasten gehörten. Er antwortete: ,Meinem Herrn 'Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât! Sein Vater hatte ihn mit Waren ausgerüstet und hatte ihn nach der Stadt Baghdad geschickt. Aber da überfielen die Beduinen ihn und nahmen ihm sein Geld und Gut. Als die Kunde davon seinem Vater berichtet ward. schickte er mich zu ihm mit neuen Lasten als Ersatz für die verlorenen; er sandte ihm durch mich auch ein Maultier,



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das mit fünfzigtausend Dinaren beladen ist, ferner ein Bündel von Kleidern, das viel Geld wert ist, einen Zobelpelz und ein Becken und eine Kanne aus Gold.' ,Das ist ja mein Eidam,' rief der Vater der Dame, ,ich will dir sein Haus zeigen.' Während nun 'Alâ ed-Dîn in schwerer Sorge zu Hause saß, klopfte es plötzlich an die Tür. Da rief er: ,Ach, Zubaida, Allah ist allwissend! Doch ich fürchte, dein Vater sendet mir einen Schergen vom Kadi oder gar vom Präfekten.' Sie aber sprach: ,Geh hinunter und sieh, was es gibt!' Das tat er; und wie er die Tür öffnete, sah er seinen Schwäher, den Vorsteher der Kaufmannschaft. den Vater der Zubaida, und ferner bemerkte er einen abessinischen Sklaven von dunkler Hautfarbe, doch von gefälligem Aussehen, der auf einer Mauleseln ritt. Sofort stieg der Sklave ab und küßte ihm die Hände. Als 'Alâ ed-Dîn fragte: ,Was wünschest du?' erwiderte er: ,Ich bin der Sklave meines Herrn 'Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât, des Sohnes Schams ed-Dîns, des Oberhauptes der Kaufleute im Lande Ägypten. Er, sein Vater, hat mich mit diesem anvertrauten Gut zu ihm geschickt.' Dann überreichte er ihm den Brief. 'Alâ ed-Dîn nahm ilm hin, öffnete ihn, las ihn und fand darin folgendes geschrieben:

,0 du, mein Brief, wenn dich mein trauter Freund erblickt,
So küsse du vor ihm den Boden, kuß den Schuh!
Doch sei behutsam auch, und übereil dich nicht;
In seiner Hand liegt meine Seele, meine Ruh.

Zuvor seien dir in Herzlichkeit Grüße und Wünsche und Empfehlungen geweiht! So schreibt Schams ed-Dîn an seinen Sohn Abu esch-Schamât: Wisse, lieber Sohn, mir ist zu Ohren gekommen, daß man deine Leute getötet und dir dein Geld und Gut abgenommen. Darum sende ich dir zum Ersatz diese fünfzig Lasten ägyptischer Stoffe, ein Gewand, einen Zobelpelz, ein Becken und eine Kanne aus Gold. Sei ohne Sorge;



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das verlorene Gut war ja dein Lösegeld, mein Sohn! Möge dir nie Leid widerfahren! Deine Mutter und die Unsrigen sind in bestem Wohlsein und gesund; sie lassen dich alle vielmals grüßen. Ferner, mein Sohn, ist mir berichtet worden, daß man dich als Zwischengatten für die Dame Zubaida die Lautnerin angenommen hat, daß man dir aber für sie eine Morgengabe von fünfzigtausend Dinaren abverlangt. Diesen Betrag sende ich dir mit den Lasten durch deinen Sklaven Saum.'

Als 'Alâ ed-Dîn den Brief zu Ende gelesen hatte, nahm er die ganze Sendung entgegen. Dann wandte er sich an seinen Schwäher und sprach zu ihm: ,Lieber Schwiegervater, nimm diese fünfzigtausend Dinare als Morgengabe für deine Tochter Zubaida hin! Nimm auch die Warenlasten und verkaufe sie; dann soll der Gewinn dir gehören, mir brauchst du nur ihren Grundwert zurückzuerstatten.' ,Nein, bei Allah,' rief jener, ,ich nehme nichts an. Über die Morgengabe für deine Gattin einige du dich mit ihr selber!' Darauf traten 'Alâ ed-Dîn und sein Schwäher in das Haus, nachdem sie zuvor die Waren hineingeschafft hatten. Nun fragte Zubaida ihren Vater: ,Lieber Vater, wem gehören diese Lasten?' Er gab ihr zur Antwort: ,Sie gehören 'Alâ ed-Dîn, deinem Gatten; sein Vater hat sie ihm geschickt zum Ersatz für all das, was die Beduinen ihm geraubt haben. Er hat ihm auch fünfzigtausend Dinare geschickt und ein Bündel Kleider und einen Zobelpelz und eine Mauleselin und ein Becken und eine Kanne von Gold. Über deine Morgengabe kannst du nun verfügen.' Alsbald öffnete 'Alâ ed-Dîn die Truhe und gab ihr ihre Morgengabe. Der Jüngling aber, der Vetter der Dame, bat: ,Lieber Oheim, laß doch den 'Alâ ed-Dîn sich wieder von meiner Frau scheiden!' Jener erwiderte ihm: ,Das geht nun nicht mehr an; er hat doch den Kontrakt für sich.' So ging denn der Jüngling tief bekümmert



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von dannen, legte sich krank in seinem Hause nieder und starb, da er zu Tode verwundet war.

Doch 'Alâ ed-Dîn, der nun im Besitze der Warenlasten war. ging zum Basar, holte, was er an Speise und Trank und zerlassener Butter brauchte, und richtete alles zum Festmahle her wie jeden Abend. Dabei sagte er zu Zubaida: ,Schau, jene lügnerischen Derwische haben uns ein Versprechen gegeben und es gebrochen!' Sie aber gab ihm zur Antwort: ,Du bist der Sohn des Vorstehers der Kaufmannschaft, und du hattest nicht einmal einen halben Para in der Hand! Und nun gar erst die armen Derwische!' Da fuhr er fort: ,Allah der Erhabene hat uns so viel gegeben, daß wir sie entbehren können. Aber ich will ihnen nicht mehr die Tür aufmachen, wenn sie wieder zu uns kommen.' ,Warum denn nichte' rief sie, ,das Glück ist doch erst zu uns gekommen, als sie uns besuchten, und sie legten uns doch jede Nacht hundert Dinare unter den Teppich. Du mußt ihnen auf jeden Fall die Tür auftun, wenn sie kommen.' Als nun der Tag mit seinem Lichte zur Rüste ging und die Nacht alles mit Dunkel umfing, zündeten sie die Kerzen an; und er sprach: ,Wohlan, Zubaida, spiele uns etwas vor!' Da ward auch schon an die Tür geklopft, und sie rief: ,Geh hin, schau, wer an der Tür ist!' Er ging hinunter, machte die Tür auf, und als er die Derwische erblickte, sagte er: ,Ah, willkommen, ihr Lügner! Tretet nur ein!' So gingen sie denn mit ihm hinauf, und er bat sie, sich zu setzen, und brachte ihnen den Speisetisch. Sie aßen und tranken, waren lustig und guter Dinge. Darauf hüben sie an: ,Lieber Herr, unsere Herzen waren um dich in Sorge! Wie ist es dir nun mit deinem Schwiegervater ergangen?' Er antwortete: ,Allah hat uns mehr ersetzt, als wir wünschen konnten!' Doch sie fuhren fort: ,Bei Allah, wir haben uns um deinetwillen geängstet!' —



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 259. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Derwische zu 'Alâ ed-Dîn sprachen: ,Bei Allah, wir haben uns um deinetwillen geängstet! Wir sind nur deshalb nicht zu dir gekommen, weil wir kein Geld in Händen hatten.' Er aber sprach zu ihnen: ,Schnelle Hilfe ist mir von Gott dem Herrn zuteil geworden! Mein Vater hat mir fünfzigtausend Dinare geschickt, dazu fünfzig Lasten Stoffe, von denen jede einzelne tausend Dinare wert ist, und ein Gewand und einen Zobelpelz und eine Mauleselin und einen Sklaven und ein Becken und eine Kanne von Gold! Mit meinem Schwiegervater habe ich Frieden geschlossen, meine Gattin ist jetzt von Rechts wegen mein, und ich preise Allah für das alles!' Als nun gerade der Kalif fortging, um ein Bedürfnis zu verrichten, beugte der Wesir Dscha'far sich zu 'Alâ ed-Dîn hinüber und sprach zu ihm: ,Benimm dich fein; denn du bist in Gegenwart des Beherrschers der Gläubigen !'Jener fragte: ,Was habe ich denn getan und dabei Mangel an gutem Benehmen vor dem Beherrscher der Gläubigen gezeigt? Wer von euch ist denn der Beherrscher der Gläubigen?' Der Wesir entgegnete: ,Er, der mit dir redete und der hinausgegangen ist, um ein Bedürfnis zu verrichten, ist der Beherrscher der Gläubigen, der Kalif Harûn er-Raschîd, und ich bin der Wesir Dscha'far; der dort ist Masrûr, der Träger des Schwertes seiner Rache, und der andere ist Abu Nuwâs el-Hasan ibn Hâni! Und nun, 'Alâ ed-Dîn, überlege einmal mit Verstand und bedenke, wie viele Tagereisen es von Kairo nach Baghdad sind!' ,Fünfundvierzig Tage', antwortete er; und Dscha'far fuhr fort: ,Deine Lasten wurden dir vor nur zehn Tagen geraubt; wie könnte die Kunde davon deinen



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Vater erreicht haben, wie hätte er dir andere Lasten packen und sie dir auf eine Entfernung von fünfundvierzig Tagen in zehn Tagen zukommen lassen können?' ,Hoher Herr,' fragte 'Ah ed-Dîn, ,woher ist mir denn dies zuteil geworden?' ,Vom Kalifen, dem Beherrscher der Gläubigen,' erwiderte Dscha'far, ,weil er dich so sehr lieb gewonnen hat.' Während sie so miteinander redeten, trat plötzlich der Kalif wieder ins Zimmer. 'Ah ed-Dîn sprang auf, küßte den Boden vor ihm und sprach zu ihm: ,Allah behüte dich, o Beherrscher der Gläubigen, und gebe dir ein langes Leben; und möge es den Menschen nie an deiner Huld und Güte fehlen!' Der Kalif sagte darauf: ,Mein lieber' Alâed-Dîn, bitte Zubaida, uns zur Feier des guten Ausganges etwas vorzuspielen!' Da spielte sie auf der Laute eine Weise, so zart und von so wunderbarer Art. daß der härteste Stein darüber empfand, und Saiten riefen: König David, du hast uns gespannt! So verbrachten sie die Nacht bis zum Morgen in der frohesten Weise. Am andern Tage früh sprach der Kalif zu 'Ah ed-Dîn: ,Komm morgen in die Regierungshalle.' Der antwortete: ,Ich höre und gehorche, o Beherrscher der Gläubigen, so Gott der Erhabene will und du wohlauf bist!'

Darauf nahm 'Alâ ed-Dîn zehn runde Platten und legte kostbare Geschenke darauf; und am nächsten Tage ging er damit zur Regierungshalle. Während nun der Kalif im Staatssaale auf dem Throne saß, trat 'Alâ ed Dîn plötzlich zur Tür ein, indem er diese beiden Verse sprach:

An jedem Morgen möge Glück und Ruhm dich grüßen,
Und mag der Neider auch in seiner Wut vergehn!
Dir seien licht und hell auf immerdar die Tage,
Doch schwarz die Tage jener, die dir widerstehn!

,Willkommen, 'Alâ ed-Dîn', rief der Kalif, und jener erwiderte: ,O Beherrscher der Gläubigen, siehe, der Prophet -



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Allah segne ihn und gebe ihm Heil! —hat Geschenke angenommen; so mögen denn diese zehn Platten mit dem, was darauf ist, eine Gabe von mir an dich sein!' Der Beherrscher der Gläubigen nahm sie von ihm an, verlieh ihm ein Ehrengewand, machte ihn zum Vorsteher der Kaufmannschaft und gab ihm einen Sitz in der Regierungshalle. Während er nun dort saß, trat auch sein Schwäher, der Vater Zubaidas, herein; und wie er den 'Alâ ed-Dîn, mit einem Ehrengewande angetan, auf seinem eigenen Platze sitzen sah, sprach er zum Beherrscher der Gläubigen: ,O größter König unserer Zeit, warum sitzt der da auf meinem Platze und trägt das Ehrenkleid?' Der Kalif gab ihm zur Antwort: ,Ich habe ihn zum Vorsteher der Kaufmannschaft gemacht; denn Ämter werden auf Zeit vergeben, nicht für das ganze Leben. Du bist jetzt abgesetzt.' Jener sagte darauf: ,Er ist ja von unserer Gilde und gehört zu unserer Verwandtschaft. Du hast trefflich gehandelt, o Beherrscher der Gläubigen. Möge Allah stets für unsere Sachen die Besten von uns zu Führern machen! Wie mancher fing klein an und wurde zum großen Mann! 'Darauf ließ der Kalif einen Firman für 'Alâ ed-Dîn ausstellen und übergab ihn dem Präfekten; der übergab ihn dem Ausrufer, und dieser verkündete in der Regierungshalle: ,Allein 'Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât ist von jetzt an der Vorsteher der Kaufmannschaft! Man gehorche seinen Worten, und man achte seine Würde an allen Orten! Ehrung und Achtung und hoher Stand sind ihm nunmehr zuerkannt.' Als dann die Staatsversammlung beendet war, traten der Präfekt und der Ausrufer vor 'Alâ ed-Dîn, und der Ausrufer wiederholte: ,Allein Herr 'Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât ist von jetzt an der Vorsteher der Kaufmannschaft!' Dann führte er ihn in den Straßen von Baghdad umher, und immerfort rief der Ausrufer: ,Allein Herr 'Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât



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ist von jetzt an der Vorsteher der Kaufmannschaft!' Am nächsten Tage eröffnete er einen Laden für seinen Sklaven und ließ ihn dort sitzen, um Handel zu treiben, während er selbst zum Palaste ritt, um seinen Platz in der Regierungshalle des Kaufen einzunehmen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 260. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Alâ ed-Dîn zum Palaste zu reiten pflegte, um seinen Platz in der Regierungshalle des Kalifen einzunehmen. Nun begab es sich eines Tages, als er nach seiner Gewohnheit auf seinem Platze saß, daß jemand zum Kalifen sprach: ,O Beherrscher der Gläubigen, möge dein Haupt den und den aus deiner Tafelrunde lange überleben! Er ist zur Barmherzigkeit Allahs des Erhabenen eingegangen. Dein Leben aber sei von langer Dauer!' Da fragte der Kalif: ,Wo ist 'Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât?' Als dieser darauf vor ihn trat und er ihn erblickte, verlieh er ihm ein prächtiges Ehrengewand, machte ihn zu seinem Tischgenossen und bestimmte für ihn monatliche Einkünfte von tausend Dinaren. So weilte denn 'Alâ ed-Dîn bei ihm in der Tafelrunde. Doch eines Tages, als er nach seiner Gewohnheit auf seinem Platze saß, um dem Kalifen aufzuwarten, begab es sich, daß ein Emir mit Schwert und Schild in die Regierungshalle trat und rief: ,O Beherrscher der Gläubigen, möge dein Haupt den Hauptmann der Sechzig' überleben! Er ist heute gestorben.' Da verlieh der Kalif dem 'Alâ ed-Dîn ein neues Ehrengewand und setzte ihn zum Hauptmann der Sechzig ein an Stelle des früheren, der weder Sohn noch Tochter noch Frau gehabt hatte. Und 'Alâ ed-Dîn ging alsbald fort und legte seine Hand auf



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die Habe jenes Mannes. Dann sprach der Kalif zu 'Alâ ed-Dîn: ,Begrab ihn in der Erde und nimm alles, was er an Geld, Sklaven, Sklavinnen und Dienern hinterlassen hat!' Darauf schwenkte er das Taschentuch' und entließ die Versammlung. 'Ah ed-Dîn aber ritt dahin, zur Rechten geleitet von Ahmed ed-Danaf, dem Hauptmanne zur Rechten des Kaufen, der seine Vierzig bei sich hatte, und zur Linken von Hasan Schumân, dem Hauptmanne zur Linken des Kaufen, der gleichfalls seine Vierzig bei sich hatte. Da wandte 'Alâ ed-Dîn sich an den Hauptmann Hasan Schumân und seine Leute und sprach zu ihnen: ,Sprecht für mich mit dem Hauptmanne Ahmed ed-Danaf, auf daß er mich durch einen vor Gott beschworenen Vertrag zu seinem Sohne annehme!' Da nahm Ahmed ilm als Sohn an und sprach zu ihm: ,Ich und meine vierzig Mann, wir werden jeden Tag vor dir her zur Regierungshalle ziehen.' Nachdem 'Alâ ed-Dîn nun eine Reihe von Tagen im Dienste des Kaufen verbracht hatte, begab es sich einmal, daß er, nachdem er die Regierungshalle verlassen hatte, zu seinem Hause ritt und dort den Ahmed ed-Danaf und seine Leute ihrer Wege ziehen ließ. Dann setzte er sich zu seiner Gattin Zubaida der Lautnerin. als die Kerzen bereits angezündet waren. Nach einer kurzen Weile ging sie fort, um ein Bedürfnis zu verrichten. Während er nun auf seinem Platze saß, hörte er plötzlich einen lauten Schrei. Eilends lief er hin, um zu schauen, wer da geschrien hatte. Da sah er. daß seine Frau Zubaida die Lautnerin es war, die den Schrei ausgestoßen hatte. Sie lag auf den Boden dahin gestreckt; er legte seine Hand auf ihre Brust und entdeckte, daß sie tot war. Das Haus ihres Vaters aber befand sich gegenüber dem Hause 'Alâ ed-Dîns; und da jener den Schrei gehört hatte, fragte er: ,Was gibt's, mein Herr Alâ ed-Dîn 'Jener erwiderte:



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,Dein Haupt, lieber Vater, möge deine Tochter Zubaida die Lautnerin überleben! Doch mein Vater, der Tote wird geehrt, indem man ihn begräbt!' Am nächsten Morgen begruben sie sie in der Erde, und 'Alâ ed-Dîn und ihr Vater begannen einander zu trösten.

So starb Zubaida die Lautnerin. 'Alâ ed-Dîn aber legte Trauerkleider an und hielt sich von der Regierungshalle fern; denn sein Auge weinte, und sein Herz trauerte. Da sprach der Kalif zu Dscha'far: 'Wesir. warum hält ' Alâ ed-Dîn sich von der Regierungs halle fern?' Und der Wesir gab ihm zur Antwort: ,O Beherrscher der Gläubigen, er trauert um seine Frau Zubaida, und er wird von den Trauerbesuchern in Anspruch genommen.' Darauf sagte der Kalif des weiteren zum Wesir: ,Es geziemt sich, daß wir ihm unser Beileid aussprechen.' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte jener. Nun machten der Kalif und der Wesir, begleitet von einigen Dienern, sich auf und begaben sich zu Pferde nach dem Hause des 'Alâ ed-Dîn. Und wie er so dasaß, traten plötzlich der Kalif und der Wesir mit ihren Begleitern bei ihm ein. Er stand auf, um sie zu begrüßen; dann küßte er den Boden vor dem Kaufen, und der sprach zu ihm: ,Allah ersetze dir gnädig deinen Verlust!' 'Alâ ed-Dîn erwiderte: ,Allah erhalte dich uns immerdar, o Beherrscher der Gläubigen!' Dann fuhr der Kalif fort: ,Mein lieber 'Alâ ed-Dîn, warum hältst du dich von der Regierungshalle fern?' Er gab zur Antwort: ,Ich trauere um meine Frau Zubaida, o Beherrscher der Gläubigen!' Aber der Kalif sprach: ,Tu den Gram von deiner Seele ab! Siehe, jene ist zur Barmherzigkeit Allahs des Erhabenen eingegangen. Die Trauer kann dir gar nichts nützen!' ,O Beherrscher der Gläubigen,' sagte 'Alâ ed-Dîn darauf, ich werde erst dann von der Trauer um sie ablassen, wenn ich tot bin und neben ihr begraben werde.' Doch wieder



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hub der Kalif an: ,Bei Allah ist Ersatz für einen jeden, der dahingegangen ist. Gegen den Tod schützt kein Mittel, kein Reichtum. Vortrefffich hat der Dichter gesprochen:

Ein jeder Sohn des Weibes, mag er auch lange leben,
Wird eines Tages doch auf buckliger' Bahre getragen.
Wie kann er denn die Wonnen des Lebens noch genießen,
Wenn einst an seinen Wangen im Staube die Würmer nagen?'

Als der Kalif dann seinen Beileidsbesuch beendete, ermahnte er 'Alâ ed-Dîn noch, sich der Regierungs halle nicht mehr fernzuhalten, und begab sich wieder in seinen Palast. Nachdem 'Alâ ed-Dîn jene Nacht noch in seinem Hause verbracht hatte, ritt er, als es Morgen geworden war, zur Regierungshalle. Dort trat er zum Kalifen ein und küßte den Boden vor ihm: und der Kalif erhob sich ihm zu Ehren ein wenig von seinem Throne, hieß ihn willkommen, begrüßte ilm und hieß ihn seinen gewohnten Platz wieder einnehmen, indem er hinzufügte: ,'Alâ ed-Dîn, heute abend bist du mein Gast!' Hernach ging er auch mit ihm in seinen Palast. rief eine Sklavin namens Kût el-Kulûb und sprach zu ihr: ,'Alâ ed-Dîn hatte eine Gattin namens Zubaida, die ihn über Sorge und Gram hinwegzutrösten pflegte; sie ist zur Barmherzigkeit Allahs des Erhabenen eingegangen. Nun wünsche ich, daß du ihm auf der Laute eine Weise vorspielst.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 261. Nacht anbrach', fuhr sie also fort: »Es ist mir



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berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kalif zu der Sklavin Kût el-Kulûb sprach: ,Nun wünsche ich, daß du ihm auf der Laute eine Weise vorspielst, fein und zart, und von wundersamer Art, damit er sich über Sorge und Trauer hinwegtröste.' Als sie nun eine wundersame Weise vortrug, sprach der Kalif: ,'Alâ ed-Dîn, was sagst du zu der Stimme der Sklavin?' Jener erwiderte: ,Zubaida hatte eine schönere Stimme als sie; aber sie läßt mit solcher Kunst die Laute erklingen, daß selbst die härtesten Felsen vor Freude springen.' Wie der Kalif dann weiter fragte: ,Gefällt sie dir?', gab er zur Antwort: ,Ja, o Beherrscher der Gläubigen!' Da sprach der Kalif: ,Bei meinem Leben und bei den Gräbern meiner Ahnen, ich schenke sie dir samt ihren Mägden!' Alâ ed-Dîn meinte, der Kalif scherze mit ihm; aber als es Morgen ward, ging der Fürst zu seiner Sklavin Kût el-Kulûb und sprach zu ihr: ,Ich habe dich dem 'Alâ ed-Dîn zum Geschenke gemacht!' Darüber war sie erfreut denn sie hatte ihn gesehen und lieb gewonnen. Nun begab sich der Kalif aus dem Schlosse wieder in die Regierungshalle, ließ die Träger rufen und sprach zu ihnen: ,Schafft die Habe der Kût el-Kulûb zum Hause 'Alâ ed-Dîns und tragt sie selbst, von ihren Mägden begleitet, in einer Sänfte dorthin Jene brachten darauf die Sklavin mit ihren Mägden und ihrer Habe zum Hause 'Alâ ed-Dîns und führten sie in die Wohnräume, während der Kalif im Staatssaale bis gegen Abend sitzen blieb. Als die Versammlung aufgelöst wurde, ging er in seinen Palast.

So weit der Kalif! Was aber Kût el-Kulûb anging, so war sie in die Wohnräume im Hause des 'Alâ ed-Dîn mit ihrer Begleitung eingezogen; das waren aber vierzig Mägde und dazu noch die Eunuchen. Nun sprach sie zu zweien von den letzteren: ,Einer von euch setze sich auf einen Schemel zur Rechten der Tür, und der andere setze sich auf einen Schemel zu ihrer



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Linken! Wenn 'Alâ ed-Dîn kommt, so küsset beide den Boden vor ihm und sprechet zu ihm: ,Unsere Herrin Kût el-Kulûb bittet dich, zu ihr in die Wohnräume zukommen; denn der Kalif hat sie dir samt ihren Mägden geschenkt.' ,Wir hören und gehorchen!' antworteten die beiden und taten, wie sie ihnen geboten hatte. Wie dann 'Alâ ed-Dîn kam, fand er zwei Eunuchen des Kaufen an der Tür sitzen. Darüber war er erstaunt, und er sprach bei sich selber: ,Vielleicht ist dies gar nicht mein Haus? Oder was gibt es denn sonst hier?' Doch sobald die Eunuchen ihn erblickten, sprangen sie auf, küßten ihm die Hände und sprachen: ,Wir sind vom Haushalte des Kaufen, wir sind Mamluken der Kût el-Kulûb. Und sie entbietet dir ihren Gruß und läßt dir sagen, daß der Kalif sie dir samt ihren Mägden geschenkt hat, und sie bittet dich, sie zu besuchen.' Darauf befahl er ihnen: ,Saget ihr: Er heißt dich willkommen; aber solange du in seinem Hause bist, wird er die Gemächer, in denen du weilst, niemals betreten; denn was des Herren war, darf nicht des Dieners sein. Fragt sie auch, wie hoch ihre täglichen Ausgaben waren, als sie sich im Schlosse des Kaufen befand!' Die beiden gingen zu ihr hinauf und überbrachten diese Botschaft. Doch als sie sagen ließ, ihre Ausgaben betrügen hundert Dinare täglich, sprach er bei sich: ,Es war doch nicht nötig für mich, daß der Kalif mir Kût el-Kulûb schenkte, damit ich so viel Geld für sie ausgebe; aber das läßt sich nicht ändern!' Sie wohnte nun also eine Reihe von Tagen bei ihm, während er ihr täglich hundert Dinare überwies. Eines Tages jedoch blieb 'Alâ ed-Dîn wieder der Regierungshalle fern; da sprach der Kalif zum Wesir: ,Dscha'far, ich habe Kût el-Kulûb nur deshalb dem 'Alâ ed-Dîn gegeben, damit sie ihn über den Verlust seiner Frau tröste. Warum bleibt er uns denn schon wieder fern?' ,O Beherrscher der Gläubigen,' erwiderte



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jener, ,der sprach die Wahrheit, der da sagte: Wer ein Lieb gefunden, dem sind die Freunde aus den Augen entschwunden.' Aber der Kalif fuhr fort: ,Vielleicht hat ihn doch ein triftiger Grund von uns ferngehalten. Immerhin, wir wollen ihn besuchen!' Nun hatte 'Alâ ed-Dîn einige Tage zuvor zu dem Wesir gesagt: ,Ich habe dem Kaufen geklagt, wie sehr ich über den Tod meiner Frau Zubaida der Lautnerin betrübt bin, und da hat er mir Kût el-Kulûb geschenkt.' Da hatte der Wesir entgegnet: ,Wenn er dich nicht liebte, so hätte er sie dir nicht geschenkt. Doch sag, 'Alâ ed-Dîn, bist du schon zu ihr eingegangen?' ,Nein, bei Allah!' hatte er erwidert, ,ich weiß weder, wie hoch noch wie breit sie ist.' Und als der Wesir ihn gefragt hatte, warum das sei, hatte er geantwortet: ,Wesir, was dem Herrn gebührt, das gebührt nicht dem Untertanen.'

Der Kalif und Dscha'far verkleideten sich nun und gingen hin, um 'Alâ ed-Dîn zu besuchen. Bei seinem Hause machten sie halt, und als sie eintraten, erkannte 'Alâ ed-Dîn sie dennoch; darum küßte er dem Kalifen die Hände. Als der ihn aber ansah, bemerkte er die Spuren der Trauer in seinem Antlitze, und er fragte: ,Sag, 'Alâ ed-Dîn, was ist der Grund für diese Trauer, von der du befangen bist? Bist du denn nicht zu Kût el-Kulûb eingegangene' ,O Beherrscher der Gläubigen,' erwiderte er, ,was dem Herrn gebührt, das gebührt nicht dem Diener. Bis jetzt bin ich noch nicht zu ihr eingegangen, und ich weiß weder, wie hoch noch wie breit sie ist. Geruhe nun, mich von ihr zu befreien!' Da sprach der Kalif: ,Ich möchte sie sehen und sie fragen, wie es um sie steht!' ,Ich höre und gehorche, o Beherrscher der Gläubigen', gab 'Alâ ed-Dîn zur Antwort. Nun ging der Kalif zu ihr. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 262.



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Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kalif zu Kût el-Kulûb ging. Als sie ihn erblickte, erhob sie sich und küßte den Boden vor ihm. Wie er sie dann fragte: ,Ist 'Alâ ed-Dîn zu dir eingegangene' antwortete sie ihm: ,O Beherrscher der Gläubigen, ich habe ihn bitten lassen, zu mir zu kommen; aber er willigte nicht ein.' Darauf befahl der Kalif; sie in den Palast zurückzubringen; zu 'Ah ed-Dîn aber sprach er: ,Bleib uns nicht fern!' Dann kehrte er zu seinem Palaste zurück, während 'Alâ ed-Dîn jene Nacht über in seinem Hause blieb. Als es wieder Morgen ward, machte er sich auf und ritt zur Regierungshalle; dort setzte er sich auf den Platz des Hauptmannes der Sechzig. Da gab der Kalif dem Schatzmeister Befehl, er solle dem Wesir Dscha'far zehntausend Dinare auszahlen: und als der ihm diesen Betrag übergeben hatte, gebot der Kalif dem Wesir: ,Ich beauftrage dich, zum Markte der Sklavinnen hinabzugehen und für Alâ ed-Dîn eine Sklavin um zehntausend Dinare zu kaufen!' Der Wesir gehorchte dem Befehle des Herrschers und ging hinab, indem er den 'Alâ ed-Dîn mit sich nahm und ihn zum Markte der Sklavinnen führte. Nun traf es sich, daß an diesem Tage der Polizeipräfekt von Baghdad, den der Kalif in dies Amt eingesetzt hatte und dessen Name Emir Châlid war, auch zu dem Markte hinabging, um für seinen Sohn eine Sklavin zu kaufen. Das war aus diesem Grunde geschehen. Er hatte eine Frau, namens Chatûn'; und die hatte ihm einen häßlichen Sohn geboren, der hieß Habzalam Bazzâza'. Der war schon zwanzig Jahre alt und hatte noch nicht reiten gelernt; aber sein Vater war ein Held verwegen und ein



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tapferer Degen, er war im Reiten der Rosse erfahren und watete im finsteren Meer der Gefahren. Eines Nachts nun hatte Habzalam Bazzâza einen Traum, der zeigte, daß er mannbar war, und wie er seiner Mutter davon erzählte, freute sie sich und berichtete es seinem Vater, indem sie hinzufügte: ,Ich möchte, daß wir ihn verheiraten: denn er ist für die Ehe reif' Doch dieser entgegnete ihr: ,Der Bursche da ist so häßlich anzusehen, er hat einen so widerwärtigen Geruch, er ist so schmutzig und garstig, daß ihn keine Frau nehmen wird.' Da sagte sie: ,Dann wollen wir ihm eine Sklavin kaufen.' So geschah es nach dem Ratschlusse Allahs des Erhabenen, daß an dem Tage, an dem der Wesir mit 'Alâ ed-Dîn zum Markte ging, auch Emir Châlid, der Präfekt, mit seinem Sohne Habzalam Bazzazâ sich dorthin begab. Und wie sie auf dem Markte waren, erblickten sie an der Hand eines Maklers eine Sklavin, die Schönheit und Anmut besaß und ein vollendetes Ebenrnaß: da sprach der Wesir zu dem Manne: ,Makler, biete ihrem Eigentümer tausend Dinare für sie!' Als der aber mit ihr an dem Präfekten vorbeiging, sah Habzalam Bazzâza sie, und der Blick ließ tausend Seufzer in ihm zurück; ergriffen von heftiger Leidenschaft und von der Liebe zu ihr wie hinweggerafft, schrie er auf: ,Lieber Vater, kauf mir diese Sklavin!' Der rief den Makler und fragte die Sklavin nach ihrem Namen. ,Ich heiße Jasmin', gab sie zur Antwort. Dann sprach der Vater: ,Mein Sohn, wenn sie dir gefällt, so biete ich höher!' Also fragte er: ,Makler, wieviel ist für sie gebotene' Und wie der antwortete: ,Tausend Dinare', bot er ihm tausendundeinen Dinar. Darauf ging der Makler zu 'Alâ ed-Dîn und der bot zweitausend Dinare. Sooft nun der Sohn des Präfekten einen Dinar höher bot, erhöhte 'Alâ ed-Dîn sein Angebot um tausend Dinare. Ärgerlich fragte der Sohn des Präfekten: ,Makler,



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wer überbietet mich bei dem Preise der Sklavin?' Der Makler gab ihm zur Antwort: ,Der Wesir Dscha'far will sie für 'Als ed-Dîn Abu esch-Schamât kaufen.' Als schließlich 'Alâ ed-Dîn zehntausend Dinare geboten hatte, war ihr Eigentümer damit einverstanden und nahm diesen Preis für sie an. So erhielt 'Alt ed-Dîn sie und sprach zu ihr: ,Ich schenke dir die Freiheit um Allahs des Erhabenen willen.' Dann ließ er sogleich eine Urkunde darüber ausstellen, daß er sie zur Frau nehme, und begab sich heim. Als aber der Makler mit seinem Maklerlohn zurückkehren wollte, rief der Sohn des Präfekten ihn und fragte ihn: ,Wo ist die Sklavin?' Jener antwortete: 'Alâ ed-Dîn hat sie um zehntausend Dinare gekauft, ihr die Freiheit geschenkt und ihr seinen Ehekontrakt ausfertigen lassen!' Da ward der Jüngling tiefbetrübt, er begann noch heftiger zu seufzen und kehrte, krank von der Liebe zu ihr, nach Hause zurück: dort warf er sich auf das Lager, wies alle Nahrung ab und ward immer stärker von der Liebesleidenschaft ergriffen. Als seine Mutter ihn so krank sah, sprach sie zu ihm: ,Gott schütze dich, mein Sohn, wie kommt es, daß du krank bist?' ,Kaufe mir Jasmin, liebe Mutter!' klagte er. Da rief sie: ,Wenn der Blumenhändler' vorbeikommt, will ich dir einen Korb voll Jasmin kaufen!' Aber er erwiderte: ,Ich meine doch nicht den jasmin, den man riecht; das ist eine Sklavin, die Jasmin heißt, die mein Vater mir nicht gekauft hat!' Wie sie nun ihren Gatten fragte: ,Warum hast du ihm diese Sklavin nicht gekaufte' sagte der: ,Was dem Herrn gebührt, das gebührt nicht dem Diener! Ich habe keine Macht, sie zu nehmen; denn kein Geringerer hat sie gekauft als Alâ ed-Dîn, der Haupt-



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mann der Sechzig.' Da ward das Leiden des Burschen noch ärger, bis der Schlaf ilm ganz verließ und er alle Speise abwies und seine Mutter sich mit den Trauerbinden umwand.

Wie sie nun so in Trauer um ihren Sohn zu Hause saß, da trat plötzlich eine Alte zu ihr ein, die bekannt war als die Mutter des Erzdiebes Ahmed Kamâkim. Dieser Erzdieb pflegte mitten durch eine Wand zu bohren und oben auf eine Mauer zu klimmen und die Schminke von den Augenwimpern zu stehlen. Diese bösen Eigenschaften hatte er schon zu Beginn seiner Laufbahn; dann machte man ihn zum Wachhauptmann, aber da stahl er Geld. Und gerade als er die Tat beging, überraschte der Präfekt ihn, packte ihn und schleppte ihn vor den Kaufen. Der gab Befehl, um auf dem Blutplatze hinrichten zu lassen. Aber da flehte der Dieb den Schutz des Wesirs an, dessen Fürsprache der Kalif niemals unbeachtet ließ. Doch wie der nun Fürbitte für ihn einlegte, fragte der Kalif ihn: ,Wie kannst du für eine Viper, die den Menschen schädlich ist, Fürsprache einlegen?' ,O Beherrscher der Gläubigen,' gab er zurück, ,setze ihn gefangen! Der Erbauer des ersten Gefängnisses war ein weiser Mann; denn ein Grab der Lebendigen ist die Kerkerhaft, während sie den Feinden Freude verschafft.' Darauf gab der Kalif Befehl, ilm in Fesseln zu legen und auf die Fesseln zu schreiben: Bestimmt, bis zum Tode an ihm zu bleiben und erst auf der Bank des Leichenwäschers zu lösen. So warf man ihn denn gefesselt ins Gefängnis. Nun pflegte seine Mutter zum Hause des Präfekten Emir Châlid zu gehen und auch ihren Sohn im Kerker zu besuchen. Wenn sie dann zu ihm sprach: ,Habe ich dir nicht immer gesagt, du solltest von dem bösen Tun ablassen?' so antwortete er ihr: ,Das hat Allah über mich verhängt. Doch, Mutter, wenn du zu der Frau des Präfekten gehst, so bitte sie, für mich bei ihm Fürsprache einzulegen.'



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Als nun die Alte zur Frau des Präfekten kam, fand sie sie mit den Binden der Trauer umwunden; da fragte sie: ,Was ist dir, daß du so traurig bist?' Jene gab zur Antwort: ,üm meines Sohnes Habzalam Bazzâza willen!' ,Gott schütze deinen Sohn,' fuhr die Alte fort, ,was hat ihn denn betroffen?' Darauf erzählte die Mutter ihr die Geschichte. Weiter fragte die Alte: ,Was würdest du von jemand sagen, der einen Streich spielen würde, durch den dein Sohn gerettet wird?' ,Was willst du denn tun?' entgegnete die Mutter. Und nun hub die Alte an: ,Ich habe einen Sohn, der heißt Ahmed Kamâkim der Erzdieb. Der liegt gefesselt im Kerker, und auf seinen Fesseln steht geschrieben: Bestimmt, bis zum Tode an ihm zu bleiben. Lege du nun die prächtigsten Gewänder an, die du hast, schmücke dich auf das schönste und tritt deinem Gatten mit lächelnder Miene entgegen. Wenn er dann von dir verlangt, was die Männer von den Frauen verlangen, so versage dich ihm und sei ihm nicht zu Willen. Vielmehr sprich zu ihm: ,Bei Allah, wunderbar! Wenn der Mann etwas von seiner Frau wünscht, so dringt er so lange in sie, bis sie ihm den Wunsch erfüllt; doch wenn die Frau etwas von ihrem Manne wünscht, so gewährt er es ihr nicht.' Fragt er dann: ,Was wünschest du?' so erwidere ihm: ,Erst schwöre es mir!' Wenn er dann bei seinem Haupte oder bei Allah schwört, so sage zu ihm: ,Schwöre mir bei der Scheidung von mir!"und sei ihm nicht eher zu Willen, als bis er dir bei der Scheidung schwört. Hat er dir aber den Eid bei der Scheidung geschworen, so sprich zu ihm: ,Du hast im Kerker einen Hauptmann namens Ahmed Kamâkim, und der hat eine arme Mutter; die hat sich an mich gewandt und mich gebeten, bei dir Fürsprache einzulegen, indem sie sprach: ,Be-



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wirke, daß er für meinen Sohn bei dem Kaufen eintritt, so daß dieser ihm verzeiht und er den Himmelslohn gewinnt.' Darauf sagte Chatûn: ,Ich höre und gehorche.' Als nun der Präfekt zu seiner Frau eintrat - —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 263. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Frau des Präfekten, als ihr Gatte zu ihr eintrat, jene Worte zu ihm sprach. Wie er ihr dann bei der Scheidung geschworen hatte, war sie ihm zu Willen, und er verbrachte die Nacht bei ihr. Als es dann Morgen ward, wusch er sich, betete das Frühgebet und ging zum Gefängnisse. Dort rief er: ,Du da, Ahmed Kamâkirn, du Erzdieb, bereust du dein Tun?' Der antwortete: ,Ich bereue vor Allah, und ich bekehre mich, und ich spreche mit Herz und Mund: Ich bitte Allah um Verzeihung.' Da ließ der Präfekt ihn aus dem Kerker herausholen und nahm ihn, gefesselt wie er war, mit sich zur Regierungshalle. Dort trat er vor den Kaufen und küßte den Boden vor ihm. Als der nun fragte: ,Emir Châlid, was wünschest du?' führte er den Ahmed Kamâkim, der die gefesselten Arme hin und her bewegte, vor den Thron. Der Herrscher rief: ,Du da, Kamâkim, bist du immer noch am Leben?' ,O Beherrscher der Gläubigen,' erwiderte jener, ,bedenke, daß die Lebensfrist des Elenden von langer Dauer ist!' Doch der Kalif fuhr fort: ,Emir Châlid, warum hast du ihn hierher gebracht?' Der gab zur Antwort: ,Er hat eine arme verlassene Mutter, die niemanden hat außer ihm; sie hat sich an deinen Sklaven gewandt, er möchte bei dir, o Beherrscher der Gläubigen, für ilm eintreten, damit du ihn von den Fesseln befreiest, weil er ja sein früheres Tun bereut, und damit du ihn wieder zum Wachhauptmann machest,



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wie er es einst war!' Da fragte der Kalif den Ahmed Kamâkim: ,Bereust du dein früheres Tun?' Er antwortete: .Ich bereue vor Allah, o Beherrscher der Gläubigen!' Darauf ließ der Herrscher den Schmied kommen, der dem Diebe die Fesseln auf der Bank des Leichenwäschers löste; auch setzte er ihn wieder zum Wachhauptmann ein und ermahnte ilm, stets auf guten und rechten Wegen zu wandeln. Der Dieb küßte dem Kaufen die Hände und ging davon, bekleidet mit dem Gewande des Wachhauptmannes; und seine Ernennung wurde verkündet.

Nachdem er nun bereits eine Weile im Amte gewesen war, ging seine Mutter zur Frau des Präfekten, und die sprach zu ihr: ,Preis sei Allah, der deinen Sohn aus dem Kerker befreit hat, so daß er nun gesund und wohlauf ist! Aber warum sagst du ihm nicht, er solle ein Mittel ersinnen, um die Sklavin Jasmin meinem Sohne Habzalam Bazzâza zu bringen?' ,Ich will es ihm sagen', erwiderte sie; dann ging sie von ihr fort und begab sich zu ihrem Sohne, den sie trunken antraf. Sie sprach zu ihm: ,Mein Sohn, deine Befreiung aus dem Kerker ist allein durch die Frau des Präfekten bewirkt; und die wünscht nun von dir, daß du ihr ein Mittel ersinnest, durch das 'Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât zu Tode kommt, die Sklavin Jasmin aber ihrem Sohne Habzalam Bazzâza zuteil wird.' ,Nichts leichter als das,' antwortete er, ,ich muß noch heute nacht etwas bewerkstelligen!' —Jene Nacht war nämlich die erste Nacht im neuen Monate, und der Beherrscher der Gläubigen pflegte in ihr bei der Herrin Zubaida zu verweilen, um eine Sklavin oder einen Mamluken freizulassen oder etwas ähnliches zutun. Und ferner pflegte der Kalif dann sein Herrscher gewand abzutun, den Rosenkranz, den Dolch und den königlichen Siegelring zurückzulassen und das alles auf einen Stuhl in der Halle zu legen. Auch hatte der Kalif eine goldene Lampe, an der drei



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Juwelen auf einen Goldfaden aufgereiht waren, und diese Lampe hielt er sehr wert. Er pflegte das Gewand, die Lampe und die übrigen Kostbarkeiten den Eunuchen anzuvertrauen und dann in das Gemach der Herrin Zubaida einzutreten. Nun wartete Ahmed Kamâkim der Erzdieb, bis die Mitternacht dunkelte und der Kanopus funkelte, bis das Auge der Kreatur sich mit Schlaf erfüllte und der Schöpfer sie in den Schleier der Dunkelheit hüllte. Dann nahm er das gezückte Schwert in die Rechte und seinen Fang haken in die Linke. Er schlich zu dem Saale des Kalifen, legte die Leiter an, warf den Fanghaken auf das Saaldach, hielt sich daran fest und klomm auf der Leiter zum Dache hinauf. Dort hob er die Falltür des Saaldaches auf und ließ sich durch sie in die Halle hinunter. Die Eunuchen fand er schlafend; rasch betäubte er sie mit Bendsch, und dann nahm er das Gewand des Kaufen, den Rosenkranz, den Dolch. das Taschentuch, den Ring und die Lampe mit den juwelen. Nun kletterte er an derselben Stelle wieder zurück, an der er emporgestiegen war, und begab sich zum Hause des 'Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât. Dieser hatte gerade an jenem Abend die Hochzeit mit der Sklavin gefeiert und war zu ihr eingegangen, und sie hatte von ihm empfangen. Ahmed Kamâkim nun, der Erzdieb, stieg über das Dach in den Saal des 'Alâ ed-Dîn hinab, hob aus dem Fußboden in der Mitte des Saales eine Marmorplatte auf, grub darunter ein Loch und legte die meisten der gestohlenen Dinge hinein; nur eins behielt er bei sich. Dann fügte er die Marmorplatte mit Gips fest ein, wie sie vorher gewesen war, und kletterte an derselben Stelle wieder zurück, an der er emporgestiegen war. Und er sprach bei sich: ,Jetzt will ich mich hinsetzen und mich betrinken; die Lampe des Kalifen will ich vor mich hinstellen, und bei ihrem Lichte will ich aus dem Becher zechen.' So ging er denn nach Hause. Als



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es aber Morgen ward, ging der Kalif in die Halle hinaus; dort fand er die Eunuchen vom Bendsch berauscht und weckte sie auf. Als er dann die Hand auf den Stuhl legte, fand er weder Gewand noch Ring, weder Rosenkranz noch Dolch, weder Taschentuch noch Lampe. Da ergrimmte er gewaltig; er legte das Gewand des Zornes an, das war ein rotes Gewand'. und setzte sich in der Regierungs halle nieder. Nun trat der Wesir vor, küßte den Boden vor ihm und sprach: ,Allah wende alles Unheil vom Beherrscher der Gläubigen ab!' Der aber rief: ,'Wesir, das Unheil ist übermäßig groß.' Als der Wesir fragte: ,Was mag geschehen seine' erzählte er ihm alles, was sich begeben hatte. In demselben Augenblicke erschien auch der Präfekt und ihm zur Seite Ahmed Kamâkim der Erzdieb; er sah, wie gewaltig der Kalif ergrimmt war. Sowie der Herrscher ihn erblickte, rief er ihn an: ,Emir Châlid, wie steht es um Baghdad?' Jener gab zur Antwort: ,Es ist wohlbehalten und sicher.' ,Du lügst', sprach der Kalif. Da fragte jener: ,Weshalb, o Beherrscher der Gläubigen Der erzählte ihm das Geschehene und fügte hinzu: ,Ich gebiete dir, mir das alles zurückzubringen.' ,O Beherrscher der Gläubigen,' erwiderte der Emir, ,der Wurm des Essigs stammt von ihm und ist in ihm.' Kein Fremder kann je an diese Stätte gelangen.' Aber der Kalif sprach: ,Wenn du mir diese Sachen nicht bringst, so lasse ich dich hin-



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richten!' Der Emir erwiderte: ,Ehe du mich töten lässest, laß Ahmed Kamâkim den Erzdieb töten; denn allein der Wachhauptmann kennt den Dieb und Schurken.' Da hub Ahmed Kamâkim an und sprach zum Kaufen: ,Nimm meine Fürbitte für den Präfekten an! Ich will dir für den Dieb verantwortlich sein, und ich will seine Spur verfolgen, bis ich ihn entdecke. Doch gib mir zwei Kadis und zwei Zeugen; denn wer dies getan hat, scheut sich nicht vor dir, noch vor dem Präfekten, noch vor sonst jemandem.' Der Kalif sprach: ,Du sollst haben, was du verlangst. Laß aber zuerst in meinem Schlosse nachsuchen, danach im Hause des Wesirs und dann im Hause des Hauptmanns der Sechzig!' ,Du hast recht gesprochen, o Beherrscher der Gläubigen,' entgegnete Ahmed Kamâkim, ,denn vielleicht ist der Missetäter jemand, der im Schlosse des Herrschers oder im Hause eines seiner höchsten Würdenträger erzogen ist.' Dann rief der Kalif noch: ,Bei meinem Haupte, wer dieser Tat überführt wird, den werde ich unweigerlich töten lassen, wäre er auch mein eigener Sohn!' Nun erhielt also Ahmed Kamâkim, was er verlangte, dazu einen Firman mit der Vollmacht, in die Häuser einzudringen und sie zu durchsuchen. ——«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 254. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Ahmed Kamâkim erhielt, was er verlangte, dazu einen Firman mit der Vollmacht, in die Häuser einzudringen und sie zu durchsuchen. So ging er denn fort, in der Hand einen Stab, der zu einem Drittel aus Bronze, zu einem Drittel aus Kupfer und zu einem Drittel aus Stahl und Eisen gemacht war. Er durchsuchte das Schloß des Kalifen, dann das Haus des Wesirs Dscha'far und machte die Runde bei den Kammerherren und Statthaltern, bis er zu dem



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Hause des 'Als ed-Dîn Abu esch-Schamât kam. Als dieser den Lärm vor seinem Hause hörte, verließ er seine Gattin Jasmin, eilte hinunter und öffnete die Tür. Da fand er den Präfekten inmitten einer erregten Menge und fragte ihn sofort: ,Was gibt es, Emir Châlid?' Als der ihm die ganze Geschichte erzählt hatte, rief 'Alâ ed-Dîn: ,Tretet in mein Haus ein und durchsucht es!' Doch der Präfekt sprach: ,Verzeih, hoher Herr! Du bist der Getreue, und es sei ferne, daß ein Getreuer zum Schurken werde!' Aber 'Alâ ed-Dîn sprach: ,Mein Haus muß unbedingt durchsucht werden.' So traten denn der Präfekt, die Richter und die Zeugen ein; Ahmed Kamâkim ging auf dem Fußboden der Halle entlang und kam zu der Marmorplatte, unter der er die Kostbarkeiten vergraben hatte. Da stieß er mit voller Kraft den Stab auf die Marmorplatte, so daß sie zerbrach. Und siehe da, unter ihr glitzerte etwas. Der Hauptmann rief: ,Im Namen Allahs! O Wunder Gottes! Unser Kommen war so segensreich, daß uns dadurch ein Schatz entdeckt wurde. Laßt mich zu dem Schatze hinuntersteigen und sehen, was er enthält!' Als aber der Kadi und die Zeugen jene Stätte genauer anschauten, fanden sie dort alle die geraubten Sachen. Darauf schrieben sie eine Urkunde des Inhaltes, daß sie die Sachen im Hause des 'Alâ ed-Dîn gefunden hätten, und sie setzten ihre Siegelabdrücke darunter. Ferner befahlen sie, den 'Alâ ed-Dîn festzunehmen, rissen ihm seinen Turban vom Haupte und nahmen über all sein Geld und Gut ein Verzeichnis auf. Derweilen aber legte Ahmed Kamâkim der Erzdieb seine Hand auf die Sklavin Jasmin, die von 'Alâ ed-Dîn empfangen hatte, und übergab sie seiner Mutter mit den Worten: ,Übergib sie an Chatûn, die Frau des Präfekten!' Die nun nahm Jasmin in Empfang und ging mit ihr zu der Frau des Präfekten. Sobald Habzalam Bazzâza sie erblickte, ward er wieder gesund, sprang



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rasch auf und wollte sich hocherfreut ihr nähern. Sie aber zog einen Dolch aus ihrem Gürtel und rief: ,Bleib mir fern! Sonst töte ich dich und mich!' Da schrie seine Mutter Chatûn ihr zu: ,Du Metze, laß meinen Sohn sein Verlangen an dir tun!' ,Du Hündin,' gab Jasmin ihr zur Antwort, ,nach welchem Gesetze ist es gestattet, daß eine Frau sich mit zwei Männern vermähle? Und wie wäre es den Hunden erlaubt, das Lager der Löwen zu betreten?' Da wuchs in dem Burschen die Leidenschaft. und krank durch der versengenden Liebe Kraft, wollte er von Nahrung nichts mehr wissen, sondern er legte sich wieder auf seine Kissen. Da rief die Frau des Präfekten von neuem: ,O du Metze, wie kannst du mir solche Qual um meinen Sohn bereiten! Fürwahr, ich werde dich noch foltern; und was 'Alâ ed-Dîn angeht, so wird er ja sicherlich gehängt werden!' ,Dann werde ich an meiner Liebe zu ihm sterben', erwiderte Jasmin. Nun machte die Frau des Präfekten sich daran, ihr den Schmuck und die seidenen Gewänder, die sie trug, abzureißen; dann zog sie ihr Hosen aus Sackleinwand und ein härenes Hemd an, schickte sie in die Küche hinunter und machte sie zu einer der Dienstmägde, indem sie sprach: ,Deine Strafe soll sein, daß du das Brennholz zerkleinerst, die Zwiebeln schälst und das Feuer unter die Kochtöpfe legst.' Jasmin gab ihr zur Antwort: ,Ich bin bereit, alle Strafe und Knechtschaft zu dulden; aber ich bin nicht bereit, deinen Sohn auch nur anzusehen!' Aber Allah machte die Herzen der Mägde ihr geneigt, und die verrichteten bald die Dienste in der Küche für sie.

So erging es Jasmin. Sehen wir nun, wie es 'Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât erging! Der wurde inzwischen mit den gestohlenen Sachen zum Kalifen gebracht; jene Leute führten ihn Zur Regierungshalle, und während der Herrscher noch auf dem Throne saß, erschienen sie plötzlich mit 'Alâ ed-Dîn und



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dem geraubten Gut. Der Kalif fragte: ,Wo habt ihr das gefunden?' Als man ihm antwortete: ,Mitten im Hause des 'Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât', ward er von Zorn erfüllt. Er nahm die Sachen hin, fand aber die Lampe nicht; da rief er: ,'Alâ ed-Dîn, wo ist die Lampe?' Der antwortete: ,Ich habe nicht gestohlen; ich weiß von nichts; ich habe nichts gesehen; ich habe keine Kunde.' Aber der Kalif sprach zu ihm: ,O du Verräter! Wie konnte ich dich zu mir ziehen, während du mich verwarfest; dir trauen, während du mich verrietest?' Dann gab er Befehl, ihn zu hängen. Nun ging der Präfekt mit ihm zur Stadt hinunter, während der Ausrufer über ihn verkündete: ,Dies ist der Lohn, und zwar der geringste Lohn für den, der an einem der rechtmäßigen Kaufen Verrat übt!' Und das Volk versammelte sich bei dem Galgen.

So stand es nun um 'Alâ ed-Dîn. Wenden wir uns jetzt zu Ahmed ed-Danaf, dem Meister' des 'Alâ ed-Dîn! Der saß mit seinen Leuten in einem Garten: und während sie fröhlich und vergnügt beieinander waren, trat plötzlich einer von den Wasserträgern der Regierungshalle zu ihnen ein, küßte die Hand des Ahmed ed-Danaf und sprach zu ihm: ,Hauptmann Ahmed ed-Danaf, du sitzest hier ruhig, während das Wasser zu deinen Füßen fließt, und du weißt nicht, was geschehen ist!' ,Was gibt's denn?' fragte Ahmed ed-Danaf; und der Wasserträger antwortete: ,Deinen Sohn, den du durch einen Vertrag vor Allah angenommen hast, den 'Alâ ed-Dîn, hat man zum Galgen geführt!' Sofort rief Ahmed ed-Danaf: ,Was für Rat weißt du, Hasan Schumân?' Der erwiderte: ,'Alâ ed-Dîn ist unschuldig an dieser Sache. Das ist ein böser Streich, den ihm ein Feind gespielt hat!' ,Was rätst du denn?' fragte Ahmed



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wieder. Jener darauf: ,Wir müssen ihn befreien, so Gott der Herr will.' Alsbald ging Hasan Schumân zum Gefängnisse und sagte zum Kerkermeister: ,Gib uns einen, der den Tod verdient!' Da gab er ihm einen, der unter allen Geschöpfen dem 'Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât am ähnlichsten sah. Dem ward das Haupt verhüllt, und Ahmed ed-Danaf nahm ihn zusammen mit 'All ez-Zaibak aus Kairo in Empfang. Als man nun gerade 'Ah ed-Dîn zum Galgen führte, trat .Ahmed ed-Danaf vor und setzte seinen Fuß auf den des Henkers. Doch der Henker rief: ,Gib mir Raum, auf daß ich meines Amtes walte!' Da rief Ahmed: .Verfluchter, nimm diesen Mann hier und hänge ihn anstatt des 'Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât! Denn ihm ist unrecht geschehen. Wir wollen Ismael durch den Widder loskaufen."Also nahm der Henker jenen Mann und hängte ihn an Stelle des 'Alâ ed-Dîn. Dann nahmen Ahmed ed-Danaf und 'All ez-Zaibak aus Kairo den 'Alâ ed-Dîn und gingen mit ihm zur Halle des Ahmed ed-Danaf. Als sie dort eingetreten waren, sprach 'Alâ ed-Dîn: ,Allah lohne es dir mit Gutem, mein Meister!' Darauf fragte er: ,'Alâ ed-Dîn, was ist denn das für eine Tat, die du getan hast?' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 265. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Ahmed ed-Danaf den 'Ah ed-Dîn fragte: ,Was ist denn das für eine Tat, die du getan hast? Gott habe den Mann selig, der da sprach: Wenn jemand dir traut, so verrate ihn nicht, wenn du auch ein Verräter bist. Der Kalif gab dir doch eine hohe Stellung an seinem



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Hofe und nannte dich den ,getreuen Vertrauensmann'; wie konntest du so an ihm handeln und ihm seine Kleinodien stehlen?' ,Bei dem allerhöchsten Namen Allahs, mein Meister,' erwiderte 'Alâ ed-Dîn. ,das ist nicht meine Tat: ich habe keine Schuld daran; ich weiß auch nicht, wer sie getan hat.' Da sprach Ahmed ed-Danaf: ,Diese Tat hat offenbar nur ein Feind getan; aber einem jeden werden seine Taten vergolten. Doch, 'Alâ ed-Dîn, du kannst nicht mehr in Baghdad bleiben; denn Könige geben eine Sache nicht auf, mein Sohn, und wenn sie einmal nach einem Manne suchen, so hat er lange Not.' ,Wohin soll ich denn gehen, mein Meistere' fragte 'Alâ ed-Dîn; und Ahmed gab ihm zur Antwort: ,Ich will dich nach Alexandrien bringen; das ist eine gesegnete Stadt, ihre Schwelle ist grün, und das Leben in ihr ist angenehm.' ,Ich höre und gehorche, mein Meister!' erwiderte 'Alâ ed-Dîn. Darauf sprach Ahmed ed-Danaf zu Hasan Schumân: ,Gib acht! Wenn der Kalif nach mir fragt, so antworte ihm: Er ist fortgegangen, um eine Runde durch das Land zu machen.' Dann nahm er den 'Alâ ed-Dîn mit sich und verließ die Stadt Baghdad; sie zogen beide dahin, bis sie zu den Weinpflanzungen und Gärten kamen; da trafen sie zwei Juden, Steuereinnehmer des Kaufen, die auf Maul eselinnen beritten waren. Ahmed ed-Danaf fuhr sie an: ,Her mit dem Schutzgeld!' Als die Juden fragten: ,Warum sollen wir dir das Schutzgeld geben?' antwortete er ihnen: ,Ich bin der Wächter dieses Tales.' Nun gab ihm ein jeder von den beiden hundert Dinare; danach erschlug Ahmed ed-Danaf die beiden, nahm die Maul eselinnen und bestieg die eine, während er 'Alâ ed-Dîn auf der anderen reiten ließ. So ritten sie nach der Stadt Ajâs', brachten die



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Maultiere in einen Chân und blieben die Nacht über dort. Am nächsten Morgen verkaufte 'Alâ ed-Dîn sein Maultier; das des Ahmed ed-Danaf vertraute er der Obhut des Pförtners im Chân an. Dann bestiegen die beiden ein Schiff im Hafen von Ajâs und fuhren nach Alexandrien. Dort ging Ahmed ed-Danaf mit 'Alâ ed-Dîn an Land, und als sie beide auf dem Markte ankamen, rief gerade ein Makler einen Laden mit einer Wohnung dahinter für neunhundertundfünfzig Dinare aus. 'Alâ ed-Dîn bot tausend; und der Verkäufer nahm sein Gebot an; das Anwesen aber gehörte dem Staatsschatze. Dann nahm 'Alâ ed-Dîn die Schlüssel in Empfang und machte den Laden auf; als er auch die Wohnung öffnete, fand er, daß sie mit Teppichen und Kissen ausgestattet war. Ferner entdeckte er in ihr einen Vorratsraum; in dem befanden sich Segel und Masten, Taue und Kisten, Säcke voller Glasperlen und Muscheln, Steigbügel, Äxte, Keulen, Messer, Scheren und ähnliche Dinge, da der frühere Besitzer ein Althändler gewesen war. Nun setzte 'Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât sich in dem Laden nieder, und Ahmed ed-Danaf sagte zu ihm: ,Mein Sohn, jetzt ist der Laden und die Wohnung mit allem, was darinnen ist, dein Eigentum geworden. So bleib denn hier, verkaufe und kaufe, und sei nicht unzufrieden; denn Allah der Erhabene hat den Handel gesegnet.' Drei Tagelang blieb er noch bei ihm; doch am vierten Tage nahm er Abschied von ihm, indem er sprach: ,Bleib hier, bis ich mich aufmache und wieder zu dir komme mit der Nachricht, daß der Kalif dir Sicherheit gewährt, und bis ich erfahren habe, wer dir diesen Streich gespielt hat!' Dann fuhr er wieder fort, bis er nach Ajâs kam; dort nahm er die Mauleseln im Chân in Empfang, ritt weiter nach Baghdad und traf mit Hasan Schumân und seinen Leuten zusammen. Als er den fragte: ,Hasan, hat der Kalif nach mir gefragt?' antwortete



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jener: ,Nein, du bist ihm nicht einmal in den Sinn gekommen.'

Nun blieb er wieder im Dienste des Kalifen und begann Nachforschungen anzustellen. Eines Tages bemerkte er, wie der Kalif sich an den Wesir Dscha'far wandte und zu ihm sprach: ,Sieh dort, Wesir, wie 'Alâ ed-Dîn an mir gehandelt hat!' ,O Beherrscher der Gläubigen,' erwiderte jener, ,du hast ihn ja mit dem Tode am Galgen bestraft; und ist seine Strafe nicht an ihm vollzogen worden?' Der Kalif darauf: ,Wesir, ich möchte hingehen und ihn hängen sehen.' Da erwiderte der Wesir: ,Tu, was dir beliebt, o Beherrscher der Gläubigen!' Nun begab sich der Kalif mit dem Wesir Dscha'far zum Galgenfelde. Dort hob er seinen Blick und sah den Gehängten; aber es war ein anderer als 'Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât, der getreue Vertrauensmann. ,O Wesir,' rief er, ,dies ist ja gar nicht 'Alâ ed-Dîn !' Jener fragte: ,Wie weißt du, daß es ein anderer ist?' Der Kalif entgegnete: ,'Alâ ed-Dîn war kurz, und dieser da ist lang!' ,Ein Gehängter wird länger', sagte der Wesir. Doch der Kalif hub wieder an: ,'Alâ ed-Dîn war hell, doch dieser da hat ein dunkles Antlitz.' Und der Wesir erwiderte: ,Weißt du nicht, o Beherrscher der Gläubigen, daß der Tod schwarz macht?' Darauf befahl der Kalif: den Leichnam von dem Galgen herabzunehmen; und als das geschehen war, fand er die Namen der beiden ersten Kalifen auf seine Fersen geschrieben. Da sprach der Kalif: ,Wesir, 'Alâ ed-Dîn war ein Sunnit; aber dieser da ist ein Ketzer.' ,Preis sei Allah, der die verborgenen Dinge kennt,' rief der Wesir, ,wir wissen nicht, ob dieser da 'Alâ ed-Dîn ist oder ein anderer!' Nun befahl der



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Kalif, den Leichnam zu beerdigen. Und nachdem man ihn bestattet hatte, war 'Alâ ed-Dîn vergessen und verschollen.

So weit 'Ah ed-Dîn. Wenden wir uns jetzt wieder zu Habzalam Bazzâza, dem Sohn des Präfekten! Der ward so lange von Liebe und Leidenschaft verzehrt, bis er starb und im Staube eingescharrt wurde. Was aber die Sklavin Jasmin anlangt, so erfüllte sie die Zeit ihrer Schwangerschaft, die Wehen kamen über sie, und sie genas eines Knäbleins, das so schön war wie der Mond. Die Mägde fragten sie: ,Wie willst du ihn nennen?' Da antwortete sie: ,Wenn sein Vater noch am Leben wäre, so würde er ihm den Namen geben. Doch nun will ich ihn Aslân' nennen.' Sie säugte ihn zwei volle Jahre lang; dann entwöhnte sie ilm, und der Knabe begann zu kriechen und zu gehen. Eines Tages aber begab es sich, daß seine Mutter mit dem Dienste in der Küche beschäftigt war und daß der Knabe fortlief und die Treppe zur Empfangshalle sah und auf ihr hinaufging. Der Emir Châlid, der dort gerade saß, nahm ihn und setzte ihn auf seinen Schoß und pries seinen Herrn für das, was er geschaffen und gebildet hatte. Als er darauf sein Gesicht genauer anschaute, sah er, daß er von allen Geschöpfen am meisten dem 'Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât glich. Seine Mutter Jasmin aber suchte nach ihm, und da sie ihn nicht finden konnte, stieg sie zur Empfangshalle empor. Dort sah sie den Emir Châlid sitzen und den Knaben auf seinem Schoße spielen; Allah aber hatte im Herzen des Emirs die Liebe zu dem Knaben erweckt. Wie nun das Kind sich umwandte und seine Mutter erblickte, wollte es sich auf sie stürzen, aber Emir Châlid hielt es auf seinem Schoße fest und sprach zu ihr: , Komm hierher, Sklavin!' Als sie näher getreten war, fuhr er fort: ,Wessen Sohn ist dieser Knabe?' Sie erwiderte: ,Dies ist mein Sohn und



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die Frucht meines Herzens.' ,'Wer ist sein Vater?' forschte er weiter; und sie antwortete: ,Sein Vater war 'Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât; aber jetzt ist er dein Sohn.' Er darauf: ,'Alâ cd-Dîn war ein Verräter.' Doch sie: ,Der Himmel behüte ihn vor dem Verrat! Es sei ferne, es ist nicht wahr, daß der Getreue ein Verräter wäre!' Da hub er wieder an: ,Wenn dieser Knabe groß wird und herangewachsen ist und dich fragt, wer sein Vater sei, so sage ihm: ,Du bist der Sohn des Emirs Châlid, des Präfekten, des Obersten der Wachmannschaft.' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte sie. Dann ließ Emir Châlid, der Präfekt, den Knaben beschneiden, erzog ihn sorgfältig und holte für ihn einen Schreiblehrer, der ihn im Schreiben und Lesen unterrichtete. Der Knabe las den Koran einmal und zum zweiten Male und lernte ihn auswendig. Und zum Emir Châlid pflegte er ,Mein Vater' zu sagen. Dieser begann nun Kampfspiele zu veranstalten und Reiter zu versammeln; dann ging er hin und lehrte den Knaben das Kriegshandwerk und zeigte ihm, wohin er mit Lanze und Schwert zielen sollte, bis daß er im Rittertum vollendet und ein tapferer Jüngling geworden war; damals hatte er ein Alter von vierzehn Jahren erreicht, und er erwarb den Rang eines Emirs.

Nun begab es sich eines Tages, daß Aslân mit Ahmed Kamâkim dem Erzdiebe zusammentraf; sie befreundeten sich miteinander, und der Jüngling folgte ihm in die Schenke. Und siehe, da holte Ahmed Kamâkim die Juwelenlampe hervor, die er mit den Kleinodien des Kalifen gestohlen hatte, setzte sie vor sich hin, schwang den Becher bei ihrem Lichte und ward trunken. Nun sagte Aslân zu ihm ,Hauptmann, schenk mir diese Lampe!' Doch jener erwiderte: ,Ich kann sie dir nicht geben.' ,Warum denn nichte' fragte Aslân; und der andere gab zur Antwort: ,Weil Menschenleben trin ihretwillen verloren



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gegangen sind.' Weiter fragte Aslân: ,Welches Menschenleben ist um ihretwillen verloren gegangen?' Da erzählte der Dieb: ,Es war einmal ein Mann, der kam hierher und wurde zum Hauptmanne der Sechzig gemacht; der hieß Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât, und der kam um ihretwillen zu Tode.' Wiederum fragte Aslân: ,Was geschah denn mit ihm? Auf welche Weise kam er denn zu Tode?' Ahmed antwortete: ,Du hattest einen Bruder, der hieß Habzalam Bazzâza; als er sechzehn Jahre alt und für die Ehe reif geworden war, bat er seinen Vater. ihm eine Sklavin zu kaufen.' Und dann berichtete er ihm, was geschehen war, von Anfang bis zu Ende; so tat er ihm auch kund, wie Habzalam Bazzâza krank geworden und was dem 'Alâ ed-Dîn zu Unrecht widerfahren war. Aslân sprach bei sich selber: ,Vielleicht war diese Sklavin Jasmin meine Mutter; vielleicht ist gar 'Alâed-Dîn Abu esch-Schamât mein Vater!' Traurig ging der Jüngling Aslân fort und traf unterwegs den Hauptmann Ahmed ed-Danaf. Als dieser ihn erblickte, rief er: ,Preis sei Ihm, dem niemand gleicht!' ,Mein Meister, worüber staunst du?' fragte ihn Hasan Schumân; und er entgegnete: ,Über die Gestalt dieses Jünglings Aslân; denn er gleicht von allen Geschöpfen am meisten dem 'Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât.' Darauf rief Ahmed ed Danaf: ,Du da. Aslân!' Und als der ihm Antwort gab, fragte er ihn: ,Wie heißt deine Mutter?' ,Sie heißt die Sklavin Jasmin', erwiderte er. Darauf sprach Ahmed: ,Aslân, hab Zuversicht und quäl dich nicht! Wisse, dein Vater kann niemand anders sein als 'Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât. Doch, mein Sohn, geh zuerst zu deiner Mutter und frage sie nach deinem Vater!' ,Ich höre und gehorche!' sagte der Jüngling, ging alsbald zu seiner Mutter und fragte sie. Als sie ihm aber antwortete: ,Dein Vater ist der Emir Châlid', rief er: ,Niemand anders als 'Alâ ed-Dîn



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Abu esch-Schamât ist mein Vater!' Da weinte seine Mutter und fragte ihn: ,Wer hat dir das erzählt, mein Sohn?' Er gab zur Antwort: ,Der Hauptmann Ahmed ed-Danaf hat es mir erzählt.' Nun berichtete sie ihm alles, was geschehen war, und fügte hinzu: ,Lieber Sohn, jetzt ist die Wahrheit an den Tag gekommen, die Lüge aber ist abgetan. Wisse denn, 'Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât ist wirklich dein Vater, aber nicht er, sondern der Emir Châlid hat dich aufgezogen und dich zu seinem Sohne gemacht. Wenn du nun, mein Sohn, wieder mit dem Hauptmann Ahmed ed-Danaf zusammen triffst, so sprich zu ihm: ,Meister, ich beschwöre dich bei Allah, nimm du für mich Blutrache an dem Mörder meines Vaters 'Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât!' Sofort verließ Asian seine Mutter. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 266. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Aslân seine Mutter verließ und dahinging, bis er zu dem Hauptmann Ahmed ed-Danaf kam; dem küßte er die Hand. Als jener ihn fragte: ,Was ist dir, Aslân?' erwiderte er: ,Ich weiß jetzt gewiß, daß 'Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât mein Vater ist; und ich bitte dich. nimm du für mich Blutrache an seinem Mörder!' ,Wer ist's, der deinen Vater gemordet hat?' fragte Ahmed; und der Jüngling antwortete:, Ahmed Kamâkim der Erzdieb!' Weiter fragte Ahmed: ,Wer hat dir das kundgetan?' Aslân entgegnete: ,Ich sah bei ihm die Juwelenlampe, die mit den Kostbarkeiten des Kalifen verloren gegangen ist. Da bat ich ihn, mir diese Lampe zu schenken; er aber wollte es nicht tun, sondern er sprach: ,üm ihretwillen sind Menschenleben verlorengegangen'; und dann hat er mir erzählt, daß er es war, der in den Palast einbrach



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und die Sachen stahl und sie im Hause meines Vaters versteckte.' Darauf sagte Ahmed ed-Danaf: ,'Wenn du siehst, daß Emir Châlid, der Präfekt, seine Kriegsrüstung anlegt, so bitte ihn, er möchte dir auch eine Rüstung anlegen. Und wenn du dann mit ihm ausziehst und vor dem Beherrscher der Gläubigen eine tapfere Tat getan hast, und wenn der Kalif dann zu dir sagt: ,Bitte dir eine Gnade von mir aus, Aslân!' — so sprich zu ihm: ,Ich erbitte mir von dir diese Gnade, daß du Blutrache für meinen Vater an seinem Mörder nimmst.' Er wird zu dir sagen: ,Dein Vater lebt ja noch, Emir Châlid, der Präfekt!' Du aber sprich zu ihm: ,Mein Vater ist 'Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât; der Emir Châlid hat nur so weit Anspruch auf mich, als er mich aufgezogen hat.' Und dann erzähle ihm alles, was du mit Ahmed Kamâkim dem Erzdiebe erlebt hast. Zuletzt bitte ihn: ,O Beherrscher der Gläubigen, laß ihn durchsuchen; so will ich dir die Lampe aus seiner Tasche ziehen.' ,Ich höre und gehorche!' sprach Aslân und ging fort. Er traf den Emir Châlid, wie er sich gerade gerüstet hatte, um sich zur Regierungs halle des Kaufen zu begeben. So sprach er denn zu ihm: ,Ich bitte dich, lege auch mir die Kriegsrüstung an und nimm mich mit dir zur Regierungshalle des Kalifen!' Der Emir gab ihm die Rüstung und nahm ihn mit sich zum Staatssaale. Darauf zog der Kalif mit seinen Truppen vor die Stadt hinaus; dort wurden die Pavillons und die Zelte aufgeschlagen, die Truppen gliederten sich in Reihen und zogen mit Schlagball und Schlegel aus. Das Spiel begann, indem ein Reiter die Kugel mit dem Schlegel traf, während ein anderer sie zu ihm zurückschlug. Unter den Truppen aber war ein Spion, der bestochen war, um den Kalifen zu töten; der nahm den Ball und traf ilm mit dem Schlegel, indem er auf das Gesicht des Kaufen zielte. Doch siehe da, Aslân fing ihn ab, so daß er den Kalifen



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nicht erreichte, und trieb ihn zu dem zurück, der ihn geschleudert hatte. Den traf der Ball zwischen die Schultern. so daß der Mann zu Boden fiel. ,Allah segne dich, Aslân!' rief der Kalif Darauf saßen sie alle ab und ließen sich auf die Stühle nieder. Nun befahl der Kalif, den Mann zu bringen, der den Ball geschleudert hatte. Als dieser vor ihm stand, fragte er ihn: ,Wer hat dich zu dieser Tat verleitete Bist du Feind oder Freunde' Jener erwiderte: ,Ich bin ein Feind, und ich hatte die Absicht, dich zu töten.' ,Aus welchem Grunde?' fragte der Kalif, ,bist du denn kein Muslim?' ,Nein,' erwiderte der Mann. ,ich bin ein Ketzer.' Da gab der Kalif Befehl, ihn zu töten. Zu Aslân aber sprach er: ,Erbitte dir eine Gnade von mir!' Der Jüngling erwiderte darauf: ,Ich erbitte mir von dir die Gnade, daß du Blutrache für meinen Vater an seinem Mörder nimmst.' Da sagte der Kalif: ,Dein Vater lebt ja und steht auf seinen beiden Füßen!' ,Wer ist denn mein Vater?' fragte Aslân. ,Emir Châlid, der Präfekt'. antwortete der Kalif. .O Beherrscher der Gläubigen,' hub Aslân wieder an, ,der ist nur mein Vater, sofern er mich aufgezogen hat. Mein wahrer Vater ist' Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât!' ,Dann war dein Vater ein Verräter!' rief der Kalif. Doch der Jüngling erwiderte: ,O Beherrscher der Gläubigen, das sei ferne, daß der Getreue ein Verräter würde! Worin Worin hat er dich denn verraten?' ,Er hat mir mein Gewand und die Kleinodien, die dabei waren, gestohlen', sagte der Kalif. ,O Beherrscher der Gläubigen,' gab Aslân zur Antwort, ,das sei ferne, daß mein Vater ein Verräter wäre. Doch, hoher Herr, als dein Gewand dir verloren ging und dir dann wieder zurückgebracht wurde, hast du da gesehen, daß auch die Lampe zurückgekommen ist?' Der Kalif sprach: ,Die haben wir nicht gefunden!' ,Ich habe sie bei Ahmed Kamâkim gesehen,' rief Aslân, ,und ich bat ihn darum; aber er wollte sie



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mir nicht geben, sondern er sprach: ,üm ihretwillen sind Menschenleben verloren gegangen', und er erzählte mir, wie Habzalam Bazzâza, der Sohn des Emirs Châlid, aus Liebe zu der Sklavin Jasmin krank wurde, und wie er selbst von den Ketten befreit wurde, ja, er gestand mir, daß er es gewesen ist, der das Gewand und die Lampe geraubt hat. Du aber, o Beherrscher der Gläubigen, nimm du Blutrache für meinen Vater an seinem Mörder!' Da gebot der Kalif: ,Ergreift den Ahmed Kamâkim!' Der Befehl wurde ausgeführt. Dann fragte er: ,Wo ist der Hauptmann Ahmed ed-Danafr' Auch der ward vor ihn gebracht. Ihm befahl der Kalif: ,Durchsuche den Kamâkim!' Da legte er seine Hand in die Tasche des Diebes und zog aus ihr die juwelenlampe hervor. ,Her mit dir, du Schurke!' schrie der Kalif; ,woher hast du diese Lampe?' Er antwortete: ,Ich habe sie gekauft, o Beherrscher der Gläubigen!' Der Kalif fragte weiter: ,Wo hast du sie gekaufte Und wer ist imstande, dergleichen dir zu verkaufen?' Dann schlug man ihn, bis er gestand, daß er es war, der das Gewand und die Lampe gestohlen hatte. Darauf sprach der Kalif: ,Wie konntest du diese Tat begehen, du Schurke, durch die du 'Alâ ed-Dîn Abu esch-Sehamat, den getreuen Vertrauensmann, zugrunde gerichtet hast!' Nun befahl der Kalif, ihn und den Präfekten in Gewahrsam zunehmen. Aber der Präfekt rief: ,Mir geschieht unrecht, o Beherrscher der Gläubigen! Du hast mir befohlen, ihn hängen zu lassen, und ich hatte keine Kunde von diesem bösen Streich; denn der Plan ist zwischen der Alten und Ahmed Kamâkim und meiner Frau ausgeheckt, ich weiß nichts davon. Ich flehe deinen Schutz an, Aslân!' Da legte Aslân Fürbitte für ihn beim Kaufen ein. Als der Beherrscher der Gläubigen dann weiter fragte: ,Was hat Allah mit der Mutter dieses Knaben getan?' sagte Châlid: ,Sie ist bei mir.' ,Ich gebiete dir,' erwiderte



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der Herrscher, ,daß du deiner Frau befiehlst, ihr eigenes Gewand und ihren Schmuck ihr wieder anzulegen und sie in ihre frühere vornehme Stellung einzusetzen, ferner, daß du die Siegel vom Hause des 'Alâ ed-Dîn abnimmst und seinem Sohne sein Hab und Gut zurück gibst.' ,Ich höre und gehorche!' sprach der Präfekt; dann ging er hin und gab seiner Frau den Befehl. Die legte der Mutter Aslâns ihr eigenes Gewand an, während er die Siegel vom Hause des 'Alâ ed-Dîn abnahm und dem Jüngling die Schlüssel gab. Darauf sprach der Kalif: ,Erbitte dir von mir eine Gnade, Aslân!' Der gab ihm zur Antwort: ,Ich erbitte mir als Gnade von dir, daß du mich wieder mit meinem Vater vereinigst!' Da weinte der Kalif und sprach: ,Wahrscheinlich war dein Vater der, der gehängt wurde, und ist gestorben; aber, bei meinen Vorfahren, wer mir die frohe Botschaft bringt, daß er noch am Leben ist, dem will ich alles geben, was er wünscht!' Nun trat Ahmed ed-Danaf vor, küßte den Boden vor ihm und sprach: ,Gewähre mir Straflosigkeit, o Beherrscher der Gläubigen!' ,Sie sei dir gewährt', antwortete der Kalif; und Ahmed fuhr fort: ,Ich bringe dir die frohe Botschaft, daß 'Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât, der getreue Vertrauensmann. wohlauf und am Leben ist.' Als der Kalif ausrief: ,Was sagst du da?' sprach Ahmed weiter: ,Bei deinem Haupte, meine Rede ist wahr! Ich habe einen anderen für ihn eintreten lassen, einen von denen, die den Tod verdienten, und habe ihn nach Alexandrien gebracht; dort habe ich ihm einen Trödelladen eröffnet.' Nun sagte der Kalif: ,Ich befehle dir, ihn zu bringen.' —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 267. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kalif zu



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Ahmed ed-Danaf sprach: ,Ich befehle dir, ihn zu bringen.' ,Ich höre und gehorche!' antwortete der. Darauf befahl der Kalif, ihm zehntausend Dinare auszuhändigen, und Ahmed machte sich auf den Weg nach Alexandrien.

Wenden wir uns nun von Aslân zu seinem Vater 'Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât! Der hatte inzwischen alles verkauft, was in seinem Laden war; nur noch wenig war ihm geblieben, darunter auch ein lederner Beutel. Wie er diesen Beutel schüttelte, fiel aus ihm ein geschliffener Stein heraus, so groß, daß er die Handfläche füllte; der war an einer goldenen Kette befestigt und hatte fünf Flächen, auf denen Zaubernamen und magische Zeichen eingegraben waren, die sahen aus wie Ameisenspuren. Er rieb die fünf Flächen'; aber niemand gab ihm Antwort. So sprach er denn bei sich selbst: ,Das ist wohl nur ein Achatstein!" und er hängte ihn im Laden auf. In dem Augenblicke kam gerade ein' auf seinem Wege vorbei; der blickte auf, sah den Stein dort hängen und setzte sich im Laden des 'Alâ ed-Dîn nieder, indem er sprach: ,Mein Herr, ist dieser Stein zu verkaufens' ,Alles, was ich hier habe, ist zu verkaufen', erwiderte jener. Der Konsul fragte: ,Verkaufst du mir ihn für achtzigtausend Dinare?' 'Alâ ed-Dîn entgegnete: ,Biete höher!' Darauf der andere: ,Verkaufst du ihn für hunderttausend Dinare?' 'Ah ed-Dîn sprach: ,Ich verkaufe ihn dir für hunderttausend Dinare; zahle mir das Geld!' Nun hub der Konsul an: ,Ich kann eine solche Summe nicht bei mir tragen; denn in Alexandrien gibt es Räuber und Schurken. Komm du



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mit mir zu meinem Schiffe; dann will ich dir das Geld geben, dazu einen Ballen Angorawolle, einen Ballen Atlas, einen Ballen Sammet und einen Ballen Tuch.' 'Alâ ed-Dîn erhob sich und schloß den Laden, nachdem er den Stein dem Fremden gegeben hatte; die Schlüssel übergab er seinem Nachbarn mit den Worten: ,Nimm diese Schlüssel und bewahre sie. während ich mit diesem Konsul zum Schiffe gehe, so lange bei dir auf, bis ich mit dem Preise fur meinen Stein wiederkehre. 'Wenn ich aber lange ausbleibe und wenn inzwischen der Hauptmann Ahmed ed-Danaf, f, der mir hier meine Stätte bereitet hat, zu dir kommt, so gib ihm die Schlüssel und sage ihm, wie es steht.' Darauf begab er sich mit dem Konsul zu dem Schiffe. Als sie an Bord gegangen waren, stellte der Konsul ihm einen Stuhl hin und bat ihn, sich zu setzen; dann rief er: ,Bringt das Geld!' Und nun zahlte er ihm den Preis aus und gab ihm auch noch die fünf Ballen, die er ihm versprochen hatte. Zuletzt sprach er: ,Mein Herr, erfreue mich, indem du einen Bissen oder einen Trunk Wasser annimmst!' 'Alâ ed-Dîn erwiderte: ,Wenn du Wasser hast, so gib mir zu trinken!' Da ließ der Konsul Scherbett bringen, aber es war Bendsch darin. Als 'Alâ ed-Dîn getrunken hatte, fiel er auf den Rücken. Sofort nahmen die Schiffsleute die Stühle fort, setzten die Stangen zum Abstoßen ein und spannten die Segel. Der Wind war ihnen günstig, bis sie mitten auf das offene Meer kamen. Da befahl der Kapitän, den 'Alâ ed-Dîn aus der Kabine heraufzubringen; das geschah, und dann gab man ihm das Gegenmittel gegen das Bendsch zu riechen. 'Alâ ed-Dîn schlug die Augen auf und fragte: ,Wo bin ich?' Der Kapitän rief: ,Du bist hier bei mir, gebunden und in Gewahrsam. Hättest du vorher auch noch öfter gesagt ,Biete höher!' ich hätte dir immer mehr geboten.' ,Was ist dein Beruf?' fragte 'Alâ ed-Dîn;



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und jener antwortete: ,Ich bin ein Kapitän, und ich will dich zu meiner Herzliebsten bringen.' Während sie noch so miteinander sprachen, kam plötzlich ein Schiff mit vierzig muslimischen Kaufleuten in Sicht. Der Kapitän griff sie mit seinem Schiffe an, und er ließ die Enterhaken auf ihr Schiff werfen; dann ging er mit seinen Leuten an Bord, plünderte das Schiff und nahm es als Beute mit nach der Stadt Genua. Dort ging der Kapitän, der den 'Alâ ed-Dîn bei sich hatte, zu einem Palasttore. das auf das Meer führte; aus ihm trat eine verschleierte Dame hervor und fragte: ,Hast du mir den Zauberstein und seinen Besitzer gebracht?' Als er antwortete: ,Ich abe beide gebracht', fuhr sie fort: ,Gib mir den Stein!' Er gab ihn ihr, kehrte zum Hafen zurück und feuerte Kanonen zum Zeichen seiner glücklichen Heimkehr ab. Da wußte der König der Stadt, daß jener Kapitän heimgekehrt war, und so zog er aus, um um zu begrüßen. Er fragte ihn: ,Wie war deine Reise?' Da antwortete der Kapitän: ,Sie war sehr gut! Ich habe ein Schiff mit einundvierzig muslimischen Kaufleuten erbeutet.' Der König fuhr fort: ,Lande sie im Hafen!' Da ließ der Kapitän sie gefesselt an Land bringen, unter ihnen auch 'Alâ ed-Dîn. Nun ritten der König und der Kapitän weiter, während sie die Gefangenen vor sich zu Fuß gehen ließen, bis sie zur Staatshalle kamen. Dort setzten sie sich und ließen den ersten Gefangenen vorführen. ,Woher bist du, Muslime' fragte der König; und als jener antwortete: ,Aus Alexandria', fuhr er fort: ,Henker, richte ihn hin!' Da traf um der Henker mindern Schwerte und hieb ihm den Kopf ab. Dem zweiten und dem dritten und den anderen erging es ebenso, bis die vierzig getötet waren und nur noch 'Alâ ed-Dîn als der letzte von allen übrig war. Der hatte ihre Seufzer mit anhören müssen und sprach nun bei sich selbst: ,Jetzt sei Gott dir gnädig, 'Alâ ed-Dîn!



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Dein Leben ist zu Ende.' Als der König ihn fragte: ,Und du, aus welchem Lande bist du?' antwortete er: ,Aus Alexandrien.' Da rief der König: ,Henker, schlag ihm den Kopf ab!' Schon hob der Henker seinen Arm mit dem Schwerte und wollte den Hals des 'Alâ ed-Dîn durchschlagen, da trat plötzlich eine alte Frau von ehrwürdigem Aussehen vor den König. Der erhob sich ihr zu Ehren; dann sprach sie: ,0 König, habe ich dir nicht gesagt, wenn der Kapitän mit den Gefangenen käme, so möchtest du das Kloster mit einem oder zwei Gefangenen bedenken, auf daß sie in der Kirche dienen?' Der König gab ihr zur Antwort: ,Ehrwürdige Mutter, wärest du nur eine Weile eher gekommen! Immerhin nimm diesen einen Gefangenen, der noch übrig ist!' Da wandte sie sich an 'Alâ ed-Dîn und sprach zu ihm: ,Willst du in der Kirche dienen, oder soll ich den König dich töten lassen?' ,Ich will in der Kirche dienen', antwortete er. So nahm sie ihn denn in Empfang, verließ mit ihm die Staatshalle und begab sich zur Kirche. Nun fragte 'Alâ ed-Dîn: ,Was für einen Dienst soll ich denn verrichten?' Sie antwortete: ,Frühmorgens mußt du aufstehen; dann mußt du fünf Maultiere nehmen und mit ihnen in den Wald gehen, dort trockenes Brennholz hacken; das mußt du zerkleinern und indie Klosterküche bringen. Danach mußt du die Teppiche aufnehmen, die Marmorplatten fegen und scheuern und die Teppiche wieder hinlegen, wie sie vorher lagen. Dann mußt du einen halben Ardebb' Weizen holen, ihn sieben, mahlen und kneten und Backwerk für das Kloster bereiten. Dann mußt du eine Webe' Linsen nehmen, sie sieben, mit der Handmühle mahlen und kochen. Dann mußt du die vier Springbrunnen füllen, nachdem du das Wasser in Fässern herbeigeschafft hast;



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und dann mußt du dreihundertundsechsundsechzig Holznäpfe füllen, indem du das Backwerk hineinbröckelst und die Linsensuppe darüber gießest, und jedem Mönche und Patriarchen mußt du einen Napf bringen.' Da rief 'Alâ ed-Dîn aus: ,Gib mich dem König zurück und laß ihn mich töten; das ist leichter für mich als dieser Frondienst!' Doch die Alte fuhr fort: ,Wenn du den Dienst, der dir obliegt, getreu ver siehst, so wirst du dem Tode entgehen; wenn du ihn aber nicht richtig ausführst, so werde ich den König dich töten lassen.' Nun saß 'Alâ ed-Dîn da, von Sorgen gedrückt. In der Kirche aber waren zehn blinde Krüppel; von denen sprach einer zu ihm: ,Bring mir einen Topf!' Da brachte er den Topf, und der Blinde verrichtete seine Notdurft darin; dann sprach er: ,Wirf den Kot fort!' Als 'Alâ ed-Dîn es getan hatte, sprach der Blinde: ,Der Messias segne dich, du Diener der Kirche!' Doch plötzlich kam die Alte zurück und rief: ,Warum hast du deinen Dienst inder Kirche nicht verrichtet?' Er antwortete: ,Wieviel Hände habe ich denn, daß ich imstande wäre, all diese Arbeit zu tun?' ,Du Narr,' sprach sie, ,ich habe dich doch nur zur Arbeit hierher gebracht!' Aber leise fügte sie hinzu: ,Mein Sohn, nimm diesen Stab,' —der war aus Messing und hatte an der Spitze ein Kreuz -, geh auf die Straße, und wenn dir der Präfekt der Wache dieser Stadt begegnet, so sprich zu ihm: ,Ich rufe dich zum Dienste der Kirche um des Herrn, des Messias, willen!' Er wird dir nicht widersprechen dürfen, und so laß ihn denn den Weizen nehmen, sieben, mahlen, durchs Feinsieb gießen, kneten und Backwerk daraus bereiten. Wenn dir irgendeiner widerspricht, so schlage ihn; fürchte dich vor niemandem!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte er und tat, wie sie gesagt hatte. Immerfort preßte er hoch und niedrig zum Dienste, siebenzehn Jahre lang.



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Als er nun eines Tages in der Kirche saß, kam plötzlich wieder einmal die Alte zu ihm und sprach: ,Geh aus dem Kloster hinaus!' ,Wohin soll ich denn gehen?' fragte er. Sie antwortete: ,Verbringe die Nacht in einer Schenke oder bei einem deiner Freunde!' Wiederum fragte er: ,Warum schickst du mich aus der Kirche weg?' Und da erwiderte sie ihm: ,Wisse, Husn Marjam, die Tochter des Königs Juhanna', des Herrschers dieser Stadt. will in die Kirche kommen, um zu wallfahrten. und da ziemt es sich nicht, daß jemand ihr im Wege wäre!' Scheinbar gehorchte er ihren Worten, und er verließ vor ihren Augen die Kirche; aber in seinem Inneren sprach er: ,Ob wohl die Prinzessin unseren Frauen gleicht oder schöner ist als sie? Ich will nicht eher weggehen, als bis ich sie mir angeschaut habe!' So verbarg er sich denn in einer Kammer, die ein Fenster nach der Kirche hatte. Während er nun von dort in die Kirche schaute, trat die Prinzessin ein; und er warf auf sie einen Blick, der ließ tausend Seufzer in ihm zurück. Denn er sah, daß sie dem Vollmond glich, der aus den Wolken hervorstrahlt; und bei ihr war eine junge Dame. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 268. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Alâ ed-Dîn, als er auf die Prinzessin schaute, bei ihr eine junge Dame erblickte, zu der sie sprach: ,Du hast mich aufgeheitert, Zubaida!' Nun blickte 'Alâ ed-Dîn jene Dame genauer an und erkannte in ihr seine Gattin Zubaida die Lautnerin, die doch längst gestorben war. Die Prinzessin sprach dann weiter zu Zubaida: ,Wohlan, spiele uns eine Weise auf der Laute vor!' Doch jene gab zur Antwort: ,Ich kann dir keine Weise vorspielen, ehe du mir



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nicht meinen Wunsch erfüllst und mir gewährst, was du mir versprochen hast.' ,Was habe ich dir denn versprochen?' fragte die Prinzessin; und jene erwiderte: ,Du hast mir versprochen, mich mit meinem Gatten 'Alâed-Dîn Abu esch-Schamât, dem getreuen Vertrauensmann, wieder zu vereinigen.' Da sagte die Prinzessin: ,Zubaida, hab Zuversicht und quäl dich nicht! Spiel uns eine Weise vor zum Danke für unsere Wiedervereinigung mit deinem Gatten 'Alâ ed-Dîn!' ,Wo ist er denn?' fragte die Dame. Die Prinzessin antwortete ihr: ,Er ist in dieser Kammer dort, und er hört, was wir reden.' Da spielte sie eine Weise auf der Laute und sang, daß selbst der härteste Stein vor Freuden sprang. Doch wie 'Alâ ed-Dîn das hörte, regte sich die Sehnsucht in seiner Brust, er stürzte aus der Kammer hinaus, eilte auf die beiden zu und umarmte seine Gattin Zubaida die Lautnerin. Auch sie erkannte ihn; da umschlangen sie einander und sanken ohnmächtig zu Boden. Nun trat die Prinzessin Husn Marjam heran, sprengte Rosenwasser auf sie und rief sie so ins Bewußtsein zurück; dann sprach sie: ,Gott hat euch wieder vereinigt!' ,Durch deine Freundschaft, hohe Herrin!' setzte 'Alâ ed-Dîn hinzu. Dann wandte er sich zu seiner Gattin Zubaida der Lautnerin und sprach zu ihr: ,Du warst doch gestorben, Zubaida, und wir haben dich ins Grab gebettet! Wie bist du denn wieder lebendig geworden und an diese Stätte gekommen?' ,O mein Gebieter,' gab sie ihm zur Antwort, ,ich bin nicht wirklich gestorben, sondern ein mächtiger Dämon aus der Geisterwelt hat mich ergriffen und ist mit mir an diesen Ort geflogen. Die aber, die ihr begraben habt, war eine Dämonin; sie hatte meine Gestalt angenommen und sich tot gestellt. Doch nachdem ihr sie begraben hattet, spaltete sie das Grab, kam aus ihm hervor und begab sich wieder zum Dienste bei ihrer Herrin Husn Marjam, der Tochter des



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Königs. Ich selbst aber war wie betäubt, und als ich meine Augen öffnete, sah ich mich vor Husn Marjam, dieser Prinzessin hier; ich fragte sie: ,Warum hast du mich hierher bringen lassen?' Da erwiderte sie mir: ,Es ist mir vorherbestimmt, daß ich mich mit deinem Gatten 'Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât vermählen werde. Willst du nun, Zubaida, mich annehmen, auf daß ich neben dir seine Gattin sei? Dann soll eine Nacht mir, die andere dir gehören.' ,Ich höre und gehorche, o Herrin!' sprach ich, ,doch sag, wo ist mein Gatte?' Sie antwortete: ,Auf seiner Stirne steht geschrieben, was Allah ihm bestimmt hat; sobald an ihm erfüllt ist, was auf seiner Stirne steht, muß er unweigerlich hierher kommen. Wir wollen uns über die Trennung von ihm mit Liedern und Lautenspiel trösten, bis Gott uns mit ihm vereint.' So blieb ich denn diese ganze Zeit über bei ihr, bis Allah uns in dieser Kirche hier zusammenführte.' Darauf wandte Husn Marjam sich ihm zu mit den Worten: ,Mein Gebieter 'Alâ ed-Dîn, nimmst du mich zum Weibe dein und willst du mir ein Gatte sein?' ,Hohe Herrin,' sprach er, ,ich hinein Muslim, du aber bist eine Christin! Wie kann ich mich dir vermählen?' Da rief sie: ,Allah verhüte. daß ich eine Ungläubige wäre! Nein, ich bin eine Muslimin. Seit achtzehn Jahren halte ich am Glauben des Islams fest, und ich halte mich frei von jeglichem Glauben, der dem muslimischen widerspricht.' Doch er fuhr fort: ,Ich möchte in meine Heimat zurückkehren.' ,Wisse,' erwiderte sie, ,ich sehe auf deiner Stirne Dinge geschrieben, die du erst erfüllen mußt, ehe du an dein Ziel kommst. Freue dich auch, o 'Alâ ed-Dîn, daß dir ein Sohn geboren ist, des Namens Aslân; der sitzt jetzt auf deinem Platze bei dem Kaufen, und er hat das Alter von achtzehn Jahren erreicht. Und wisse ferner, daß die Wahrheit an den Tag gekommen, die Lüge aber abgetan ist; denn der Herr



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hat den Schleier von dem gelüftet, der die Kleinodien des Kalifen gestohlen hat. Das ist Ahmed Kamâkim der Erzdieb, der Schurke, und er sitzt jetzt gefangen und gefesselt im Kerker. Und weiter erfahre, daß ich es bin, die dir den Zauberstein sandte; ich tat ihn in den ledernen Beutel, der in dem Laden war; ich bin es, die den Kapitän zu dir schickte, auf daß er dich und den Zauberstein brächte. Vernimm denn, dieser Kapitän ward von der Liebe zu mir ergriffen und bewarb sich um meine Gunst; ich aber weigerte mich, ihm zu Willen zu sein, vielmehr sprach ich zu ihm: ,Ich werde mich dir nicht eher hingeben, als bis du mir den Zauberstein und seinen Besitzer bringst.' Ich gab ihm hundert Beutel voll Geld und entsandte ihn in Gestalt eines Kaufmannes, während er doch ein Kapitän ist. Als man dich dann zum Tode führen wollte, nachdem bereits die vierzig Gefangenen hingerichtet waren, schickte ich dir diese Alte.' Da rief 'Alâ ed-Dîn: ,Allah lohne es dir statt unser mit allem Guten! Vortrefffich hast du gehandelt.' Darauf erneuerte Husn Marjam ihr islamisches Glaubensbekenntnis vor ihm; und als er der Wahrheit ihrer Worte gewiß war, sprach er zu ihr: ,Tu mir die Kräfte dieses Zaubersteines kund und sage mir, woher er stammt!' Darauf erzählte sie ihm: ,Dieser Stein stammt aus einem verzauberten Schatze, und er besitzt fünf Kräfte, die uns zu ihrer Zeit von Nutzen sein werden, wenn wir ihrer bedürfen. Meine Aime, die Mutter meines Vaters, war eine Zauberin, die geheime Zeichen zu deuten verstand und die verborgenen Schätze fand; so kam auch dieser Zauberstein aus einem Schatze in ihren Besitz. Als ich herangewachsen war und das Alter von vierzehn Jahren erreicht hatte, las ich das Evangelium und die anderen heiligen Schriften, und dabei fand ich den Namen Mohammeds -Allah segne ihn und gebe ihm Heil! —, ich las nämlich die vier Bücher, die



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Tora, das Evangelium', die Psalmen und den Koran. Da glaubte ich an Mohammed und nahm den Islam an; denn ich ward in meinem Sinne fest überzeugt, daß niemand der Anbetung würdig ist als Allah der Erhabene, und daß dem Herrn der Welt allein der islamische Glaube gefällt. Meine Aime hatte mir, als sie krank ward, diesen Stein gegeben und mich seine fünf Zauberkräfte gelehrt. Und ehe sie starb, sprach mein Vater zu ihr: ,Wirf eine geomantische Figur für mich und sieh, wie mein Schicksal enden und was mir begegnen wird!' Da weissagte sie, er' werde sterben, getötet von einem Gefangenen. der aus Alexandrien käme. Mein Vater aber schwor, er werde jeden Gefangenen, der von dort käme, hinrichten lassen, und setzte auch den Kapitän davon in Kenntnis, indem er hinzufügte: ,Du mußt ohne Ausnahme die Schiffe der Muslime angreifen und kapern, und wenn du jemanden aus Alexandrien findest, so mußt du ilm töten oder mir bringen.' Der Kapitän gehorchte seinem Befehle, bis er schließlich so viele Menschen getötet hatte, wie er Haare auf seinem Kopfe hatte. Dann starb meine Aime; nun machte ich mich daran, eine geomantische Figur zu werfen, denn ich überlegte bei mir und sprach: ,Ich möchte wissen, wer sich mit mir vermählen wird.' Da ward mir kund, daß kein anderer als ein Mann des Namens 'Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât, der getreue Vertrauensmann, sich mit mir vermählen werde. Darüber war ich verwundert, und ich wartete, bis die Zeit verging und ich mit dir vereint wurde.' Nun gab 'Alâ ed-Dîn ihr das Ehegelöbnis und fügte hinzu: ,Ich möchte in meine Heimat zurückkehren.' ,Wenn das dein Wille ist,' gab sie zur Antwort, ,so komm mit mir!'



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Darauf nahm sie ihn mit sich und verbarg ihn in einer Kammer ihres Palastes. Nachdem sie dann zu ihrem Vater eingetreten war, sprach der zu ihr: ,Liebe Tochter, ich bin heute sehr niedergeschlagen; setze dich zu mir, daß ich mich mit dir durch Trinken erheitere!' Da setzte sie sich zu ihm, ließ den Tisch mit dem Weine kommen, füllte ihm den Becher und reichte ihm den Wein, bis er die klare Besinnung verlor. Darauf tat sie ihm Bendsch in einen Becher, er trank den Becher und fiel rücklings hin. Nun ging sie zu 'Alâ ed-Dîn, führte ihn aus der Kammer hervor und sprach zu ihm: ,Auf, erhebe dich! Dein Widersacher liegt dahingestreckt; tu mit ihm, was du willst. Ich habe ihn trunken gemacht und ihn durch Bendsch betäubt.' 'Alâ ed-Dîn trat herzu, und wie er ihn betäubt daliegen sah, band er ihm die Hände fest auf dem Rücken zusammen und legte ihm Ketten an die Füße. Dann gab er ihm das Gegenmittel gegen Bendsch, und dadurch kam der König wieder zu sich. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 269. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Alâ ed-Dîn dem Könige, dem Vater der Husn Marjam, das Gegenmittel gegen Bendsch gab; als dieser nun wieder zu sich kam, sah er 'Alâ ed-Dîn und seine eigene Tochter auf seiner Brust sitzen, und da rief er: ,Meine Tochter, handelst du so an mir?' Sie erwiderte ihm: ,Wenn ich wirklich deine Tochter bin, so werde Muslim; denn ich bin eine Muslimin geworden. Die Wahrheit offenbarte sich mir, und ich nahm sie an; doch auch die Lüge, und die habe ich abgetan. Ich habe mich Allah, dem Herrn der Welten, ergeben; ich bin frei von jeglichem Glauben, der dem Islam widerspricht, in dieser und in jener Welt. Wenn du nun



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Muslim werden willst, — herzlich gern! Wo nicht, so ist es besser, daß du getötet wirst, als daß du am Leben bleibst.' Auch 'Alâ ed-Dîn ermahnte ihn. Aber er weigerte sich und ward verstockt. Da zückte 'Ah ed-Dîn einen Dolch und durchschnitt ihm die Kehle von Ader zu Ader. Dann schrieb er auf ein Blatt. was sich zugetragen hatte, und legte es ihm auf die Stirn. Darauf nahm er mit, was nicht beschwert und doch von hohem Wert; und beide verließen den Palast und begaben sich zur Kirche. Dort nahm die Prinzessin den Zauberstein hervor, legte ihre Hand auf die Seite, auf der ein Ruhelager abgebildet war, und rieb sie; da ward plötzlich ein Ruhelager vor sie hingestellt. Auf das stieg sie hinauf, und 'Alâ ed-Dîn und seine Gattin Zubaida die Lautnerin taten desgleichen. Nun hub die Prinzessin an: ,Bei dem, was auf diesem Steine geschrieben stehet, bei den Zaubernamen und magischen Zeichen und den Charakteren der Wissenschaft, erhebe dich mit uns, o Lager!' Da erhob sich das Lager mit ihnen und flog durch die Luft bis zu einem Tale. in dem kein Pflanzenwuchs war. Nun hob sie die anderen vier Flächen des Steins nach oben, die aber mit dem Bilde des Lagers wandte sie der Erde zu. Da senkte sich das Lager mit ihnen auf die Erde. Darauf drehte sie die Fläche, auf der das Bild eines Prunkzeltes gezeichnet war, sich zu und rieb sie, indem sie sprach: ,Es werde ein Prunkzelt in diesem Tale aufgeschlagen!' Da erhob sich das Prunkzelt vor ihnen, und sie setzten sich in ihm nieder. Jenes Tal war öde; keine Pflanze, kein Wasser war darin. Darum wandte sie vier andere Flächen des Steines nach oben und sprach: ,Bei den Namen Allah., hier sollen Bäume wachsen und daneben soll ein Strom fließen!' Sofort sproßten die Bäume, und zu ihrer Seite floß ein Strom daher, der brauste und brandete wie die Wogen im Meer. An ihm vollzogen sie die religiöse Waschung, beteten



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und tranken von seinem Wasser. Und wieder drehte sie drei andere Seiten des Zaubersteines um. bis sie zu einer Fläche kam, auf der sich das Bild eines Tisches befand. Sie sprach: ,Bei dem Namen Allahs, der Tisch werde gebreitet!' Da ward ein Tisch vor ihnen gebreitet, auf dem allerlei köstliche Speisen lagen. Nun aßen und tranken sie, waren froh und guter Dinge.

Inzwischen aber war der Sohn des Königs hereingekommen, um seinen Vater zu wecken: da fand er ihn tot, und er fand auch das Blatt, das 'Alâ ed-Dîn beschrieben hatte. Das las er, und so erfuhr er. was darauf stand. Sofort suchte er nach seiner Schwester, und da er sie nicht fand, ging er zu der Alten in die Kirche. Als er die dort angetroffen hatte, fragte er sie nach seiner Schwester; aber sie gab ihm zur Antwort: ,Seit gestern habe ich sie nicht mehr gesehen!' Da eilte er zu den Truppen und rief ihnen zu: ,Aufs Pferd, ihr Reiter!' Er erzählte ihnen, was geschehen war, und dann saßen die Reiter auf und ritten dahin, bis sie sich dem Prunkzelte näherten. Da erblickte Husn Marjam plötzlich eine Staubwolke, die legte der Welt einen Schleier vor; doch als sie aufstieg und sich verlor, da trat ihr Bruder mit den Truppen unter ihr hervor. Die riefen: ,Wohin wollt ihr fliehen, da wir euch doch auf der Spur sind?' Die Prinzessin fragte 'Alâ ed-Dîn: ,Wie fest stehen deine Füße im Kampfe?' Er antwortete: ,Wie ein Pflock in der Kleie! Ich verstehe mich nicht im Kampfe zu wehren, ich weiß nichts von Schwertern und Speeren.' Da zog sie den Zauberstein hervor und rieb die Fläche, auf der ein Roß mit seinem Reiter abgebildet war. Plötzlich erschien ein Reiter von der Wüste her; der kämpfte ohne Unterlaß mit ihnen und hieb mit dem Schwerte auf sie ein, bis er ihren Widerstand gebrochen und sie verjagt hatte.

Nun sprach die Prinzessin zu 'Alâ ed-Dîn: ,Willst du nach Kairo oder nach Alexandrien reisen?' ,Nach Alexandrien', gab



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er zur Antwort. Da stiegen sie wieder auf das Lager; sie sprach die Zauberformel darüber aus, und so fuhr es mit ihnen durch die Luft, und im Augenblick konnten sie schon bei Alexandrien hinabsteigen. 'Alâed-Dîn führte die Frauen in eine Höhle, ging zur Stadt und brachte ihnen von dort Kleider, die er ihnen anlegte. Darauf begab er sich mit ihnen zu seinem Laden und führte sie in die Wohnung. Als er dann ausging, um ihnen Speise zur Mittagsmahlzeit zu holen, traf er mit einem Male den Hauptmann Ahmed ed-Danaf, der gerade von Baghdad kam. Er sah ihn auf der Straße, empfing ihn mit offenen Armen, begrüßte ilm und hieß ihn willkommen. Der Hauptmann Ahmeded-Danaf überbrachte ihm frohe Botschaft von seinem Sohne Aslân, der bald sein zwanzigstes Lebensjahr erreicht habe. Seinerseits wiederum erzählte 'Alâ ed-Dîn dem Hauptmanne alles, was er erlebt hatte, von Anfang bis zu Ende. Dann führte er ihn in den Laden und zu seinem Gemache in der Wohnung; Ahmed ed-Danaf aber war über alles aufs höchste erstaunt. Sie verbrachten nun die Nacht gemeinsam dort bis zum Morgen. Und am nächsten Tage früh verkaufte 'Alâ ed-Dîn den Laden und legte den Preis dafür zu seinem anderen Gelde. Darauf tat Ahmed ed-Danaf dem 'Alâ ed-Dîn kund, daß der Kalif ihn zu sich entbiete. Doch 'Alâ ed-Dîn sprach: ,Ich will zuerst nach Kairo reisen, um meinen Vater und meine Mutter und meine Angehörigen zu begrüßen.' Nun stiegen sie alle zusammen auf das Ruhelager und begaben sich nach Kairo, der glückseligen Stadt. Sie stiegen in der Straße ed-Derb el-Asfar' ab, weil sein Elternhaus dort stand, und er klopfte an die Haustür. Da rief seine Mutter: ,Wer pocht noch an das Tor, seit ich meine Lieben verlor?' Er antwortete: ,Ich bin's, 'Alâ ed-Dîn!' Rasch kamen seine Eltern herab und schlossen



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ihm in die Arme. Darauf sandte er seine Frauen und seine Habe ins Haus, trat selber mit Ahmed ed-Danaf ein, und dann pflegten sie der Ruhe drei Tage lang. Als er nun nach Baghdad aufbrechen wollte, sprach sein Vater zu ihm: ,Bleibe bei mir, mein Sohn!' Doch er antwortete: ,Ich kann die Trennung von meinem Sohne Aslân nicht ertragen.' So nahm er denn Vater und Mutter mit sich, und alle zogen nach Baghdad. Ahmed ed-Danaf eilte zum Kaufen voraus und brachte ihm die frohe Botschaft, daß 'Alâ ed-Dîn heimkehre. und erzählte ihm seine Geschichte. Da zog der Kalif aus, um ihn zu empfangen, und nahm auch den Jüngling Aslân mit sich; als sie zusammentrafen, umarmten sie ihn. Dann gab der Kalif Befehl, Ahmed Kamâkim den Erzdieb herbeizuholen; als das geschehen war und der Dieb vor ihm stand, sprach der Kalif: ,'Alâ ed-Dîn, da hast du deinen Feind in deiner Gewalt.' Sofort zog 'Alâed-Dîn sein Schwert, hieb auf Ahmed Kamâkim ein und schlug ihm den Kopf ab. Und nun ließ der Kalif ein großes Fest für 'Alâ ed-Dîn feiern, nachdem er die Kadis und die Zeugen hatte kommen und den Ehevertrag für 'Alâ ed-Dîn und Husn Marjam hatte schreiben lassen. Als der dann zu ihr einging, fand er, daß sie eine undurchbohrte Perle war. Ferner machte der Kalif den Jüngling Aslân zum Hauptmann der Sechzig und verlieh beiden prächtige Ehrenkleider. Und sie lebten herrlich und glücklich, bis Der zu ihnen kam, der die Freuden schweigen heißt und die Freundesbande zerreißt. «

Darauf erzählte Schehrezâd


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