Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

SPIELMANNS GESCHICHTEN DER SAHEL

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



Atlantis Bd_06-0004 Flip arpa

MIT EINER KARTE DER SAHARA UND

EINER BILDERTAFEL / TITEL- UND

EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE


6. Die Vernichtung Sokons (Togolegende)

In alten Zeiten war Sokon eine sehr bedeutende Stadt. Sie wurde von den (auch aus Mande gekommenen) Gindo bewohnt. Es war vordem weit und breit die volksreichste und wohlhabendste Ort. schaft in Massina. Sie liegt zwischen Kani-Bonso und Sadia. Heute ist sie so gut wie verlassen. Vordem war sie aber so menschenreich, daß, als man gelegentlich eines großen Festes nur die linkshändige,j Menschen zählte, man die Zahl von siebenhundert Leuten dieser Art fand.

Die Leute waren infolge ihrer Macht und ihrer Wohihabenheit übermütig geworden, und sie sahen mit Verachtung auf alle anderen Ortschaften herab. Sie trieben sich oft im Lande umher, trieben flut den Frauen der anderen Leute Unzucht und wurden überhaupt zu einer Art Landplage.

Eines Tages nun ward das den anderen zu viel. Die Bewohner der im weiten Kreise um Sokon liegenden Ortschaften kamen zu- sammen und hielten eine Beratung. Einige Leute sagten: ',Wir wollen Sokon mit Krieg überziehen." Andere Leute sagten: Wie wollen wir das? Das ist nicht möglich. Wir sind alle miteinander nicht stark genug gegenüber dieser gewaltigen Stadt." Die Leute sagten alle: "Ja, das ist wahr." Einige sagten: "Dann wollen wir Stadt mit starken Diandama (Diandama oder Diadama sind Zaubermittel und entsprechen den Toru der Fulbe und Baschi der Bam- mana; auch wird versichert, daß Diadama das Haus der Zaubermittel sei) zerstören." Die anderen sagten: "Ja, das ist gut. Wir



Atlantis Bd_06-291 Flip arpa

wollen einen mächtigen Diandama-banga (Banga =Inhaber, Besitzer, Ausübender usw.) aufsuchen."

In der Gegend liegt das kleine unbedeutende Dorf Keru, eine Ortschaft der Togo. Darin wohnte ein zauberkräftiger Diandamabanga. An den wandten sich die Leute. Sie fragten ihn: "Kannst du uns ein starkes Diandama geben, das die wollüstigen Männer von Sokon vernichtet?" Der Diandama-banga sagte: "Ja, das kann ich. Ich bin bereit, ein solches Diandama herzustellen. Ich werde es in einem Wasser als Flüssigkeit herstellen. Aber damit, daß ich das herstelle, ist es nicht gemacht. Ein Mann muß den Topf mit dem Diandamawasser von Keru bis Sokon tragen. Er darf nicht ein einziges Mal ausruhend den Topf an die Erde stellen. Er darf auf dem Wege nichts sagen, sondern er muß den Topf mit dem Diandamawasser schweigend von hier bis Sokon tragen und ihn dort in der Stadt hinwerfen. —Dann muß er dreimal schreien. —Findet sich unter euch kein Mann, der das vermag, so nützt das Diandama, das ich herstellen will, nichts." Es war unter den Leuten ein Mann, der sagte: "Ich bin bereit, das zu tun. Ich will den Topf mit dem Diandamawasser schweigend und ohne ihn zu Boden zu setzen, von hier nach Sokon tragen und will ihn dort auf den Boden werfen und dreimal schreien. Ich will es in der Nacht tun." Der Diandama-banga sagte: "Es ist gut. Dann kann man es machen."

Der Diandama-banga stellte die Flüssigkeit her. Er füllte das Zaubermittel in einen großen Topf. Ein Mann nahm den Topf mit dem Diandamawasser auf und trug ihn in der Nacht von Keru bis nach Sokon. Er trug ihn ununterbrochen. Er setzte ihn nicht ein einziges Mal zu Boden. Er sprach unterwegs kein Wort. So kam er nach Sokon. In Sokon schlief alles, denn es war in dunkler Nacht. Der Mann ging bis auf den großen Platz, wo eine große Sauru (= Galla in der Bammanasprache) war. Dort warf er den Topf zu Boden. Er zersprang in viele Scherben, und das Diandamawasser floß auf dem Boden weit auseinander. Dann schrie er dreimal und lief, so schnell er konnte, wieder in der Richtung auf Keru von dannen.

Als der Mann schrie, wachten die Leute auf. Sie zündeten Fackeln an und kamen auf den Platz. Auf dem Platze sahen sie die Topfscherben und das ausgespritzte Wasser. Ein Mann sagte: "Was ist das?" Einer sagte: "Ach, es hat nur einer einen Topf mit Wasser fallen lassen. Es hat nichts auf sich." Ein anderer sagte: "Das ist nicht wahr. Das ist ein Diandama, das uns bereitet ist. Laßt uns



Atlantis Bd_06-292 Flip arpa

sehen, ob wir nicht den Mann fangen können." Die Männer liefen hinterher, sie vermochten ihn aber nicht mehr zu erreichen. Denn der Mann lief sehr schnell. Als die Eingeborenen von Sokon nun derart mit den flammenden Fackeln durch die Straßen rannten, fingen einige Speicherdächer Feuer. Das Feuer griff sehr schnell uni sich. Bald brannte die ganze Stadt. Es verbrannten iooooo Menschen, und das ganze war zuletzt eine große Ruine. Es war der Diandama der Keruleute, welcher die Stadt und die wollüstige Bevölkerung vernichtet hatte.

Das Togodorf Keru besteht heute noch. Auch ist darin heute ein großes Diandamahaus, in dem Diandama gegen Männer hergestellt werden, die die Frauen anderer vernichten. Wenn man zu Pferde in das Dorf reitet und in die Nähe dieses Diandamahauses kommt, muß man absteigen, denn das verlangt der Diandama.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt