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Kapitel 

SPIELMANNS GESCHICHTEN DER SAHEL

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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MIT EINER KARTE DER SAHARA UND

EINER BILDERTAFEL / TITEL- UND

EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

Totendienst. Seelendienst

Die religiösen Einrichtungen der Tommo zielen nach drei Richtungen: I Totendienst, 2. Ackerdienst, 3. Verteidigung gegen unholde Geister. Die zu dritt genannten Dinge wurden, soweit ich davon Kenntnis zu erzielen vermochte, eben wiedergegeben. Vom Ackerdienst wurde einiges gesagt und wird gleich noch ausführlicher darauf zurückzukommen sein; dem Totendienst, Seelenglauben usw. wollen wir aber nun zuerst einige Zeilen widmen.

Da wirbelt es zunächst wild durcheinander: Nege-nkinde, die Menschenschatten, Kinne = die Seele, Anini-uo = das Leben, Min = das Denken, Njanga-mu = der Traum.



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Wenn jemand träumt, so ist da etwas im Kopfe, das er regelrecht erlebt. Das ist Miri; das Denken (auch bei Malinke und Bammana =miri, im Fulfulde = milo genannt), das die Traumbilder im Schlafenden erzeugt. Aber es erfolgt bei dem Auftreten von Personen auch eine Einwirkung von außen, seitens dieser, gleichgültig, ob sie noch leben (und sich dessen bewußt sind oder nicht) oder ob sie schon gestorben sind. Angenommen: es erscheint jemandem im Traum der eigene Vater, der vor längerer Zeit gestorben ist, so wird er ein Opfer der Seele des Verstorbenen (hier nkinne) darbringen. — Lebt der alte Herr noch und taucht im Traumbilde eines Fremden oder Freundes als Sterbender oder Toter auf, so wird der das dem Sohne sogleich mitteilen. Der fragt eingehend, in welcher Art Kleid der Verschiedene oder Verscheidende aufgetreten ist, in dunklen oder hellen, langen oder kurzen, neumodischen oder altertümlichen. Sobald er sich hierüber klar ist, sucht er sogleich ein solches Kleid aufzutreiben, zeigt es dem Traummanne und wenn der es als entsprechend und richtig erklärt, so schenkt der Sohn das ominöse Kleid irgendeinem Manne, der zum Stamme derer gehört, die für seine Familie, also Vater oder Sohn Tannä (=Tabu) sind. Gleichzeitig ist es sehr wünschenswert, daß der Sohn ein größeres Opfer an Hühnern, Ziegen und dergleichen den großen Zaubermitteln des Dorfes darbringt. Wird das alles eingehalten, dann steht zu hoffen, daß der durch den Traum in bedrohlicher Nähe befindliche Tod des alten Herrn möglichst weit herausgeschoben wird.

Wenn ein Mensch stirbt, so entflieht seine nkinne in den Luftraum. Sie weilt schwebend in der Nähe der Nachkommen und bleibt mit diesen häufig in zeitweiligem Konnex. Zum Beispiel taucht sie im Traume auf. Oder aber, wenn jemand erkrankt ist, so sagen häufig die anderen: "Du hast lange nicht den Seelen der Verstorbenen geopfert, das mußt du nachholen." Und wenn der Kranke sich wirklich dieser Unterlassungssünde schuldig fühlt, so wird er Ziege oder Huhn vor der Grabkammer oder (neuerdings) auf dem Grabe schlachten und niederlegen. Ist man nicht sicher, wer der zürnende Geist, welches die erregte Seele ist, so läßt man einen in dieser schweren Kunst Kundigen das Aramanga, das Erdorakel oder Angamanga-bira, das Kauriorakel befragen und ist so überzeugt, sichere Nachricht über das "Wer" und das "Warum" zu erhalten.

In jedem Jahre feierte in alter Zeit jede Tommogemeinde ein sehr würdiges Fest, ein Fest der Toten, ein Opferfest, das Sarraka-Gungesu. Das fand am Anfange der Regenzeit statt. Es ist das gleiche Fest, das bei den alten Malinke fure-nso, bei den Bammana suso hieß. Die ganze Familie vereinigt sich. Man stellte die Holzfiguren, die die Toten darstellen, die Gobuna (Gobuna s. buna



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S. 268), auf. Man hatte viel Kenjebier bereitet. Die Frauen machten eifrig Speise; die Männer schlachteten allerhand Opfertiere und in wohlhabenden: Familien kam es dabei nicht auf ein Stück Rindvieh an. Ogong und Lagam, die geistlichen und geistigen Würdenträger der Gemeinden und ihre Gefolgschaft, hatten damit nichts Besonderes zu tun. Es war ein Familienfest und der es leitete, der war in jeder Sippe das Oberhaupt. Ballen von Reis in Wasser und Schalen mit Kenjebier ward zur letzten Ruhestatt gebracht. Die Gobuna wurden von der Stoffverhüllung, in der sie sich gewöhnlich befanden, befreit und aufgestellt. Man sprach von den Verstorbenen,man sprach von den Ereignissen des vergangenen Jahres, von den Hoffnungen, die man auf die kommende Periode der Fruchtbarkeit setzte und an Gräbern und vor Gobuna sprach man alte Bitten aus, die sich zumeist auf glückliche Erntezeit, auf Gesundheit und Kinderreichtum bezogen. War das Fest feierlich verflossen, dann wartete man auf die Genehmigung des Lagam zum Ackerbau und auf reichen Himmelserguß.

Dies Fest scheint den Fulbe aus Futa-Djallon, die zumeist unter Hadj Omar in diesem Lande ein strenges Regiment führten, ein Dorn im Auge gewesen zu sein. Es wurde untersagt, wie so manche alte, auch uns sympathische Sitte. Auch das Verfertigen der Totendarstellungen ist seltener geworden. In alter Zeit sollen alle Verstorbenen im Dorfe ihre Holzbildnisse gehabt und die Gobuna sollen außerordentlich hoch im Ansehen gestanden haben. Das ist heute nicht mehr der Fall. Ich hörte nur noch von einem Gobuna in Kani-Kombole, die eine hervorragende Rolle spielte und die dann auch glücklich in meine Hände gelangte, wenn es auch Schwierigkeiten genug gab.

Besonders im Süden spielt auch die Frau des Ogong, die Ogongnja, wenigstens bei einer Gelegenheit eine merkwürdige Rolle, d. i. wenn eine alte Frau im Dorfe stirbt. In diesem Falle darf keine andere Frau im Dorfe "klagen", als nur die Ogong-nja. Im Hause jedes Ogong dieses Landstriches ist eine Gobuna, eine Holzfigur, aufbewahrt, die besonders der Wartung des Ogong-nja anvertraut ist. Diese Gobuna ist in weiße Stoffe gehüllt und steht so in einem großen Tongeschirr. Sowie nun eine alte Frau im Dorfe stirbt, nimmt die Ogong-nja die Figur mit in das Sterbehaus und stellt sie da in einem Korbe auf den Boden. Sie singt und klagt vor der Gobuna. Dann treten die anderen alten Frauen des Dorfes heran, tanzen vor der Gobuna und werfen Kauri auf sie. Diese Kaurimuscheln gehören der Ogong-nja. — Das ist angeblich die einzige Verwendung der Gobuna im Ogonghause. So sagte man mir in Kani-Kombole. Es ist die einzige, offizielle Tätigkeit der Ogongnja. Sonst hat sie ganz und gar kein besonderes Amt, es sei denn,



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laß sie etwa von Zeit zu Zeit der Gobuna eine kleine Opfergabe darbringt. Der Ogong selbst hat mit der Gobuna nichts zu tun.

Überhaupt scheint der Sittenkreis, der sich bei den Südtommo um den Tod alter Weiber gebildet hat, ganz besonders merkwürdige Einzelheiten aufzuweisen. Ich hörte noch von folgendem Brauche: Wenn eine alte Frau stirbt, muß eine Enkelin, ein noch junges Mädchen, die Leiche auf den Kopf nehmen. Das Mädchen tanzt mit der Leiche auf dem Kopfe und mit anderen Kindern um sich umher, von Hof zu Hof, überall gewissermaßen Abschiedsvisite machend. In jedem Hofe wird die Leiche niedergelassen. Jederman wirft Kauri als Geschenke darauf, oder schenkt Opfertiere. Die Kauri und Tiere sammeln die mitziehenden Spielleute auf und nehmen sie für sich in Anspruch. Die Spielleute singen und wünschen der Familie, der die Verstorbene angehörte, und der ganzen Gemeinde Gesundheit und möglichst wenig Todesfälle.

Hochinteressant sind die Totenbefragungen, die früher bei den Südtommo in mehrfacher Gestalt üblich gewesen sein müssen. Offenbar glaubte das Volk nicht an die Selbstverständlichkeit des Todes, und war noch nicht zur Erkenntnis des Satzes gekommen: "Der Mensch muß sterben." So suchte man denn krampfhaft nach einer Todesursache, nicht nur, um jenen einen zu rächen, sondern auch um sich selbst von irgendeinem wüsten Lebensräuber durch Unschädlichmachung zu sichern. Das einfachste war, sich an den Toten zu wenden und ihn selbst darüber Auskunft geben zu lassen, wie er ums Leben gekommen sei. In einer Legende sehen wir, wie diese Zeremonie in alter Zeit ausgeführt wurde, und wenn am Ende derselben betont wird, daß wegen jenes schlimmen Ausganges heute das nicht mehr vorkomme, so haben wir ein gutes Recht zur Skepsis. Vielleicht ist der Brauch der direkten Leichenbefragung mit Hahnvergraben usw. in einigen Gegenden verboten, in anderen ist er sicher noch im Schwunge.

Ich hörte noch von einer anderen Form der Regelung dieser Angelegenheit. Wenn man sich über die Todesursache in einem wichtigen Falle im Unklaren ist, so richtet man erst die Leiche her, d. h. wäscht sie, hüllt sie in neue Stoffe und legt sie auf die einfache, ohne Füße, wie eine simple Steintrage aus Baumstämmchen zusammengebundene Bahre. Vom Tode bis zur Bestattung soll nicht mehr vergehen als eine Zeitspanne von sieben Tagen. Also ist nicht viel Zeit zu verlieren - denn die Auskunft über die Todesursache wird zuweilen weit hergeholt. Es werden vier noch nicht beschnittene Kinder, zwei Knaben und zwei Mädchen, mit einer Kalebasse voll Reisballen und einer Kalebasse mit achtzig Kauris ausgerüstet. Mit diesen beiden Kürbisschalen müssen sie ziemlich oft sehr weit fortgehen, nämlich bis zu einem Dorfe, zu dem man in keinerlei



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Beziehung steht, von dessen Bewohnerschaft also keinerlei Drehung der Tatsache oder Verunklärung der erbetenen Orakeisprüche zu erwarten ist. In diesem Dorfe müssen dann die Kundigen das Erd. orakel nach der Todesursache befragen. Die Antwort ist dann z. B.: "Es sind die Längstverstorbenen, die den Toten gerufen haben," oder "es war ein Lu (= Zauber) daran schuld." Oder: "Das hat ein Vampyrmensch verbrochen" usw. Dazu kommt aber gewöhnlich noch mancherlei andere Prophezeiung, daß es nämlich der Gemeinde, die die Kinder sandte, im nächsten Jahre so und so ergehen würde, daß die Gemeinde das und das erleben würde usw. Mit dem Bescheide kehren die Kinder zurück und nun mögen die guten Dörfler sehen, was sie machen.

Jedenfalls wird nun der Tote schleunigst zur letzten Ruhe gebracht. Bis vor nicht allzu langer Zeit haben alle Gebirgstommo ihre hervorragenden Toten in besonderen, mehr oder weniger fest verschlossenen, vermauerten Grabhöhlen untergebracht. Die unwesentlichsten Toten wurden wohl einfach verscharrt. Als die Fulbe unter Hadj Omar die Oberhand gewannen, verboten sie das Beisetzen in Höhlen und zwangen die Tommo zur Erdhöhlenverscharrung. Doch gelang das Durchführen des Gebotes nicht überall, an vielen Orten sind die Tommo heute wieder zur Höhlenbeisetzung zurückgekehrt, an vielen Orten ist in dieser Sittenausführung wohl nie eine Pause eingetreten. Die Art der Grabhöhlen war wohl immer recht abweichend und entsprechend den Höhlenformen, die die Natur bot. In einigen Gegenden gibt es nur sehr flache Felsspalten zwischen den einzelnen Schichten. Solche traf ich in Songo und Tonio. Sie boten nicht genug Raum, um mehr tun zu können, als den Toten hineinzuschieben und darauf den Spalt außen zu vermauern. Andere Höhlen, wie zumal die im Totental bei Kani Bonso, sind mehrere Meter hoch. Darin wurden runde Türme aufgemauert, die 2-4 m im Durchmesser hatten und in der natürlichen Deckenhöhe zwischen Mannshohe und 3 m schwankten. Auf die Art, wie darin beigesetzt wurde, werde ich sogleich zu sprechen kommen. —Wieder andere Höhlen hatten eine Sohle mit Erdreich. So soll bei Kani Bonso eine große Grabhöhle existieren, in der man die Toten im Erdreich eingrub, d. h. die Toten wurden aber vorher in Ochsenfell gehüllt und es wurde zu dem Zwecke extra ein Stier getötet. Das soll nicht mehr vorkommen. — Die Höhle wurde mir verheimlicht.

Man trug den Toten auf der oben beschriebenen einfachen Bahre zur Hohle. Jede Grabkammer hatte eine kleine Türe, die nur locker mit einigen großen Felsblöcken verschlossen war. Der Eingang war nicht größer, als daß ein Mann mühsam, gebückt in das Innere schlüpfen konnte. Der Mann, der es übernahm, den Verstorbenen



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hineinzubringen, wurde für diese Arbeit reich bezahlt. Der enge Raum in dem Grabtürmchen machte es unmöglich, unter den früher Verstorbenen besondere Ordnung zu halten. Man schob das Gerippe der früher Beigesetzten, wenn die Verwesung vollendet war, einfach nach hinten. So schichtete sich im Hintergrunde die Masse der Knochen wie ein kleiner Wall auf. War der zuletzt Beigesetzte noch nicht vollkommen verwest, so legte man den jetzt hinzukommenden Leichnam auf den vorletzten und beide waren nun nur durch die Leichentücher getrennt. In einer älteren Periode müssen die Toten übrigens in Rohrgeflechte, in Matten eingehüllt gewesen sein, wie sie heute im Lande selbst nicht mehr vorkommen und nur für teueres Geld aus dem Sikassogebiet beschafft werden können. Ich fand solche in alten Grabtürmen von Kani Bonso, im übrigen auch noch kleine Nackenstützen, wie sie auch nicht mehr hergestellt werden, und endlich ein zierliches Modell von Hose und Mütze. Sonst waren nur kleine Töpfchen, das übliche Leichentuch und weiter keinerlei Grabbeigaben festzustellen. Der Tote ward ausgestreckt quer vor dem Skelettwall direkt am Eingange hingelegt. Darauf schloß man die Höhle, wusch sich in einem großen Topfe die Hände und den Körper, stülpte den Topf um, schlug in den Boden ein kleines Loch und verließ die Höhle und den Grabturm.

Es wurde mir mehrfach ausdrücklich gesagt, daß in diesem Grabturme nur sehr angesehene Leute, zumeist Lagamwe und Ogongwe, nie aber gleichgültige Menschen Aufnahme gefunden hätten. Nach einer bestimmten Richtung hat man in den von mir untersuchten Gegenden die Toten nicht gelegt, sondern sich immer danach gerichtet, wie die dem Höhlenraume entsprechend angelegten Grabkammern es verlangten. Wenn der Wall von Skeletteilen im Hintergrunde allzu mächtig anschwoll, schloß man die Grabkammern für immer, und wenn man nun noch Opfer für die darin wohnenden Toten niederlegte, so geschah das vor dem Eingange.

Eines sei noch erwähnt: Dem Erben des Toten der heutigen Zeit, d. h. (wenn ein solcher noch vorhanden ist) seinem Bruder, aber sonst dem ältesten Sohn des ältesten Bruders wurde eine gewisse Verantwortung für Totenopferung zugeschoben. Aber auch die Kinder des Toten gedenken am Totenfeste opfernd des Vaters.


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