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Kapitel 

SPIELMANNS GESCHICHTEN DER SAHEL

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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MIT EINER KARTE DER SAHARA UND

EINER BILDERTAFEL / TITEL- UND

EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

Lagam, Ackerordnung, Vampyre

Der zweite hohe Würdenträger der Tommogemeinden ist durchaus geistiger Natur, es ist der Lagam (Plural: lagamwe). Der Lagam entspricht allen seinen Funktionen nach den Schamanen der Mande, den Djegu-tu der Bosso. Bezeichnend ist schon die Art, wie der Lagam zu seiner Würde kommt. Ich folge den sehr klaren Berichten der Eingeborenen von Songo, Dogo, Kani, Bandiangara, Bankassi.

Die Investitur des Lagam hängt von der Gewinnung eines alten Haisgeschmeides ab, das aus Stein-, Schnecken- und Porzellanperlen besteht. Die ich sah, waren fraklos Perlen sehr hohen Alters, aus Karneol, aus Glas (innen rot, außen weiß mit abwechselnd roten und blauen Streifen, dick, kurz, walzenförmig, grün und weiß längsgestreift). Jeder Lagam hat ein solches Geschmeide und wenn er sein Ende kommen sieht, muß er die letzte Kraft verwenden, es in die Felsen zu tragen und so zu verstecken und mit Steinen zu verbergen, daß es niemand findet. Ist er gestorben, so bleibt die Gemeinde, ja die ganze Gegend, oft Dezennien lang ohne Lagam.

Eines Tages nun gerät irgendein (gewöhnlich sehr junger aber ebenso begabter) Bursche in eine gewisse, religiöse Raserei. Er benimmt sich wie ein Wahnsinniger, jagt durch das Dorf, schreit, gestikuliert wild - stürmt auf den Felsenberg, springt wie ein Verrückter tollkühn über weite Spalten, klimmt mit affenartigem Geschick senkrechte Felswände empor und stürzt sich von hohen Bäumen herab. Wenn die Dörfler ein solches wildes Geschöpf sehen, sagen sie: "Der Mann sucht die Dugo." Dugo sind jene Geschmeideperlen, deren Auffindung den Mann zum Lagam machen. Ohne sie kein Lagam! Eines Tages hat der Mann den Sieg gewonnen. Er stürmt in das Dorf, ruft die Leute nach irgendeiner Stelle, fordert sie auf, die Hacken zu bringen und bis zu einer Tiefe, die er angibt, nachzugraben. Und richtig! Da unten finden sie einen Topf und in dem Topf die Dugo. — Der junge Mann ist Lagam.

Meist und den meisten genügt das. Gewöhnlich hört damit der



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Wahnsinnszustand auf. Aber einige wollen mehr. Sie stürzen wieder fort in die Felswände. Sie klimmen, nun geschützt durch die umgehängten Dugogeschmeide in den Schluchten umher, fangen eine Schlange und schlingen sie um den Leib -wie einen Gurt. So kehren sie ins Dorf zurück. Wieder andere belegen die neu gewonnene Kraft damit, daß sie mitten in der schlimmsten Dürre der Trockenzeit jungen Mais und junges Hirsekorn beibringen. Das sind dann die höchsten Zeichen des Triumphes.

Ist derart ein neuer, junger Lagam gewonnen, so entsteht unter den Dörflern große Freude. Denn der Lagam ist wie ein hoher Priester, der für gute Ernte sorgen kann und gute Sicherheit bietet und in diesen Ländern, in denen nicht allzu selten Hungerjahre die Folgen allzu längerer Dürren sind, spielt die Sorge um das herbstliche Brotkorn eine hervorragende Rolle. Sogleich, nachdem der neue Lagam entdeckt ward, wird ihm ein schönes, neues Gehöft mit reichlichem Raum für Vieh und eine gute Zahl großer Speicher errichtet. Von nun an fallen ihm alle Erstlinge zu: das von einer Kuh erstgeworfene männliche Kalb, das erste Böcklein, die erste Feldfrucht usw.

Ein- oder zweimal im Jahre hält der Lagam eine große Versammlung ab. Dann sitzt alles um ihn, und Amiru wie Ogong, sowie alle Angrangwe spielen keine Rolle neben seiner Würde. Dann tanzt er. Ich sah solchen Lagamtanz in Dogo. Der Lagam trug eine rote Mütze und war in einen weiten, blauen Burnus gehüllt. Er hatte am Daumen einen Eisenspannring und zwischen den Fingern hielt er das glockenartig zusammengebogene Eisenblech. Einige Trommler gaben den Takt. Der Lagam starrte gen Himmel. Er starrte zur Erde. Dann schüttelte er, kopfschüttelnd und stampfend den Körper und brummte ein dumpfes wuwu-wuwu. Dann raste er umher wie in hypnotischer Weltverlorenheit und endlich warf er den Burnus ab, kam auf mich zu, umarmte mich, zeigte auf die Sonne, und murmelte: "Siehst du das Blut, das neben der Sonne herabtropft ?" Alle Anwesenden waren befangen und schienen tief erfüllt von dem mystischen Sinne, der aus diesen prophetischen Worten sprach. Denn was der Lagam gelegentlich solcher phantastischen Tänze spricht, ist goldwertige Prophezeiung. Er sagt alles vorher, was im kommenden Jahre geschehen wird. Er ist eben Schamane.

Seine Würde ist so groß, daß alle Morgen sämtliche Alten des Dorfes in sein Gehöft kommen, um ihm ehrerbietigen Gruß zu entbieten. Nicht selten ist der eigene Vater des Lagam unter den Devoten.

Das große Zaubermittel (Lu) des Lagam heißt Buna; ich habe über seine Eigenart nichts anderes erfahren, als daß er sehr schlimm ist, und über andere Dörfer oft schweres Unglück bringen kann.



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Der große, öffentliche Diener des Lagam ist der Lagam-Sciendabanga. An einigen Orten soll er auch Keddi heißen, weil er das Scienda-baga, das "heilige" Messer (= scienda) des Lagam trägt. Denn Lagam und Ogong haben jeder ein besonderes, eigenartiges Messer und mit keinem anderen Gerät essen sie und teilen sie ihre Fleischspeisen. An einigen Orten soll der Lagam auch ein Szepter haben, das Lagam-mbaga. Aber man legt dem keinen besonderen Wert bei und es spielt jedenfalls nur eine Ogongsitten imitierende Rolle.

Zwei große Aufgaben hat der Lagam. Einmal sorgt er für die Ernte, zum anderen hält er das Land frei von Vampyrgeistern; der Ogong-kanda führt diese letztere Aufgabe wohl nur dann aus, wenn es keinen Lagam in der Gegend gibt.

Widmen wir bei dieser Gelegenheit den Vampyrmenschen einige Worte:

Der Vampyrmensch (= subaga bei den zentralen Mande) heißt dudugung, Plural: dudugungwe. Die Dudugungwe bilden zusammen eine Gemeinschaft, Genossenschaft, Gesellschaft. Wer eintreten und an ihren gemeingefährlichen Orgien teilnehmen will, muß Mitglied der Gesellschaft werden, zahlt hierfür und wird in alle Kunstgriffe eingeweiht. Einige erzielen die Kenntnis durch Vater oder Mutter, andere müssen unter den Dudugungwe Freunde zu gewinnen suchen. Es gibt zwei Arten des Vorgehens: Einige Dudugungwe gehen nachts darauf aus, das Blut der Opfer zu schlürfen. Sie springen als Feuerfunken (Feuer = nja; bei einigen Gebirgsstämmen nie) in das Haus, oder sie gehen durch eine Hausecke, nie durch die Tür hinein. Oft sind es viele, die gemeinsam so einbrechen und über das Opfer herfallen, Männer und Frauen; dann schlürfen sie den roten Lebenssaft.

Die zweite Art der Dudugungwe beschäftigt sich damit, die Kinde oder Negenkinde (nege = Mensch), d. h. die Schatten des Menschen wegzufangen. Diese machen sich meist als Reisegenossenschaft auf den Weg, lagern an der Straße, überfallen Ahnungslose, rauben den Schatten. Um das zu vermögen, muß man allerdings irgendwelche Bestandteile aus alten Gräbern, der Nunguna, das sind die Längstverstorbenen, ausgescharrt haben. Dumme und unbegabte Wanderer sind leicht von einem einzelnen zu bewältigen. Aber um kluge, erfahrene Leute, Weise ihres Schattens zu berauben, dazu gehört schon eine ganze Gruppe von Dudugungwe. — Das seines Schattens oder seines Lebensblutes beraubte Individuum welkt zuweilen innerhalb weniger Tage, zuweilen nach langer Zeit dahin. Schwach, krank, freudlos verkommt es.

Noch eine Sorte von üblen Vampyrgeschöpfen soll es geben. Die suchen Haare, Fingernägelabschnitte, Kleider des Opfers zu ergattern.



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Die werden mit Zaubermitteln gemengt vergraben und so den früheren Besitzern das Lebensmark gestohlen. Ich glaube aber nicht, daß man diese Sorte von Zauberwesen mit Recht als Dudugungwe bezeichnet. Das sind wohl mehr gemeine Zauberer eigentlich fremder Art.

Gegen all dies Gesindel schützt man sich mit Daura-Daurani, d. i. eine Art von Amulettanstrich oder Zaubermittel, und dann soll es noch ein Tiua genanntes Medikament geben, das wie eine Schlingenfalle die Dudugungwe stellt.

Hat man den Verdacht, daß irgendwo solches Individuum sein Unwesen treibt, oder wird irgend jemand im Wortstreit als "Dudugung" bezeichnet, so tritt der Spruch in Kraft: "Buna njama," d. h. "wir wollen schwören." Der Beschuldigte wird zum Lagam gebracht. Der Lagam reicht ihm den Dudama-Trank, den Giftbecher. Der Beschuldigte muß trinken. (Gifttrank bei Bammana und Malinke =sengi.) Wer den Trank erbricht, hat seine Unschuld bewiesen. Wer ihn bei sich behält, stirbt. Es war solch ein böses Individuum, und der Lagam hat das Recht, all seinen Besitz für sich in Anspruch zu nehmen.

Die erste Aufgabe des Lagam war die Prophezeiung, die zweite die Fehde gegen die Dudugungwe. Die dritte ist die Überwachung der Ackeropfer. Es kann keine Ackerarbeit ohne Genehmigung des Lagam begonnen werden. Der Lagam gibt im Beginn der Regenzeit, seinen eigenen prophetischen Wahrnehmungen entsprechend, die Anordnung zum Schlachten der Opfertiere, dann zum Aufreißen des Bodens. Kein Mensch, kein Weib darf vor seiner Willensverkündigung Hand an die Hacke legen. Ebenso ist es im Herbst. Er gibt den Befehl zum Opfern des notwendigen kleinen oder großen Getiers, dann zum Brechen der Kornhalme. Es ist alles Ackergerät unter seiner Oberleitung und niemand wird gegen seinen Willen handeln.


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