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Kapitel 

SPIELMANNS GESCHICHTEN DER SAHEL

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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MIT EINER KARTE DER SAHARA UND

EINER BILDERTAFEL / TITEL- UND

EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

Ogong

Zum ersten Male, seit dem Verlassen der Zentralmande, traf ich auf Beamte und Angestellte der Ortschaft, deren Stellung mit dem Gesamtbau dieser sozialen Bildungen sehr schwer in Einklang zu bringen war. Diese Ogongwe sind im Volksglauben von einer für Neger durchaus bemerkenswerten Atmosphäre von Verehrungsgefühlen umgeben. Man hält viel von ihnen, traut ihnen ungewöhnlich tiefe Weisheit zu, glaubt auch an die Kraft einiger Zaubermittel, die sie besitzen und verwalten, aber mit dieser Angabe ist auch alles gegeben, was man sagen kann und darf.

Die Ogongwe sind vor allen Dingen die Richter des Ortes resp. Bezirkes. Ihre Funktion als Richter ist vielleicht mit einem gewissen Heiligenschleier geschmückt, aber immerhin ist doch der trockene Richterberuf die solide Grundlage ihres Daseins. Aus dem Richterspruche, den er fällt, erwächst ihm auch seine wichtigste Einnahmequelle. Wenn einer den anderen im Streite erschlug, so kommt er z. B. zum Ogong. Der läßt sich den Vorgang schildern. Er verurteilt den Totschläger zu einer höheren oder niederen Bußezahlung, die der Sippe des Getöteten zufällt - er selbst aber zieht für den Richterspruch von dem Totschläger ein: ein Schaf, 20 Mullen Korn, 1200 Kauri (in Wahrheit aber nur 960, da 8o als 100 gelten). Der verurteilte Dieb zahlt an den Ogong 10 Mullen Korn, 5000 (in Wahrheit 4200) Kauri, der Ehebrecher 2500 (= 2000) Kauri usw. Wenn ein Kind ein Pferd bestieg und das Pferd wild ward und das Kind tötete, so gehört nach dem Richterspruche das Pferd dem Ogong. Wir sehen, es ist eine durchaus solide, praktische Basis, auf der dieser Ogongberuf aufgebaut ist, das Grundwesen des Richtertumes. Das hat nichts zu tun mit einem Hohenpriesteramte, einer Vertreterschaft der höchsten schöpferischen Macht, einer Gottesidee, wie sie wohl bei den Mossi und nach Südosten hin vorkommt, wie sie aber jedenfalls diesen Tommo nicht eigen ist. — Ich spreche von dem "ist". Ob die Ogong-Institution von anderer Seite eingeführt wurde, und vielleicht damals andere Ideen mitbrachte, das ist eine andere Frage, zu deren Beantwortung ich nur wenig Material beizubringen vermochte. Einmal ist sicher, daß die Ogongidee nicht Mandeursprunges ist. Sie existiert weder bei Malinke noch bei Bammana. Zweitens wird der Ogong anscheinend mehreren Ortes als "Fremder" angesehen. Dann endlich ist er, wo



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Ogong und der gleich zu erwähnende Lagam gemeinsam vorkommen, dem Lagam nicht gleichgestellt, sondern mehr untergeordnet. Und der Lagam ist eine typische Mandeinstitution; der Lagam ist der Schamane kat-exochen.

Der Ogong hat sein eigenes Gehöft, das ihm von der Gemeinde errichtet wird. Häufig liegt es seitwärts der großen Ortschaft oder an besonders hervorragender Stelle. Es ist alle denkbare Sorgfalt für die Errichtung dieses Gehöftes angewendet. Die besten Balken werden zur Deckenbildung herangeschleppt. Die Tragestützen werden sorgfältig geschnitzt und mit Figuren versehen, die sich im Relief abheben. Die Darstellung von Mann und Weib spielt eine große Rolle. Fernerhin wird die Mauer mit Reliefornamenten bedeckt und zumal das Haus des verstorbenen Ogongs von Kani Kornbole war ein Museum dekorativer Kunstfertigkeit. Es waren außen Schlangen, gehörnte Tierköpfe, in Begattung begriffene Menschen, dann Strauße, Kaimane usw. zu erkennen und all dies Stuckwerk noch obendrein mit weißer und roter Färbung wirkungsvoll betont.

Der Ogong hat einen offiziellen Diener und Beamten, den Ogongkanda, der das bemerkenswerteste Würdesymbol der Institution trägt: das Ogong-mbaga; d. i. der hohe Szepterstab. Zu den wichtigsten Berufsfunktionen des Ogong-kanda gehört das Auffinden des Vampyrgeistes. Das tut der Ogong nicht selbst. — Die ganze Bedeutung der Ogongwürde kommt zur Entfaltung, wenn sich irgendwo zwei Parteien oder gar die Bewohnerschaften zweier Dörfer schlagen, wenn Kleinkrieg ausbricht. Dann schreitet der Ogongkanda unter die Kämpfenden. Er nimmt den Ogong-mbaga-Stab und stößt ihn zwischen den Kämpfenden in die Erde. Sogleich entsteht Friede und große Furcht. Denn nun liegt alle Gewalt in der Hand des hohen Richters, der die bei der Untersuchung als schuldig befundenen und besonders die, die jetzt etwa noch widerspenstig sind, einer gehörigen Strafe unterwirft. Der Ogong ist über allen Kriegen und Streitigkeiten als Friedensrichter erhaben.

Der Ogong ist - wenigstens kann das für die heutigen Süd-Tommo, die ich kennen lernte, mit Bestimmtheit versichert werden — ein seiner Hauptfunktion nach rein weltlicher Beamter. Daneben aber liegen verschiedene Zeremoniale, Kuithandlungen usw. in seinen Händen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß derartige religiöse Funktionen mit seinem Ursprunge verwachsen sind.

Die beiden Lu (= Zaubermittel) des Ogong sind Laewe und Amba-kenje. Die Frau des Ogong, die Ogong-nja, verwaltet den Dienst der Gobunafigur. Über alles das weiter unten gelegentlich der Schilderung der religiösen Verhältnisse (S. 275 ff.).

Charakteristisch für die Weltlichkeit der Ogongwürde ist die Tatsache, daß sie erblich ist. Wenn der alte Ogong gestorben ist und



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seine feierliche Beisetzung erfolgt, pflegt ein Sohn oder irgendein anderes Familienmitglied den Richter zu vertreten. Es tritt ein Interregnum von drei Jahren ein. Erst nach dieser Zeit, also drei Jahre nachdem der alte Ogong starb, wird der neue in sein Amt eingesetzt. Es muß schon ein ziemlich gravierender Mißbrauch der Amtsgewalt stattgefunden haben, wenn der erbliche Stellvertreter nicht der richtige Nachfolger wird. Derart bleibt dieses Amt immer in der gleichen Familie.


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