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Kapitel 

SPIELMANNS GESCHICHTEN DER SAHEL

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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MIT EINER KARTE DER SAHARA UND

EINER BILDERTAFEL / TITEL- UND

EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

Sozialer Bau: Kasten, Altersklassen usw.

Auch im sozialen Bau der Tommokultur Südmassinas erkennen wir viele Symptome durch gemeinsames Schicksal und Verschlagung herbeigeführten innerer Homogenisierung. Das Diamu existiert und hat den Namen Tiga. Des weiteren finden wir das Kastenwesen. Kaste heißt togu (Plural: toguna wui). Der Beweis der Homogenisierung liegt aber schon in der Tatsache, daß die verschiedenen Kasten nicht verschiedene Diamu haben. In einem Orte sind z. B. nur Togo. Alle Kasten führen den Stammesnamen Togo; es gibt z. B. Vornehme, die Togo sind, Schmiede, die Togo sind, Spielleute, die Togo sind usw. In einem anderen Orte sind nur Gindo. Da haben wir Gindoedele, Gindoschmiede, Gindospielleute usw. Dabei wird die Kastenreinheit aufrechterhalten und Schmiede heiraten Schmiedemädchen, Vornehme Adelstöchter usw. Da nun alle diese Stämme und Völker mit prompter Sicherheit angeben, daß sie aus Mande stammen, und da wir den sozialen Bau der anderen Mande sehr wohl zu durchschauen vermögen, so spricht daraus die Tatsache, daß die Tommo ihre alten Diamunamen eingebüßt und andere mehrere oder alle Kasten umfassende Namen erhalten haben.



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Die Tommo haben fünf Kasten, nämlich:

I Die Vornehmen (Sing.: koromai; Plural: koromaing-we),

2. Hörige (Sing.: urussu; Plural: urussum-we),

3. Schmiede (Sing.: djeme-ae; Plural: djenne-we),

4. Freie (?) Spielleute (Sing.: gong; Plural: gong-we),

5. Unfreie (?) Spielleute (Sing.: djong; Plural: djong-we).

Dazu habe ich verschiedenes zu bemerken. Zunächst ist mir der Unterschied der Gongwe und der Djongwe nicht ganz klar geworden. Sicher ist, daß die Djongwe den Diawando der Fulbe, den Bangaro der Mossi, den Djogorame (Malinkebezeichnung) in Kaarta entsprechen. Diese Diawando gelten überall als Fulbeverwandte. Aber den Fulbe ist der Beischlaf mit einem Diawandomädchen streng untersagt. Die Djongwe, d. h. also, die Diawando der Tommo haben im Gegensatz zu jenen keine besonderen Begräbnisstätten, wenn es auch überall sonst Sitte ist, daß die Diawando weit ab vom Dorfe, zuweilen in hohlen Bäumen, begraben werden. Die Djongwe sind übrigens auch Boten; sie überbringen die Botschaften der Wohlhabenden. Ob die Bezeichnung "unfreie" Spielleute ganz richtig ist, weiß ich nicht, jedenfalls sind sie weit abhängiger als die Gongwe. Die Gongwe ihrerseits sind nicht nur Spielleute und werden auch nicht zum Botendienst verwendet. Sie sind auch die Lederarbeiter im Lande und entsprechen in diesem Sinne durchaus den Spielleuten in Konian, Torong usw. (den Garasa), die ja ebenfalls der Lederarbeit obliegen (S. 51). Auch sind die Gongwe vielmehr Dialli als die Djongwe. Sie sind nämlich die Bewahrer und Kenner der alten Traditionen und Gesänge, während die Spielmannskunst der Djongwe sich mehr auf Vergnüglichkeit, Unterhaltung usw. bezieht.

Die Urussumwe entsprechen durchaus den Ulussu der Mande, den Irimaibe (Sing.: Dimadio) der Fulbe Massinas. Es sind Hörige, deren Abhängigkeit nicht sehr groß ist und die man auf keinen Fall als Sklaven bezeichnen darf. Wenn ein Urussu sich freikaufen will, so muß er 160000 Kauri beibringen. Da 1000 Kauri = I Fr. oder 8o Pf. sind, so ist das eine Summe von ca. 160 Fr. oder 130 M. Diese Summe wird verteilt wie bei den Mande an Fremde, Spielleute, Schmiede usw., und nur der kleinste Teil fließt in die Tasche der früheren Herren. — Die Urussumwe führen auch die Diamunamen ihres Herrn, d. h. also der Familie ihres Herrn oder Erzeugers; denn auch hier gelten die Urussu sowohl als Sprossen der Vornehmen mit Unterworfenen, d. h. nicht persönlich, sondern der Abstammung nach als auch als eigentliche Urbewohner.

Sklaven gibt es. Sie heißen Ngunawe (Sing.: nguna). Sie gelten aber nicht als besondere Kaste. Die Schmiede, die auch Holzarbeiter



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sind, haben eine angenehmere Stellung als bei den zentralen Mande. Sie sind auch weniger gefürchtet als die Numu, da mit dem Aufhören der Übergewalt des Bundes und mit der höheren Entwicklung der Schamanengewalt ihre Macht vermindert wurde. — Auch hier wird jedoch vielfach beim Einbringen der Ernte eine kleine Abgabe den Schmieden überwiesen, "weil sie das Ackergerät herstellen".

Der Alterseinfluß der männlichen Tommo ist nach folgenden drei Klassen geordnet:

I Die unbeschnittenen Knaben: insinsin-we (Sing.: insin-si),

2. die beschnittenen Burschen, d. h. also die Jünglinge: jan-we (Sing.: ja),

3. die jungen Ehemänner: sagatra-we (Sing.: sagatra),

4. die alten Familienältesten, Hofherren: angrang-we (Sing.: angrang).

Aber diesem wohlerhaltenen Altersklassensystem entspricht nicht mehr eine leicht durchsichtige Bundesorganisation, wie sie bei den Malinke, Bammana und Bosso so voll und klar erhalten ist. Ich erwähnte oben den Sanakurre, den Knabenbund, der dem Sinne und Wesen der Tombo-kung fast vollkommen entspricht. Aber mit dieser Analogie ist die Summe der absoluten Übereinstimmungen erschöpft.

Die zweite und dritte Altersschicht hat auch ihre Bund- und Maskenzeremonien: Lasuga und Aja-kaja. Es soll das, was ich davon sah und erfuhr, hier gleich beigebracht werden, betone aber ausdrücklich, daß es nur Bruchstücke sind. Die Mangelhaftigkeit der Mitteilungen in diesem Punkte beruht nicht etwa nur in der lokalen Schwierigkeit, in die Materie einzudringen. Diese Mangelhaftigkeit hat noch zwei andere Gründe. Einmal ist das Wesen dieser Maskeraden fraglos im Zustande der Degeneration. Zum zweiten ist durch die Einwirkung der benachbarten Mossikultur eine Sittenverwirrung und eine Verunklärung herbeigeführt, die erst dann ein wenig zu beheben sein wird, wenn diese sog. Mossikultur resp. ihre alten Grundlagen durchleuchtet sind. Der Beweis der Mossieinwirkung kann heute schon in sehr einfacher Weise gegeben werden. Die Holzmasken der Lasuga werden anders getragen als die der Mande; es sind nämlich ziemlich tief ausgeschälte Vorlegemasken, durch deren Unterquerungsteil ein Stab geführt ist, den der Maskentänzer in den Mund nimmt, wie das Reitpferd die Kandare. Diese Art zu tragen ist aber die der Mossi. Auch der hohe Aufbau der Tangamaske erinnert sehr an die hohen Stäbe der Mossimasken, die ich in Jatenga entdeckte. Gleichermaßen ist das mit der Gesichtsausschalung der Uaumasken (den Büffelkopfformen) der Fall, die hier rechteckig und bei Mossimasken spitzoval sind und endlich



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stimmt der Band- oder Stricktypus der Lasuga-nja-Maske genau mit dem Hinterkopfstrickwerk der Mossimasken überein.

Vor allen Dingen aber muß es sogleich auffallen, daß bei den Tänzen der Tommo-Maskierten die Frauen zuschauen dürfen, was bei den heiligen Maskenzeremonien der zentralen Mande nie der Fall ist, aber sowohl bei Mossi beobachtet wird, als beim Tschiwarra und Sugunikong, der östlichen Mande üblich ist. Das heißt also, wir haben schon ganz äußerlich genommen eine große Reihe von Symptomen die belegen, daß die Tommomaskensitten mehr den östlichen Erscheinungen zuneigen als den strengen, westlichen Bundformen der Zentral-Mande. Bei derartigem Tatbestande wird man es aber wohl als berechtigt anerkennen, wenn die Identität der Bundorganisationen bei Tommo einerseits und Malinke nebst Westbammana andererseits angezweifelt wird.

Der Leutnant Despiagnes hat aus seiner "Habbe-Arbeit" eine geistreiche Hypothese, die Maskierten betreffend, unterbreitet, die leider vorschnell ausgesprochen und vor allen Dingen oberflächlich und verfehlt ist. Er sieht in den "Nabadji" die symbolischen Totentänze der Antilopen, Vögel, der Pflanzenkonföderationen usw. Ich habe viel Mühe daran gewendet, dieser Idee nachzugehen und kann sie hart zurückweisen. Der Autor geht von verfehlten linguistischen Definitionen aus. Er wirft die Sprachen der Fulbe und Tommo-Habbe mit Taschenspielergeschicklichkeit durcheinander. Nabadji ist kein Tommo-, sondern ein Fulbewort. Die Antilopen sind keine Antilopen, sondern wilde Büffel usw.

Soviel ist sicher: Wir haben im südlichen Tommolande heute keine Bünde mehr, die einen bemerkenswerteren, sozialen Einfluß ausüben. Es sind Zeremonialtänze. Aber es ist nicht zu verkennen, daß in diesem Zeremonial noch mancherlei Motiv enthalten ist, das aus dem Bereiche der Zentralmande mit hinüber ins Habbeland geflüchtet ist. Über die Masken und Tänze nachher. Hier nur soviel: Man sagt, daß die Ausführung in den Händen der zweiten und dritten Altersklasse liegt. Ich sah aber, daß die Alten die Anordnung gaben.

Die Klasse der Alten, die Angrang-we, regieren überhaupt das Dorf. Auch hier muß ich mich wieder gegen die Ausführungen Despiagnes wenden. Er spricht vielfach von den "Anna-gara" und legt dieser Institution große Bedeutung bei. In Wahrheit heißt die Gruppe der regierenden Alten angrang-we im Plural; angrang im Singular. Es kann sich nur um ein "Verhören", um ein Mißverständnis handeln. Das Wort Anna kommt im Tommo vor und heißt soviel wie Held, Tapferer, entspricht also den Sagate der Fulbe und dem Nganna oder Ganna der Mande. Man verwendet es aber nicht mit dem Adjektiv ngara oder gara zusammen, wenigstens im allgemeinen



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nicht. Wäre das der Fall, so hieße Anna gara =große Heiden; oder vielmehr großer Held. Zweitens hört man das Wort anna sehr häufig im Tommolande in anderem Sinne gebraucht, nämlich als Bezeichnung der "Herkunft aus", des "Vorhandenseins in". Z.B. Anna Bankassi, d. h. "es gibt in Bankassi". Dann entspricht das Wort dem abe der Malinke, dem aye der Bammana, dem yako der Tommo. Im Malinke heißt z. B. "Cissé abe Bamako": "Es gibt Hühner in Bamako." Anna in dieser Verwendung kommt bei den Tommo vor, ist aber wieder Fulbeursprunges. Wiederum eine andere Möglichkeit ist, daß Despiagnes sich verhört hat, wie ihm das oft zugestoßen ist, und daß man von anda gara, d. h. großem Dorfe (anda sinsinko kleines Dorf, anda koro oder gina koro = altes Dorf) sprach. — Nach der Verwendung, die Despiagnes im allgemeinen hat, glaube ich allerdings, daß er das zu seinen Hypothesen geeignete Wort Anna Gara oder Anda Gara einmal notierte und dann für Angrang anwendete. Auf keinen Fall bedeutet Anna gara bei den Südtommo aber etwas wie die Roten vom Stamme der Anna. Die "Anna" als Stamm gibt es nicht und rote Leute (z. B. Fulbe, also der Hautfarbe entsprechend), heißt nege-baung (schwarze Leute = nege geung, weiße =nege-mpi. Nege oder nenge =Leute).

Diese Angrang-we sind bei den Tommo Südmassinas die wirklichen Herren und ihre Gemeinsamkeit äußert und ordnet den Dorfwillen in allem, was innere und äußere Politik anbelangt. Es gibt überall einen Anda-amiru, einen Dorfhäuptling, dessen Amt erblich ist; aber der Anda amiru ist nichts anderes als der Vollzieher des Willens der Alten, der Angrang und außerdem der Ortsrepräsentant. Wenn irgendwo, so herrscht gerade bei den Tommo die Altersklasse des Angrang und dem Dorfhäuptling fallen sehr wenige Rechte zu. Er beordert, wenn Fremde kommen, die Speisen usw., er nimmt das, was die Familienalten übersenden, in Empfang, er bringt es an die richtige Adresse, nimmt das Gegengeschenk dafür in Empfang und verteilt es unter die Speiselieferanten. Solcher Art sind seine Amtsgeschäfte. Sehr selten erreicht ein Amiru eine höhere Machtstufe. Wenn das aber geschieht, d. h. wenn er den Widerstand der Alten zu brechen weiß, und das eine oder andere Nachbardorf erobert, dann kann er es allerdings zum Fanga-ma, oder Panga-ma, zum Könige bringen. Das geschieht aber sehr, sehr selten und der neue König wird sich beeilen, den Frieden mit den Alten zu schließen, um nicht seine eigene Existenz ständig gefährdet zu sehen. Aber lange währt solch ein kleines Königreichlein im Berglande nicht. Wenn der kluge und tapfere Gründer stirbt, werden seine Nachkommen sehr bald abgesetzt oder wieder zum einfachen Amirutume heruntergedrückt. (In Homburi, wo ich nicht war, scheint das Königstum früher wuchtiger gewesen zu sein.)



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Es gibt aber in allen Tommobezirken einen Beamten, der ist unendlich viel machtvoller als der Amiru, d. i. der Hogon oder Ogong, dem wir uns nun zuwenden. Mein Vorgänger hat von ihm vieles Richtige aber noch mehr Unstimmiges gesagt.


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