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Kapitel 

SPIELMANNS GESCHICHTEN DER SAHEL

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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MIT EINER KARTE DER SAHARA UND

EINER BILDERTAFEL / TITEL- UND

EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

Liebesleben. Werbung. Ehe

Aus dem Mandegebiet kommend, erreichen wir bei den Tommo eine wichtige Sitten- und Anschauungsgrenze. Bei den Mande ist für das weibliche Geschlecht Einhalten der Sittenreinheit strengstes Gesetz. Wehe dem Mädchen, das bei den zentralen Mande vor der Ehe beim Beischlaf ertappt oder dessen Versündigung in diesem Sinne bei der Eheschließung offenbar wird! Sie verliert alle Achtung der Mitwelt und wird zunächst, wenn ihre "Schlechtigkeit" bekannt wird, weniger geachtet, wie die üblichen Ortshuren. Dagegen scheint das Geschlechtsleben der verheirateten Frauen weniger streng überwacht und beurteilt zu werden, und z. B. in Konian und Bate geht manche Frau mit Wissen des Mannes mit einem Freunde auf "Geschäftsreisen".

Genau umgekehrt bei den Tommo. Das Tommomädchen ist frei. (die Mädchen -jnjewe). Es kann über seinen Körper nach eigenem Wohlgefallen verfügen und sich einem Geliebten hingeben, ohne daß dadurch ihre Ehre geschädigt werde. Ja, es wird sogar versichert, daß das Mädchen, das ein von einem Geliebten gezeugtes Kind mit in die Ehe bringt, als Gattin mehr erstrebt, mehr geschätzt und geachtet wird, als eine, die keine Belege ihrer Liebeskunst und Fruchtbarkeit aufweisen kann. Ich glaube, daß das wahr ist, denn solche Anschauung finden wir in dieser Form des Sittengesetzes, das auf Mädchenfreiheit und Frauenkeuschhejt hält, häufig. Ein kleines Tommomädchen hat es in dieser Richtung sehr gut. Es braucht nicht einmal darauf zu warten, daß der Geliebte sich ihm nähert. Es kann und darf sehr wohl ihm seine Gefühle, Wünsche und Hoffnungen bekanntgeben.



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Ist ein Mädchen verliebt, so offenbart sie das entweder einem Freunde des betreffenden Jünglings oder Mannes oder dem Gong (Spielmann) der Familie und sendet derart eine Nachricht an den Geliebten. Häufig fügt es der Botschaft eine kleine Aufmerksamkeit bei, etwas guten Tabak, Kolanüsse oder derartiges. Nie aber wendet es sich an den Geliebten selbst. Bringt er der Maid gleiche Empfindungen entgegen, so ist eine Einigung bald erzielt. Das Beilager findet auch in solchem Falle niemals im Busch, sondern stets im Dorfe statt. Allerdings geht die Harmlosigkeit nicht so weit, daß die Verliebten sich dem Minnespiel im Elternhause hingeben. Man findet stets Unterschlupf bei einer Freundin, im Sklavengehöft oder in sonst einem leichtzugänglichen Hause und da wird die Tändelnacht vergnügt und genußreich verbracht und so oft wiederholt, bis Sättigung eintritt. Das Mädchen beginnt solche Scherze früh, oft schon vor der Beschneidung, sicher aber mit dem 12. oder 13. Jahre. Es ist seine glücklichste Lebenszeit, bedeutet die schönste Erinnerung für das Alter - denn mit der Ehe hat die "Liebe" bei den Tommo, wie wir gleich sehen werden, nichts zu tun.

Der Gedanke der Familiengründung ist auch den Tommojünglingen ernst. Auch hier spielt der Begriff der Familie, der Meowenatu, in die nur die Verwandten der Vaterseite gerechnet werden und in der die Mutterlinie auch hier kein Wort mitzureden hat, eine große Rolle. Aber immerhin: mit den zentralen Mande verglichen, ist dies ganze Wesen doch fast charakterlos. Niemals wird man eine ähnliche Wucht der Sippenidee hier finden, wie z. B. bei den Bammana, bei denen diese Sippe, die patriarchalische Gruppierung und Gradierung schroff, streng, hart, unbeugsam ist wie ein spartanisches Gesetz. Das bringt die unbedingte Unterredung sämtlicher Familienhäupter und die Unfreiheit aller Sprossen mit sich. Das resultiert des ferneren aus dem viel, viel schärferen Gepräge der Kastenwirtschaft, die "Mesalliancen" schon durch die Differenzierung der Diamunamen verbindet, mit sich.

Gerade das Sippen- und Kastenwesen der Tommo ist über alle Maßen lehrreich und bezeichnend für die Verflachung und Abschleifung, die durch ein gemeinsam hartes Schicksal einem Volke zuteil wird. Diese Tommo, die Flüchtlinge aus Mande vergaßen mehr oder weniger unter dem Druck und Zwang ihrer traurigen Vergangenheit die Verschiedenartigkeit der Sippen und Kasten. Gemeinsam flohen, litten und wurden sie, was sie heute sind. Sie alle mischten sich mehr oder weniger mit dem alten Stamme, den das Tommovolk unterwarf und dem es den Lebensraum abgewann, abgewinnen mußte. Gemeinsam litten sie unter dem Andrang der Mossi und Fulbe. Sie schlossen sich auf ihren Felsennestern zusammen. Aber sie wurden kleinlich und auch einheitlich in engem



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Anschauungsmodus. Ich will es nicht entscheiden, ob die Änderung des Sittengesetzes, das heute in allen zentralen Mandeländern auf Mädchenkeuschheit lautet und bei den Tommo Mädchenfrejhejt gibt, in den heutigen Tommoländern vor sich ging, oder ob daraus eine ältere soziale Anschauung der Urmande (wenn man so will) spricht. Aber letzteres ist mir unwahrscheinlich. Denn patriarchalische Sippengruppierung und Mädchenfreiheit scheint mir überall in der Welt, d. h. in jener Kulturform, die diese Gruppierung schuf, zusammengehörig. Die geringen Mittel, die genügen, die Frau zu gewinnen, das Fehlen des eigentlichen Brautkaufes sind auffallend.

Der junge Mann, der heiraten will, sieht sich entweder im eigenen oder in einem benachbarten Orte, mit dem man nicht in Bann und Fehde lebt, nach einer Braut um. Man heiratet in eigener Kaste, und nie wird ein Vornehmer ein Schmiede- oder Spielmannsfräulein freien - wenigstens sagt man es. Bei der Wahl der Frau spricht die Liebe nicht mit. Der Freier geht darauf aus, möglichst "gute" Familie zu gewinnen, also sieht er vor allem auf die "Familie", und in zweiter Linie erst betrachtet er die eigentliche Braut. Natürlich sucht man immer möglichst weit "nach oben" zu ehelichen, und protzt damit, daß man sein Weib "aus gutem Hause" hat. Dann die Braut! Sie muß gesund und kräftig sein, muß vor allem den beiden Hauptanforderungen, die an sie in der Ehe gestellt werden, entsprechen, d. h. sie muß gute Aussicht auf Vermehrung bieten und außerdem arbeiten können.

Hat der Ehelustige ein seinen Wünschen und Hoffnungen entsprechendes Mädchen gefunden, so macht er nicht etwa eine feurige Liebeserklärung, sondern er wendet sich mit einer Gabe an die Schwiegermama. Man unterscheidet im Tommogebiete zwei Arten Kauri, eine kleine Sorte, kogo-uju, und eine große, kogo-luro genannt. Von der kleinen Art sendet er 1000 an die Schwiegermutter, die auf den schwer auszusprechenden Namen Amwanjaung hört. (Die erste Silbe könnte man statt Am oder Anno auch Auw oder Aunw schreiben. Man spreche sie recht nasal und möglichst undeutlich aus, dann stimmt es.) Also die brave Frau bekommt die 1000 Schnecken und dann weiß sie Bescheid. Sie spricht mit ihrem Manne, der spricht mit der Sippe. Niemand aber spricht mit dem Mädchen, das doch gewissermaßen Hauptwesen bei der Sache ist, oder mit dem Freier. Ist sich die Schwiegermama mit der Familie in zusagendem Sinne einig, so macht sie aus den Kauri durch Zusammenflechten eine Art Decke und das ist dann ein Schmuck für das Mädchen. Das Mädchen wird nun frisiert, bekommt den Schmuck und erfährt den Namen des Freiers. Zu sagen hat sie nichts. Sie weiß nun, daß es mit dem fröhlichen, freien Liebesleben zu Ende ist und daß jetzt der Ernst des Lebens beginnt. Vielleicht



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weint das kleine Herz einem bisherigen Geliebten nach, aber Augentränen gibt es nicht. Sie trägt den Schmuck der 1000 Schnecken. Der Freier sieht es und - nun hat er alle Geschlechtsrechte gegenüber der Braut, für die es keinen anderen Liebestraum mehr gibt, als etwa den, den sie vielleicht mit dem Freier und späteren Gatten träumt. Vielleicht! Denn die Ehe ist, wie gesagt, nicht Liebessache!

Der zu solchem Rechte gelangte Freier besucht nun dann und wann das Haus der Braut und Schwiegermutter. Wenn die kalte Jahreszeit eintritt, also im November, geht er mit den Kameraden in den Busch. Jeder sammelt ein Bündel trockenes Holz. Die Burschen bringen das der Schwiegermutter. Das Holz wird Amwatingu genannt. Tingu = Holz. Wenn die nächste Regenzeit beginnt, kommt der Freier mit seinen Kameraden zum Schwiegervater und fragt nach dem Acker. Die Burschen bestellen mit dem Schwiegervater und seinem Hausstände dessen Acker. Die Schwiegermutter sendet ihnen mittags eine Schale mit Speise, auf der ein getrockneter Fisch als Zugabe liegt. Aber der Freier und seine Genossen essen nichts davon, denn sie sind keine "Tagelöhner", sie wollen nicht wie angeworbene Arbeiter beköstigt sein und sind wohlhabend genug, um sich selber zu ernähren. Also hat jeder in seinem Sack eine gute Ätzung mitgebracht, und das Gericht der Schwiegermutter wandert in das Dorf und wird den Haussklaven des Bräutigams übergeben. Solcher Stolz und die gleiche Sitte ist übrigens auch den Malinke eigen.

Wenn die Ernte eingebracht ist, findet die eigentliche Verehelichung statt. Im Laufe der vergangenen Trockenheit, nachdem der Freier das Jawort der Brautfamilie gewann, hat er seinen Vater gebeten, ihm eine Stelle für einen Hausbau anzuweisen. Der Vater willfahrte dem, und der Bursch baute allein oder mit seinen Freunden sein Haus. Jetzt, wo die Erntearbeit vollendet ist, sendet er dem Schwiegervater ein Paket Tabak und zwei Töpfe Hirsebier =kenje. Dieses Bier nennt man Anwa-kenje. Der Tabak heißt Taba.* Wenn diese Gabe eintrifft, versammeln sich abends alle Alten und Sippeglieder und es wird bieder gezecht. Ob der Bräutigam an diesem Tage mit seiner Braut schlafen will oder nicht, ist natürlich seine Sache. Jedenfalls kann er am anderen Tage mit ihr abziehen und sie in sein eigenes Haus führen. Sie wird übrigens von ihrer Mutter mit allem, was zur Küche nötig ist, ausgerüstet (Mörser und Keule, Körben, Kalebassen usw.).



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Nun erwartet der Gatte mit einiger Ungeduld Familienvermehrung. Wenn während drei Jahren solche nicht eintritt, oder wenn etwa alle Kinder, die geboren werden, wieder sterben, so sagt er ihr, sie soll ihren Kram zusammenpacken und schickt sie der Amwajaung wieder zu. Die Ehe ist nun gelöst. Die junge Frau kann in Zukunft machen, was sie will, von nun an hat sie das Recht, sich einen Mann auszusuchen. — Betont muß aber werden, daß eine verheiratete Frau unbedingt nach außen hin der Theorie nach treu sein muß.

Die erste Frau, die der Tommo heiratet, heißt Njama-la oder Njagara (oder Njagarang). Sie steht dem Hausstände vor und hat das Wirtschaftsrecht und die Aufsicht über alle anderen etwa noch hinzukommenden Frauen. Wenn der Kado es kann, heiratet er mehrere Frauen, und wenn möglich, sucht er auch eine Beischläferin (=taranjang) oder mehrere zu gewinnen. Sie stammen aus dem Bereiche der Urussukaste. — Die Kinder der Taranjang haben gleiche Rechte mit denen der Frauen. —Des ferneren dienen der Befriedigung des Mannes Huren (die Hure heißt uja-au-sara), deren es in einigen Orten mehrere gibt. Diese haben ein eigenes Haus, sind nicht irgendwie verachtet, richten die Preise für ihre Gunstverteilung und nach dem Rufe, in dem ihre Fertigkeit in der ars amandi steht und sind zuweilen sehr reich.


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