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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

UBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 2

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON NI'MA IBN ER-RABÎ' UND SEINER SKLAVIN NU'M

Man berichtet -doch Allah weiß es am besten -, daß einst in der Stadt Kufa ein Mann lebte, der zu den Vornehmen seines Volkes gehörte, der hieß er-Rabî' ibn Hâtim; er besaß viel Geld, und es war gut um ihn bestellt. Auch war ihm ein Sohn geschenkt, den hatte er Ni'mat Allah' genannt. Eines Tages 1 ,Huld Allahs'; abgekürzt: Ni'ma, das ist ,Huld'.



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nun, als er sich auf dem Hof der Sklavenhändler befand, erblickte er eine Sklavin, die zum Verkaufe feilgeboten wurde und die auf ihrem Arme ein kleines Mädchen von wunderbarer Schönheit und Anmut trug. Da winkte er-Rabî' dem Makler und fragte ihn: ,Wieviel kostet diese Sklavin mit ihrer Tochter?' Jener erwiderte: ,Fünfzig Dinare.' Da sagte er-Rabî': ,Schreib den Kaufvertrag, nimm das Geld und übergib es ihrem Herrn!' Darauf zahlte er dem Makler den Preis der Sklavin. gab ihm auch seinen Maklerlohn, nahm die Sklavin und ihre Tochter entgegen und ging mit den beiden nach Hause. Als nun seine Gemahlin die Sklavin sah, fragte sie ihn: ,Lieber Vetter, was ist das für eine Sklavin?' Er gab ihr zur Antwort: ,Ich habe sie gekauft, weil ich diese Kleine, die sie auf dem Arme trägt, haben wollte; wisse, wenn sie aufwächst, so wird es im Lande der Araber und Perser keine geben, die ihr gleicht oder die schöner wäre als sie.' Da sagte seine Base: ,Du hast recht', und sie fragte die Sklavin: ,Wie ist dein Name?' Jene erwiderte: ,Hohe Herrin, mein Name ist Taufîk. 'Weiter fragte die Dame: ,Und wie heißt deine Tochter?' Die Sklavin antwortete: ,Sa'd."Da sagte die Dame: ,Du hast ihr den rechten Namen gegeben; denn du bist glücklich, und glücklich ist, wer dich gekauft hat!' Dann fuhr sie fort: ,Lieber Vetter, wie willst du sie nennen?' ,Wie du willst', gab er zur Antwort. Und als sie nun sagte: ,Wir wollen sie Nu'm 2 nennen', sprach er-Rabî': ,Das ist ein trefflicher Gedanke von dir.'

Die kleine Nu'm wurde nun mit Ni'ma, dem Sohne des er-Rabî', in derselben Wiege aufgezogen, und die beiden waren stets beieinander, bis sie das Alter von zehn Jahren erreichten;



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und beide übertrafen einander an Schönheit. Der Knabe pflegte zu ihr zu sagen: ,Meine Schwester', und sie sagte stets zu ihm: ,Mein Bruder'. Jetzt aber trat er-Rabî' zu seinem Sohne Ni'ma, als der dies Alter erreicht hatte, und sprach zu ihm: ,Mein Sohn, Nu'm ist nicht deine Schwester, sondern deine Sklavin, die ich für dich gekauft habe, als du noch in der Wiege lagst. Darum nenne sie hinfort nicht mehr Schwester!' Ni'ma gab seinem Vater zur Antwort: ,Wenn es so ist, dann will ich sie heiraten!' Dann ging er zu seiner Mutter und tat ihr dies kund; sie sagte nur: ,Mein Sohn, sie ist deine Dienerin.' So nahm denn Ni'ma ihn er-Rabî' jene Sklavin zur Frau und gewann sie lieb; darüber vergingen nun einige jahre, während die beiden in ihrem Glücke dahinlebten. In ganz Kufa aber gab es kein schöneres, lieblicheres und anmutigeres Mädchen als Nu'm. Inzwischen war sie auch herangewachsen, hatte den Koran und die Bücher der Wissenschaften gelesen, dazu auch das Spielen auf mancherlei Arten von Musikinstrumenten gelernt. Ja, sie sang und spielte die Instrumente so herrlich, daß sie alle Menschen ihres Zeitalters darin übertraf. Und als sie nun eines Tages mit ihrem Gatten Ni'ma ibn er-Rabî' beim Weine saß, griff sie zur Laute, stimmte die Saiten, und froh begann sie diese beiden Verse zu singen:

Solange du mein Herr bist, in dessen Gunst ich weile,
Mein Schwert, mit dem den Nacken des Unheils ich zerteile.
Kann weder Zaid noch 'Amr' durch Zuspruch mich erfreuen,
Nur du allein, wenn Schlage des Schicksals mich bedräuen.

Ni'ma geriet in das höchste Entzücken und rief: ,Bei meinem Leben, o Nu'm, sing uns noch etwas zum Tamburin und zu anderen Musikinstrumenten!' Da begann sie wieder zu singen und ließ dies Lied erklingen:



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O du, in dessen Hand mein Zügel ruht, bei deinem Leben,
Ich will in meiner Liebe den Neidern widerstreben;
Ich will die Tadler erzürnen, mich nur zu dir bekennen,
Ich will von meiner Lust, von meinem Schlaf mich trennen;
Ich will ein Grab mir graben für deine Liebe zart
Ganz tief in meinem Innern, ohn daß mein Herz es gewahrt.

Da rief der jüngling: ,Das ist herrlich, o Nu'm!' Während sie so sich des schönsten Lebens erfreuten, sprach el-Haddschâdsch', der Statthalter, der in seinem Schlosse saß, bei sich: ,Ich will doch ein Mittel ersinnen, um diese Sklavin, die da Nu'm heißt. zu entführen und sie dem Beherrscher der Gläubigen 'Abd el-Malik ibn Marwân' zu schicken; denn in seinem Palaste findet sich keine ihresgleichen, keine, die schöner singt als sie.' Darauf ließ er eine alte Aufwärterin kommen und sprach zu ihr: ,Geh zum Hause des Herrn er-Rabî' und geselle dich zu der Sklavin Nu'm; dann suche Mittel und Wege zu finden, um sie zu entführen, denn auf der ganzen Erde gibt es nichts ihresgleichen.' Die Alte versprach zu tun, was el-Haddschâdsch ihr geboten hatte; und am nächsten Morgen legte sie ihre härenen Gewänder an, hängte um ihren Hals einen Rosenkranz mit Tausenden von Kugeln und nahm in ihre Hand einen Stab und eine jemenische Bettelschale. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 238. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Alte zu tun versprach, was el-Haddschâdsch ihr geboten hatte, und daß sie am nächsten Morgen ihre härenen Gewänder anlegte, um ihren Hals einen Rosenkranz mit Tausenden von Kugeln hängte und



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in ihre Hand einen Stab und eine jemenische Bettelschale nahm. So zog sie dahin und rief immerfort: ,Allah sei gepriesen! Allah sei gelobt! Es gibt keinen Gott außer Allah! Allah ist der Größte! Es gibt keine Majestät und es gibt keine Macht außer bei Allah dem Erhabenen und Allmächtigen!' So pries sie Gott und betete immerfort, während ihr Herz doch voll Arglist und Tücke war, bis sie zum Hause des Ni'ma ibn er-Rabî' kam; das war um die Zeit des Mittagsgebetes. Da pochte sie an die Tür; der Türhüter machte ihr auf und fragte sie: ,Was wünschest du?' Sie antwortete: ,Ich bin eine arme Dienerin Gottes; die Zeit des Mittagsgebetes hat mich hier überrascht, und nun möchte ich in diesem gesegneten Hause mein Gebet verrichten.' Der Pförtner erwiderte jedoch: ,Gute Alte, dies ist das Haus des Ni'ma ibn er-Rabî'; dies ist keine Moschee und kein Gebetshaus!' Aber sie fuhr fort: ,Ich weiß, es gibt keine Moschee und kein Gebetshaus, das dem Hause des Ni'ma ibn er-Rabî gleichkäme. Ich bin eine Aufwärterin aus dem Palaste des Beherrschers der Gläubigen, und ich bin ausgezogen, um Andacht zu üben und zu wallfahrten!' Da sagte der Pförtner: ,Es geht nicht an, daß du hier eintrittst.' So wurden noch manche Worte zwischen ihnen gewechselt, bis die Alte sich schließlich an ihn hängte und rief: ,Darf jemandem wie mir der Eintritt in das Haus des Ni'ma ibn er-Rabî' verboten werden, mir. die ich zu den Häusern der Fürsten und der Großen Zutritt habe?' Da kam Ni'ma heraus, und als er ihre Worte hörte, lachte er und sagte der Alten, sie möge hinter ihm eintreten. Nun ging Ni'ma wieder hinein, begleitet von der Alten, die ihm folgte, und er kam mit ihr zu Nu'm. Die Alte grüßte sie mit viel schönen Worten, und als sie auf Nu'm blickte, ward sie verwirrt und erstaunt über ihre unvergleichliche Anmut. Dann sprach sie zu ihr: ,Gebieterin, ich empfehle dich dem



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Schutze Allahs. der dich und deinen Herrn an Schönheit und Anmut einander ebenbürtig gemacht hat!' Dann trat die Alte in die Gebetsnische und begann sich zu verneigen und sich niederzuwerfen und zu beten, so lange, bis der Tag zur Rüste ging und die Nacht alles mit ihrem Dunkel umfing. Da sagte die Sklavin: ,Gute Mutter. ruhe doch deine Füße eine Weile aus!' Aber die Alte erwiderte: ,Gebieterin, wer nach dem Jenseits trachtet, der ermüdet sich im Diesseits; wer sich aber im Diesseits nicht ermüdet, der gelangt nicht zu den Stätten der Frommen im Jenseits.' Dann brachte Nu'm der Alten Speise und sprach zu ihr: ,Iß von meiner Speise und bete für mich um Gottes Gnade und Barmherzigkeit!' Doch die Alte gab zur Antwort: ,Gebieterin, ich faste; aber du bist eine junge Frau, dir geziemt es, zu essen und zu trinken und guter Dinge zu sein, und Gott wird dir seine Gnade zuteil werden lassen; denn Allah der Erhabene sagt: ,Außer dem, der da bereut und glaubt und eine gute Tat tut." In solchen Gesprächen blieb Nu'm eine Weile bei der Alten sitzen; dann sagte sie zu Ni'ma: ,Mein Gebieter, bitte diese Alte inständigst, daß sie eine Zeit lang bei uns bleibt; denn ihr Antlitz trägt die Zeichen der Frömmigkeit.' Er antwortete ihr: ,Laß ihr ein Zimmer einräumen, in das sie sich zur Andacht zurückziehen kann, und laß dann niemanden zu ihr hineingehen! Vielleicht wird Allah, der Gepriesene und Erhabene, uns durch den Segen, der von ihr kommt, Wohlergehen zuteil werden lassen und uns nie voneinander trennen!' Darauf brachte die Alte auch die ganze Nacht mit Gebeten und mit Hersagen von Koransprüchen zu; und als Allah es wieder Morgen werden ließ, kam sie zu Ni'ma und Nu'm, sprach den Morgengruß vor ihnen und fügte hinzu:



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,Ich empfehle euch dem Schutze Allahs.' Da fragte Nu'm sie: ,Wohin willst du gehen, gute Mutter? Mein Herr hat mir doch befohlen, dir ein Zimmer einräumen zu lassen, in das du dich zu Andacht und Gebet zurückziehen kannst!' Doch die Alte erwiderte: ,Allah gebe ihm langes Leben und bewahre euch beiden seine Huld! Ich wünsche nur von euch, daß ihr dem Türhüter Auftrag gebet, er solle mir nie den Eintritt zu euch verwehren. So Gott will, werde ich zu den heiligen Orten wallfahrten und Tag und Nacht für euch beten, wenn ich Andacht und Gottesdienst beendet habe.' Dann verließ sie das Haus; aber die Sklavin Nu'm weinte, weil sie sich von ihr trennen mußte, und sie ahnte nichts von dem Grunde, der die Alte zu ihr geführt hatte. Jene aber begab sich alsbald zu el-Haddschâdsch, und als sie bei ihm war, fragte er sie: ,Was bringst du?' Sie antwortete: ,Ich habe die Sklavin geschaut; und ich habe gesehen, daß sie die Schönste ist, die zu unserer Zeit je vom Weibe geboren ist.' Da sprach el-Haddschâdsch zu ihr: ,Wenn du tust, was ich dir befohlen habe, so soll dir von mir reicher Lohn zuteil werden.' Sie sagte darauf: ,Ich erbitte mir eine Frist von dir, einen vollen Monat.' Er sprach: ,Ich gebe dir einen Monat Frist.' Und von nun an begann die Alte, das Haus Ni'mas und seiner Sklavin Nu'm immerfort zu besuchen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 239. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Alte von nun an das Haus von Ni'ma und Nu'm immerfort zu besuchen begann; und die beiden erwiesen ihr immer mehr Ehre. Jeden Abend und jeden Morgen kam die Alte zu ihnen, und alle, die im Hause waren, hießen sie willkommen. Und schließlich, als



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die Alte eines Tages mit Nu'm allein war, sprach sie zu ihr: ,Gebieterin, bei Allah, wenn ich zu den heiligen Orten komme, so bete ich stets für dich; und ich wünsche immer, du wärest bei mir und sähest die heiligen Männer, die dort zusammenkommen und die alles für dich erbitten können, was du nur begehrst.' Da bat die Sklavin Nu'm: ,üm Allahs willen, gute Mutter, nimm mich mit dir!' Die Alte jedoch erwiderte: ,Bitte die Mutter deines Gatten um Erlaubnis; dann will ich dich mitnehmen.' Da sprach die Sklavin zu ihrer Schwieg erin, der Mutter Ni'mas: ,Gebieterin, bitte meinen Herrn, daß er mich und dich eines Tages mit meiner Mutter, der Alten, ausziehen läßt, auf daß wir mit den Fakiren an den heiligen Stätten beten und Gott anrufen!' Als dann Ni' ma kam und sich gesetzt hatte, trat die Alte zu ihm und wollte ihm die Hände küssen; er aber wehrte sie ab, und sie betete für ihn und verließ das Haus. Am nächsten Tage jedoch kam die Alte wieder, als Ni'ma nicht zu Hause war; da trat sie auf Nu'm zu und sprach zu ihr: ,Wir haben gestern für dich gebetet, jetzt mache dich unverzüglich auf, sieh dir alles an und kehre nach Hause zurück, ehe dein Herr kommt!' Da sprach die Sklavin zu ihrer Schwiegerin: ,Ich bitte dich, um Allahs willen, gib mir Erlaubnis, daß ich mit dieser heiligen Frau fortgehe und die Heiligen Gottes an den geweihten Stätten anschaue; ich will schnell heimkehren, ehe mein Herr zurückkommt.' Ni'mas Mutter aber sagte: ,Ich fürchte, daß dein Herr es doch erfährt. 'Da versicherte die Alte: ,Bei Allah, ich werde nicht zulassen, daß sie sich niedersetzt; sie soll nur zuschauen, indem sie aufrecht steht, und soll sich nicht lange aufhalten.' So entführte sie nun die Sklavin mit List und brachte sie in das Schloß des Statthalters el-Haddschâdsch; dort ließ sie ihre Ankunft melden, nachdem sie die Sklavin in ein Zimmer eingeschlossen hatte. Da eilte el-Had



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dschâdsch herbei, schaute sie an und sah, daß sie die Schönste unter allen ihren Zeitgenossen war und daß er ihresgleichen noch nie erblickt hatte. Doch wie Nu'm ihn sah, verschleierte sie ihr Antlitz vor ihm; er verließ sie aber nicht eher, als bis sein Kammerherr, den er hatte rufen lassen, herbeikam. Dann ließ er fünfzig Reiter mit ihm aufsitzen und befahl ihm, die Sklavin auf ein schnelles und edles Dromedar zu setzen, mit ihr nach Damaskus zu eilen und sie dem Beherrscher der Gläubigen 'Abd el-Malik ibn Marwân zu übergeben. Auch setzte er ein Schreiben auf und sprach: ,Gib dies Schreiben dem Kalifen und nimm die Antwort von ihm entgegen; dann kehre eilends zu mir zurück!' Sogleich nahm der Kammerherr die Sklavin, setzte sie auf ein Reitkamel und brach mit ihr auf; doch ihr standen die Tränen im Auge, weil sie von ihrem Herrn getrennt wurde. So zog er dahin, bis er in Damaskus ankam; dort bat er um Erlaubnis, vor den Beherrscher der Gläubigen kommen zu dürfen. Als der ihm diese Erlaubnis gewährt hatte, erschien der Kammerherr vor ihm und berichtete ihm über die Sklavin. Der Kalif ließ ihr ein eigenes Gemach anweisen und ging dann in seinen Harem; dort suchte er seine Gemahuin auf und sprach zu ihr: ,El-Haddschâdsch hat für mich von den Fürstentöchtern in Kufa eine Sklavin um zehntausend Dinare gekauft und mir zusammen mit ihr dies Schreiben übersandt.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 240 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Gemahlin des Kalifen, als er ihr von der Sklavin erzählt hatte, zu ihm sprach: ,Allah mehre seine Huld gegen dich!' Darauf ging die Schwester des Kaufen 'Abd el-Malik zu der Sklavin hinein, und als sie sie er-



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blickte, rief sie aus: ,Bei Allah, der Mann, in dessen Haus du bist, ist nicht betrogen, und wenn dein Preis auch hunderttausend Dinare gewesen wäre.' Da hub Nu'm, die Sklavin, an und fragte sie: ,0 du mit dem schönen Antlitz, sag, welchem König gehört dieser Palast? Und welche Stadt ist dies?' Jene antwortete ihr: ,Dies ist die Stadt Damaskus, und dies ist der Palast meines Bruders, des Beherrschers der Gläubigen, 'Abd ei- Malik ibn Marwân.' Und dann fuhr sie fort: ,Wußtest du denn all dies nicht?' Nu'm erwiderte: ,Bei Allah. hohe Herrin. ich wußte es nicht.' Da fragte die Prinzessin weiter: ,Hat denn der Mann, der dich verkauft und den Preis für dich erhalten hat, dir nicht gesagt, daß der Kalif dich erworben hat?' Wie Nu'm diese Worte hörte, vergoß sie Tränen, und weinend sprach sie bei sich selber: ,Fürwahr, die List, die man wider mich ersann, ist gelungen.' Dann dachte sie weiter nach und sagte sich: ,Wenn ich davon spreche, wird mir keiner glauben; darum will ich schweigen und mich in Geduld fassen, denn ich weiß, daß Allahs Hilfe nahe ist.' Darauf senkte sie schüchtern ihr Haupt; ihre Wangen aber waren von der Reise her und von der Sonne gerötet. So ließ die Schwester des Kalifen sie für jenen Tag allein und kam erst am nächsten Tage wieder zu ihr mit Kleidern und Halsbändern aus Edelsteinen, die sie ihr anlegte. Dann trat auch der Beherrscher der Gläubigen zu ihr ein und setzte sich an ihre Seite. Seine Schwester sprach zu ihm: ,Schau auf diese Sklavin, in der Allah vollkommene Schönheit und Anmut vereinigt hat!' Nun sagte der Kalif zu Nu'm: , Lüpfe den Schleier von deinem Antlitz!' Aber sie nahm den Schleier nicht von ihrem Gesicht, und so konnte er ihre Züge nicht sehen. Er sah nur ihre Handgelenke, und doch wurde sein Herz sogleich von Liebe zu ihr erfüllt. Da sprach er zu seiner Schwester: ,Ich will sie erst nach drei Tagen wieder besuchen,



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wenn sie mit dir vertraut geworden ist'; und er stand auf und verließ sie. Nu'm, die Sklavin, aber begann über ihr Los nachzusinnen und über die Trennung von ihrem Herrn Ni'ma zu seufzen; und als die Nacht kam, erkrankte sie an einem hitzigen Fieber; sie konnte weder essen noch trinken, ihr Antlitz wurde bleich, und ihre Schönheit schwand dahin. Als man dies dem Kalifen berichtete, war er um ihren Zustand besorgt und ging mit den Ärzten und den weisen Männern zu ihr; aber keiner vermochte sie zu heilen. Während es nun so um Nu'm stand, war ihr Herr Ni'ma inzwischen längst nach Hause gekommen. Er setzte sich auf sein Lager und rief: ,Nu'm!' Aber keine Nu'm antwortete ihm. Da sprang er eilends auf und rief laut; aber niemand kam zu ihm, da alle Dienerinnen im Hause sich aus Furcht vor ihrem Herrn verborgen hatten. Nun ging Ni'ma zu seiner Mutter; die fand er dasitzen, die Wange in die Hand geschmiegt, und er fragte sie: ,Liebe Mutter, sag, wo ist Nu'm?' Sie gab ihm zur Antwort: ,Mein Sohn, sie ist bei einer, bei der sie sicherer ist als bei mir, bei der frommen Alten. Sie ist mit ihr fortgegangen, um zu den Fakiren zu wallfahrten und dann heimzukehren.' Er fragte weiter: ,Seit wann ist das ihre Gewohnheit? Und zu welcher Zeit ist sie heute fortgegangen?' ,Früh am Tage ist sie fortgegangen', erwiderte die Mutter. Und wieder fragte er: ,Wie konntest du ihr das erlauben?' ,Mein Sohn, sie hat mich dazu überredet', entgegnete sie. Da rief Ni'ma: ,Es gibt keine Majestät und es gibt keine Macht außer bei Allah dem Erhabenen und Allmächtigen!' Dann ging er von Hause fort, fast wie von Sinnen, begab sich zum Hauptmann der Wache und sprach zu ihm: ,Spielst du mir Streiche und lässest mir meine Sklavin aus meinem Hause entführen? Ich werde bei dem Beherrscher der Gläubigen über dich Klage führen!'



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Der Wachhauptmann fragte: ,Wer hat sie denn entführte' Er antwortete: ,Eine Alte, die so und so aussieht; sie trägt ein härenes Gewand und hat in der Hand einen Rosenkranz mit Tausenden von Kugeln.' Darauf sagte der Wachhauptmann: ,Schaff mir die Alte her, so will ich dir deine Sklavin befreien.' Ni'ma rief: ,Wer kennt denn die Alte?' ,Das Verborgene kennt nur Allah, der Gepriesene und Erhabene', erwiderte der Wachhauptmann, der wohl wußte, daß sie eine Zwischen trägerin des Statthalters el-Haddschâdsch war. Nun sagte Ni'ma zu ihm: ,Ich verlange meine Sklavin nur von dir. Zwischen mir und dir soll el-Haddschâdsch richten!' Jener erwiderte ruhig: ,Geh, zu wein du willst!' Da ging Ni'ma zum Schlosse des Statthalters el-Haddschâdsch; denn sein Vater war einer von den vornehmen Leuten von Kufa. Und wie er zum Statthalterschlosse kam, ging der Kammerherr zu el-Haddschâdsch hinein und erstattete ihm Bericht. Der Statthalter befahl: ,Bringt ihn mir her!' Und als Ni'ma vor ihm stand, fragte el-Haddschâdsch ihn: ,Was ist's mit dir?' Ni'ma antwortete: ,Mir ist es soundso ergangen.' Dann befahl der Statthalter: ,Bringt mir den Hauptmann der Wache; wir wollen ihm Befehl geben, nach der Alten zu suchen.' Als nun der Wachhauptmann vor el-Haddschâdsch erschien, sagte dieser, der wohl wußte, daß der Hauptmann die Alte kannte: ,Ich verlange von dir, daß du nach der Sklavin des Ni'ma ibn er-Rabî' suchest.' ,Das Verborgene kennt nur Allah der Erhabene', versetzte jener. Doch el-Haddschâdsch fuhr fort: ,Du mußt dennoch mit Reitersleuten ausziehen, auf allen Straßen nach der Sklavin ausschauen und in allen Landen nach ihr forschen.' — —« Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 240 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir be-



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richtet worden, o glücklicher König, daß el-Haddschâdsch zu dem Hauptmann der Wache sprach: ,Du mußt dennoch mit Reitersleuten ausziehn, nach der Sklavin in allen Landen forschen und auf allen Wegen nach ihr ausschauen; du mußt die Sklavin suchen.' Darauf wandte er sich zu Ni'ma und sprach zu ihm: ,Wenn deine Sklavin nicht wiederkehrt, so gebe ich dir zehn Sklavinnen aus meinem Hause und zehn Sklavinnen aus dem Hause des Wachhauptmanns.' Und von neuem befahl er dem Hauptmanne: ,Geh und suche nach der Sklavin!' Der nun ging davon, während Ni'ma tief bekümmert war und am Leben verzweifelte; dieser war damals vierzehn Jahre alt, und auf seinen Wangen wuchs noch kein Flaum. Und er begann zu weinen und zu klagen, und er schloß sich von den Seinen ab; bis zum Morgen weinte er zusammen mit seiner Mutter. Da kam sein Vater und sprach zu ihm: ,Mein Sohn, el-Haddschâdsch hat sicher die Sklavin überlistet und entführt. aber von Stunde zu Stunde bringt Allah Rettung.' Doch Ni'ma ward immer noch mehr betrübt, ja, er wußte nicht mehr, was er sagte, und wußte nicht mehr, wer zu ihm kam. Drei Monate lang war er krank; sein Aussehen veränderte sich, und sein Vater verzweifelte schon an ihm. Auch die Ärzte besuchten ihn, und sie sagten nur: ,Es gibt kein Heilmittel für ihn außer der Sklavin.' Wie nun sein Vater eines Tages so dasaß, ward ihm Kunde von einem geschickten persischen Arzt gebracht, von dem man ihm sagte, daß er Heilkunst, Astrologie und Geomantie genau kenne. Den ließ er-Rabî' holen; und als der Arzt bei ihm eintraf, ließ er ihn zu seiner Seite sitzen und hieß ihn ehrenvoll willkommen. Dann sprach er zu ihm: ,Sieh nach, wie es um meinen Sohn steht!' Der Arzt sagte zu Ni'ma: ,Gib mir deine Hand!' Der Jüngling reichte ihm seine Hand hin, und



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der Arzt befühlte ihm den Puls und sah ihm ins Gesicht; dann lächelte er, wandte sich zu dem Vater und sprach zu ihm: ,Dein Sohn leidet nur am Herzen.' ,Du hast recht, weiser Mann,' erwiderte er-Rabî', ,doch denke über den Fall meines Sohnes mit all deinen Kenntnissen nach, tu mir alles, was ihn betrifft. kund und verheimliche mir nichts über seinen Zustand!' Da antwortete der Perser: ,Er liebt eine Sklavin; und diese Sklavin ist jetzt entweder in Basra oder in Damaskus. Und es gibt kein Heilmittel für deinen Sohn außer der Wiedervereinigung mit ihr.' Nun rief er-Rabî': ,Wenn du die beiden vereinigst, so soll dir von mir ein Lohn zuteil werden, der dich erfreut, und durch den du dein ganzes Leben in Hülle und Fülle wirst verbringen können.' ,Das kann leicht und rasch geschehen!' erwiderte der Perser, und zu Ni'ma gewandt, fuhr er fort: ,Befürchte nichts, fasse Mut! Hab Zuversicht und quäl dich nicht!' Dann sprach er zu er-Rabî': ,Bring mir viertausend Dinare von deinem Gelde!' Der brachte sie und übergab sie dem Perser; und dieser hub wieder an: ,Ich wünsche, daß dein Sohn mit mir nach Damaskus reist; und so Gott der Erhabene will, werden wir nur mit der Sklavin wiederkommen.' Dann wandte der Perser sich von neuem an den Jüngling und fragte ihn: ,Wie ist dein Name?' Jener antwortete: ,Ni'ma', und der Perser fuhr fort: ,Ni'ma, richte dich auf und vertraue auf Allah den Erhabenen! Denn Er wird dich gewißlich mit deiner Sklavin wiedervereinigen.' Wie der Jüngling sich aufgerichtet hatte, sprach der Arzt zu ihm: ,Fasse Mut! Wir wollen heute noch aufbrechen; drum iß und trink und sei guter Dinge, auf daß du dich für die Reise kräftigst!' Darauf machte der Perser sich an seine Geschäfte und besorgte sich alle seltsamen Dinge, die er nötig hatte. Vom Vater Ni'mas empfing er im ganzen zehntausend Dinare, auch erhielt er von ihm Pferde und Kamele



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und andere Tiere, die er zum Fortschaffen der Lasten für die Reise benötigte. Dann nahm Ni'ma Abschied von seinem Vater und seiner Mutter und zog mit dem Arzte zunächst nach Aleppo; aber dort erhielten sie noch keine Kunde über die Sklavin. Darauf reisten sie weiter nach Damaskus, wo sie sich drei Tage lang ausruhten. Am vierten Tage mietete der Perser einen Laden, schmückte die Borten mit Goldleisten und kostbaren Stoffen und füllte sie mit feinen Porzellanschalen und Deckeln. Und vor sich stellte er mancherlei Geräte, Flaschen mit allerlei Salben und Tränken, und um die Flaschen setzte er Becher aus Kristall, dazu stellte er auch die geomantische Tafel und das Astrolabium vor sich auf und legte das Kleid der weisen Männer und der Ärzte an. Den Ni'ma aber ließ er zu sich kommen, kleidete ihn in ein Hemd und ein Obergewand aus Seide, legte ihm als Gürtel ein Tuch aus golddurchwirkter Seide um und sprach zu ihm: ,Ni'ma, du bist von heute ab mein Sohn; nenne mich stets nur Vater, ich werde dich immer als Sohn anreden!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte Ni'ma. Bald versammelte sich auch schon das Volk von Damaskus bei dem Laden des Persers und schaute bewundernd auf den schönen Ni'ma und auf den schönen Laden und all die Dinge, die darin waren. Der Perser nun sprach mit Ni'ma nur auf Persisch, und dieser redete mit ihm in derselben Sprache; denn er hatte sie nach der Sitte der Söhne vornehmer Leute gelernt. Der persische Arzt wurde rasch bei dem Volke von Damaskus bekannt, und die Leute begannen ihm ihre Leiden zu beschreiben; dann gab er ihnen die Arzneien. Ferner brachte man ihm auch Flaschen, die mit dem Wasser der Kranken gefüllt waren; er schaute sie an und sagte: ,Der, dessen Wasser in dieser Flasche ist, leidet an der und der Krankheit.' Und der Kranke sagte jedesmal: ,Fürwahr, dieser Arzt hat recht.' In dieser



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ich ihm deinen Namen genannt hatte, erkannte er schon deine Krankheit und verordnete die Arznei für dich. Dann mischte sein Sohn auf seinen Befehl die Heilmittel für dich; aber in ganz Damaskus gibt es keinen, der lieblicher, anmutiger und jugend schöner wäre als sein Sohn. Auch hat keiner einen solchen Laden wie er.' Da nahm Nu'm die Schachtel und las den Namen ihres Herrn und den Namen seines Vaters. die auf dem Deckel geschrieben standen; und wie sie das sah, erblich sie und sprach bei sich selber: ,Ohne Zweifel ist der Besitzer des Ladens auf der Suche nach mir hierher gekommen.' Dann sagte sie zu der Alten: ,Beschreib mir diesen Jüngling.' Die gab ihr zur Antwort: ,Er heißt Ni'ma, und auf seiner rechten Wimper ist ein Mal; er trägt prächtige Kleider und ist von vollkommener Schönheit.' Nun rief die Sklavin: ,Reiche mir die Arznei, unter dem Segen und dem Schutze Allahs des Erhabenen.' Und lächelnd nahm sie die Arznei und trank sie; dann sagte sie: ,Dies ist wirklich eine gesegnete .Arznei.' Darauf suchte sie weiter in der Schachtel nach und fand das Blatt. Das öffnete sie, las es, und als sie seinen Sinn verstanden hatte, war sie sicher, daß es von ihrem Herrn war. Und nun ward sie gutes Mutes und fröhlich. Als die Alte sie lächeln sah, sprach sie zu ihr: ,Dies ist wirklich ein segensreicher Tag!' Nu'm aber rief: ,Aufwärterin, ich möchte etwas zu essen und zu trinken haben!' Und die Alte rief den Dienerinnen zu: ,Bringt die Tische und die schönsten Speisen für eure Herrin!' Jene setzten ihr die Speisen vor, und gerade wie sie sich gesetzt hatte, um zu essen, kam 'Abd el-Malik ibn Marwân herein, und als er sah, daß die Sklavin dasaß und Speise zu sich nahm, war er hocherfreut. Darauf sprach die Aufwärterin zu ihm: ,0 Beherrscher der Gläubigen, ich wünsche dir Glück zur Genesung deiner Sklavin Nu'm! Es ist nämlich ein weiser Mann in diese Stadt ge



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kommen, der in den Krankheiten und ihrer Behandlung so erfahren ist, wie ich noch keinen je gesehen habe; von dem habe ich eine Arznei geholt, und sie hat nur einmal davon genommen, da war sie schon wieder gesund, o Beherrscher der Gläubigen!' Da sagte der Kalif zu ihr: ,Hier hast du tausend Dinare; sorge dafür, daß sie nun ganz gesund wird!' Erfreut über die Genesung der Sklavin ging er davon; die Alte aber ging zum Laden des Persers, gab ihm die tausend Dinare und teilte ihm mit, daß sie die Sklavin des Kalifen sei, und ferner überreichte sie ihm ein Blatt, das Nu'm geschrieben hatte. Der Perser nahm es und reichte es an Ni'ma weiter; doch wie der es ansah und ihre Schrift erkannte, sank er ohnmächtig nieder. Als er wieder zu sich gekommen war, öffnete er das Blatt und fand darauf folgende Worte geschrieben: ,Von der Sklavin, die ihre Wonne' nicht mehr kennt, die ihres Verstandes beraubt ist und von dem Geliebten ihres Herzens getrennt. Des ferneren, vernimm, dein Brief hat mich erreicht; er machte mir die Brust weit und erfüllte meinen Sinn mit Freudigkeit. Und es geschah nach den Worten des Dichters:

Es kam der Brief; o daß die Finger, die ihn schrieben
Und ihm den Duft verliehn, dir stets erhalten blieben!
Es war, als gäbe man Moses heim in der Mutter Hand
Oder als brächte man dem Jakob Josephs Gewand."

Als Ni'ma diese Verse las, rannen ihm die Augen von Tränen über. Da fragte die Aufwärterin ihn: ,'Was ist's, das dich weinen macht, mein Sohn? Möge Allah deine Augen niemals weinen lassen!' Doch der Perser hub an und sprach: ,Herrin, wie sollte denn mein Sohn nicht weinen, da sie doch seine Sklavin ist und er ihr Herr, Ni'ma ibn er-Rabî' aus Kufa? Die



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Genesung dieser Sklavin hängt nur davon ab, daß sie ihn sieht; und sie hat keine andere Krankheit als die Liebe zu ihm.' — —« Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 243. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Perser zu der Alten sprach: ,Wie sollte denn mein Sohn nicht weinen, da sie doch seine Sklavin ist und er ihr Herr, Ni'ma ihn er-Rabî' aus Kufa? Die Genesung dieser Sklavin hängt nur davon ab, daß sie ihn sieht; und sie hat keine andere Krankheit als die Liebe zu ihm. So nimm denn, o Herrin, diese tausend Dinare zurück. und dir soll von mir noch mehr zuteil werden; nur sieh uns mit dem Auge der Barmherzigkeit an! Denn wir wissen nicht, wie wir unsere Sache zu glücklichem Ende führen können, außer allein durch dich.' Da sprach die Alte zu Ni'ma: ,Bist du wirklich ihr Herre' Als er diese Frage bejahte, fuhr sie fort: ,Du sprichst die Wahrheit; denn sie nennet unablässig deinen Namen.' Nun berichtete Ni'ma ihr alles, was ihm widerfahren war, von Anfang bis zu Ende; und die Alte sagte: ,Jüngling, nur durch mich sollst du wieder mit ihr vereint werden.' Dann saß sie auf, kehrte sogleich zurück und trat zu der Sklavin ein; sie schaute ihr ins Antlitz und sagte lächelnd zu ihr: ,Es geziemte sich für dich, meine Tochter, daß du weintest und krank wärest, weil du von deinem Herrn Ni'ma ibn er-Rabî' dem Rafier getrennt bist!' Da rief Nu'm: ,So ist denn der Schleier für dich gelüftet, und die Wahrheit ist dir offenbar geworden.' Die Alte erwiderte: ,Hab Zuversicht und fasse neuen Mut! Fürwahr, ich will euch beide wieder vereinen, sollte es mich auch mein eigenes Leben kosten!' Dann kehrte sie zu Ni'ma zurück und sprach zu ihm: ,Ich bin wieder zu deiner Sklavin gegangen und bei ihr gewesen, und ich habe gesehen, daß sie



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kommen, der in den Krankheiten und ihrer Behandlung so erfahren ist, wie ich noch keinen je gesehen habe; von dem habe ich eine Arznei geholt, und sie hat nur einmal davon genommen, da war sie schon wieder gesund, o Beherrscher der Gläubigen!' Da sagte der Kalif zu ihr: ,Hier hast du tausend Dinare; sorge dafür, daß sie nun ganz gesund wird!' Erfreut über die Genesung der Sklavin ging er davon; die Alte aber ging zum Laden des Persers, gab ihm die tausend Dinare und teilte ihm mit, daß sie die Sklavin des Kaufen sei, und ferner überreichte sie ihm ein Blatt, das Nu'm geschrieben hatte. Der Perser nahm es und reichte es an Ni'ma weiter; doch wie der es ansah und ihre Schrift erkannte, sank er ohnmächtig nieder. Als er wieder zu sich gekommen war, öffnete er das Blatt und fand darauf folgende Worte geschrieben: ,Von der Sklavin, die ihre Wonne' nicht mehr kennt, die ihres Verstandes beraubt ist und von dem Geliebten ihres Herzens getrennt. Des ferneren, vernimm, dein Brief hat mich erreicht; er machte mir die Brust weit und erfüllte meinen Sinn mit Freudigkeit. Und es geschah nach den Worten des Dichters: Es kam der Brief; o daß die Finger, die ihn schrieben Und ihm den Duft verliehn, dir stets erhalten blieben! Es war, als gäbe man Moses heim in der Mutter Hand Oder als brächte man dem Jakob Josephs Gewand.' Als Ni'ma diese Verse las, rannen ihm die Augen von Tränen über. Da fragte die Aufwärterin ihn: ,Was ist's, das dich weinen macht, mein Sohn? Möge Allah deine Augen niemals weinen lassen!' Doch der Perser hub an und sprach: ,Herrin, wie sollte denn mein Sohn nicht weinen, da sie doch seine Sklavin ist und er ihr Herr, Ni'ma ibn er-Rabî' aus Kufa? Die 1. Arabisch ni'ma. —2. Nach dem Koran (Sure 12, Vers 96) erlangte Jakob durch Auflegen von Josephs Hemd die Sehkraft wieder.



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und die Eunuchen erblickst, so sei kühn, neige deinen Kopf nieder und sprich mit niemandem, ich werde für dich mit ihnen reden; und bei Allah steht der Erfolg.' Am nächsten Tage, nachdem es wieder Morgen geworden war, kam die Aufwärterin zu ihm und führte ihn zum Palaste hinauf. Die Alte trat zuerst ein, und Ni'ma folgte ihr. Da wollte der Kämmerling ihn am Eintritt hindern; aber die Alte fuhr ihn an: ,Du unseligster Sklave, dies ist doch die Sklavin der Nu'm, der Favoritin des Beherrschers der Gläubigen. Wie kannst du sie hindern einzutreten?' Darauf fügte sie hinzu: ,Tritt nur ein, Mädchen!' So trat er denn mit der Alten ein, und sie gingen bis zu der Tür, die zum Hofe des Palastes führte. Da sagte die Alte zu ihm: ,Ni'ma. nimm deinen Mut zusammen und sei starken Herzens; tritt in den Schloßhof ein und wende dich nach links; dann zähle fünf Türen und gehe durch die sechste ein, denn sie ist die Tür zu dem Raum. der für dich bereitet ist! Fürchte dich nicht, und wenn jemand dich anredet, so sprich nicht mit ihm und bleib nicht stehen!' Dann ging sie mit ihm noch weiter, bis sie zu den Türen kam; da trat ihr der Kammerherr entgegen, der über jene Türen die Wache hatte, und sprach zu ihr: .Was ist das für ein Mädchen?' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 144. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kammerherr der Alten entgegentrat und sie fragte: ,Was ist das für ein Mädchen?' Da gab sie ihm zur Antwort: ,Unsere Herrin wünscht sie zu kaufen.' Doch der Eunuch entgegnete: ,Hier darf niemand ohne Erlaubnis des Beherrschers der Gläubigen eintreten; darum geh mit ihr wieder zurück. Ich kann sie nicht durchlassen; denn so ist mir befohlen.' Da sagte die Aufwärterin zu



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ihm: .O du Oberkammerherr, nimm doch Vernunft an! Nu'm, die Sklavin des Kaufen, dessen Herz an ihr hängt, ist gerade wieder genesen, und noch glaubt der Beherrscher der Gläubigen kaum an ihre Genesung. Sie will diese Sklavin kaufen; darum hindere sie nicht einzutreten, auf daß Nu'm nicht höre. du habest sie zurückgewiesen, sonst könnte sie dir zürnen und in ihrer Krankheit einen Rückfall erleiden, und wenn sie dir zürnt, so könnte es dir den Kopf kosten.' Dann fuhr sie fort: ,Tritt ein, Mädchen, und höre nicht auf seine Worte; sage aber der Herrin nicht, daß der Kammerherr dich am Eintritt hat hindern wollen.' Da senkte Ni'ma sein Haupt, ging in den Schloßhof und wollte sich nach der linken Seite wenden; aber er irrte sich und wandte sich nach der rechten Seite. Und weiter wollte er fünf Türen zählen und in die sechste eintreten; aber er zählte sechs Türen und trat in die siebente ein. Wie er nun durch jene Tür trat, erblickte er einen Raum, dessen Boden mit Brokatteppichen bedeckt war und dessen Wände mit Decken aus gold durchwirkter Seide behangen waren. Dort waren auch Räucherpfannen mit Aloeholz, Ambra und starkriechendem Moschus; und an der Rückseite sah er ein Lager, das auch mit Brokatstoffen bedeckt war. Auf das setzte Ni'ma sich, und als er so großen Reichtum schaute, wußte er nicht, was im Verborgenen für ihn geschrieben stand. Doch wie er so in Gedanken über sein Los dasaß, trat plötzlich die Schwester des Beherrschers der Gläubigen zu ihm ein, begleitet von ihrer Dienerin. Als sie den Jüngling dort sitzen sah, hielt sie ihn für ein Mädchen, und trat sie auf ilm zu und fragte ihn: ,Wer bist du, Mädchen? Was ist's mit dir? Wer hat dich hierhergebracht?' Ni'ma aber redete nicht und gab ihr keine Antwort. Da fuhr sie fort: ,Mädchen, wenn du eine der Nebenfrauen meines Bruders bist und er dir zürnt, so will ich für dich bei



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ihm sprechen und ihn dir wieder geneigt machen.' Aber immer noch gab Ni'ma keine Antwort; da sagte sie zu ihrer Dienerin: ,Stell dich bei der Zimmertür auf und laß niemanden eintreten!' Dann trat sie auf ihn zu, blickte ihn an und staunte über seine Anmut; und wieder hub sie an zu sprechen: ,Mädchen, sage mir, wer du bist, wie du heißest und warum du hierher gekommen bist; ich habe dich noch nie in unserem Palaste gesehen.' Da Ni'ma auch jetzt noch keine Antwort gab, ward die Schwester des Königs zornig; sie legte ihre Hand an Ni'mas Brust, und als sie fühlte, daß er keine Mädchenbrüste hatte. wollte sie ihm sein Gewand abnehmen, um zu erfahren, was es für eine Bewandtnis mit ihm habe. Da rief Ni'ma: ,Hohe Herrin, ich bin dein Mamluk; kaufe mich! Ich stelle mich in deinen Schutz; so schütze mich denn!' Sie antwortete: ,Dir geschieht kein Leid! Wer bist du? Und wer hat dich in mein Zimmer hier gebracht?' Ni'ma erwiderte: ,Prinzessin, ich bin bekannt unter dem Namen Ni'ma ibn er-Rabî' der Kufier; und ich habe mein Leben aufs Spiel gesetzt um meiner Sklavin Nu'm willen, die el-Haddschâdsch mit List entführt und hierher gesandt hat.' Da wiederholte sie: ,Dir geschieht kein Leid'; und dann rief sie nach ihrer Dienerin und befahl ihr: ,Geh zu dem Gemache der Nu'm!'

Inzwischen nun war die alte Aufwärterin in das Gemach der Nu'm getreten und fragte sie: ,Ist dein Herr zu dir gekommene' ,Nein, bei Gott!' gab Nu'm zur Antwort, und die Alte sagte: ,Vielleicht hat er sich versehen und deine Stätte nicht gefunden; dann wäre er in ein anderes Gemach eingetreten und nicht in das deine!' Da rief Nu'm, die Sklavin: ,Es gibt keine Majestät und es gibt keine Macht außer bei Allah dem Erhabenen und Allmächtigen! Jetzt ist unsere Lebenszeit abgelaufen, alle drei sind wir des Todes.' Nun saßen die beiden Frauen da, in



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Gedanken verloren, und gerade zu dieser Zeit kam die Sklavin der Schwester des Kaufen zu ihnen herein, verneigte sich grüßend vor Nu'm und sprach zu ihr: ,Meine Herrin lädt dich bei sich zu Gaste.' ,Ich höre und gehorche!' gab Nu'm zur Antwort. während die Aufwärterin ihr zuflüsterte: ,Vielleicht ist dein Herr bei der Schwester des Kaufen; vielleicht ist der Schleier des Geheimnisses schon gelüftet!' Doch Nu'm erhob sich sofort und schritt dahin, bis sie bei der Schwester des Kalifen eintrat; da sprach diese zu ihr: ,Hier ist dein Herr, er sitzt bei mir; es scheint, daß er das rechte Zimmer verfehlt hat. Aber so Allah der Erhabene will, braucht ihr beiden, du und er, keine Furcht zu haben.' Als Nu'm diese Worte aus dem Munde der Schwester des Kalifen vernahm, beruhigte sich ihre Seele. und sie trat auf ihren Herrn zu. Und auch er, als er sie erblickte - —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 245. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Ni'ma, als er seine Sklavin Nu'm erblickte, auf sie zuging. Und beide drückten einander an die Brust und sanken ohnmächtig zu Boden. Als sie wieder zu sich kamen, sprach die Schwester des Kalifen zu ihnen: ,Setzt euch, wir wollen über die Rettung aus dieser Not, in die wir gekommen sind, beraten!' ,Wir hören und gehorchen, o Herrin,' erwiderten die beiden, ,du hast nur zu befehlen!' Sie sagte darauf: ,Bei Allah, euch soll von uns nie etwas Böses widerfahren!' Dann befahl sie ihrer Dienerin, Speise und Trank zu holen; und als die alles gebracht hatte, setzten sie sich und aßen, bis sie gesättigt waren. Dann lagerten sie sich zum Weine, die Becher kreisten bei ihnen hin und her, und bald kannten sie keine Sorge mehr. Ni'ma aber sprach: ,O wüßte



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ich doch, was hiernach geschehen wird!' Da fragte die Schwester des Kaufen ilm: ,Sag, Ni'ma, hast du Nu'm, deine Sklavin, liebe' ,Hohe Herrin,' tiefer, ,es ist doch nur die Liebe zu ihr, die mich in diese Lebensgefahr, in der ich schwebe, getrieben hat.' Dann wandte sie sich zu Nu'm: ,Sag, Nu'm, hast du deinen Herrn Ni'ma lieb?' ,Hohe Herrin,' rief sie, ,es ist doch nur die Liebe zu ihm, die mir den Leib verzehrt und mein Aussehen so verändert hat:' Darauf fuhr die Prinzessin fort: ,Bei Allah. ihr seid wirklich zwei Menschen, die einander lieben: drum möge es keinen geben, der euch trennt! Habt Zuversicht und sorgt euch nicht!' Darüber waren heide hocherfreut, und Nu'm bat um eine Laute. Als man ihr die gebracht hatte, nahm sie sie hin, stimmte sie, griff in die Saiten, und nun begann sie zu singen und ließ dies Lied erklingen:

Als die Verleumder immer nur uns zu trennen suchten.
Wiewohl auf mir und dir sich keine Blutschuld fand,
Und als sie unsere Ohren viel Kriegslärm hören ließen,
Und als kein Schützer mir, kein Freund zur Seite stand -
Begann ich mit meinen Augen, mit meinem Hauch, meinen Zähren
Wie mit Schwert und Feuer und Wasser mich gegen sie zu wehren.

Darauf gab Nu'm die Laute ihrem Herrn Ni'ma und bat ihn: ,Sing uns ein Lied!' Da nahm er sie, stimmte sie und begann zu singen und ließ darauf dies Lied erklingen:

Der Mond gliche dir, hätte er nicht Flecken im Gesicht;
Die Sonne wäre dir gleich, verfinsterte sie sich nicht!
Ich staune - und doch, wie ist die Liebe so wundersam
Mit ihrem Hangen und Bangen und ihrer Sorgen Gram.
Der Weg deucht mir so nah, wenn ich zur Liebsten gehe,
Und doch so weit, wenn ich die Trennung vor mir sehe!

Wie er sein Lied beendet hatte, füllte Nu'm einen Becher für um und reichte ihn ihm dar; und er nahm ihn hinund trank ihn aus.



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Darauf füllte sie einen zweiten Becher und reichte ihn der Schwester des Kaufen; die trank ihn aus, griff dann selbst zur Laute, spannte und stimmte die Saiten und sang diese beiden Verse:

Gram und Trauer wohnen in meinem Herzen.
Und in mir toben der Liebe brennende Schmerzen.
Ein jeder Blick sieht, wie abgezehrt ich bin;
Vom Leid der Sehnsucht siecht der Leib mir hin.

Darauf füllte sie den Becher und reichte ihn Ni'ma dar; der trank, griff wieder zur Laute, stimmte ihre Saiten und sang diese beiden Verse:

Du, der ich meine Seele gab, die du sie quältest,
Von der ich sie befreien will, doch nicht vermag,
Schenk einem Liebenden. was ihn vom Tod errettet.
Eh daß er stirbt -dies ist des Herzens letzter Schlag!

So sangen sie eine Weile lang, und sie tranken zu Liedern und Lautenklang, in lauter Lust und Fröhlichkeit, in Freude und in Seligkeit -da plötzlich trat der Beherrscher der Gläubigen zu ihnen ein. Als sie ihn erblickten, sprangen sie auf und küßten den Boden vor ihm. Er aber schaute auf Nu'm und auf die Laute in ihrer Hand, und da rief er: ,Nu'm, gelobt sei Allah, der die Sorge und die Krankheit von dir genommen hat!' Dann wandte er seine Blicke auf Ni'ma, der noch in Mädchenkleidern war, und fragte: ,Schwester, was ist das für eine jungfrau an der Seite Nu'mst' Seine Schwester gab ihm rasch zur Antwort: ,Beherrscher der Gläubigen, du hast da für den Harem eine liebliche Sklavin, und Nu'm mag nur in ihrer Gesellschaft essen und trinken.' Dann sprach sie die Dichterworte:

Zwei Gegensätze sind sie, und doch, getrennt, gleich schön.
Der Einen Anmut strahlt durch die der Andren hell.

Da sagte der Kalif: ,Bei Allah dem Allmächtigen, sie ist ebenso schön wie Nu'm; morgen will ich ihr ein Gemach neben dem



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ich doch, was hiernach geschehen wird!' Da fragte die Schwester des Kaufen ihn: ,Sag, Ni'ma, hast du Nu'm, deine Sklavin, lieb?' ,Hohe Herrin,' rief er, ,es ist doch nur die Liebe zu ihr, die mich in diese Lebensgefahr, in der ich schwebe, getrieben hat.' Dann wandte sie sich zu Nu'm: ,Sag, Nu'm, hast du deinen Herrn Ni'ma lieb?' ,Hohe Herrin,' rief sie, ,es ist doch nur die Liebe zu ihm, die mir den Leib verzehrt und mein Aussehen so verändert hat.' Darauf fuhr die Prinzessin fort: ,Bei Allah, ihr seid wirklich zwei Menschen, die einander lieben; drum möge es keinen geben, der euch trennt! Habt Zuversicht und sorgt euch nicht!' Darüber waren beide hocherfreut, und Nu'm bat um eine Laute. Als man ihr die gebracht hatte, nahm sie sie hin, stimmte sie, griff in die Saiten, und nun begann sie zu singen und ließ dies Lied erklingen:

Als die Verleumder immer nur uns zu trennen suchten,
Wiewohl auf mir und dir sich keine Blutschuld fand,
Und als sie unsere Ohren viel Kriegslärm hören ließen,
Und als kein Schützer mir, kein Freund zur Seite stand -
Begann ich mit meinen Augen, mit meinem Hauch, meinen Zähren
Wie mit Schwert und Feuer und Wasser mich gegen sie zu wehren.

Darauf gab Nu'm die Laute ihrem Herrn Ni'ma und bat ihn: ,Sing uns ein Lied!' Da nahm er sie, stimmte sie und begann zu singen und ließ darauf dies Lied erklingen:

Der Mond gliche dir, hätte er nicht Flecken im Gesicht;
Die Sonne wäre dir gleich, verfinsterte sie sich nicht!
Ich staune - und doch, wie ist die Liebe so wundersam
Mit ihrem Hangen und Bangen und ihrer Sorgen Gram.
Der Weg deucht mir so nah, wenn ich zur Liebst en gehe,
Und doch so weit, wenn ich die Trennung vor mir sehe!

Wie er sein Lied beendet hatte, füllte Nu'm einen Becher für um und reichte ihn ihm dar; und er nahm ihn hin und trank ihn aus.



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Darauf füllte sie einen zweiten Becher und reichte ihn der Schwester des Kaufen; die trank ihn aus, griff dann selbst zur Laute, spannte und stimmte die Saiten und sang diese beiden Verse:

Gram und Trauer wohnen in meine,,, Herzen,
Und in mir toben der Liebe brennende Schmerzen.
Ein jeder Blick sieht, wie abgezehrt ich bin;
Vom Leid der Sehnsucht siecht der Leib mir hin.

Darauf füllte sie den Becher und reichte ihn Ni'ma dar; der trank, griff wieder zur Laute, stimmte ihre Saiten und sang diese beiden Verse:

Du, der ich meine Seele gab, die dn sie quältest,
Von der ich sie befreien will, doch nicht vermag,
Schenk einem Liebenden, was ihn von, Tod errettet,
Eh daß er stirbt -dies ist des Herzens letzter Schlag!

So sangen sie eine Weile lang, und sie tranken zu Liedern und Lautenklang, in lauter Lust und Fröhlichkeit, in Freude und in Seligkeit -da plötzlich trat der Beherrscher der Gläubigen zu ihnen ein. Als sie ihn erblickten, sprangen sie auf und küßten den Boden vor ihm. Er aber schaute auf Nu'm und auf die Laute in ihrer Hand, und da rief er: ,Nu'm, gelobt sei Allah, der die Sorge und die Krankheit von dir genommen hat!' Dann wandte er seine Blicke auf Ni'ma, der noch in Mädchenkleidern war, und fragte: ,Schwester, was ist das für eine Jungfrau an der Seite Nu'mst' Seine Schwester gab ihm rasch zur Antwort: ,Beherrscher der Gläubigen, du hast da für den Harem eine liebliche Sklavin, und Nu'm mag nur in ihrer Gesellschaft essen und trinken.' Dann sprach sie die Dichterworte:

Zwei Gegensätze sind sie, und doch, getrennt, gleich schön.
Der Einen Anmut strahlt durch die der Andren hell.

Da sagte der Kalif: ,Bei Allah dem Allmächtigen, sie ist ebenso schön wie Nu'm; morgen will ich ihr ein Gemach neben dem



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ihrer Freundin anweisen und ihr Teppiche und Stoffe, ja, alles, was ihr gebührt, dorthin bringen lassen, Nu'm zu Ehren!' Nun rief die Schwester des Kaufen nach Speisen und setzte sie ihrem Bruder vor der aß und blieb in ihrer Gesellschaft dort. Dann füllte er einen Becher und winkte der Nu'm zu, sie möge ein Lied singen. Da griff sie zur Laute, nachdem sie zuvor zwei Becher geleert hatte, und sang diese beiden Verse:

Wenn mir mein Trinkgenoß den Becher wieder füllet
Und auch den dritten Becher. von schäumendem Weine schwer.
Will ich die ganze Nacht stolz mit der Schleppe rauschen,
O Herr der Gläubigen, als wäre ich dein Herr.

Der Beherrscher der Gläubigen war entzückt, er füllte einen neuen Becher, reichte ihn der Nu'm und gebot ihr, noch mehr vorzutragen. Nachdem sie den Becher geleert hatte, ließ sie die Saiten erklingen und begann dies Lied zu singen:

Du edelster der Menschen in dieser unsrer Zeit.
Dem keiner gleich zu sein sich rühmet weit und breit,
Du Einziger an Güte und hoheitsvolle, n Sinn,
Dein Ruf dringt, Herr und König, zu allen Ländern hin.
Du bist der Fürst der Fürsten auf Erden ringsumher,
Du gibst der Gaben viel, ohn Widerruf, ohne Beschwer.
Der Herr behüte dich, dem Feind zu Trutz und Qual,
Und schmücke deinen Stern mit Glück' und Sieg zumal!

Als der Kalif diese Verse aus Nu' ms Munde vernahm, tiefer: ,Bei Allah, gut! Wie vortrefflich, liebe Nu'm! Deine Zunge ist beredt, fürwahr, und deine Worte sind so klar!' So blieben sie in Lust und Freuden bis Mitternacht zusammen; da sprach die Schwester des Kalifen: ,Vernimm, o Beherrscher der Gläubigen, ich las einmal in Büchern die Geschichte eines Mannes von hohem Rang.' ,Was ist das für eine Geschichte?' fragte der Kalif. Seine Schwester begann darauf zu erzählen: ,Vernimm, o Beherrscher der Gläubigen, es lebte einmal in der Stadt Kufa



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ein Jüngling, der hieß Ni'ma ibn er-Rabî'. Und er hatte eine Sklavin, die er sehr liebte und die ihn wieder liebte; sie war auch mit ihm auf demselben Lager aufgezogen. Als sie aber heranwuchsen und ihre Liebe zueinander sich festigte, da traf sie das Geschick mit seinem Leid, und mit Unglück quälte sie die Zeit; denn Trennung ward über die beiden verhängt. Böse Menschen überlisteten die Sklavin und entführten sie, als sie einmal sein Haus verließ, mit Tücke aus ihrem Heim. Dann verkaufte sie ihr Räuber für zehntausend Dinare an einen König. Nun liebte aber die Sklavin ihren Herrn ebensosehr, wie er sie liebte; und so verließ ihr Herr sein Haus und Heim und sein Leben im Wohlstand, zog aus, um sie zu suchen, und sann auf Mittel. um wieder mit ihr vereint zu werden.' — —« Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 246. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Schwester des Kalifen weiter erzählte: ,Ni'ma verließ Haus und Heimat und sann immer auf Mittel, um wieder mit seiner Sklavin vereinigt zu werden; dabei setzte er sein Leben aufs Spiel und gab sein Herzblut dahin, bis es ihm schließlich gelang, seine Sklavin wiederzufinden. Sie hatte ihrerseits den Namen Nu'm. Wie er nun endlich mit ihr vereint war, blieb ihr Zusammensein nur von kurzer Dauer; denn plötzlich erschien vor ihnen der König, der sie von ihrem Räuber gekauft hatte, und er sprach sofort das Todesurteil über sie aus, ohne Gnade von sich aus zu üben und ohne die Vollstreckung seines Urteils über sie aufzuschieben. Was sagst du, o Beherrscher der Gläubigen, nun dazu, daß dieser König so wenig Gerechtigkeit walten ließe' Der Beherrscher der Gläubigen erwiderte: ,Das ist wirklich eine höchst seltsame Sache. Jener König hätte bei seiner



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Macht doch Gnade walten lassen sollen; und es geziemte ihm, daß er drei Dinge zu ihren Gunsten im Auge behielt. Erstlich waren sie zwei Menschen, die einander lieb hatten; zweitens waren sie in seinem Hause und in seiner Gewalt; und drittens muß der König sein Urteil über Untertanen mit Überlegung fußen -wieviel mehr aber in einer Sache, die ihn selber angeht! Jener König hat also eine unkönigliche Tat getan.' Darauf bat seine Schwester ihn: ,Mein Bruder, bei dem König des Himmels und der Erden beschwöre ich dich, befiehl der Nu'm, ein Lied zu singen, und achte auf das, was sie singen wird!' Er sprach: ,Nu'm, sing mir ein Lied!' So begann sie denn zu singen und ließ diese Verse erklingen:

Das Schicksal ist voll Trug und hört nicht auf zu trügen;
Es bricht die Herzen und läßt als Erbe leidvoll Sinnen.
Es trennt die Freunde wieder, nachdem es sie vereinigt;
Und dann siehst du die Tränen heiß auf die Wangen rinnen.
Er lebte, und ich lebte; mein Leben war voll Wonne,
Da uns die Zeit so oft ein Wiedersehn gebracht.
Doch jetzo will ich Blut und Ströme von Tränen weinen
Aus Gram um deinen Verlust bei Tage und bei Nacht.

Als der Beherrscher der Gläubigen dies Lied hörte, war er tief gerührt. Da sprach seine Schwester zu ihm: ,Lieber Bruder, wer über eine Sache gegen sich selbst entschieden hat, der muß dabei beharren und nach seinem Worte handeln. Du hast jetzt mit diesem Urteil gegen dich selbst entschieden.' Dann rief sie: ,Ni'ma, steh auf; und auch du, Nu'm, steh auf!' Nachdem die beiden aufgestanden waren, fuhr die Schwester des Kaufen fort: ,O Beherrscher der Gläubigen, sie, die hier steht, ist Nu'm, die Entführte, die el-Haddschâdsch ibn Jûsuf eth-Thakafi geraubt und dir gesandt hat; und er hat gelogen, als er in seinem Briefe behauptete, er habe sie für zehntausend Dinare gekauft. Und er, der hier steht, ist Ni'ma ibn er-Rabî', ihr



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Herr; und ich beschwöre dich bei der Ehre deiner reinen Vorfahren und bei Hamza, 'Aldi und el-'Abbâs', vergib den beiden, verzeih ihnen ihr Vergehen und schenke sie einander, auf daß du reichen Lohn für sie im Himmel gewinnst. Sie sind in deiner Gewalt, sie haben von deiner Speise gegessen, von deinem Weine getrunken; und ich stehe hier als Fürbitterin für sie und flehe dich an, mir ihr Blut zu schenken.' Da erwiderte der Kalif: ,Du hast recht; ich selbst habe hierüber entschieden, und wenn ich eine Entscheidung getroffen habe, so nehme ich sie nicht wieder zurück.' Dann fragte er: ,Nu'm, ist dies dein Herr?' Sie antwortete: ,Ja, o Beherrscher der Gläubigen!' Er fuhr fort: ,Seid unbesorgt, ich schenke euch einander.' Dann fragte er weiter: ,Ni'ma, wie hast du erfahren, wo sie ist? Wer hat dir diesen Ort verraten?' Er gab zur Antwort: ,O Beherrscher der Gläubigen, höre auf meine Geschichte und vernimm, was ich berichte! Bei deinen reinen Eltern und Vorfahren, ich will dir nichts verschweigen.' Dann erzählte er ihm alles, was er selbst erlebt hatte, was der persische Arzt und die Aufwärterin an ihm getan hatten, wie sie ihn in den Palast geführt und wie er sich in den Türen geirrt hatte. Darüber war der Kalif aufs höchste verwundert; und dann rief er: ,Bringt mir den Perser!' Als man ihn herbeigeführt hatte, machte er ihn zu einem seiner Vertrauten, verlieh ihm Ehrengewänder und bestimmte ein schönes Geschenk für ihn, indem er hinzufügte: ,Wenn ein Mann dies alles zustande bringt, so geziemt uns, ihn zu unserem Vertrauten zu machen.' Darauf bewies der Kalif auch an Ni'ma und Nu'm seine Güte und gab ihnen Gel.



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schenke; und schließlich beschenkte er auch die Aufwärterin. Sieben Tage lang blieben die beiden bei ihm in Freuden und Glück und im herrlichsten Leben; dann bat Ni'ma ihn um die Erlaubnis, mit seiner Sklavin abreisen zu dürfen. Nachdem er ihnen erlaubt hatte, nach Kufa zu reisen, zogen sie von dannen, und er wurde wieder mit seinem Vater und seiner Mutter vereint. Dort lebten sie im schönsten und herrlichsten Leben, bis Der zu ihnen kam, der die Freuden schweigen heißt und die Freundesbande zerreißt.'


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
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