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Kapitel 

SPIELMANNS GESCHICHTEN DER SAHEL

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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MIT EINER KARTE DER SAHARA UND

EINER BILDERTAFEL / TITEL- UND

EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

1. Samba Galadjies Kindheit

Die Familie der Denianke gehörte dem Stamme (Dimu =Edle) Mba (bei Bammana Diagite genannt) an. Als Samba Galadjie geboren wurde, starb sein Vater, der König über das Land gewesen war. Nun nahm der Bruder seines Vaters die Herrschaft und den Jungen an sich. — Samba Galadjie hatte als Erbe nur drei Pferde. Das erste Pferd hieß Mulatomm, das zweite Pferd hieß Dabakorro, das dritte Pferd hieß Njegenjege. Diese drei Pferde ließ ihm der Onkel, sonst nichts.

Er hatte aber einen Gaulo (so heißen bei den Fulbe in Toro die Spielleute) und eine Flinte. Von dem Augenblick an, da er sie tragen konnte, begab er sich allmorgendlich mit der Flinte auf die Jagd in den Busch. Sein Gaulo Seuod Amalad begleitete ihn und spielte. Wenn er auf der Jagd etwas tötete, so bereitete er es und aß es mit seinem Gaulo zusammen. Wenn aber seine Mutter irgendein Mehigericht oder eine Olspeise bereitet hatte, so rührte er die nicht an. Er lebte fast mehr im Walde als in der Ortschaft des Königs, seines Vaters Bruder.

Ein junger Koladjo (ein Koladjo ist ein junger Sklave, einer, der noch nicht das Vertrauen seines Herrn gewonnen hat; er ist also nicht soviel wie ein Dimadio, der schon beinahe ein Freier ist) ging in dieser Zeit einmal im Walde. Er hörte einen Vogel singen. Es war ein kleiner Vogel mit einem großen Schnabel. Er sang so deutlich, daß der junge Koladjo ganz genau alles verstehen konnte, was jener sang. Der Vogel sang ein langes Lied. Das Lied sprach nur von Samba Galadjie. —Der Koladjo blieb stehen. Er hörte hin und blieb stehen, bis das ganze Lied zu Ende war. Als der Vogel vollendet hatte, ergriff er sein Gewehr und schoß ihn tot.

Der Koladjo lief dahin, wo der Vogel herniedergefallen war. Er nahm ihn auf und schnitt ihn auf. Als er den Vogel öffnete, sah er, daß in das Herz eine große Menge von Schriftzügen eingegraben war. Er nahm das Herz und lief zu den Gaulo (den Spielleuten in Toro). Er sagte zu den Spielleuten: "Nun haben wir etwas, nun haben wir etwas Großes. Nun haben wir etwas von Samba Galadjie, ein langes Lied." Er zeigte den Gaulo das Herz des Vogels. Er sang ihnen das ganze vor. Die Gaulo sagten: "Das ist allerdings eine große Sache."

Die Gaulo sangen das Lied, das der Koladjo von dem Vogel im Busche gehört hatte. Sie gingen zu dem Hause Samba Galadjies



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und sangen vor dem Hause das Lied. Sie sangen es, und alle Leute hörten es. Auch der Bruder des Vaters Samba Galadjies hörte die Leute singen. Er hieß Konko Bo Mussa. König Konko Bo Mussa fragte: "Was sind das für Landstreicher, die vor dem Hause Samba Galadjies randalieren?" Die Leute gingen hin und hörten zu. Sie dachten (unter sich): "Das ist ein sehr schöner Gesang." Dann gingen sie zu Konko Bo Mussa zurück und sagten: "Das ist eine Gesellschaft von Gaulo, die singt vor Samba Galadjies Haus dem jungen Königssohne zu Ehren." König Konko Bo Mussa sagte: "Weshalb singen sie vor dem Hause des Samba Galadjie? Was ist an dem?" Er ließ die Gaulo kommen und fragte: "Weshalb singt ihr vor dem Hause dieses Samba Galadjie, an dem nichts dran ist, aus dem nichts Sonderliches werden wird? Weshalb singt ihr nicht vor dem Hause meines Sohnes Sulenjei? Singt vor dem Hause meines Sohnes Sulenjei, dann tut ihr etwas Rechtes, und ich werde mit euch zufrieden sein." Die Gaulo gingen. Aber sie sangen nicht vor dem Hause Sulenjöis, denn sie kannten keinen Sang für ihn, und kein Vogel hatte ein Lied für den Neffen des alten Königs gesungen.

Samba Galadjie und Sulenjei waren gute Freunde. Sie saßen jeden Tag zusammen. Sie trafen sich abends am Senegal und verbrachten ihre Zeit plaudernd auf einer Sandbank. So ging das lange Zeit, und lange Zeit waren sie gute Freunde. Eines Tages kam ein Diapoto (d. i. ein Maure, Surakka bei den Mandingo) des Weges. Er sah die beiden Freunde da sitzen. Er sagte zu ihnen: "Ich habe hier zehn Stück Stoff und eine kleine Kalebasse. Ich werde diese kleine Kalebasse in die Luft werfen. Derjenige von euch, der sie herunterzuschießen weiß, bekommt die zehn Stück Stoff." Samba Galadjie sagte zu Sulenjei: "Fang du an." Dann rüstete Sulenjei sein Gewehr und rief: "Wirf!" Der Diapoto warf die kleine Kalebasse in die Luft. Sulenjei schoß und fehlte. Er rief: "Wirf noch einmal!" Der Diapoto warf die kleine Kalebasse noch einmal in die Luft. Inzwischen hatten sich schon viele Menschen angesammelt. Die sahen zu. Sulenjei schoß noch einmal. Er traf nicht. Er ward ärgerlich und rief: "Wirf dann noch einmal." Der Diapoto warf die Kalebasse noch einmal in die Luft. Sulenjei schoß noch einmal und traf wiederum nicht. Da lachten alle Menschen, die sich rundherum angesammelt hatten, laut über Sulenjei, den Sohn des Vaterbruders des verstorbenen Königs.

Nunmehr nahm Samba Galadjie sein Gewehr in die Hand. Er sagte zu dem Diapato: "Wirf die Kalebasse noch einmal in die



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Luft." Alle Leute waren still und sahen hin. Der Diapoto warf die Kalebasse in die Luft. Der Sohn des Königs schoß und zerschmetterte sie mit diesem Schuß. Darauf schrie die Volksmenge: "Ho, Samba Galadjie! Ho, Galadjie!" Die Gaulo begannen das Lied zu singen, das der Koladjo dem Vogel im Walde abgelauscht hatte. — Sulenjei aber war böse. Mit bösem Antlitz verließ er den Platz auf der Sandbank.

Am anderen Tage erzählte Sulenjei alles das dem Könige Konko Bo Mussa. Er sagte: "Alles Volk hängt an diesem Samba Galadjie." König Konko Bo Mussa sagte: "Mein Sohn Sulenjei, ärgere dich nicht. Was ist dieser Samba Galadjie? Er ist ein Strauchdieb, ein Knabe, der im Walde mit den Tieren lebt, ein vaterloses, besitzloses Kind. Dich aber, mein Sohn Sulenjei, dich will ich zum Könige machen. Du sollst das Land erhalten, das einst Samba Galadjies Vater gehörte. Dann wirst du mit diesem Burschen machen können, was du willst. Du wirst der König sein, nicht er. Er wird nichts sein." Sulenjei sagte: "Dann ist es gut, mein Vater."

Darauf begab sich Samba Galadjie zu seinem Onkel, dem Könige Konko Bo Mussa und sagte: "Jüngerer Bruder meines Vaters! Seinerzeit gehörte dieses Land meinem Vater. Er starb und du nahmst es an dich, wie du mich an dich nahmst. Wenn ich erwachsen sein werde, gib mir das Erbe meines Vaters wieder. Es kommt deinem Sohn Sulenjei nicht zu. Du hast Sulenjei gesagt, du wolltest ihn zum Könige machen, das war unrecht, denn dieses Land gehört mir von Rechts wegen." Konko Bo Mussa sagte: "Was du gewinnst, was du selber gewinnst, gehört dir. Das Land geb ich meinem Sohne. Nun mach, was du willst. Mir ist es gleich. Zum Könige mache ich dich nicht." Samba ging.

Seuod Amalad sagte zu Samba Galadjie: "Erwarte von dem Bruder deines Vaters nichts. Er spielt dir übel genug mit. Du wirst von ihm nichts erhalten. Kümmere dich aber nicht darum, sondern folge seinem in schlechter Absicht gegebenen Rate. Erwirb dir, was du erwerben kannst, damit kommst du am weitesten." Samba Galadjie sagte: "Es ist gut. Rüste die Pferde."


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