Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

SPIELMANNS GESCHICHTEN DER SAHEL

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



Atlantis Bd_06-0004 Flip arpa

MIT EINER KARTE DER SAHARA UND

EINER BILDERTAFEL / TITEL- UND

EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

18. Der Ursprung der Fulbe

Alle Fulbe, ob sie heute im Toro, Diallon, Massina oder wo sie sonst wollen, wohnen, stammen ab von hie Diallali Diaje. Der hatte einen jüngeren Bruder mit Namen Diommero Diaje. Diese beiden sollen in Kigeri, einem am Niger gelegenen Orte, aufgewachsen sein - einem Orte, der am Niger gegenüber von Saneanding lag. Einige allerdings behaupten, hie Diallali Diaje wäre nicht hier, sondern anderweitig, weiter dem Senegal zu, groß geworden.

Mit den beiden Burschen zusammen entstand ein Ei. Die Mutter sagte zu hie Diallali Diaje: "Achte stets darauf, daß dem Ei nichts geschehe, und daß dessen Schale nicht vorzeitig zerbreche. Baut ihm ein eigenes Häuschen." hie Diallali Diaje sagte: "Wir wollen es



Atlantis Bd_06-227 Flip arpa

tun." Er baute ein Haus und legte mit großer Vorsicht das Ei da hinein. Jeden Morgen ging er mit seinem jüngeren Bruder hin und blickte das Ei an.

Eines Tages traten sie am frühen Morgen wieder in das Haus hinein und betrachteten das Ei. Da sahen sie, daß seine Schale zerbrochen war und daß eine kleine Frauengestalt darin lag. Diese Frauengestalt war aber nicht vollständig. Vielmehr war es nur ein Oberkörper von wohlausgebildeten Formen, mit Kopf, Armen, Brust. Aber der Unterkörper fehlte. Als das Mädchen hie biallali Diaje sah, wollte sie entfliehen. Sie erschrak sehr. hie Diallali Diaje aber sagte: "Erschrick nicht, meine Schwester, ich werde dich nicht essen." Darauf ward das Mädchen ruhig und sagte: "So will ich dir denn sagen, wie ihr es in Zukunft mit mir zu halten habt. Nie darf mich ein Fulbemädchen sehen, das noch nicht entwickelte Brüste hat. Und nie darf ein Fulbe ein Mädchen heiraten, dessen Brüste noch nicht entwickelt sind. Solange ihr das einhaltet, werdet ihr bei mir stets Mehrung des Wohlstandes finden. Ihr werdet reich werden, und es wird euch wohlergehen. Sobald aber meine Gebote übertreten werden, ergeht es euch nicht mehr gut." hie Diallali Diaje sagte: "Meine Schwester, wir wollen das einhalten."

Das Mädchen ohne Unterkörper hieß Tschopijo. Tschopijo verließ ihre kleine Hütte niemals. Sie aß aber auch nie etwas. Jeden Morgen kam hie Diallali Diaje in ihre Behausung, nach ihr zu sehen, und jeden Morgen gab Tschopijo ihm etwas. So ward er von Tag zu Tag wohlhabender, und endlich ward er ein sehr reicher Mann. Als er nun über viele Rinder und Kühe und Reichtümer verfügte, vergaß er das Gebot seiner Schwester und heiratete eines Tages ein junges Mädchen, dessen Busen noch nicht entwickelt war.

Am anderen Tage rief Tschopijo ihren Bruder Ille Diallali Diaje in ihre Hütte und sagte zu ihm: "Habe ich dich nicht gewarnt und dir gesagt, daß nie ein junges Mädchen, dessen Busen noch nicht entwickelt ist, mich sehen, daß nie ein Pulo ein junges Mädchen, dessen Busen noch nicht entwickelt ist, heiraten darf? Jetzt hast du mein Gebot doch übertreten und ein Mädchen geheiratet, dessen Busen noch nicht entwickelt ist. Nun wirst du selbst sehen müssen, was geschieht. Sorge dafür, daß mich deine junge Frau nicht sieht, sonst gebe ich dir morgens nichts mehr." hie Diallali Diaje sagte: "Ich verspreche dir hierfür zu sorgen." Darauf ging es denn eine Zeitlang wie bisher. Jeden Morgen erhielt der Bruder von seiner Schwester die Gaben.



Atlantis Bd_06-228 Flip arpa

Eines Tages sagte aber die junge Frau zu ihrem Gatten hie Diallali Diaje: "Sag mir doch, was hast du in dem kleinen Häuschen? Es sind sicher Toru (Zaubermittel), die darin sind." Der Bruder sagte: "Das geht dich gar nichts an. Unterstehe dich niemals, da hineinzusehen!" Die junge Frau versprach es. Am anderen Morgen rief aber Tschopijo ihren Bruder hie Diallali Diaje und sagte zu ihm: "Mein Bruder, ich weiß, das Unglück wird geschehen. Deine junge Frau wird zu mir hereinsehen. Geh also und bringe mir einen Stock." hie Diallali Diaje ging hinaus, nahm einen Stock und reichte ihn seiner Schwester Tschopijo. Seine Schwester sagte zu ihm: "An dem Tage, da deine junge Frau in meine Hütte sehen wird, werde ich mich aufmachen und von dannen gehen. Dann werden mir alle die Rinder und Kühe folgen, die du durch meine Gaben erworben hast, und es wird nichts mehr bei dir bleiben. Es gibt nur ein Mittel, dir etwas zu retten: "Nimm diesen Stab und schlage auf jedes Stück Vieh, das du noch erreichen kannst, und jedes derart getroffene Tier wird bleiben." hie Diallali Diaje nahm den Stock.

Am anderen Morgen machte hie Diallali Diaje sich auf, nach seinem Felde zu sehen. Als er fortgegangen war, vermochte die junge Frau ihre Neugier nicht mehr zu bändigen. Sie schlich sich vorsichtig hin und ging zu dem Häuschen, in dem Tschopijo lebte. Sie öffnete das Häuschen und blickte hinein. Darauf aber erhob sich Tschopijo und ging von dannen. Sie ging. Alle Rinder und Kühe erhoben sich, um sich auf den Weg zu machen und Tschopijo zu folgen.

Als hie Diallali Diaje mit seiner Feldarbeit fertig war, machte er sich auf den Heimweg. Als er heimkam, war Tschopijo fortgegangen, und die Hälfte alles Rindviehs war ihr schon gefolgt. Da nahm er schnell den Stab, den Tschopijo dagelassen hatte und schlug das Rindvieh damit, und das getroffene blieb bei ihm.

Das andere Rindvieh war mit Tschopijo nach Dilali (am Lac Debo) in Farimaka und da ins Wasser gegangen. Dort kann man heute noch Rinder im Wasser sehen. Tschopijo lebte ewig und immer im Wasser, bis die Franzosen ins Land kamen. Da starb sie. (Berichtet von einem Fulbe in Mopti)


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt