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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

UBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 2

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON KAMAR EZ-ZAMÂN

Es lebte in alten Zeiten und in längst entschwundenen Vergangenheiten ein König des Namens Schehrimân, dem waren viele Truppen und Diener und Wachen untertan; doch war er hochbetagt, und sein Gebein war schwach, und er hatte keinen Sohn. Darüber machte er sich viele Gedanken, er ward traurig und unruhig, und so klagte er einst einem seiner Wesire seine Not, indem er sprach: ,Ich fürchte, wenn ich sterbe, wird mein Reich verloren gehen; denn ich habe keinen Sohn, der es nach meinem Tode verwalten könnte.' Jener Wesir antwortete ihm: ,Vielleicht wird Gott doch noch etwas geschehen lassen. Drum vertraue auf Allah, o König, und bete zu ihm inständigst!' Da ging der König hin, vollzog die religiöse Waschung, betete zwei Rak'as und fichte zu Allah dem Erhabenen in reiner Absicht. Dann ließ er seine Gemahlin zu seinem Lager kommen und ruhte mit ihr zur selbigen Stunde. Sie aber empfing von ihm durch die Macht Allahs des Erhabenen. Und als ihre Monate erfüllet waren, gebar sie einen Knaben, der so



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schön war wie der Mond in der Nacht seiner Fülle. Den nannte er Kamar ez-Zamân'. und hocherfreut über ihn, ordnete er ein Freudenfest an. Da ward die Stadt sieben Tagelang geschmückt, die Trommeln wurden geschlagen, und Boten eilten mit der Freudennachricht durch die Lande. Ammen und Wärterinnen wurden für ihn bestellt, und er wurde mit Sorgfalt und Liebe erzogen, bis er fünfzehn Jahre alt war. Und er übertraf alle durch Schönheit und Lieblichkeit und seines Wuchses Ebenmäßigkeit; sein Vater aber liebte ihn so sehr, daß er sich Tag und Nacht nicht von ihm trennen konnte. Im Übermaße seiner Liebe klagte er einst einem seiner Minister: ,Wesir, ich bin in Sorge um meinen Sohn Kamar ez-Zamân wegen der Wechselfälle der Zeit und der Schicksale, und ich möchte ihn noch zu meinen Lebzeiten vermählen.' Der Wesir antwortete ihm: ,Wisse, o König, die Eheschließung ist eine der trefflichsten Handlungen; es ist recht und billig, daß du deinen Sohn bei deinen Lebzeiten vermählst, ehe du ihn zum Herrscher machst.' Da sprach König Schehrimân: ,Man bringe meinen Sohn Kamar ez-Zamân!' Der trat nun vor ihn und senkte sein Haupt aus Ehrfurcht vor seinem Vater zu Boden. Sein Vater redete ihn an: ,Kamar ez-Zamân, ich will dich vermählen und mich deiner noch zu meinen Lebzeiten erfreuen.' ,Lieber Vater.' erwiderte er, ,wisse, ich trage kein Verlangen danach, mich zu vermählen, und meine Seele neigt sich nicht den Frauen zu; denn ich habe über ihre List und Tücke viel gelesen und gehört, wie ja auch ein Dichter sagt:

Wenn ihr mich nach den Frauen fragt, so wisset:
Ich kenn die Art der Frauen alleweil.
Ergraut des Mannes Haupt und schmilzt sein Geld,
Hat er an ihrer Liebe keinen Teil.



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Und ein anderer sagt:

Den Frauen leiste nicht Folge; das ist der schönste Gehorsam.
Ein Mann, der seinen Halfter den Frauen gibt, hat kein Glück.
Wenn er auch tausend Jahre sich um das Wissen bemühet -
Sie halten ihn vor Vollendung des hohen Zieles zurück.'

Nach diesen Versen fuhr er fort: ,Lieber Vater, das Heiraten ist etwas, das ich niemals tun werde, auch wenn ich den Becher des Todes trinken müßte!' Als aber der Sultan Schehrimân diese Worte aus dem Munde seines Sohnes vernommen hatte, da ward das helle Licht finster vor seinem Angesicht, und er war tiefbetrübt. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 171. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß dem König Schehrimân, als er diese Worte aus dem Munde seines Sohnes vernommen hatte, das helle Licht finster ward vor dem Angesicht und daß er tiefbetrübt war, weil sein Sohn Kamar ez-Zamân den Rat sich zu vermählen, den er ihm gegeben hatte, nicht befolgen wollte. Aber in seiner großen Liebe zu ihm wollte er seinen Rat nicht wiederholen, und er zürnte ihm nicht, sondern er trat zu ihm und sprach ihm freundlich und gütig zu mit aller Liebe, die ein Herz gewinnen kann. Derweilen aber nahm Kamar ez-Zamân mit jedem Tage zu an Schönheit und Lieblichkeit, Anmut und Zierlichkeit. Nun wartete König Schehrimân ein ganzes Jahr; und da sah er, daß sein Sohn in Reinheit und Feinheit der Rede vollkommen war. Alle Welt ward berauscht von seiner Herrlichkeit; jedes hauchende Lüftchen kündete von seinem Liebreiz weit und breit. Er ward eine Verführung für die Liebenden durch seine Lieblichkeit, und eine blühende Aue für die Sehnsuchtsvollen durch seine Vollkommenheit.



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Seine Rede war wie ein zartes Gedicht; den Vollmond beschämte sein Angesicht. Sein Wuchs war von vollkommener Ebenmäßigkeit, von Liebreiz und Zierlichkeit, als wäre er ein Weidenzweig oder dem Rohre des Schilfes gleich. Seine Wange stand durch ihrer Röte Schein für Rose und Anemone ein. Er war aller Schönheit Hort, wie es von ihm hieß in des Dichters Wort:

Er kam, und alle riefen: Gepriesen sei Allah,
Der Hocherhabene; denn er schuf ihn und gab ihm Gestalt!
Allüberall ist er allein der Fürst der Schönen;
Sie alle haben sich gebeugt vor seiner Gewalt.
In seinem Lippentau ist zarter, süßer Honig;
Und seine Zähne sind wie Perlen aufgereiht.
An Lieblichkeit ist er. nur er allein vollkommen;
Ja, alle Welt verwirrt sich ob seiner Lieblichkeit.
Die Schönheit selber schrieb ihm auf die Wange sein:
Ich bezeuge, es gibt keinen Schönen außer ihm ganz allein.

Als dann Kamar ez-Zamân ein weiteres Jahr vollendet hatte, berief ihn sein Vater zu sich und sprach zu ihm: ,Mein Sohn, willst du nicht auf mich hören?' Da fiel Kamar ez-Zamân vor seinem Vater in Ehrfurcht und Bescheidenheit zu Boden und antwortete: ,Lieber Vater. wie sollte ich nicht auf dich hören. da doch Allah mir geboten hat, dir zu gehorchen und mich dir nicht zu widersetzen?' König Schehrimân fuhr nun fort: ,Mein Sohn, wisse, ich will dich vermählen und noch bei meinen Lebzeiten meine Freude an dir haben; und dann will ich dich. ehe ich sterbe, zum Herrscher über mein Reich machen.' Wie der Prinz diese Worte von seinem Vater vernahm, senkte er eine Weile sein Haupt; dann hob er es wieder und sprach: ,Lieber Vater, dies ist etwas, das ich niemals tun werde, auch wenn ich den Becher des Todes trinken müßte. Ich weiß gewiß, daß Allah der Erhabene es mir zur Pflicht gemacht hat,



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dir zu gehorchen; aber um Gottes willen, quäle mich nicht mit dem Heiraten und glaube nicht, daß ich mich zeit meines Lebens vermählen werde. Denn ich habe Bücher von den Alten und den Neuen gelesen und habe daraus gelernt, wie die Männer durch die Frauen verführt und ins Elend geraten sind, wie ihre Tücke endlos ist, und welches Unheil durch sie entsteht zu jeglicher Frist. Wie schön sagt doch der Dichter:

Wen die dreisten Dirnen fingen,
Der sieht keine Rettung mehr,
Baut er sich auch tausend Burgen
Bleiumgossen ringsumher.
Ja, ihr Bau ist ganz vergeblich,
Unnütz stehn die Festen da;
Denn die Frauen überlisten
Jeden Mann, ob fern, ob nah -
Sie, die ihre Finger färben,
Die das Haar in Zöpfe drehn,
Sie, die ihre Wimpern schminken,
Die auf Gifttrank sich verstehn!

Wie vortrefflich sagt auch ein anderer:

Die Frauen sind, wenngleich man sie ob Keuschheit rühmt,
Nur Kehricht. bei dem die Geier schweben, um zu wühlen.
Zwar gestern galt noch dir allein ihr lispelnd Wort;
Doch morgen wird ihre Wade und Hand ein andrer fühlen -
Ein Gasthaus, in dem du wohnst, von dem du dich morgens trennst,
In dem nach dir ein andrer wohnt, den du nicht kennst.

Nachdem König Schehrimân diese Worte von seinem Sohne Kamar ez-Zamân vernommen, und nachdem der Sinn seiner Verse ihm zum Bewußtsein gekommen, gab er in seiner übergroßen Liebe zu ihm keine Antwort; vielmehr war er nur noch huldvoller und gütiger gegen ihn. Er ließ auch die Versammlung alsbald auseinandergehen; und nachdem man sich getrennt hatte, rief der König seinen Minister, zog sich mit ihm



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zurück und sprach zu ihm: ,Wesir, sage mir, was soll ich mit meinem Sohne Kamar ez-Zamân tun in Dingen der Ehe?'——«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 172. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der König seinen Minister rief, sich mit ihm zurückzog und zu ihm sprach: ,Wesir, sage mir, was soll ich mit meinem Sohne Kamar ez-Zamân tun in Dingen der Ehe? Ich habe dich doch über seine Vermählung um Rat gefragt, und du bist es, der mir geraten hat, ihn zu vermählen. ehe ich ihn zum Herrscher mache! Nun habe ich ihm schon mehrere Male von der Ehe gesprochen, aber er hat sich mir widersetzt. Gib mir jetzt deinen Rat, Wesir, was soll ich tun?' Da antwortete der Minister: ,Großer König, warte noch ein Jahr mit ihm; und wenn du dann mit ihm darüber reden willst, so sprich nicht heimlich mit ihm, sondern rede zu ihm an einem Regierungstage, wenn alle Emire und Wesire anwesend sind und alle Krieger vor dir stehen. Wenn also alle diese versammelt sind, so schicke alsbald nach deinem Sohne Kamar ez-Zamân und laß ihn kommen. Und wenn er dann gekommen ist, so sprich mit ihm über die Vermählung in Gegenwart der Wesire, der Großen im Lande und der Männer von Stande. Dann wird er sich vor ihnen schämen und in ihrer Gegenwart dir nicht mehr widersprechen können.' Über diese Worte des Wesirs war König Schehrimân hocherfreut; er hieß diesen Rat gut und verlieh dem Minister ein prächtiges Ehrengewand.

Noch ein weiteres Jahr geduldete sich König Schehrimân mit seinem Sohne Kamar ez-Zamân. Und der nahm mit jedem Tage zu an Schönheit und Lieblichkeit, an Anmut und Vollkommenheit, bis er fast zwanzig Jahre alt war. So kleidete ihn



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Allah in das Gewand der Lieblichkeit und krönte ihn mit der Krone der Vollkommenheit; da war sein Blick ein größerer Zauberer als Harût', und das Spiel seiner Augen war verführerischer als et-Taghût'. Seine Wangen erglänzten in rosigem Kleide, und seine Wimpern beschämtendes Schwertes Schneide. Die Weiße seiner Stirn war gleich wie des Mondes Pracht, und die Schwärze seines Haares war wie die finstere Nacht. Sein Leib war schmaler als ein Faden im Gewand, und seine Hüften waren schwerer als Hügel von Sand. Die Sinne wurden verwirrt durch die weichen Formen seiner Gestalt. und sein zarter Leib beklagte sich ob seiner Hüften schwerer Gewalt. Ja, seine Reize entzückten alle Welt, so wie ein Dichter von ihm in diesen Versen sprach:

Ich schwöre bei seiner Wange und bei seinem lächelnden Mund,
Und bei den Pfeilen, die er gefiedert, mit Zauber im Bund;
Bei seinen weichen Formen, seines Blickes zartem Licht:
Bei seiner weißen Stirn, seinen Locken, so schwarz und dicht;
Und bei der Braue, die mir den Apfel des Auges stiehlt,
Die ,nich überwältigt, wenn sie verbietet oder befiehlt;
Bei seiner Locken Fülle, die um seine Schläfen weht,
Die bald die Liebenden tötet, wenn er von dannen geht;
Bei seinen rosigen Wangen, dem Haarflaum, so wunderbar fein,
Und den korallenen Lippen, der Zähne Perlen reihn;
Bei seinem duftenden Atem und bei dem Tau so rein,
Der in seinem Munde fließet, süßer als alter Wein;
Bei seinen schweren Hüften, die beben, mag er gehn
Oder auch ruhn, und bei seinem Leibe, so schlank und schön;
Bei seiner mildtätigen Hand, seiner Zunge Redlichkeit,
Und bei seiner edlen Geburt, seiner Macht, so hoch: und weit:



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Der Moschus ist ein Abglanz von seinem Wangenmal;
Von seinem Hauche duften die Wohlgerüche zumal.
So auch die strahlende Sonne; vor ihm muß sie erbleichen;
Der Mond kann nicht einmal dem Span seines Nagels gleichen.

Der König Schchrimân, der den Rat des Wesirs gutgeheißen hatte, wartete also noch ein weiteres Jahr bis zu einem Festtage. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 173. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der König Schehrimân, der den Rat des Wesirs gutgeheißen hatte, noch ein weiteres Jahr wartete bis zu einem Festtage. Das war ein Regierungstag, und an ihm füllte sich die Halle des Königs mit den Emiren und Wesiren, mit den Großen im Lande, den Kriegern und den Männern von Stande. Da sandte er nun nach seinem Sohne Kamar ez-Zamân; und als der gekommen war, küßte er dreimal den Boden vor seinem Vater und trat dann vor ihn, indem er seine Arme auf dem Rücken gekreuzt hielt. Nun sprach sein Vater zu ihm: ,Wisse, mein Sohn, ich habe dich diesmal vor diese Versammlung und vor all die Großen des Reiches, die hier bei uns sind, entboten. damit ich dir einen Befehl erteile, dem du nicht widersprechen sollst. Der ist, daß du dich vermählest; denn ich wünsche dir eine Prinzessin zur Frau zu geben, damit ich an dir meine Freude habe, ehe ich sterbe.' Als Kamar ez-Zamân dies von seinem Vater vernommen hatte, senkte er sein Haupt eine Weile zu Boden. Aber dann ergriff ihn plötzlich die Torheit der jugend und kindische Unvernunft, und er sprach: ,Niemals werde ich mich vermählen, auch wenn ich den Becher des Todes trinken müßte. Du bist ein Mann von großem Alter, aber von keinem Verstand.



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Hast du mich nicht früher schon zweimal vor diesem Male über die Ehe befragt, ohne daß ich dir darin will fahrt bin»' Darauf löste Kamar ez-Zamân die Arme von seinem Rücken, streifte in seiner Wut die Ärmel vor seinem Vater bis zu den Ellbogen auf und redete viele Worte vor ihm gestörten Geistes. Zuerst war sein Vater beschämt und verlegen, weil dies vor den Großen seines Reiches geschah und vor den Kriegsmannen, die zu der Festversammlung erschienen waren. Dann aber ergriff ihn königlicher Zorn, und er schrie seinen Sohn an, daß er zitterte. Und den Mamluken, die vor ihm standen, rief er zu: ,Packt ihn!' Da stürzten sie auf ihn zu, ergriffen ihn und führten ihn vor den Thron. Nun befahl der König ihnen, ihm die Hände auf dem Rücken zu fesseln; sie taten es, und so stand er gebunden vor dem König, indem er sein Haupt vor Furcht und Angst senkte, und die Schweißtropfen glänzten wie Perlen auf seiner Stirn und auf seinem Antlitz, und Scham und Verwirrung bedrückte ihn schwer. Sein Vater aber schalt und schmähte ihn, indem er sprach: ,Wehe dir, du Bastard blut, du schändliche Brut! Wie darfst du mir so antworten vor meinen Kriegern und meinem Heere? Freilich, bisher hat dich noch niemand gezüchtigt.' — — «

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 174. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß König Schehrimân zu seinem Sohne Kamar ez-Zamân sprach: ,Wie darfst du mir so antworten vor meinen Kriegern und meinem Heere» Freilich, bisher hat dich noch niemand gezüchtigt. Weißt du nicht, daß dies, was du getan hast, eine Schande gewesen wäre, wenn einer aus dem gemeinen Volke es getan hätte»' Darauf befahl der König den Mamluken, seine Fesseln zu lösen und ihn in einen



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Turm der Festung einzusperren. Da ergriffen die Mamluken ihn und brachten ihn zu einem alten Turm; dort befand sich ein verfallener Saal und mitten in dem Saale ein alter, bröckliger Brunnen. Doch zuvor fegten sie ihn aus und säuberten den Boden; dann setzten sie für Kamar ez-Zamân eine Lagerstatt hinein, bedeckten sie mit einer Matratze und einer Lederdecke und legten ihm ein Kissen hin. Auch brachten sie ihm eine große Laterne und eine Wachskerze, da jener Ort auch am Tage dunkel war. Nachdem die Mamluken nun den Kamar Zamân ez-Zamân dorthin gebracht hatten, stellten sie bei der Tin des Saales einen Eunuchen auf. Und nun legte der Prinz sich auf das Lager, gebrochenen Geistes und betrübten Herzens, und machte sich selbst Vorwürfe; und er bereute, was er seinem Vater angetan hatte, jetzt, wo die Reue nichts mehr nützte. Und er sprach: ,Allah verfluche das Heiraten und die falschen Mädchen und Frauen! Hätte ich doch nur auf meinen Vater gehört und mich verheiratet! Wenn ich das getan hätte, so wäre es besser für mich gewesen als dieser Kerker!' So weit Kamar ez-Zamân. Was aber seinen Vater anlangt, so blieb er den Tag über bis zur Zeit des Sonnenuntergangs auf seinem Throne. Dann zog er sich mit dem Minister zurück und sprach zu ihm: ,Wisse, Wesir, du bist die Ursache von alledem, was zwischen mir und meinem Sohne vorgefallen ist; denn du hast mir damals den Rat gegeben. Was rätst du mir aber jetzt zu tun?' ,Großer König,' erwiderte er, ,laß deinen Sohn vierzehn Tage lang im Kerker. Dann laß ihn vor dich bringen und befiehl ihm, sich zu vermählen; fürwahr, er wird dir nie mehr widersprechen.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 175. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet



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worden, o glücklicher König, daß der Wesir zu König Schehrimân sprach: ,Laß deinen Sohn vierzehn Tage lang im Kerker. Dann laß ilm vor dich bringen und befiehl ihm, sich zu vermählen; fürwahr, er wird dir nie mehr widersprechen.' Der König nahm den Rat des Wesirs an, und in jener Nacht legte er sich, unruhigen Herzens um seines Sohnes willen, zum Schlafe nieder; denn er liebte ihn innig, da er keinen anderen Sohn als ihn hatte, und bis dahin hatte er niemals einschlafen können, wenn er nicht vorher seinen Arm unter den Hals des schlafenden Kamar ez-Zamân gelegt hatte. So verbrachte er denn die Nacht sorgenvollen Sinnes um seinetwillen und warf sich von der einen Seite auf die andere, als ob er auf Kohlen vom Holze der Wüstensträucher läge. Böse Gedanken kamen ihm, und er konnte die ganze Nacht über nicht schlafen; seine Augen vergossen Tränen, und er sprach die Verse:

Die Nacht wird mir so lang, und die Verleumder schlafen.
Genug sei dir ein Herz, das Trennungsweh zerbricht!
Und wie die Nacht den Gram so lange hinzieht, ruf ich:
Kehrst du denn niemals wieder, schönes Morgenlicht?

Dann sprach er die Worte eines anderen Dichters:

Ich sah, wie die Plejaden die Blicke von ihm wandten,
Und wie der Nordstern ihm mit Schlaf die Augen band,
Und wie der Bahre Töchter' in Trauer weiterzogen -
Da wußt ich, daß ihr Morgen auf immerdar entschwand.

Lassen wir nun den König Schehrimân und wenden uns zu seinem Sohne Kamar ez-Zamân! Als die Nacht über ihn hereinbrach, setzte der Eunuch die Laterne vor ihn hin, zündete



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die Kerze an und steckte sie in einen Leuchter; auch setzte er ein wenig Speise vor ihn hin. Da aß der Prinz; doch er machte sich immer Vorwürfe darüber, daß er sich so ungebührlich gegen seinen Vater benommen hatte, und er sprach zu seiner Seele: ,O Seele, weißt du nicht, daß der Mensch an seine Zunge gebunden ist, und daß die menschliche Zunge es ist, die ihn ins Verderben stürzt?' Und seine Augen vergossen Tränen, und er weinte über das, was er getan hatte, aus betrübtem Herzen und einem Innern voll Schmerzen; ja, er bereute bitterlich, was er seinem Vater angetan hatte. Und er sprach die Verse:

Es stirbt der Mensch allein durch Straucheln seiner Zunge;
Der Tod wird ihm durch Stolpern des Fußes nicht zuteil.
Das Straucheln mit dem Munde büßt er mit seinem Kopfe;
Doch fehlt er mit dem Fuße, wird er gemächlich heil.

Als Kamar ez-Zamân dann mit dem Essen fertig war, bat er um Wasser, sich die Hände zu waschen. Da wusch der Eunuch ihm die Speisereste von den Händen; dann vollzog er selber die religiöse Waschung, sprach das Abendgebet und dann auch das Nachtgebet und setzte sich nieder. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 176. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Kamar ez-Zamân, nachdem er das Abendgebet und dann auch das Nachtgebet gesprochen hatte, sich auf seine Lagerstatt niedersetzte und den Koran rezitierte. Er sprach die folgenden Suren: die Kuh, das Haus 'Imrân, die Sure Jasîn, der Barmherzige, , Gepriesen ist der Herrscher', das reine Bekenntnis, und die beiden Talisman-suren'; ; dann schloß er mit der Anrufung 2, stellte sich in den



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Schutz Gottes, indem er sprach: ,Ich nehme meine Zuflucht zu Gott vor dem verfluchten Teufel', und legte sich auf die Lagerstatt nieder; auf ihr lag eine Matratze, die auf beiden Seiten mit Satin aus Ma' dan' überzogen und mit Seide aus dem Irak gefüllt war, und unter seinem Haupte hatte er ein Kissen aus Straußendaunen. Doch ehe er sich zum Schlafen niederlegte, warf er die Obergewänder ab, zog die Hosen aus und schlief in einem Hemde aus feiner Wachsleinwand, während sein Haupt mit einem blauen Kopftuch aus Merw bedeckt war. So lag nun Kamar ez-Zamân zu jener Stunde in jener Nacht da und war gleichwie der volle Mond, wenn er in der vierzehnten Nacht am Himmel thront. Dann hüllte er sich in eine seidene Decke ein und versank in Schlummer, während die Laterne zu seinen Füßen und die Kerze zu seinen Häupten brannten. Ruhig schlummerte er weiter, das erste Drittel der Nacht hindurch, und wußte nicht, was im Schoße der Zukunft verborgen war und was Allah, der alle Geheimnisse kennt, ihm bestimmt hatte.

Nun wollten es das Schicksal und das vorherbestimmte Verhängnis, daß dieser Turm und diese Halle alt und seit vielen Jahren verlassen waren, und daß sich in der Halle ein römischer Brunnen befand, bewohnt von einer Dämonin, die ihn zum Aufenthalt gewählt hatte; sie war aus dem Geschlechte des Iblis', des Verfluchten, und sie hieß Maimûna, die Tochter von ed-Dimirjât, einem berühmten Geisterkönig. — —s

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 177 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß jene Dämonin Maimûna hieß, die Tochter von ed-Dimirjât, einen» berühmten



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Geisterkönig. Als Kamar ez-Zamân das erste Drittel der Nacht geschlafen hatte, stieg jene Dämonin aus dem römischen Brunnen empor und wollte gen Himmel fliegen, um unbemerkt zu lauschen. Doch wie sie oben im Brunnen war, sah sie, ganz gegen die Gewohnheit, ein Licht im Turme leuchten; sie hatte ja schon eine lange Reihe von Jahren in dem Brunnen gewohnt, und als sie nun den Lichtschein bemerkte, verwunderte sie sich sehr und sprach bei sich: ,So etwas habe ich doch hier noch nie erlebt.' Sie dachte sich, daß dies einen besonderen Grund haben müsse, und so bewegte sie sich in der Richtung des Lichtes weiter. Da sah sie, daß es aus der Halle kam. Dann fand sie den Eunuchen an der Tür schlafen, und wie sie noch weiter in der Halle vorgedrungen war, fand sie ein Lager aufgeschlagen, auf dem eine menschliche Gestalt ruhte, und eine brennende Kerze zu ihren Häupten und eine brennende Laterne zu ihren Füßen. Erstaunt über das Licht schlich die Dämonin Maimûna ganz langsam heran; sie senkte ihre Flügel, blieb vor dem Lager stehen, nahm die Seidendecke vom Antlitze des Kamar ez-Zamân und blickte ihn an. Von seiner Schönheit und seiner Anmut überwältigt, blieb sie eine lange Weile dort stehen, und sie sah, wie das Licht seines Antlitzes heller war als das der Kerze, ja, sein Angesicht strahlte von hellem Licht; selbst im Schlafe erweckten seine Augen Liebespein, seine Augäpfel waren von dunklem Schein, rötlich glühten die Wangen sein, seine Lider waren müd anzuschauen, gewölbt wie Bogen waren seine Brauen; süß wie Moschus duftete sein Hauch, und so sagt von ihm der Dichter auch:

Ich küßte ihn, da wurden noch schwärzer seine Augen,
Die zaubernden, und die Wangen erglühten rot und schön.
O Herze, wenn die Tadler behaupten, seinesgleichen
Gab es an Schönheit wieder, sprich: Laßt mich ihn sehn!



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Wie die Dämonin Maimûna, die Tochter von ed-Dimirjât, ihn sah, pries sie Allah und sprach: ,Gesegnet ist Allah, der herrlichste Schöpfer!' Jene Dämonin gehörte nämlich zu den gläubigen Geistern. Nachdem sie so eine Weile dagestanden und das Antlitz des Kamar ez-Zamân angeschaut hatte, indem sie Gottes Einheit bekannte und den Jüngling um seine Schönheit und Anmut beneidete, sprach sie bei sich selber: ,Bei Allah, ich will ihm nichts antun und ilm vor Schaden durch andere bewahren, ja, ich will ihn behüten vor allen Gefahren; denn dieses liebliche Angesicht verdient nur, daß man es anschaut und zum Lobe Gottes von ihm spricht. Aber wie konnten die Seinen es über sich gewinnen, um hier an diesem öden Ort zu lassen? Wenn einer von unseren Mârids jetzt zu ihm aufstiege, er würde ihn sicherlich umbringen.' Darauf neigte die Dämonin sich über ilm und küßte ilm auf die Stirn; dann zog sie die Decke wieder über sein Antlitz und verhüllte es, öffnete ihre Flügel und flog gen Himmel empor. Als sie über den Söller jener Halle emporgestiegen war, flog sie in der Luft immer weiter und stieg immer höher in den Wolken, bis sie den untersten Himmel erreicht hatte; da hörte sie plötzlich Flügelschläge in der Luft. Sie flog jenem Schalle entgegen, und als sie ihm nahe kam, sah sie, daß es ein Dämon war, namens Dahnasch. Nun schoß sie wie ein Sperber auf ihn herab, und als Dahn asch sie bemerkte und erkannte, daß sie Maimûna, die Tochter des Geisterkönigs, war, erschrak er vor ihr, und seine Glieder erbebten. Und so flehte er sie um Gnade an, indem er sprach: ,Ich beschwöre dich bei dem allerhöchsten Namen, dem geehrten, und bei dem Talisman, dem hochverehrten, der auf dem Siegel Salomos eingegraben ist, sei gütig zu mir und tu mir nichts zuleide!' Als Maimûna diese Worte von



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Dahn asch vernommen hatte, empfand ihr Herz Mitleid mit ihm, und sie sprach: ,Du hast mich mit einem mächtigen Schwur beschworen, du Verfluchter; aber trotzdem lasse ich dich nicht frei, bis du mir sagst, woher du zu dieser Zeit kommst.' ,Hohe Herrin,' erwiderte er, ,wisse, ich komme vom äußersten Ende des Landes China und mitten von den Inseln dorther, und ich will dir ein Wunder kundtun, das ich in dieser Nacht erlebt habe. Wenn du findest, daß meine Worte wahr sind, so laß mich meiner Wege ziehen und schreib mir mit deiner eigenen Hand einen Freibrief, daß ich dein Freigelassener bin, damit keiner von den Scharen der Dämonen mir entgegentritt, sei er von denen, die oben in der Höhe fliegen, oder von denen, die unten in der Tiefe hausen, oder von denen, die ins Meer tauchen!' Maimûna aber entgegnete ihm: ,Was ist's, das du heute nacht gesehen hast, du Lügner, du Verfluchter? Tu es mir kund; doch lüge nicht, wenn du etwa vermeinst, du könntest meiner Hand durch Lüge entrinnen! Denn ich schwöre dir bei dem Zeichen, das in den Stein des Siegelringes Salomos, des Sohnes Davids - über beiden sei Heil! —, eingegraben ist, wenn deine Worte nicht wahr sind, so rupfe ich dir mit meiner eigenen Hand deine Federn aus, reiße dir die Haut ab und zerbreche dir deine Knochen!' Der Dämon Dahn asch ihn Schamhûrisch, der Geflügelte, sprach: ,Hohe Herrin, ich nehme diese Bedingung an.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 178. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Dahnasch zu Maimûna sprach: ,Hohe Herrin, ich nehme diese Bedingung an.' Dann fuhr er fort: ,Wisse, meine Gebieterin, ich komme heute nacht von den äußersten Inseln des Landes China; das ist des



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Königs el-Ghajûr Land, und er ist als Herr der Inseln und der Meere und der sieben Schlösser bekannt. Und dort sah ich eine Tochter jenes Königs, so schön, wie Allah keine zu ihrer Zeit erschaffen hat. Ich kann sie dir nicht beschreiben; denn meine Zunge vermag sie nicht so zu schildern, wie es sich gebührt. Trotzdem will ich dir etwas von ihren Reizen berichten und will der Wahrheit nahezukommen versuchen. Ihr Haar ist dunkel wie die Nächte des Scheidens und Voneinandergehens, ihr Antlitz aber ist hell wie die Tage des seligen Wiedersehens; und schön hat der Dichter von ihr gesungen:

Sie löste eines Nachts drei Locken ihres Haares -
Und zeigte mir, wie nun vier Nächte draus entstanden.
Sie blickte auf zum Mond am Himmel mit ihrem Antlitz,
Und zeigte mir, wie sich zwei Monde zugleich verbanden.

Ihre Nase ist wie des gefegten Schwertes Schneide; ihre Wangen sind wie Purpur wein, ja, wie rote Anemonen sind sie beide. Ihre Lippen scheinen Korallen und Karneole zu sein; der Tau ihres Mundes ist lieblicher als alter Wein. und sein Geschmack löscht die Feuer pein. Ihre Zunge bewegt ein reicher Verstand; stets ist ihr eine Antwort zur Hand. Ihr Busen berückt einen jeden, der ihn erblickt -Preis sei Ihm, der ihn geschaffen und gebildet hat! —Und an ihn schließen sich zwei runde Arme an, deren Lob einst der verzückte Dichter kundgetan:

Zwei Arme -hätten sie nicht an Spangen ihren Halt,
So flössen sie aus den Ärmeln mit eines Stromes Gewalt.

Und sie hat zwei Brüste wie Kästchen aus Elfenbein, von deren Glanze Sonne und Mond ihr Licht entleilsn; und einen Leib mit Falten so zart wie ein koptisches Gewebe von ägyptischer Art, gewirkt mit einer Faltenzier gleich dem gekräuselten Papier. Der schließt sich an einen schlanken Rumpf, undenkbar dem menschlichen Verstand, über Hüften gleich Hügeln aus Wüstensand;



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die ziehen sie nieder, wenn sie aufstehen will, und wecken sie, wenn sie schlafen will, wie der Dichter so trefflich von ihnen singt:

Die Hüften hängen ihr an einem zarten Rumpfe,
Und diese Hüften handeln schlecht gegen sie und ,nich.
Sie halten stets mich fest, wenn ich nur an sie denke,
Und ziehen sie herab zum Boden, erhebt sie sich.

Und diese Hüften werden getragen von zwei Schenkeln, rund und weich, und zwei Waden, Perlensäulen gleich. All dies wiederum ruht auf zwei zarten Füßen, schlank und scharf wie die Spitzen von Spießen, dem Werke Gottes, dessen Schutz und Vergeltung wir genießen. Und immer staune ich deswegen, wie sie in ihrer Kleinheit all das, was darüber ist, zutragen vermögen. Ich habe meine Beschreibung kurz gemacht, weil ich fürchte, sie würde sonst zu lange dauern.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 179. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Dämon Dahnasch ibn Schamhûrisch zu der Dämonin Maimûna sagte: ,Ich habe meine Beschreibung kurz gemacht, weil ich fürchte, sie würde sonst zu lange dauern.' Wie Maimûna die Beschreibung jenes Mädchens und ihrer Schönheit und Anmut gehört hatte, war sie erstaunt. Dahn asch aber fuhr fort: ,Der Vater des Mädchens ist ein König voll Macht, ein Ritter zum Kampfe entfacht, der durch das Schlachtengetümmel watet bei Tag und bei Nacht, der dem Tode ins Auge schaut und der sich vor dem Verderben nicht graut; denn er ist ein herrischer Tyrann und ein gewalttätiger, siegreicher Mann, der da herrscht über Krieger und Heere, über Länder und Inseln im Meere, über Städte und Dörfer im Land, König el-Ghajûr genannt, als der Herr der Inseln und der Meere und der sieben Schlösser bekannt.



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Er liebt seine Tochter. diese Maid, die ich dir beschrieben habe, heiß und innig, und in seiner Liebe zu ihr hat er die Schätze aller Könige aufgespeichert und ihr damit sieben Schlösser erbaut, ein jedes von besonderer Art; das erste aus Kristall, das zweite aus Marmor, das dritte aus chinesischem Stahl, das vierte aus Edelsteinen und Juwelen, das fünfte aus Mosaik von Ton und buntem Achat, das sechste aus Silber, und das siebente aus Gold. Und all die sieben Schlösser hat er mit kostbarem Hausrat angefüllt, mit seidenen Teppichen, mit Gefäßen aus Gold und Silber und mit allen Geräten jeglicher Art, wie Könige sie brauchen. Und er gebot seiner Tochter, in jedem Schlosse einen Teil des Jahres zu wohnen und dann in ein anderes zu ziehen. Ihr Name aber ist Prinzessin Budûr.'

Als nun ihre Schönheit bekannt wurde und ihr Ruhm sich im Lande verbreitete, schickten alle Könige zu ihrem Vater und freiten bei ihm um sie. Da sprach er mit ihr über die Ehe und wollte sie überreden; aber sie hatte eine Abneigung dagegen und sprach zu ihrem Vater: ,Lieber Vater, mich verlangt es ganz und gar nicht danach, vermählt zu werden; sieh, ich bin Herrin und Gebieterin und Prinzessin, ich herrsche über die Menschen, und ich will nicht, daß ein Mann über mich herrscht.' Doch jedesmal, wenn sie eine Werbung abwies, ward das Verlangen der Freier nach ihr nur noch größer. So schickten denn schließlich alle Könige der fernen Inseln Chinas Geschenke und Kostbarkeiten an ihren Vater und bewarben sich um sie in ihren Briefen. Da sprach ihr Vater wiederum mit ihr über die Ehe viele Male: aber sie willfahrte ihm nicht. Endlich ward sie seiner sogar überdrüssig und sprach zu ihm in ihrem Zorne: ,Vater. wenn du nur noch einmal mir von der Ehe redest, so gehe ich in den Palast, nehme ein Schwert, stecke es aufrecht



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in den Boden und setze mir die Spitze auf den Leib; dann werfe ich mich darauf, so daß es mir zum Rücken wieder herausfährt und ich so meinem Leben ein Ende mache.' Als der König solche Worte von ihr vernommen hatte, da ward das helle Licht finster vor seinem Angesicht, und sein Herz entbrannte heftig aus Sorge um sie; denn er fürchtete nun, sie würde sich das Leben nehmen, und er war ratlos, was er mit ihr und mit den Königen, die um sie freiten, tun solle. So sprach er zu ihr: ,Wenn es dein fester Wille ist, dich nicht zu vermählen, so gehe nicht mehr aus noch ein!' Dann führte ihr Vater sie in den Palast, schloß sie darin ein, setzte zehn alte Weiber als Aufseherinnen für sie ein und verbot ihr, in die sieben Schlösser zu gehen; ja, er tat, als sei er zornig wider sie, und schickte Briefe an alle die Könige und ließ sie wissen, sie sei mit Umnachtung des Verstandes geschlagen. Seit einem Jahre nun lebt sie in Abgeschlossenheit.' Dann sagte der Dämon Dahn asch noch zu der Dämonin Maimûna: ,Ich aber, hohe Herrin, gehe jede Nacht zu ihr, schaue sie an und habe meine Freude an ihrem Antlitz; und ich küsse sie auf die Stirn, während sie schläft, aber weil ich sie so lieb habe, füge ich ihr keinen Schaden und kein Leid zu, noch auch schlafe ich bei ihr. Ihre Jugend ist so schön und ihre Anmut so herrlich; und jeder, der sie sieht, entbrennt in eifersüchtiger Liebe zu ihr. Ich beschwöre dich, Herrin, kehre mit mir zurück, schau ihre Schönheit und Lieblichkeit und ihres Wuchses Ebenmäßigkeit; und dann, wenn du willst, so züchtige mich oder laß mich binden; tu, was du willst, denn du kannst gebieten und verbieten.' Darauf senkte der Dämon Dahnasch sein Haupt zu Boden und ließ seine Flügel hängen. Die Dämonin Maimûna aber lachte über seine Worte, spie ihm ins Angesicht und sprach: ,Was für ein Ding ist das Mädchen, von dem du sprichst? Das ist doch nur eine Topfscherbe zum Abwischen



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von Unrat! Pah, pah! Bei Allah, ich dachte, du kämest mit wunderbaren Dingen und würdest mir eine seltsame Kunde überbringen, du Verfluchter! Wie wäre es erst, wenn du meinen Geliebten erblicktest! Ich habe heute nacht einen jungen Menschen gesehen, wenn du den auch nur im Traume sähest, so würdest du vor Bewunderung gelähmt, und der Speichel würde dir laufen.' Da fragte Dahnasch sie: ,Was ist's mit diesem Jünglinge' ,Wisse, Dahnasch,' erwiderte sie, ,diesem Jüngling ist es ebenso ergangen wie deiner Geliebten, von der du mir erzählt hast. Sein Vater hat ihm viele Male befohlen, er solle sich vermählen; aber er weigerte sich dessen. Und da er nicht gehorchte, ward sein Vater zornig über ihn und schloß ihn in dem Turme ein, in dem ich wohne. Heute nacht stieg ich dort empor und erblickte ihn.' Dahnasch sagte darauf: ,Hohe Herrin, zeig mir diesen Jüngling, auf daß ich sehe, ob er schöner ist als meine Geliebte, die Prinzessin Budûr, oder nicht. Denn ich kann nicht glauben, daß in unserer Zeit jemand gefunden werde, der ihr gleicht.' Maimûna aber rief: ,Du lügst, du Verfluchter, du elendester Mârid und gemeinster Satan! Ich bin sicher, daß sich in dieser Welt niemand findet, der meinem Geliebten gleich wäre.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 180. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Dämonin Maimûna zum Dämon Dahnasch sprach: ,Ich bin sicher, daß sich in dieser Welt niemand findet, der meinem Geliebten gleicht. Bist du denn verrückt, daß du deine Geliebte mit meinem Geliebten vergleichen willst?' ,Ich beschwöre dich bei Allah, Gebieterin,' bat er, ,komm mit mir und schau meine Geliebte an; dann will ich mit dir zurückkehren und deinen Geliebten ansehen!' Sie



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gab ihm zur Antwort: ,Das soll sicherlich geschehen, du Verfluchter, denn du bist ein listiger Satan. Aber nur dann will ich mit dir und sollst du mit mir kommen, wenn wir eine Wette machen. Die soll so sein: Wenn deine Geliebte, die du so sehr liebst und deren du dich mir gegenüber rühmst, wirklich schöner ist als mein Geliebter, von dem ich dir erzählt habe, den ich so sehr liebe und dessen ich mich dir gegenüber rühme, so hast du die Wette gegen mich gewonnen. Wenn aber mein Geliebter schöner ist, so habe ich die Wette gegen dich gewonnen.' ,Hohe Herrin,' erwiderte Dahnasch, ,ich nehme diese Wette von dir an und bin mit ihr einverstanden. Komm mit mir zu den Inseln!' Doch Maimûna rief: ,Nein! Die Stätte meines Geliebten ist näher als der Ort, an dem deine Geliebte weilt; hier unter uns ist sie. Also flieg du mit mir hinunter, damit du zuerst meinen Geliebten siehst; danach wollen wir zu deiner Geliebten fliegen.' Dahn asch entgegnete: ,Ich höre und gehorche!' Dann schwebten die beiden hinab und kamen in die Halle. die in dem Turme war. Dort ließ Maimûna den Dahn asch neben dem Lager stehen, streckte ihre Hand aus und zog die seidene Decke von dem Antlitz des Kamar ez-Zamân, des Sohnes des Königs Schehrimân, und sein Angesicht glänzte und gleißte, schien und schimmerte hell. Maimûna blickte es an, wandte sich im selben Augenblick zu Dahn asch und sprach: ,Wohlan, du Verfluchter, dorthin geblickt! Sei doch nicht ganz und gar verrückt! Eine Jungfrau bin ich, und doch bezaubert er mich.' Da schaute Dahn asch ihn an und betrachtete ihn eine lange Weile; dann schüttelte er sein Haupt und sprach zu Maimûna: ,Bei Allah, Gebieterin, du bist entschuldbar. Aber du mußt noch etwas anderes erwägen, nämlich, daß ein Mädchen und ein Jüngling von verschiedener Art sind. Bei Allah, dieser dein Geliebter gleicht am ehesten von aller Kreatur meiner Geliebten



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Schönheit und Lieblichkeit. an Anmut und Vollkommenheit; und es ist, als wären sie beide zugleich in derselben Form der Herrlichkeit gegossen. Als Maimûna diese Worte aus dem Munde des Dahnasch vernahm, ward das helle Licht dunkel vor ihrem Angesicht, und sie schlug ihm mit ihrem Flügel so heftig auf den Kopf, daß er fast daran gestorben wäre. Dann sprach sie zu ihm: ,Ich beschwöre dich beim Lichte seines glorreichen Angesichtes, eile fort, du Verfluchter, in diesem Augenblick, heb deine Geliebte, die du so sehr liebst, empor und bringe sie rasch hierher, auf daß wir beide nebeneinander legen und sie anschauen können, während sie Seite an Seite schlafen; dann wird sich uns zeigen, wer von beiden herrlicher und schöner ist. Führst du meinen Befehl nicht sofort aus, du Verfluchter, so laß ich meine Funken wider dich sprühen und dich in meinem Feuer verglühen; dann zerreiße ich dich in Stücke und werfe dich in den Wüstensand, zur Warnung für jeden, der da wohnt und wandert im Land!' ,Hohe Herrin,' erwiderte Dahnasch, ,dein Befehl ist mir Pflicht. Ich weiß aber, daß meine Geliebte schöner und lieblicher ist.' Dann flog der Dämon Dahnasch unverzüglich davon; Maimûna aber flog mit ihm, um ihn zu bewachen. Eine Weile blieben sie fort, danach kehrten sie zurück, indem sie die Prinzessin trugen; sie war gekleidet in ein feines venetianisches Hemd mit zwei goldenen Säumen und bestickt mit den feinsten Stickereien; und auf den Rändern der Ärmel waren diese Verse gewirkt:

Drei Dinge haben sie gehindert, zu uns zu kommen
Aus Furcht vor Spähern und vor des Neiders böser Gewalt:
Der helle Glanz der Stirn und ihrer Spangen Klirren,
Der süße Ambraduft entströmend ihrer Gestalt.
Bedeckt sie mit dem Zipfel des Ärmels die Stirne auch,
Mag sie den Schmuck abtun -wie schön bleibt doch ihr Hauch!



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So trugen Dahn asch und Maimûna die Prinzessin dahin, bis sie sie niederließen und zur Seite des Jünglings Kamar ez-Zamân auf das Lager legten. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 181. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Dämon Dahnasch und die Dämonin Maimûna die Prinzessin Budûr dahin trugen, bis sie sich niederließen und sie zur Seite des Kamar ez-Zamân auf das Lager legten. Dann enthüllten sie die Gesichter der beiden, und sie waren einander von allen Menschen am ähnlichsten, als ob sie Zwillinge oder einzige Geschwister wären; ja, beide waren eine Verführung für die Gottesfürchtigen, wie von ihnen der Dichter in seinen klaren Worten sagt:

Mein Herz, o liebe nicht nur eine einz'ge Schöne,
Sonst bringet sie dir Not in Liebesspiel und Pein:
Umfaß mit deiner Liebe die Schönen all, du findest,
Wenn eine dich verschmäht, wird doch die andre dein.

Und ein anderer sagt:

Ich sah mit meinem Auge zwei Schlafende am Boden;
Auch wenn sie auf dem Auge mir lägen, liebt ich sie.

Nun sahen Dahn asch und Maimûna die beiden eine Weile an; dann sprach Dahnasch: ,Bei Allah, vortrefflich, Gebieterin, meine Geliebte ist doch schöner Aber Maimûna sprach: ,Nein, mein Geliebter ist schöner! Wehe dir, Dahnasch. du bist blind an Augen und Verstand, du kannst zwischen zart und grob nicht unterscheiden. Willst du die Wahrheit verbergend Siehst du nicht seine Schönheit und Lieblichkeit und seines Wuchses Ebenmäßigkeit? Wehe dir, höre, was ich dir über meinen Geliebten sagen will! Und wenn du deine Geliebte in Wahrheit. liebst, so sing du ebenso von ihr wie ich von meinem Geliebten.'



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Dann küßte Maimûna den Kamar ez-Zamân viele Male auf die Stirn, und sie sang auf ilm dies Lied:

Was geht der Tadler mich an, der um deinetwillen mich schmähet?
Wie gäb es einen Trost über dich, du Zweig, so zart?
Du hast ein dunkles Auge, das von Zauber sprühet,
Vor dir hat keine Zuflucht die Liebe von Asras' Art.
Mit deinen Türkenblicken verwundest du die Herzen,
Wie nie die scharfe Klinge dem Feinde Wunden schlug.
Du ludest auf mich die Last der Liebe; doch ich Arme,
Ich hab zum Tragen des Hemdes nicht einmal Kraft genug!
Du wejßt, wie ich dich liebe; die Sehnsucht ist mein Wesen,
Und Lieb zu einem andren als dir ist mir verwehrt.
O wäre doch mein Herz wie dein Herz, ja, dann wäre
Schmal wie dein schlanker Leib mir nicht mein Leib verzehrt.
Doch ach, er ist ein Mond mit aller seiner Anmut
Im Kreise der Menschenkinder, er ist der Schönheit Zier.
Die mich ob Liebe tadeln, sprachen: Wer ist denn jener,
Um den du also leidest? Ich sprach: Beschreibt ihn mir!
Du hartes Herze sein, o lerne doch die Zartheit
Von seinem Wuchs; dann wirst du mild und mir geneigt.
Du hast, Geliebter mein, für die Schönheit einen Wächter,
Der hart ist gegen mich, der keine Milde zeigt.
Falsch ist's, wenn einer sagt, alle Schönheit sei in Joseph;
Wie viele liebliche Josephs sind vereint in dir!
Die Geister fürchten mich, wenn ich nur vor sie trete;
Und doch, wenn ich dich sehe, erbebt das Herze mir.
Ich mühe mich, aus Ehrfurcht deinen Blick zu meiden,
Und doch, zu dir zieht's mich. Welch Mühe voller Leiden!'

Als Dahnasch das Lied der Maimûna zum Preise ihres Geliebten hörte, geriet er in höchstes Entzücken und in die größte Verwunderung. — —«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 148. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtetworden, o glücklicher König, daß der Dämon Dahn asch, als er das Lied der Maimûna zum Preise ihres Geliebten hörte. vor lauter Entzücken zitterte und sprach: ,Du hast ein Lied über ihn, den du liebst, gesungen und du hast ihn schön beschrieben. So muß denn auch ich mir wohl alle Mühe geben, so viel ich vermag, und etwas zum Preise meiner Geliebten singen.' Darauf trat Dahnasch zu der Prinzessin Budûr, küßte ihre Stirn, blickte Maimûna an und dann wieder seine geliebte Budûr, und dann sang er dies Lied, obwohl die Dichtung ihn sonst mied:

Sie tadeln wegen der Liebe zur Schönen, und sie schelten;
Die Toren sind ungerecht, ja, sie sind ungerecht.
Gewähre dem Sklaven der Liebe, daß er dich wiedersehe;
Denn muß er Trennung kosten und fern sein, geht's ihm schlecht.
Ich bin gequält in Sehnsucht durch meine Tränenströme,
Die blutgleich sind, von denen mein Auge überquillt.
Es ist kein Wunder um das, was ich in Liebe leide:
O Wunder, nach deinem Scheiden kennt man mein Leibesbild!
Nie will ich dich wiedersehn, wenn Argwohn mich beseelt
Oder mein Herz die Liebe vergißt oder sich drum quält.

Dann sprach er noch diese Verse: Ich ging an ihren Stätten vorbei am Rande des Tales; Ich ward erschlagen; der Zahler des Blutpreises war nicht dort. Ich wurde trunken vom Weine der Sehnsucht. und da tanzte Das Auge der Tränen mir zum Hirten lied immerfort. Ich strebe nach dem Glücke des Wiedersehns, doch mir ziemet. Daß bei den vollen Monden' das Glück sich offenbart. Ich weiß nicht, über welches von dreien ich mich beki age - So zähle ich sie auf; hör du, was aufgezählt ward:



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Ihr Blick, der Träger des Schwertes? Ihr Leib, der Lanzenschwinger?
Oder ist's ihr Schläfen haar, dem Kettenpanzer gleich?
Ich fragte nach ihr einen jeden, der mir nur immer begegnet
Von Leuten in der Stadt oder in der Wüste Reich.
Sie sprach: Ich bin in deinem Herzen; schau hinein,
Du siehst mich dann. Ich sprach: Wo mag mein Herz wohl sein?

Als Maimûna diese Verse von Dahn asch vernahm, sprach sie: ,Das hast du gut gemacht, Dahnasch! Aber sag, wer von diesen beiden ist am schönstens' Er antwortete: ,Meine Geliebte Budûr ist schöner als dein Geliebter.' Da rief Maimûna: ,Du lügst, Verfluchter! Nein, mein Geliebter ist schöner als deine Geliebte.' Aber er wiederholte: ,Meine Geliebte ist schöner.' So stritten sie weiter mit Worten, bis schließlich Maimûna den Dahn asch anschrie und auf ihn dreinschlagen wollte; da demütigte er sich vor ihr, mäßigte seine Worte und sprach: ,Möge die Wahrheit dich nicht verletzen! Laß uns mit Rede und Gegenrede aufhören; denn jeder von uns bezeugt, daß sein Lieb am schönsten ist. So möge jeder von uns sein Wort zurücknehmen; wir wollen jemanden suchen, der gerecht zwischen uns entscheidet, und an seinen Spruch wollen wir uns halten.' ,Ich bin damit einverstanden', sprach Maimûna und klopfte mit der Hand auf die Erde. Da kam ein Dämon heraus, der hatte ein blindes Auge, war buckelig und krätzig; seine Augen waren der Länge nach durch sein Gesicht geschlitzt, er hatte auf dem Kopfe sieben Hörner, und vier Haarsträhnen hingen ihm bis auf die Knöchel; seine Hände waren wie Worfschaufeln, seine Beine wie Masten, er hatte Klauen wie die eines Löwen und Hufe wie die eines Wildesels. Als jener Dämon aus der Erde emporgestiegen war und Maimûna erblickte, küßte er den Boden vor ihr und blieb stehen, indem er die Hände auf dem Rücken kreuzte; und er fragte: ,Was ist dein Begehr, o Herrin und Königstochter?' Sie erwiderte: ,Kaschkasch, ich



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wünsche, daß du zwischen mir und dem verfluchten Dahn asch da entscheidest.' Dann erzählte sie ihm alles von Anfang bis zu Ende. Nun schaute der Dämon Kaschkasch das Antlitz des Jünglings und das Antlitz der Jungfrau an, und er sah die beiden schlafend daliegen, wie sie einander umschlungen hielten, da jeder von beiden seinen Arm unter den Hals des anderen gelegt hatte; sie waren einander gleich an Schönheit und Lieblichkeit und einander ebenbürtig an Holdseligkeit. Erstaunt ob ihrer Herrlichkeit und Anmut schaute Kaschkasch sie an; dann wandte er sich zu Maimûna und Dahn asch, nachdem er den Jüngling und die Jungfrau lange betrachtet hatte, und er sprach diese Verse:

Gehe zu der, die du liebst, und meide die Worte des Neiders;
Denn der Neidhart ist doch niemals der Liebe gut.
Der Barmherzige schuf nie einen schöneren Anblick
Als ein hebend Paar, das auf Einem Bette ruht.
Sie liegen innig umschlungen, bedeckt vom Kleide der Freude,
Und als Kissen dient einem des anderen Arm und Hand.
Wenn die Herzen einander in treuer Liebe verbunden.
Sind sie wie Stahl geschmiedet; kein Mensch zerschlägt das Band.
Und wenn dir in deinem Leben je ein Getreuer begegnet,
Trefflich ist solch ein Freund! Drum lebe für ihn allein!'
Oder du wegen der Liebe das Volk der Liebenden tadelst,
Kannst du dem kranken Herzen Arzt und Retter sein?
Vereine uns, o Herr, in deiner Barmherzigkeit,
Eh da]! wir sterben, sei's auch nur eines Tages Zeit!

Dann wandte der Dämon Kaschkasch sich von neuem zu Maimûna und Dahn asch und sprach zu ihnen: ,Bei Allah, wenn ihr die Wahrheit hören wollt, so sage ich euch offen, die beiden sind gleich an Schönheit und Lieblichkeit, an Anmut und Vollkommenheit, und es ist kein Unterschied zwischen beiden, nur



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daß sie verschiedenen Geschlechtes sind. Doch ich habe noch einen anderen Gedanken, und der ist, daß wir je einen von den beiden aufwecken, ohne daß der andere es weiß; und wer dann von heißerer Liebe zu dem anderen entzündet wird, der soll ihm an Schönheit und Anmut unterlegen sein.' Maimûna sprach: ,Der Rat ist gut', und Dahnasch: ,Ich bin damit einverstanden.' Nun verwandelte Dahn asch sich in die Gestalt eines Flohes und biß den Kamar ez-Zamân; der aber fuhr erschrocken aus seinem Schlafe auf. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 183. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Dahn asch sich in die Gestalt eines Flohes verwandelte und den Kamar ez-Zamân biß. und daß dieser erschrocken aus seinem Schlafe auffuhr. Dann kratzte er die Stelle des Bisses an seinem Nacken, weil der Schmerz ihn so sehr brannte, und dabei bewegte er sich zur Seite. Und da sah er neben sich etwas liegen, dessen Hauch süßer als duftiger Moschus und dessen Leib weicher als Rahm war. Darüber wunderte Kamar ez-Zamân sich gar sehr, und so setzte er sich auf und schaute auf jenes Wesen, das an seiner Seite ruhte; und er sah, daß es eine jungfrau war, strahlend wie ein kostbarer Edelstein oder wie eine hohe Kuppel im Sonnenschein, ihre Gestalt war wie eine Linie aufrecht und fein; ihr Wuchs war zierlich klein, ihr Busen schwellend und ihre Wange von rosenrotem Schein, wie der Dichter von ihr sagt:

Noch nie war viererlei vereint so wie bei ihr.
Für die ich all mein Herzblut gern vergießen würde:
Der helle Glanz der Stirne und der Locken Nacht,
Der Wangen Rosen und des lächelnden Mundes Zierde.



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Und ein anderer sagt:

Sie kommt wie ein Mond und neigt sich gleichwie ein Zweig der Weide;
Sie blickt wie eine Gazelle, ihr Hauch ist Ambrafein.
Es ist, als sei der Gram mir fest ins Herz geschmiedet;
Wenn sie von dannen geht, so findet er sich ein.

Als Kamar ez-Zamân die Prinzessin Budûr, die Tochter des Königs el-Ghajûr, erblickte und sie in ihrer Schönheit und Anmut an seiner Seite ruhen sah, und weiter sah, daß sie nur ein venetianisches Hemd trug ohne Hosen, daß auf ihrem Haupte ein goldgesticktes, juwelen besetztes Tuch lag, daß in ihren Ohren ein Paar von Ringen war, die wie Sterne leuchteten, und daß um ihren Hals eine Kette lag von einzigartig kostbaren Perlen, wie sie kein König besaß, —als er das mit eigenen Augen sah, da verwirrte sich ihm der Verstand, und es regte sich in ihm die natürliche Begierde, und Allah erfüllte ihn mit dem Verlangen nach der Umarmung. So sprach er bei sich: ,Was Allah will, das geschieht; doch was er nicht will, das geschieht nicht.' Dann streckte er seine Hand aus und wendete sie um und öffnete den Halssaum ihres Hemdes: da ward ihr Busen ihm sichtbar, und er erblickte ihre Brüste wie zwei Kästchen aus Elfenbein, und nun ward seine Liebe zu ihr noch heißer, und es verlangte ilm übermächtig nach ihr. Er wollte sie wecken, doch sie wachte nicht auf, weil Dahn asch sie in einen tiefen Schlaf versenkt hatte. Da schüttelte er sie hin und her und sprach: ,Mein Lieb, erwache und sieh mich an; ich bin Kamar ez-Zamân!' Dennoch erwachte sie nicht, ja, sie bewegte nicht einmal ihr Haupt. Eine lange Weile sann er über sie nach und sprach bei sich selber: ,Wenn ich recht vermute, so ist dies die Jungfrau, mit der mein Vater mich vermählen wollte - und drei Jahre lang habe ich mich dessen geweigert! Aber, so Gott will, wenn der Morgen kommt, will ich zu meinem Vater



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sagen: Vermähle mich mit ihr! Dann will ich sie genießen, und damit soll es sein Bewenden haben.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 184. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Kamar ez-Zamân bei sich selber sprach: ,Bei Allah, morgen früh will ich zu meinem Vater sagen: Vermähle mich mit ihr! Und ich will keinen halben Tag vergehen lassen, bis mich die Vereinigung mit ihr erfreut; dann genieße ich ihre Schönheit und Lieblichkeit.' Darauf neigte Kamar ez-Zamân sich über Budûr, um sie zu küssen. Die Dämonin Maimûna aber begann zu zittern und stand beschämt da. während der Dämon Dahn asch vor Freude verging. Doch als Kamar ez-Zamân sie auf den Mund küssen wollte, kam die Scheu vor Allah dem Erhabenen über ihn, und er wandte sein Haupt ab, und indem er sein Antlitz nach der anderen Seite neigte, sprach er zu seinem Herzen: ,Fasse dich in Geduld!' Und weiter dachte er nach, indem er sich sagte: ,Ich will mich gedulden; vielleicht hat mein Vater, als er auf mich erzürnt war und mich in diesen Kerker schickte, auch diese Jungfrau hierher gebracht, ihr geboten zu schlafen, damit er mich durch sie auf die Probe stelle, und ihr aufgetragen, sie solle nicht sogleich aufwachen, wenn ich sie wecken wolle, und ihr gesagt: Was Kamar ez-Zamân auch mit dir tut, das laß mich wissen. Vielleicht steht mein Vater gar irgendwo verborgen, wo er mich erblicken kann, ohne daß ich ihn sehe, und alles sieht, was ich mit dieser Jungfrau tue. Dann würde er mich morgen schelten und rufen: Wie konntest du sagen, du habest kein Verlangen nach der Ehe, wo du doch diese Jungfrau geküßt und umarmt baste Darum will ich mich ihrer enthalten, auf daß ich nicht vor meinem Vater bloßgestellt werde;



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das Rechte ist, daß ich diese Jungfrau zu dieser Stunde nicht berühre und sie nicht mehr anschaue; nur will ich etwas von ihr nehmen, das mir ein Zeichen und eine Erinnerung an sie sein soll; dann wird ein Erkennungszeichen für mich und sie bestehen.' Dann hob Kamar ez-Zamân die Hand der Prinzessin und nahm von ihrem kleinen Finger einen Siegelring, der viel Geld wert war, da sein Stein aus dem kostbarsten Juwel bestand; um ihn aber waren diese Verse eingegraben:

Glaub nicht, ich könne je den Bund mit dir vergessen,
Und weilest du mir fern auch noch so lange Zeit.
Gebieter mein, erweise mir Großmut doch und Güte:
Mein Kuß sei deiner Wange und deinem Mund geweiht.
Bei Allah, ich will niemals von deiner Seite gehn,
Magst du auch in der Liebe die Grenzen übersehn.

Jenen Siegelring zog Kamar ez-Zamân von dem kleinen Finger der Prinzessin Budûr und schob ihn auf seinen eigenen; dann wandte er ihr den Rücken zu und begann wieder zu schlummern. Als nun die Dämonin Maimûna das sah, war sie erfreut. und sie sprach zu Dahnasch und Kaschkasch: ,Habt ihr beiden gesehen, wie keusch mein Geliebter Kamar ez-Zamân an dieser Jungfrau gehandelt hatt So ist denn dies die Vollendung seiner Vortrefffichkeit. Seht doch, wie er diese Jungfrau in ihrer Schönheit und Anmut betrachtete, und sie doch nicht umarmte noch küßte und seine Hand nicht nach ihr ausstreckte, sondern ihr den Rücken zuwandte und wieder einschlief! 'Beide antworteten: ,Ja, wir haben gesehen, wie vollkommen schön er gehandelt hat.' Nun aber verwandelte Maimûna sich und nahm die Gestalt eines Flohes an; dann drang sie in das Gewand der Budûr, der Geliebten des Dämonen, ein, kroch auf ihre Wade und dann weiter auf ihren Schenkel, und als sie vier Fingerbreit unterhalb ihres Nabels war, da stach sie sie. Alsbald



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öffnete die Prinzessin ihre Augen und setzte sich aufrecht; und sie sah einen Jüngling an ihrer Seite ruhen, der in seinem Schlafe tief atmete, das schönste der Geschöpfe Allahs des Erhabenen, dessen Augen die schönen Paradiesesjungfrauen beschämten; seiner Lippen Tau war von süßem Geschmack und heilsamer als Theriak; es schien, als wäre sein Mund wie das Siegel Salomonis rund, seine Lippen waren von der Korallen Art, und seine Wangen wie rote Anemonen zart, wie ihn ein Dichter in diesen Versen schildert:

Mein Herz hat sich ob Zainab' und Nawâr' getröstet
Um zarten Flau nies willen auf rosenroten Wangen.
Jetzt liebe ich ein Reh in duftigem Gewande
Und habe keine Lieb zur Maid im Schmuck der Spangen.
Mein Freund ist in der Halle und auch in meiner Kammer.
Und er ersetzt die Freundin mir im Hause traun.
Der du mich schiltst, daß ich Zainab und Hind' verlassen -
Was mich bewog, ist klar wie Licht im Morgengraun.
Willst du, ich soll Gefangner einer Gefangnen sein,
Die hinter Schloß und Riegel ist und Mauerstein?

Als die Prinzessin Budûr den Kamar ez-Zamân so anblickte, ergriffen sie die Leidenschaft und der sehnenden Liebe Kraft. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 185. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Prinzessin Budûr, als sie den Kamar ez-Zamân sah, von Leidenschaft und der sehnenden Liebe Kraft ergriffen ward und zu sich selber sprach: ,0 Schmach, da ist ein fremder Jüngling, den ich nicht kenne! Wie kommt es, daß er an meiner Seite auf demselben Lager ruhte' Dann sah sie ihn noch einmal an und betrachtete seine



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Schönheit und Anmut. Nun sprach sie: ,Bei Allah, er ist ein schöner Jüngling; und fast wird mir das Herz von Verlangen nach ihm zerrissen. Ach, wie gerate ich durch ilm in Schande! Bei Allah, wenn ich wüßte, daß dieser Jüngling es ist, der um mich bei meinem Vater geworben hat, ich hätte ihn nicht zurückgewiesen, nein, ich hätte mich mit ihm vermählt und hätte seine Anmut genossen!' Und wieder blickte sie auf sein Antlitz und sprach: ,Mein Gebieter, du mein Augenlicht, wach auf aus dem Schlafe, erfreue dich meiner Schönheit und Lieblichkeit!' Dann bewegte sie ihn mit der Hand; doch Maimûna, die Geisterfürstin, hatte ihn in einen tiefen Schlaf versenkt und drückte mit ihrem Flügel auf sein Haupt, so daß er nicht aufwachen konnte. Darauf begann die Prinzessin Budûr ihn mit der Hand zu schütteln, indem sie rief: ,Bei meinem Leben, höre doch auf mich! Wach auf aus deinem Schlafe! Sieh die Narzisse und ihren zarten Flaum! Erfreue dich meines Leibes und seiner Geheimnisse! Kose und tändle mit mir von jetzt an bis zum Morgen! Ich beschwöre dich bei Allah, erhebe dich, mein Gebieter, lehne dich gegen das Kissen, schlaf doch nicht!' Aber Kamar ez-Zamân gab ihr keine Antwort, sondern atmete tief in seinem Schlafe. Da rief sie: ,Ach, ach! Du bist stolz auf deine Schönheit und Lieblichkeit, deine Anmut und Zierlichkeit. Aber so schön, wie du bist, bin ich auch. Was bedeutet denn solch ein Benehmen von dir? Hat man dich gelehrt, du sollest spröde gegen mich sein? Oder hat mein Vater, der unselige Alte, mit dir geredet und dir einen Eid abgenommen, in dieser Nacht nicht mit mir zu sprechen?' Aber Kamar ez-Zamân tat den Mund nicht auf und erwachte nicht. Da ward ihre Liebe zu ihm nur noch heißer, und Allah erfüllte ihr Herz mit Leidenschaft zu ihm. Und sie sah ihn mit einem Blicke an, der tausend Seufzer in ihr erweckte; ihr Herz pochte, ihr ganzes



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Inneres geriet in Aufregung, und ihre Glieder zitterten. Nun sprach sie zu Kamar ez-Zamân: ,Mein Gebieter, sprich doch mit mir! Mein Lieb, sag mir ein Wort! Mein Geliebter, gib mir eine Antwort! Sage mir, wie du heißest! Du hast mir den Verstand geraubt.' Doch während alledem blieb Kamar ez-Zamân in Schlaf versunken und erwiderte ihr mit keinem Worte. Da seufzte die Prinzessin Budûr und rief: ,Ach, ach! Weshalb bist du so hoffärtige' Doch als sie ihn dann wieder rüttelte und seine Hand umwandte, erblickte sie ihren Siegelring an seinem kleinen Finger. Da stieß sie einen Schrei der Verwunderung aus, und dann blickte sie ihn liebevoll an, indem sie sprach: ,Ach, ach! Bei Allah, du bist mein Geliebter und du liebst mich! Aber nun zierst du dich wohl und tust spröde gegen mich, obgleich du, mein Lieb, zu mir gekommen bist, während ich schlief und nicht wußte, was du tatest, und mir den Siegelring genommen hast; doch ich will ihn dir nicht wieder vom Finger ziehen.' Darauf öffnete sie den Busen seines Hemdes, neigte sich über ihn und küßte ihn; dann streckte sie ihre Hand aus und suchte, ob sie an ihm etwas fände, das sie mitnehmen könnte; aber sie fand nichts. Und nun griff sie mit der Hand auf seine Brust, und da seine Haut so glatt war, glitt ihre Hand bis auf seinen Leib, bis auf seinen Nabel und fiel auf sein Glied; da erschauerte und bebte ihr Herz, und die Begierde ward heftig in ihr, denn das Verlangen der Frauen ist stärker als das der Männer. Doch sie schämte sich ihrer selbst. Dann nahm sie ihm seinen Siegelring vom Finger und schob ihn auf den ihren an Stelle dessen, den er ihr genommen hatte; und sie küßte seinen Mund, küßte seine Hände und bedeckte seinen ganzen Leib mit Küssen. Zuletzt aber preßte sie sich an ihn, zog ihn an ihren Busen, umarmte ihn, indem sie ihm den einen Arm unter den Nacken, den anderen



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unter seine Achsel legte, schmiegte sich an Hrn und schlief wieder an seiner Seite ein. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 186. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Prinzessin Budûr an der Seite des Kamar ez-Zamân einschlief, nachdem sie getan hatte, was erzählt worden ist. Nun sprach Maimûna zu Dahnasch: ,Hast du gesehen, du Verfluchter, wie stolz und zurückhaltend mein Geliebter gehandelt hat, und wie leidenschaftlich sich deine Geliebte an meinen Geliebten gedrängt hat? Kein Zweifel. mein Geliebter ist schöner als deine Geliebte; doch ich vergebe dir.' Dann schrieb sie ihm einen Freibrief, wandte sich zu Kaschkasch und sprach zu ihm: ,Schlüpfe mit Dahn asch unter seine Geliebte, heb sie mit ihm empor und hilf ihm sie wieder an ihre Stätte zurückzubringen; denn die Nacht ist fast vergangen, und es ist nur noch eine kleine Weile von ihr übrig.' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte Kaschkasch. Da traten Kaschkasch und Dahn asch zu der Prinzessin Budûr. schlüpften unter sie, hoben sie empor und schwebten mit ihr davon, bis sie sie wieder an ihre Stätte gebracht hatten; dort legten sie sie auf ihr Lager nieder. Maimûna aber blieb zurück, versunken in den Anblick des schlummernden Kamar ez-Zamân, bis die Nacht fast ganz verstrichen war; dann verschwand sie wieder.

Als nun die Morgendämmerung anbrach, erwachte Kamar ez-Zamân aus seinem Schlafe; er wandte sich nach rechts und links, aber er fand kein Mädchen an seiner Seite. Da sprach er zu sich selber: ,Was hat das zu bedeuten? Es schien, als wollte mein Vater in mir das Verlangen erwecken, mich mit der jungfrau, die bei mir war, zu vermählen; und nun hat er sie heimlich



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wieder weggenommen, damit mein Verlangen nach der Ehe noch wachse!' Dann schrie er den Eunuchen, der an der Tür schlief, mit den Worten an: ,Du verfluchter Kerl da, steh auf!' Der Eunuch aber, vom Schlafe noch wirr im Kopfe, sprang auf und brachte Becken und Kanne. Da begab Kamar ez-Zamân sich zum Abort. verrichtete seine Notdurft und kam wieder zurück; dann vollzog er die religiöse Waschung, betete das Frühgebet und setzte sich nieder, indem er Allah den Erhabenen pries. Darauf blickte er nach dem Eunuchen, und als er ihn dienstbereit vor sich stehen sah, rief er: ,Du da. Sawâb, wer ist hierher gekommen und hat die Jungfrau von meiner Seite genommen, während ich schlief?' ,Hoher Herr,' fragte der Eunuch, ,was für eine Jungfrau?' Kamar ez-Zamân erwiderte: ,Die Jungfrau, die heute nacht an meiner Seite ruhte!' Über diese Worte erschrak der Eunuch, und er sprach: ,Bei Allah, bei dir ist keine Jungfrau gewesen noch irgend jemand anders. Wie hätte eine Jungfrau zu dir eintreten können, da ich doch an der Tür schlief und die Tür verriegelt war? Bei Allah, hoher Herr. zu dir ist weder ein Mann noch eine Frau eingetreten!' Da rief Kamar ez-Zamân: ,Du lügst, elender Sklave! Wie kannst du dich auch noch unterstehen, mich zu betrügen und mir zu verheimlichen, wohin die Jungfrau, die heute nacht bei mir geruht hat, gegangen ist, und mir zu verschweigen, wer sie von mir fortgenommen hat!' Nun sagte der Eunuch. der immer noch erschrocken war: ,Bei Allah, hoher Herr, ich habe weder eine Jungfrau noch einen Jüngling gesehen.' Kamar ez-Zamân aber ergrimmte über die Worte des Eunuchen und sprach zu ihm: ,Du Verfluchter, mein Vater hat dich das Betrügen gelehrt. Komm her!' Nun trat der Eunuch an Kamar ez-Zamân heran; der packte ihn an seinem Kragen und warf ihn zu Boden, wobei dem Erschrockenen ein Wind



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entfuhr. Dann kniete der Prinz auf ihm nieder, stieß ihn mit dem Fuße und würgte ihn, bis er in Ohnmacht fiel. Darauf schleppte er ilm hinaus, band ihn an das Brunnenseil und ließ ihn in den Brunnen hinab, bis er das Wasser erreichte, und senkte ihn hinein. Nun war es aber gerade die kühle Jahreszeit und kaltes Winterwetter; doch Kamar ez-Zamân tauchte den Eunuchen ins Wasser, zog ihn hoch, tauchte ihn wieder ein, und so ließ er ihn immerfort auf und nieder tauchen, bis der Eunuch um Hilfe rief und jämmerlich schrie, während der Prinz sagte: ,Bei Allah, du Verfluchter, ich ziehe dich nicht eher aus diesem Brunnen heraus, bis du mir alles genau über diese Jungfrau berichtest und mir sagst, wer sie fortgenommen hat, während ich schlief.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 187. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Kamar ez-Zamân zudem Eunuchen sprach: ,Bei Allah, ich ziehe dich nicht eher aus diesem Brunnen heraus, als bis du mir alles über diese jungfrau erzählst, und mir sagst, wer sie fortgenommen hat, während ich schlief.' Jener, der bereits den Tod vor Augen gesehen hatte, erwiderte: ,Hoher Herr, laß mich los, dann will ich dir die Wahrheit sagen und dir alles berichten!' Da zog er ihn aus dem Brunnen empor; doch der Eunuch war wie von Sinnen wegen der großen Kälte, die er hatte aushalten müssen, wegen der Pein des Untertauchens, der Angst vor dem Ertrinken und der Schläge. Er zitterte wie ein Rohr im Sturmwinde, seine Zähne waren krampfhaft aufeinander gepreßt, seine Kleider waren naß, und sein Leib war besudelt und zerrissen von den rauhen Wänden des Brunnens; und so war er in einem jammervollen Zustande. Wie Kamar ez-Zamân ihn so sah, tat er



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ihm leid; doch als der Eunuch sich auf ebener Erde sah, sprach er: ,Hoher Herr, laß mich fortgehen, damit ich meine Kleider ausziehe, sie presse und in der Sonne ausbreite; ich will andere anziehen und dann rasch wieder zu dir kommen und dir die volle Wahrheit berichten.' ,Du nichtsnutziger Sklave, 'erwiderte Kamar ez-Zamân, ,hättest du nicht den Tod vor Augen gesehen, so hättest du nie die Wahrheit bekannt und nicht so zu mir gesprochen; nun geh hin, vollende, was du tun willst, und kehre rasch zu mir zurück, und dann sage mir die Wahrheit.' Da lief der Eunuch hinaus, aber er glaubte kaum noch an seine Rettung; bald lief er, bald fiel er hin und stand wieder auf, bis er zum König Schehrimân, dem Vater des Kamar ez-Zamân, eintrat. Den traf er, wie er mit seinem Wesir im Gespräche über Kamar ez-Zamân dasaß. Gerade sagte der König zu dem Minister: ,Ich habe diese Nacht nicht schlafen können. da mein Herz um meinen Sohn Kamar ez-Zamân besorgt war. Ach, ich fürchte, es könnte ihm in dein alten Turm ein Unheil zustoßen. Was nützt es überhaupt, daß er im Kerker ist?' Da antwortete der Minister: ,Sei unbesorgt um ihn! Bei Allah, ihm wird gar nichts Böses widerfahren. Laß ihn einen Monat lang im Kerker, bis sein Sinn milder, sein Widerstand gebrochen und sein Geist ruhiger wird.' Während sie so miteinander sprachen, da kam plötzlich der Eunuch zu ihnen hereingestürzt, in einem solchen Zustande, daß der König über ihn erschrak. Und der Eunuch rief: ,O unser Herr und Sultan, dein Sohn ist von Sinnen geworden, er ist wahnsinnig geworden, er hat mir das und das angetan, so daß ich in dem Zustande bin, in dem du mich siehst, und dabei sagte er immer: ,Eine Jungfrau ist in dieser Nacht bei mir gewesen und ist heimlich wieder fortgegangen. Wo ist sieg' Und er drang in mich, ich sollte es ihm sagen und ihm auch melden, wer sie fortgenommen hätte. Ich



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habe aber doch weder eine Jungfrau noch einen Jüngling gesehen. Die Tür war die ganze Nacht hindurch geschlossen, und ich schlief bei der Tür und hatte den Schlüssel unter meinem Kopfe, und mit eigener Hand habe ich heute früh geöffnet.' Als der König Schehrimân solches über seinen Sohn Kamar ez-Zamân hörte, schrie er auf und rief: ,Wehe um meinen Sohn!' Zugleich aber ward er sehr zornig gegen den Wesir, der die Ursache von alledem gewesen war, und er befahl ihm: ,Packe dich und kläre mir die Sache mit meinem Sohne auf! Sieh, was seinem Geiste widerfahren ist!' Sofort machte der Wesir sich auf und eilte hinaus; doch dabei stolperte er über die Säume seiner Gewänder in seiner Angst vor dem Zorne des Königs. Und er ging mit dem Eunuchen zu dem Turme, als die Sonne bereits am Himmel stand.

Der Wesir trat nun zu Kamar ez-Zamân ein und fand ihn auf dem Lager sitzend, indem er den Koran rezitierte; da grüßte er ihn und setzte sich an seiner Seite nieder, indem, er sprach: ,Hoher Herr, dieser nichtsnutzige Eunuch brachte uns eine Nachricht von dir, die uns beängstigte und erschreckte und über die der König erzürnt ward.' Kamar ez-Zamân aber fragte: ,Was hat er euch denn von mir gesagt, daß mein Vater sich Sorge machen konnte? In Wahrheit hat er nur mir Sorge gemacht.' Da gab der Wesir zur Antwort: ,Er kam in einem unkenntlichen Zustande zu uns und sagte zu deinem Vater etwas, von dem der Himmel dich behüten möge. Der Sklave hat uns etwas vorgelogen, was sich von dir zu erzählen nicht geziemt. Gott bewahre dir deine Jugend, er bewahre dir deines Verstandes Vortrefflichkeit und deiner Zunge Beredsamkeit. Es sei ferne, daß von dir etwas Unschönes komme!' ,Wesir,' fragte Kamar ez-Zamân, ,was hat denn dieser elende Sklave von mir gesagt?' Da erwiderte der Minister: ,Er hat uns berichtet,



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dem Verstand sei geschwunden; denn du habest ihm gesagt, in der vergangenen Nacht sei eine Jungfrau bei dir gewesen, und du seiest in ihn gedrungen, er solle dir sagen, wohin sie gegangen sei, und du habest ilm deswegen sogar gefoltert.' Wie Kamar ez-Zamân diese Worte hörte, ergrimmte er gewaltig, und er sprach zu dem Wesir: ,Jetzt ist es mir klar geworden, daß ihr den Eunuchen angewiesen habt, so zu tun, wie er tat.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 187. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Kamar ez-Zamân, als er die Worte des Wesirs hörte, gewaltig ergrimmte und dann zu ihm sprach: ,Jetzt ist es mir klar geworden, daß ihr den Eunuchen angewiesen habt, so zu tun, wie er tat, und daß ihr ihm verboten habt, mir etwas über die Jungfrau, die heute nacht bei mir geruht hat, zu sagen, Du aber, Wesir, bist verständiger als der Eunuch; also sage mir auf der Stelle, wohin ging die Jungfrau, die in dieser Nacht an meinem Busen geruht hat? Denn ihr habt sie doch zu mir geschickt und habt ihr gesagt, sie solle an meinem Busen ruhen. Wir haben auch bis zum Morgen nebeneinander geschlummert; aber als ich aufwachte, fand ich sie nicht mehr vor. Wo ist sie jetzt?' Da sprach der Wesir zu ihm: ,Mein Gebieter Kamar ez-Zamân, der Name Allahs umschirme dich! Bei Gott, wir haben in dieser Nacht niemanden zu dir geschickt. Du hast allein geschlafen, die Tür ist verschlossen gewesen, und vor ihr hat der Eunuch geschlafen. Niemand ist zu dir gekommen, weder eine Jungfrau noch auch irgendjemand anders. Nun kehre doch wieder zu deinem klaren Verstande zurück, hoher Herr, und mache dir keine Sorgen mehr!' Voll Zorn über diese Worte rief Kamar



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ez-Zamân: ,Wesir, jene Jungfrau ist meine Geliebte, die Schöne mit den schwarzen Augen und den roten Wangen, die ich diese ganze Nacht hindurch in meinen Armen gehalten habe.' Der Wesir war ob der Worte des Prinzen erstaunt und fragte ihn: ,Hast du jene Jungfrau in dieser Nacht mit deinen Augen im Wachen oder im Traum gesehen?' ,O du Unglücksalter,' erwiderte Kamar ez-Zamân, ,meinst du, ich hätte sie mit meinen Ohren gesehen? Ich habe sie mit meinen leibhaftigen Augen im Wachen gesehen, ich habe sie mit meiner eigenen Hand umgewendet, ich habe die Hälfte einer vollen Nacht bei ihr gewacht, und dabei schaute ich auf ihre Schönheit und Lieblichkeit, auf ihre Anmut und Zierlichkeit. Ihr aber hattet sie angewiesen und beauftragt, daß sie kein Wort mit mir reden sollte; darum stellte sie sich schlafend, und ich schlief an ihrer Seite bis zum Morgen; da wachte ich aus meinem Schlafe auf und fand sie nicht mehr.' Da sprach der Wesir zu ihm: ,Mein Gebieter Kamar ez-Zamân, vielleicht hast du dies alles im Schlafe gesehen; es müssen Irrgänge von Träumen sein oder Phantasien, die dadurch entstanden sind, daß du Speisen von zu verschiedener Art gegessen hast, oder endlich auch Einflüsterungen der gemeinen Satane.' ,O du Unglücksalter,' rief wiederum Kamar ez-Zamân, ,wie kannst du mich auch noch verspotten und sagen, dies seien Irrgänge von Träumen, während doch dieser Eunuch mir die Jungfrau bereits eingestanden hat, als er soeben zu mir sagte, er wolle zu mir zurückkehren und mir von ihr berichten?' Und im selben Augenblick sprang Kamar ez-Zamân auf, stürzte auf den Wesir los und packte mit der Hand seinen langen Bart; den hielt er fest, wickelte ihn um seine Hand, riß den Wesir von dem Lager und warf ilm zu Boden. Schon fühlte der Wesir, wie ihm seine Lebensgeister schwanden, da sein Bart so heftig gezerrt ward. Doch Kamar



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ez-Zamân fuhr fort, ihn mit Füßen zu stoßen, gegen die Brust und die Rippen zu schlagen und mit der Hand Hiebe auf den Kopf zu versetzen, bis er ihn fast umgebracht hatte. Nun sagte sich der Wesir: Wenn der Sklave, der Eunuch, sich durch eine Lüge aus den Händen dieses wahnsinnigen Jünglings befreit hat, so steht es mir noch eher als ihm zu, mein Leben gleichfalls durch eine Lüge zu retten; sonst bringt er mich um. Jetzt will ich also lügen und mich aus seinen Händen befreien. Er ist ja wahnsinnig, ohne Zweifel ganz wahnsinnig.' Also wandte der Wesir sich an Kamar ez-Zamân und sprach zu ihm: ,Hoher Herr, sei mir nicht böse, dein Vater hat mir befohlen, dir nichts von dieser Jungfrau zu sagen. Jetzt aber bin ich schwach und erschöpft, und die Schläge schmerzen mich; denn ich bin ein alter Mann, und es fehlt mir an Mark und Kraft, noch mehr Schläge zu ertragen. Drum hab ein wenig Geduld mit mir, ich will dir gern alles von dem jungen Mädchen erzählen und berichten!' Als Kamar ez-Zamân diese Worte von ihm vernahm. hörte er auf, ihn zu schlagen und sprach: ,Warum hast du mir nicht von dem Mädchen berichtet, eh daß ich dir Schmach antun und dich schlagen mußte? Nun steh auf, du Unglücks alter, und erzähle mir von ihr!' Der Wesir gab zur Antwort: ,Du fragst doch nach jener Jungfrau mit dem schönen Antlitz und dem vollendeten Wuchs?' ,Jawohl,' erwiderte Kamar ez-Zamân, ,sage mir, Wesir, wer hat sie zu mir geführt und sie an meiner Seite ruhen lassen, und wer hat sie in der Nacht wieder von mir genommene Und wo ist sie zu dieser Stunde? Ich will selbst zu ihr gehen; und wenn mein Vater, der König Schehrimân, mir dies angetan hat, um mich durch diese schöne Jungfrau zu prüfen, auf daß ich mich mit ihr vermähle, so bin ich bereit, die Ehe mit ihr einzugehen und meiner Qual ein Ende zumachen. Denn er hat mir das alles ja nur deshalb angetan,



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weil ich mich weigerte zu heiraten. Aber jetzt willige ich ein, mich zu vermählen, und noch einmal, ich willige ein, mich zu vermählen. Tu das meinem Vater kund, Wesir, und rate ihm, mich jener Jungfrau zu vermählen! Denn ich will keine andere haben, und mein Herz liebt keine andere als sie. Steh auf, eile zu meinem Vater und rate ihm, mich eilends zu vermählen; und dann bringe mir die Antwort auf der Stelle zurück!' ,Gern!' sprach der Wesir; aber er glaubte kaum noch, daß er aus seinen Händen entrinnen könnte. Dann verließ er ihn und eilte aus dem Turme hinaus; aber er stolperte beim Gehen im Übermaß von Furcht und Angst, und er lief ohne Aufenthalt, bis er bei König Schehrimân eintrat. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 188. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Wesir aus dem Turme hinaus eilte und ohne Aufenthalt lief, bis er bei König Schehrimân eintrat. Und wie er dort war, rief der König ihn an: ,Wesir, was ist denn über dich gekommen, und wer hat dich durch seine Bosheit so hart mitgenommen? Warum seh ich dich so jämmerlich, daß du voller Entsetzen zu mir kommst?' Doch jener sprach: ,Mein König, ich bringe dir eine frohe Botschaft!' ,Wie lautet die?' fragte der König. Der Wesir gab zur Antwort: ,Wisse, dein Sohn Kamar ez-Zamân hat den Verstand verloren und ist wahnsinnig geworden.' Als der König diese Worte aus dem Munde des Wesirs vernahm, da ward das Tageslicht finster vor seinem Angesicht; und er sprach: ,Wesir, erkläre mir die Art seines Wahnsinnes!' ,Hoher Herr. ich höre und gehorche!' erwiderte der Wesir und tat ihm kund, daß es ihm so und so mit dem Prinzen ergangen war, und berichtete ihm, wie die Sache bei ihm schließlich ausgelaufen



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war. Da sprach der König: ,Freue dich, o Wesir! Für die frohe Botschaft von dem Wahnsinn meines Sohnes teile ich dir die Freudennachricht mit, daß ich dir den Kopf abschlagen und dir meine Gunst entziehen werde, du elendester der Wesire, du schändlichster der Emire! Ich weiß, daß du von Anfang an der Anlaß zum Wahnsinn meines Sohnes gewesen bist, als du deine Meinung sagtest und mir jenen unseligen, unheilvollen Rat gabst. Bei Allah, wenn mein Sohn wirklich von Leid oder Wahnsinn betroffen ist, so lasse ich dich an die Hochwand meines Palastes nageln und gebe dir Trübsal zu kosten.' Dann sprang der König auf, ging mit ihm zu dem Turme und trat dort zu Kamar ez-Zamân ein. Als die beiden ankamen, stand Kamar ez-Zamân eilends auf und erhob sich von dem Lager, auf dem er saß; er küßte den Boden vor seinem Vater, trat zurück und senkte den Kopf zu Boden, indem er die Arme auf seinem Rücken kreuzte; so stand er eine ganze Weile vor seinem Vater. Dann hob er das Haupt wieder zu ihm auf, und während die Tränen ihm aus den Augen flossen und sich auf seine Wangen ergossen, sprach er die Verse:

Hab ich vor dieser Zeit mich gegen dich versündigt
Und hab ich etwas, das sich nicht geziemt, getan,
So will ich meine Schuld bereun, und deine Gnade
Mög jetzt den Frevler, da er naht, umfahn.

Da umarmte der König seinen Sohn Kamar ez-Zamân, küßte ihn auf die Stirn und ließ ihn zu seiner Seite auf dem Lager sitzen. Dann wandte er sich zu dem Wesir, blickte ihm mit zornigem Auge an und sprach: ,Du Hund von Wesir, wie konntest du von meinem Sohne sagen, es stehe so und so um ihn, und mein Herz seinetwillen in Schrecken setzen?' Darauf wandte der König sich wieder seinem Sohne zu und fragte ihn: ,Mein Sohn, wie heißt der heutige Tage' Jener antwortete:



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,Heute ist Samstag, morgen ist Sonntag, dann kommt Montag und dann Dienstag und dann Mittwoch und dann Donnerstag und zuletzt Freitag.' Da sprach der König: ,Mein Sohn, mein Kamar ez-Zamân, Allah sei gepriesen, der dir den Verstand bewahrt hat! Wie heißt nun aber der Monat. in dem wir jetzt stehen, auf arabisch?' Der Prinz erwiderte: ,Er heißt Dhuel-Ka'da, dann kommt Dhu el-Hiddscha und dann el-Muharram und dann Safar und dann der erste Rabî' und dann der zweite Rabî' und dann der erste Dschumâda und dann der zweite Dschumâda und dann Radschab und dann Scha'bân und dann Ramadan und dann Schauwâl.' Darüber freute der König sich sehr; und er spie dem Wesir ins Gesicht und sprach: ,Du elender Alter, wie konntest du behaupten, mein Sohn sei wahnsinnig geworden. Jetzt hat es sich gezeigt, daß du allein wahnsinnig bist!' Da schüttelte der Wesir den Kopf und wollte reden; doch er besann sich und wollte noch ein wenig warten, um zu sehen, was ferner geschehen würde. Nun fragte der König weiter: ,Mein Sohn, was ist's mit den Worten, die du zu dem Eunuchen und dem Wesir gesagt hast, als du zu ihnen sprachest: In dieser Nacht habe ich neben einer schönen Jungfrau geruht. Und was ist's mit der Jungfrau, von der du da redest?' Kamar ez-Zamân aber lachte über die Worte seines Vaters und sprach zu ihm: ,Vater, wisse, ich habe nicht mehr Kraft genug, um Spott zu ertragen; drum füge nichts mehr hinzu und sage kein Wort mehr darüber. Ich habe durch all das, was ihr mir antut, die Geduld verloren. Nun sei dessen gewiß, lieber Vater, daß ich bereit bin, mich zu vermählen, doch nur unter der Bedingung, daß du mich mit jener Jungfrau vermählst, die in dieser Nacht an meiner Seite geruht hat. Denn ich weiß bestimmt, du hast sie zu mir geschickt und in mir die Sehnsucht nach ihr erweckt, und danach hast du noch vor



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Tagesanbruch jemanden zu ihr geschickt und sie wieder von meiner Seite fortführen lassen.' Da rief der König: ,Der Name Allahs umschirme dich, mein Sohn! Allah bewahre deinen Verstand vor dem Wahnsinn!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 189. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß König Schehrimân zu seinem Sohne Kamar ez-Zamân sprach: ,Der Name Allahs umschirme dich, mein Sohn! Allah bewahre deinen Verstand vor dem Wahnsinn! Was für ein Wesen ist denn diese Jungfrau, die ich, wie du sagst, in dieser Nacht zu dir geschickt und dann vor Tagesanbruch wieder von deiner Seite habe fortführen lassen? Bei Allah, mein Sohn, ich weiß davon nichts. Ich beschwöre dich um Gottes willen, sage mir, sind das Irrgänge von Träumen oder Phantasien infolge schlechter Nahrung? Sieh, du bist diese Nacht hindurch von Gedanken über die Ehe geplagt und von dem Gerede über sie beunruhigt gewesen - Gott verdamme die Heirat und ihre Stunde und den, der sie mir anriet! Es ist also gar kein Zweifel, daß dein Geist wegen der Ehe getrübt war, und daß du im Traume gesehen hast, wie eine schöne Jungfrau dich umarmte; und nun glaubst du, du hättest sie im Wachen gesehen. All das, lieber Sohn, sind nur Irrgänge von Träumen.' Doch Kamar ez-Zamân erwiderte: ,Laß ab von diesem Gerede! Schwöre mir bei Allah, dem Schöpfer, dem Allwissenden, der die stolzen Tyrannen richtet und die Perserkönige vernichtet, daß du nichts von der Jungfrau noch von der Stätte, da sie sich aufhält, weißt!' Da sprach der König: ,Bei Allah, dem Allmächtigen, dem Gotte des Moses und des Abraham, ich weiß nichts davon, ich habe keine Kunde darüber; das ist nur durch Irrgänge von Träumen geschehen,



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die du im Schlafe gesehen!' Doch Kamar ez-Zamân fuhr fort: ,Ich will dir ein Gleichnis vorlegen und dir dadurch beweisen, daß es im 'Wachen geschehen ist.' —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 190. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Kamar ez-Zamân zu seinem Vater sprach: ,Ich will dir ein Gleichnis vorlegen und dir dadurch beweisen, daß es im Wachen geschehen ist. Also ich frage dich, ist es jemals einem Menschen begegnet, daß er im Traume sah, wie er einen schweren Kampf kämpfte, und daß er danach aus dem Schlafe erwachte und ein blutbesudeltes Schwert in seiner Hand fand?' Der König erwiderte: ,Nein, bei Allah, mein Sohn, das ist noch nie vorgekommen.' Da sprach Kamar ez-Zamân weiter zu seinem Vater: ,Ich will dir erzählen, was mir begegnet ist. Wisse denn, mir war in dieser Nacht, als ob ich aus dem Schlafe erwachte, gerade um Mitternacht, und da fand ich an meiner Seite eine Jungfrau ruhen, die den gleichen Wuchs und die gleiche Gestalt wie ich hatte. Ich umarmte sie und wendete sie mit meiner eigenen Hand um; dann nahm ich ihren Siegelring und schob ihn auf meinen Finger, während sie meinen Ring nahm und auf ihren Finger schob. Und ich ruhte an ihrer Seite, doch ich enthielt mich ihrer aus Scheu vor dir und aus Furcht davor, du könntest sie zu mir geschickt haben, um mich durch sie zu prüfen; ja, ich glaubte, du wärest an irgendeiner Stelle verborgen, um zu sehen, was ich mit ihr tun würde. Deswegen scheute ich mich auch, sie auf den Mund zu küssen, immer noch in Gedanken an dich; denn ich vermeinte, du wolltest in mir das Verlangen zur Ehe erwecken. Als ich dann aber bei Tagesanbruch aus meinem Schlafe erwachte, fand ich von der Jungfrau



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keine Spur mehr und vermochte auch keine Kunde mehr über sie zu erlangen; darauf kam es zwischen mir und dem Eunuchen und dem Wesir zu dem, was geschehen ist. Wie kann nun all dies Traum und Täuschung sein, während der Ring doch eine Wirklichkeit ist? Wäre der Ring nicht da, so würde ich alles für einen Traum halten. Aber hier ist ja der Ring an meinem kleinen Finger! O König, sieh dir doch den Ring an, wie wertvoll er ist!' Darauf reichte Kamar ez-Zamân den Ring seinem Vater, und der nahm ihn, betrachtete ihn und drehte ihn um. Und zu seinem Sohne gewendet, sprach er: ,Mit diesem Ringe hat es eine seltsame Bewandtnis, und an ihm hängt ein gewaltiges Geheimnis! Und was dir in dieser Nacht mit jener Jungfrau begegnet ist, das ist ein großes Rätsel; ich weiß auch nicht, von wannen dieser Gast zu uns gekommen ist. Doch die Ursache dieser ganzen Verwirrung ist nur der Wesir. Nun beschwöre ich dich bei Allah, mein Sohn, fasse dich in Geduld. bis der Herr dich von dieser Not befreit und dir die große Freude bringt; so sagt auch ein Dichter:

Vielleicht, daß das Geschick noch seine Zügel wendet
Und doch noch Gutes bringet trotz des Schicksals Neid,
Mir meine Hoffnung fördert, meinen Wunsch erfüllet,
Und daß noch neue Freude sprießt aus altem Leid!

Mein Sohn, jetzt bin ich überzeugt, daß du nicht wahnsinnig bist; aber dein Erlebnis ist seltsam, und nur Allah der Erhabene kann es dir entschleiern.' Da rief Kamar ez-Zamân: ,Ich beschwöre dich bei Allah, lieber Vater, erweise mir die Güte und laß für mich nach jener Jungfrau forschen, laß sie eilends zu mir kommen; sonst muß ich vor Kummer sterben und unbekannt verderben.' Und dann zeigte der Prinz seine Leidenschaft, indem er, zu seinem Vater gewendet, diese Verse sprach:



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Hat dein Versprechen, daß du selber kämst, getrogen,
So nah dem Sehnenden als Traumgebilde bei Nacht! Man sprach: Wie kann ein Traumbild dem Aug des Jünglings nahen,
Wenn es vom Schlaf gemieden wird und immer wacht?

Nachdem Kamar ez-Zamân diese Verse gesprochen hatte, blickte er seinen Vater verzagt und gebrochenen Herzens an; er begann in Tränen auszubrechen und hub an, diese Verse zu sprechen: —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 191. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Kamar ez-Zamân, als er jene Verse gesprochen hatte, weinte und klagte und seufzte, da sein Herz verwundet war. Dann sprach er weiter in Versen:

Nehmt euch in acht vor ihrem zauberischen Blicke.
Vor dessen Strahlen keiner jemals Rettung fand!
Und laßt euch nicht verführen durch ihre zarte Rede;
Denn seht, der starke Wein berauschet den Verstand!
Berührte je die Rose der zarten Maid die Wange,
Sie weinte und ihr Auge wär an Tränen reich.
Und käme durch ihr Land der Zephir nur im Traume,
Er wich' aus ihrem Lande, der Zephir, hold und weich.
Ihr Halsband klaget ob des Klingens ihres Gürtels,
Stumm wird der Klang der Reifen an ihrer Hände Paar.
Und will der Fußring ihr das Ohrgehänge küssen,
So wird dem Blick der Liebe Geheimes offenbar.
Der mich ob Liebe tadelt, kennet keine Nachsicht.
Was nützten denn die Blicke, wär nicht das Verstehn?
Dich, Tadler, strafe Gott, du übest keine Milde!
Die Schönheit dieses Rehes blendet. die es sehn.



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Nach diesen Versen sprach der Wesir zum König: ,O größter König unserer Zeit, wie lange willst du bei deinem Sohne verweilen, während du von deinem Heere getrennt bist? Vielleicht wird gar die Ordnung in deinem Lande gestört, weil du den Großen deines Reiches fern bist. Der verständige Mann wird, wenn er verschiedene Wunden an seinem Leibe hat. zuerst die gefährlichste von ihnen heilen. Daher bin ich der Meinung, du solltest deinen Sohn von dieser Stätte fortführen und zu dem Schlosse bringen, das bei dem Palaste ist und aufs Meer schaut; dort schließe dich mit deinem Sohne ein, doch zwei Tage in der Woche, jeden Montag und Donnerstag, behalte für die Ratsversammlungen und für die Truppenschau vor. An diesen beiden Tagen empfange die Emire und Wesire, die Kammerherren und Statthalter, die Großen des Reiches und die Würdenträger des Landes, dazu die übrigen Krieger und die Untertanen; sie mögen dann ihre Anliegen dir unterbreiten, so daß du über alles, was sie angeht, entscheidest; sprich ihnen Recht, nimm und gib, gebiete und verbiete! Die übrigen Tage der Woche kannst du dann bei deinem Sohne Kamar ez-Zamân zubringen, so lange, bis Allah dir und ihm Trost schenkt. Fühle dich, o König, nicht zu sicher vor den Launen des Glücks und den Wechselfällen des Geschicks; denn der Weise ist immer auf der Hut, und wie trefflich sagt der Dichter:

Du dachtest gut von den Tagen, solange sie dir gut waren,
Auf das drohende Unheil des Schicksals gabst du nicht acht.
Von dem Frieden der Nächte ließest du dich umgaukeln;
Aber oft kommt das Dunkel auch in sternklarer Nacht.



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Ihr Menschenkinder alle, ist die Zeit auch gut
Für einen unter euch, er sei doch auf der Hut!'

Als der Sultan diese Worte aus dem Munde des Wesirs vernommen hatte, sah er ein, daß sie richtig waren und daß sein Rat ihm Nutzen brachte; sie machten tiefen Eindruck auf ihn, und er begann zu fürchten, daß die Ordnung des Reiches gestört werden könne. So erhob er sich denn auf der Stelle und befahl, seinen Sohn von jener Stätte nach dem Schlosse beim Palaste, das aufs Meer schaute, zubringen. Jenes Schloß stand mitten im Meere, und man gelangte zu ihm auf einem Damme, der zwanzig Ellen breit war; auf allen Seiten waren Fenster, die den Ausblick auf das Meer gewährten. Der Boden war mit buntem Marmor getäfelt; die Decke war mit vielen prächtigen Gemälden bemalt und mit Gold und Lasur verziert. Jetzt stattete man es für Kamar ez-Zamân auch mit kostbaren Seidenteppichen und gestickten Decken aus, bedeckte die Wände mit ausgesuchtem Brokat und hängte Vorhänge auf, die mit Edelsteinen besetzt waren. Dorthin brachte man für Kamar ez-Zamân ein Lager aus Wacholderholz, das mit Perlen und kostbaren Steinen ausgelegt war, und auf ihm setzte der Prinz sich nieder. Aber ach, durch seine große Sorge um die Jungfrau und durch seine heftige Liebe zu ihr war seine Farbe erblichen und sein Leib abgezehrt, und er konnte weder essen noch trinken noch schlafen; ja, er ward wie einer, der seit zwanzig Jahren krank ist. Nun setzte sein Vater sich ihm zu Häupten und grämte sich sehr um ihn. An jedem Montag und Donnerstag empfing der König die Emire und die Kammerherren, die Statthalter und die Großen des Reiches, die Krieger und die Untertanen in jenem Schlosse; die traten dann vor ihn, verrichteten ihre verschiedenen Dienste und blieben bis zum Abend bei ihm. Darauf gingen sie ihrer Wege, während der König wieder zu seinem Sohne in jenes



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Zimmer trat und sich Tag und Nacht nicht von ihm trennte; und dabei blieb er viele Tage und Nächte hindurch.

So stand es um Kamar ez-Zamân, den Sohn des Königs Schehrimân. Aber die Prinzessin Budûr, die Tochter des Königs el-Ghajûr, des Herren der Inseln und der sieben Schlösser, —die hatte, als die Dämonen sie fortgetragen und wieder auf ihr Lager gelegt hatten, weiter geschlafen, bis der Morgen dämmerte. Da erwachte sie aus ihrem Schlafe, setzte sich auf und blickte nach rechts und nach links, aber sie fand den Jüngling, der an ihrem Busen gelegen hatte, nicht mehr. Da erbebte ihr Innerstes, sie ward wie von Sinnen, und sie stieß einen lauten Schrei aus, der alle ihre Sklavinnen, Wärterinnen und Aufseherinnen weckte. Sie eilten herbei, und die Älteste von ihnen trat vor und sprach: ,Hohe Herrin, was ist dir widerfahren?' Da antwortete sie: ,Du elende Alte, wo ist mein Geliebter, der schöne Jüngling, der in dieser Nacht an meinem Busen ruhte? Sag mir, wohin ist er gegangen?' Wie die Aufseherin diese Worte aus ihrem Munde vernahm, ward das helle Tageslicht finster vor ihrem Angesicht; und in großer Furcht vor ihrem Zorne sprach sie: ,Herrin Budûr, was sollen diese unziemlichen Worte!' Doch die Prinzessin Budûr rief: ,Weh dir, du elende Alte, wo ist mein Geliebter, der schöne Jüngling, von Antlitz so lieblich, von Gestalt so zierlich, mit den schwarzen Augen und den zusammengewachsenen Brauen, der in dieser Nacht vom Abend bis fast zum Anbruch des Tages an meiner Seite geruht hat?' ,Bei Allah,' erwiderte sie, ,ich habe weder einen Jüngling noch sonst irgend jemanden gesehen. Ich beschwöre dich, hohe Herrin, treib nicht solchen Scherz, der über das Maß hinausgeht und der uns das Leben kosten kann! Denn vielleicht kommt dieser Scherz deinem Vater zu Ohren; und wer wird uns dann aus seiner Hand erretten?' ——«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 193. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Aufseherin zu der Prinzessin Budûr sprach: ,Ich beschwöre dich, hohe Herrin, treib nicht solchen Scherz, der über das Maß hinausgeht! Denn vielleicht kommt dieser Scherz deinem Vater zu Ohren; und wer wird uns dann aus seiner Hand erretten?' Aber die Prinzessin bestand darauf: ,Ein Jüngling hat in dieser Nacht an meiner Seite geruht, der hat von allen Menschen das schönste Antlitz.' Da rief die Aufseherin: ,Der Herr behüte deinen Verstand! Niemand hat bei dir in dieser Nacht geruht.' Nun blickte Budûr auf ihre Hand und sah den Ring des Kamar ez-Zamân an ihrem Finger; ihren eigenen Ring aber fand sie nicht. Und sie sprach zu der Aufseherin: ,Weh dir, du Verfluchte, du Betrügerin! Willst du mich belügen und mir einreden, es habe niemand bei mir geruht, und willst du mir noch bei Allah falsch schwörend' Doch die Aufseherin gab zur Antwort: ,Bei Allah, ich habe dich nicht belogen, und ich habe nicht falsch geschworen!' Da ward die Prinzessin Budûr von Zorn über sie gepackt, sie zückte ein Schwert, das sie bei sich hatte, traf die Aufseherin damit und schlug sie tot. Der Eunuch aber und die Sklavinnen und Nebenfrauen schrien über sie, eilten zu ihrem Vater und taten ihm kund, was mit ihr geschehen war. Unverzüglich ging der König zu seiner Tochter, der Prinzessin Budûr, und sprach zu ihr: ,Liebe Tochter, was ist dir?' Doch sie rief: ,Vater, wo ist der Jüngling, der in dieser Nacht an meiner Seite geruht hat?' Nun ward sie von Sinnen, sie blickte mit den Augen nach rechts und nach links und zerriß ihr Kleid bis zum Saume. Und wie ihr Vater das sah, befahl er den Sklavinnen, sie festzuhalten; die ergriffen sie, fesselten sie und legten



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ihr eine eiserne Kette um den Hals, mit der sie sie an ein Fenster des Palastes anschlossen, und sie ließen sie dort.

So weit die Prinzessin Budûr. Ihrem Vater aber, dem König el-Ghajûr, ward die Welt zu enge, als er sah, was seiner Tochter widerfahren war; denn er liebte sie, und ihr Schicksal ging ihm sehr zu Herzen. Deshalb berief er die Ärzte. die Sterndeuter und die Talismanschreiber und sprach zu ihnen: ,Wer meine Tochter von dieser ihrer Krankheit heilt, dem will ich sie zur Gemahlin geben und die Hälfte meines Reiches schenken; wenn aber einer zu ihr geht und sie nicht heilt, so lasse ich ihm den Hals durchschlagen und seinen Kopf vor dem Tore des Palastes aufpflanzen.' Und so geschah es denn, daß er alle, die zu ihr gingen und sie nicht heilten, enthauptete und ihre Köpfe vor dem Tore des Palastes aufpflanzen ließ, bis er um ihretwillen vierzig Ärzte hatte köpfen und vierzig Sterndeuter hatte kreuzigen lassen; da hielten sich alle von ihr fern, kein Arzt vermochte sie zu heilen, die Künste aller Gelehrten und Talismanschreiber versagten bei ihr. Der Prinzessin Budûr aber mehrte sich die heftige Leidenschaft, und sie ward bedrängt von der sehnenden Liebe Kraft; da begann sie in Tränen auszubrechen und hub an, diese Verse zu sprechen:

Mein Mond, die Liebe zu dir ist stets an meiner Seite,
Und der Gedanke an dich, mein Gefährte, im Dunkel der Nacht.
Dann bhf im Herzen mir bei Nacht eine heiße Flamme,
Und ihre Glut ist gleich des höllischen Feuers Macht.
Bedrückt vom Übermaße der brennenden Liebesmüh,
Die mich so peinigt, bin ich von Schmerzen krank in der Früh.

Dann seufzte sie und sprach weiter diese Verse:

Mein Gruß gilt dem Geliebten, wo er nur immer weilet,
Und immer sehn' ich mich nach dem Geliebten mein.
Doch ist mein Gruß an dich kein Gruß des Abschiednehmens;
Mein Gruß soll immer schöner und immer lieber sein.



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Denn sieh, ich liebe dich, ich liebe auch dein Land,
Und doch bin ich jetzt fern von meinem Lieb verbannt.

Als die Prinzessin Budûr diese Verse gesprochen hatte, weinte sie, bis ihr die Augen wund waren und ihre Wangen erblichen. Und in diesem Zustande blieb sie drei Jahre lang.

Nun hatte sie einen Milchbruder, des Namens Marzuwân, der war in die fernsten Länder gereist und war während jener ganzen Zeit nicht bei ihr gewesen. Er liebte sie inniger, als Geschwister einander zu lieben pflegen, und als er heimkehrte, ging er sofort zu seiner Mutter und fragte sie nach seiner Schwester, der Prinzessin Budûr. Sie gab ihm zur Antwort: ,Mein lieber Sohn, deine Schwester ist vom Wahnsinn betroffen, und sie trägt schon seit drei Jahren eine eiserne Kette um den Hals. Kein Arzt und kein Mann der Wissenschaft hat sie heilen können.' Wie Marzuwân diese Worte gehört hatte, sprach er: ,Ich muß sofort zu ihr gehen; vielleicht entdecke ich, was ihr fehlt, und vermag sie zu heilen.' Doch da wandte die Mutter ein: ,Du sollst sie sicherlich besuchen; aber warte bis morgen, auf daß ich dir durch eine List dazu verhelfe.' Darauf ging sie zu Fuß zum Schlosse der Prinzessin Budûr und begann ein Gespräch mit dem Eunuchen, der die Torwache hatte; sie gab ihm ein Geschenk und sagte: ,Ich habe eine Tochter, die ist mit der Prinzessin aufgezogen, und ich habe sie seitdem vermählt; da aber deiner Herrin solches Unheil widerfahren ist, denkt meine Tochter immer an sie. Nun möchte ich dich bitten, sei so gut und laß meine Tochter auf eine kurze Weile zu ihr gehen, damit sie sie selbst sieht; dann soll sie dorthin zurückkehren, von wo sie gekommen ist, ohne daß jemand etwas davon weiß.' Der Eunuch antwortete: ,Das kann nur bei Nacht geschehen; wenn dann der Sultan gekommen ist, um seine Tochter zu sehen, und wieder fortgegangen ist, dann



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tritt du mit deiner Tochter ein.' Da küßte die alte Frau dem Eunuchen die Hand, ging nach Hause und wartete bis zum Abend des nächsten Tages; und als es Zeit war, erhob sie sich unverzüglich und führte ihren Sohn Marzuwân, den sie in Frauentracht gekleidet hatte, an der Hand zum Schlosse. Dort ging sie mit ihm weiter, bis sie ihn zu dem Eunuchen gebracht hatte, gerade wie der Sultan von seiner Tochter fortgegangen war. Als der Eunuch sie sah, stand er auf und sprach: ,Geh hinein, doch komm bald wieder!' Nachdem die alte Frau mit ihrem Sohne eingetreten war, nahm sie ihm die Frauenkleider ab; nun sah Marzuwân die Prinzessin Budûr in ihrem traurigen Zustande an und begrüßte sie. Dann nahm er die Zauberbücher, die er mitgebracht hatte, zündete eine Kerze an und begann einige Beschwörungsformeln zu lesen. Die Herrin Budûr aber erkannte ihn, sobald sie ihn erblickte, und sie sprach zu ihm: ,Lieber Bruder, du bist lange auf Reisen gewesen, und wir haben keine Nachricht von dir gehabt.' Er antwortete ihr: ,Das ist wahr; doch Allah hat mich wohlbehalten heimkehren lassen. Nun wollte ich wieder auf Reisen gehen; aber die Nachrichten, die ich über dich hören mußte, haben mich zurückgehalten, und mein Herz ist um dich entbrannt. So bin ich denn zu dir gekommen, um dich von deiner Krankheit zu erlösen.' ,Ach Bruder,' rief sie, ,glaubst du denn wirklich, daß es Wahnsinn sei, was über mich gekommen ist?' Als er das bejahte, sprach sie: ,Nein, bei Allah, es ist nur, wieder Dichter sagt:

Sie sprachen: Du rasest in Liebe; da gab ich ihnen zur Antwort:
Ja, nur die Rasenden kennen des Lebens Süßigkeit.
Wer liebt, kann dem Geschicke niemals Halt gebieten;
Und wenn der Wahnsinn trifft, geschieht es zu seiner Zeit.
Jawohl, ich rase. Bringt ihn, um den ich rase, mir her!
Und heut er "einen Wahnsinn, so tadelt mich nicht mehr!'



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Nun erkannte Marzuwân, daß sie liebes krank war, und er sprach zu ihr: ,Erzähle mir dem Erlebnis und alles, was dir widerfahren ist! Vielleicht steht es in meiner Hand, etwas zu tun, das dich erlösen kann.' — —«
Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie
hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 194.
Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet
worden, o glücklicher König, daß Marzuwân zur Prinzessin
Budûr sprach: ,Berichte mir dein Erlebnis und alles,
was dir begegnet ist! Vielleicht zeigt Allah mir ein Mittel,
durch das ich dich erlösen kann.' ,Lieber Bruder,' erwiderte
sie. ,höre nun mein Erlebnis! Wisse denn, ich erwachte eines
Nachts aus dem Schlafe, es war im letzten Drittel der Nacht,
und richtete mich auf; da sah ich an meiner Seite den schönsten
Jüngling, den es gibt, und den keine Zunge beschreiben kann;
er war wie ein Weidenzweig so zart, oder wie von des Schilfrohres
Art. Da glaubte ich, mein Vater habe ihm dies befohlen,
um mich durch ihn auf die Probe zu stellen; denn er hatte
mich zur Ehe veranlassen wollen, als die Könige bei ihm um
mich warben. Und dieser Gedanke hielt mich auch davon zurück,
ihn zu wecken, da ich fürchtete, es würde meinem Vater
hinterbracht werden, wenn ich etwas täte oder ihn umarmte.
Am Morgen aber sah ich seinen Siegelring statt meines eigenen,
den er mir genommen hatte, an meiner Hand. Das ist
meine Geschichte und die Ursache meines Wahnsinns. Ach,
Bruder, mein Herz hängt an ihm, seit ich ihn gesehen habe,
mich plagt die Liebe und Sehnsucht so sehr, ich koste die Süße
des Schlafes nicht mehr; ich kann nichts mehr tun als weinen
und klagen und meine Leiden Tag und Nacht in Verse kleiden.'
Dann begann sie in Tränen auszubrechen und hub an, diese
Verse zusprechen:



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Gibt es denn, seit ich liebe, für mich noch süße Wonnen?
Ach, der Gazellengleiche ist mir stets im Sinn.
Das Blut der Liebenden macht ihm nur gar leichte Sorge,
Der Liebeskranken Herzblut fließt um ihn dahin.
Um ihn beneide ich mein Auge und mein Denken;
Ein Teil von mir will über den andren Wächter sein.
Doch seine Augen senden mörderische Pfeile,
Die treffen, und sie dringen mir tief ins Herz hinein.
Werd ich vor meinem Tode ihn noch wiedersehen,
Solange noch mein Fuß auf dieser Erde wallt?
Ich berge mein Geheimnis; aber meine Tränen
Verraten, was ich fühle; der Späher sieht es bald.
Das Wiedersehn ist fern, wenn du mir nahe bist;
Bist fern du, weilt dein Geist bei mir zu jeder Frist.

Dann sprach die Prinzessin Budûr weiter zu Marzuwân: ,Sieh zu, lieber Bruder, wie du mir in meiner Not helfen kannst!' Da neigte Marzuwân sein Haupt eine Weile zu Boden, verwundert und ratlos, was er tun solle. Doch schließlich hob er sein Haupt wieder empor und sprach zu ihr: ,Es ist alles richtig, was dir widerfahren ist, wenn auch die Geschichte mit diesem Jüngling über meinen Verstand hinausgeht. Dennoch will ich durch alle Länder ziehen und nach dem suchen, was dich heilen kann; vielleicht wird Allah es so fügen, daß du durch meine Hand geheilt wirst. Fasse dich in Geduld und ängstige dich nicht!' Dann sagte Marzuwân ihr Lebewohl, betete für sie um Standhaftigkeit und ging fort von ihr, während sie diese Verse sprach:

Dein Bild kehrt immerdar zu meinem Herzen wieder,
Wallt auch der Pilgerschritt in fernem Land und Reich.
Die Wünsche bringen dich doch meinem Herzen nahe.
Wie wäre selbst ein Blitz dem Geisteslichte gleich?
O sei nicht fern! Denn du bist meiner Augen Licht.
Doch bist du fort, so schminke ich sie in Trauer nicht.



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Darauf begab Marzuwân sich in das Haus seiner Mutter und verbrachte dort die Nacht. Am nächsten Morgen aber machte er sich reisefertig; und dann brach er auf und zog unablässig von Land zu Land und von Insel zu Insel, einen ganzen Monat lang, bis er zu einer Stadt kam, die et-Tairab hieß. Dort ging er umher, um bei den Einwohnern nach Neuigkeiten zu forschen; denn er dachte, er könne vielleicht ein Heilmittel für die Prinzessin Budûr finden. Sooft er in eine Stadt kam oder an ihr vorbeizog, hatte er gehört, daß die Prinzessin Budûr, die Tochter des Königs el-Ghajûr, den Verstand verloren habe. Doch wie er in der Stadt et-Tairab ankam, hörte er von Kamar ez-Zamân, dem Sohne des Königs Schehrimân, daß er erkrankt sei und daß Trübsinn und Wahnsinn über ihn gekommen seien. Nun fragte Marzuwân nach dem Namen der Stadt des Prinzen. Da sagte man ihm: ,Er ist auf einer der Inseln von Chalidân, und die ist von dieser unserer Stadt zur See einen vollen Monat entfernt, zu Lande aber sechs Monate.' Da bestieg Marzuwân ein Schiff, das nach den Inseln von Chalidân fuhr; das fuhr bei günstigem Winde einen Monat lang, bis sie die Inseln von Chalidân in Sicht bekamen. Und wie sie schon so weit waren und ihnen nichts mehr übrigblieb als anden Strand zu gelangen, da erhob sich plötzlich ein Sturmwind wider sie, warf die Masten um und zerriß die Leinwand, so daß die Segel ins Meer fielen und das Schiff mit Mannschaft und Ladung kenterte. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt inder verstatteten Rede an. Doch als die 195. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß, als das Schiff mit seiner ganzen Ladung gesunken war, ein jeder sich selbst zu retten suchte; den Marzuwân aber trieben die Wogen dahin, bis sie ihn unterhalb des Königspalastes, in dem Kamar ez-Zamân



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war, gegen das Ufer warfen. Nun fügte es sich, nach der Bestimmung des Schicksals, daß dies der Tag war, an dem sich bei König Schehrimân seine Würdenträger und die Großen seines Reiches versammelten, um seine Befehle entgegenzunehmen; und der König saß da, während sein Sohn Kamar ez-Zamân das Haupt auf seinen Schoß gelegt hatte und ein Eunuch ihm die Fliegen verscheuchte. Der Prinz hatte zwei Tage lang nicht gesprochen und weder gegessen noch getrunken, so daß er dünner als eine Spindel geworden war. Der Wesir stand zu seinen Füßen, nahe dem Fenster, das auf das Meer führte; und wie er seinen Blick hob, sah er den Marzuwân, wie er in der Brandung fast den Tod gefunden hatte und kaum noch atmen konnte. Da ward das Herz des Wesirs von Mitleid mit ihm bewegt, und so trat er vor den König, neigte sein Haupt vor ihm und sprach: ,Ich bitte dich, o König, erlaube mir, daß ich zum Hofe des Palastes hinuntergehe und die Pforte dort öffne; denn ich möchte einen Menschen retten, der fast im Meere ertrunken ist, und ihm Hilfe in seiner Not bringen; vielleicht wird Allah um dessen willen deinen Sohn aus seiner Not befreien.' Doch der König antwortete: ,O Wesir, es ist genug an dem, was meinem Sohn durch dich und um deinetwillen widerfahren ist. Es kann sein, daß dieser Halbertrunkene, wenn du ihn gerettet hast, unser Elend sieht und meinen Sohn in dieser seiner Not erblickt und dann an mir seine Schadenfreude hat. Aber ich schwöre bei Allah, wenn dieser Halbertrunkene kommt und meinen Sohn sieht und dann fortgeht und irgend jemandem unser Geheimnis verrät, so lasse ich zuerst dir und dann ihm den Kopf abschlagen; denn du, Wesir, bist die Ursache all dessen, was uns widerfahren ist, von Anfang bis zu Ende. Nun tu, was dir gut dünkt!' Da machte der Wesir sich auf, öffnete die geheime Pforte des Palastes, die zum Meere



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führte, und ging am Ufersteig zwanzig Schritte entlang; dann ging er zum Meere hinab und fand den Marzuwân, wie er mit dem Tode rang. Darauf streckte er seine Hand aus, ergriff den Ertrinkenden beim Schopfe und zog ihn daran empor. Jener kam nun aus dem Meere heraus, in bewußtlosem Zustande, den Leib voll Wasser und mit hervorquellenden Augen. Der Wesir wartete eine Weile, bis Marzuwân wieder zu sich kam; dann zog er ihm die Kleider aus und legte ihm neue an, und nachdem er ihm den Turban eines seiner Diener um den Kopf gewunden hatte, sprach er zu ihm: ,Wisse, ich bin die Ursache deiner Errettung von dem Ertrinken gewesen, sei du nun nicht die Ursache meines und deines Todes!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 196. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Wesir, als er sein Rettungswerk an Marzuwân vollendet hatte, zu ihm sprach: ,Wisse, ich bin die Ursache deiner Errettung von dem Ertrinken gewesen; sei du nun nicht die Ursache meines und deines Todes!' Da fragte Marzuwân: ,Wie wäre denn das?' ,Du wirst', so sprach der Wesir, ,noch in dieser Stunde hinaufgehen und unter Emire und Wesire treten, die alle schweigen und kein Wort reden wegen Kamar ez-Zamân, des Sohnes des Sultans.' Sobald Marzuwân den Namen Kamar ez-Zamân hörte, wußte er, daß jener es war, von dem er in den Landen hatte reden hören und den er suchte. Aber er stellte sich unwissend und fragte den Wesir: ,Und wer ist Kamar ez-Zamân?' Der Minister gab ihm zur Antwort: ,Er ist der Sohn des Sultans Schehrimân, und er liegt krank dahingestreckt auf seinem Lager; er hat keine Ruhe, er ißt nicht, trinkt nicht und schläft nicht, weder bei Nacht noch bei Tage; ja, er ist dem Tode nahe, und



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wir haben die Hoffnung aufgegeben, daß er am Leben bleiben wird, da wir seines Todes gewiß sind. Nimm dich davor macht, ihn zu lange anzusehen oder irgendwo anders hinzublicken als auf die Stelle, auf die du deinen Fuß setzest! Sonst ist es um dein und mein Leben geschehen.' ,üm Gottes willen, o Wesir,' rief Marzuwân, ,ich bitte dich, sei so gütig und erzähle mir mehr von diesem Jüngling, den du da beschreibst; aus welchem Grunde befindet er sich in einem solchen Zustandes' Da gab der Wesir zur Antwort: ,Ich kenne nur diesen einen Grund: seit drei Jahren hat sein Vater von ihm verlangt, er solle sich vermählen, aber er wollte es nicht tun. Schließlich ward sein Vater zornig auf ihn und setzte ihn gefangen. Am andern Morgen aber glaubte der Jüngling, er habe, während er auf seinem Lager ruhte, eine Jungfrau neben sich gesehen, die von strahlender Anmut war und deren Schönheit keine Zunge zu beschreiben vermag. Und er erzählte uns, er habe ihren Ring von ihrem Finger gestreift und ihn sich selbst angelegt, und seinen eigenen Ring habe er ihr auf den Finger gesteckt. Wir aber wissen nicht, was es in Wirklichkeit mit dieser Sache auf sich hat. Um Gottes willen, mein Sohn, wenn du mit mir zum Schlosse hinaufgehst, so blicke nicht auf den Prinzen, sondern geh deiner Wege. Denn das Herz des Sultans ist von Grimm wider mich erfüllt.' Nun sagte Marzuwân sich: ,Bei Allah, dies ist der, den ich suche!' Dann ging er hinauf, hinter dem Wesir her, bis er im Schlosse ankam. Dort setzte der Wesir sich zu Füßen des Prinzen Kamar ez-Zamân. Marzuwân aber konnte nichts anderes tun, als zum Prinzen zu gehen, bis er vor ihm stand, und ihn anzustarren. Der Wesir starb fast vor Schrecken bei lebendigem Leibe und begann, den Marzuwân anzustarren und ihm Zeichen zu machen, er solle seiner Wege gehen. Doch der tat, als sähe er das nicht, und blickte den Kamar ez-Zamân



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so lange an, bis er die Gewißheit hatte, daß er es war, den er suchte. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt inder verstatteten Rede an. Doch als die 197. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Marzuwân, nachdem er den Kamar ez-Zamân angeblickt und so erkannt hatte, daß er es war, den er suchte, ausrief: ,Preis sei Allah, Ihm, der seine Gestalt gleich ihrer Gestalt, seine Wange gleich ihrer Wange, seine Farbe gleich ihrer Farbe geschaffen hat!' Da schlug Kamar ez-Zamân die Augen auf und lauschte mit den Ohren auf seine Rede. Und als Marzuwân sah, daß der Prinz auf die Worte, die er zu ihm sprach, lauschte, trug er diese Verse vor:

Ich seh dich tief erregt, bekümmert, voller Klagen,
Und wie dein Ohr sich neigt, sprech ich von Schönheit zart.
Hat Liebe dich verwundet? Bist du vorn Pfeil getroffen?
Nur wer verwundet ward, der ist von solcher Art!
Wohlan, so tränk mich denn mit Bechern Weins und tue
Mir Lieder von Suleima, Rabâb und Tan' um' kund!
Der Weinbergssonne ist ein Krug ihr Himmelszeichen,
Der Schenke ist ihr Aufgang, ihr Untergang ist mein Mund.
Mich packt die Eifersucht auf ihrer Kleider Falten,
Wenn sie den schlanken Leib mit den Gewändern schmückt:
Ja, ich beneide Becher, deren Rand sie küsset,
Wenn sie, gleichwie zum Kusse, sie an die Lippen drückt.
Glaubt nicht von mir, ich sei vom scharfen Schwert verwundet,
Nein, Blicke trafen mich mit ihrer Pfeile Kraft.
Als sie mir nahte, sah ich ihre Fingerspitzen
So rot gefärbt wie von des Drachenblutes Saft.
Ich sprach: ,Du schmücktest so die Hand, ob ich gleich fern war!
Ist das der Lohn für ihn, den Leidenschaft erfüllt?'
Da warf sie mir ins Herz die heiße Glut der Liebe
Und sprach, wie einer spricht, der Liebe nicht verhüllt:



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,Dies ist, bei deinem Leben, nicht Schminke, mit der ich färbte;
Drum schilt mich nicht ob Härte und ob Verstellungslist.
Nein, wahrlich, als ich damals dich scheiden sehen mußte,
Dich, der du mir doch Arm und Hand und Knöchel bist.
Da habe ich Blut geweint in meiner Trennungsnot,
Und wischte es ab mit der Hand; vom Blute ward sie rot.' Hätt ich doch nur vor ihr geweint in meiner Sehnsucht,
Eh ich bereuen mußte, so wäre mein Herz geheilt.
Und doch sie weinte vor mir; da mußte ich mit ihr weinen
Und sprechen: Der Preis sei dem, der vorangeht, zuerteilt.
Drum tadelt mich doch nicht, weil ich sie liebe; denn wahrlich,
Beim Geiste der Liebe, ich bin durch sie an Schmerzen reich.
Ich weine nur um sie, deren Wange die Schönheit schmücket,
Und ihr ist bei den Persern und Arabern keine gleich.
Sie hat das Wissen Lukmâns', die schöne Gestalt von Joseph,
Die Sangeskunst von David, Marias Züchtigkeit.
Doch ich hab Jakobs Trauer, die Kümmernis des Jonas,
Den Fluch von Adam her und Hiobs bittres Leid.
Sterb ich aus Liebe zu ihr, so gebt ihr nicht den Tod;
Nein, fragt sie, wer das Recht an meinem Blut ihr bot!

Als Marzuwân dies Lied vorgetragen hatte, kam heilende Kühlung in das Herz des Kamar ez-Zamân; er seufzte, wandte die Zunge in seinem Munde und sprach zu seinem Vater: ,Lieber Vater, laß diesen Jüngling kommen und zu meiner Seite sitzen.' — — «

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 198. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Kamar ez-Zamân zu seinem Vater sprach: ,Lieber Vater, laß diesen Jüngling kommen und zu meiner Seite sitzen! 'Als der Sultan dies von seinem Sohne Kamar ez-Zamân vernahm, war er hocherfreut, obgleich sein Herz zuerst gegen Marzuwân eingenommen war und er bereits



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bei sich beschlossen hatte, ihm das Haupt abschlagen zu lassen. Doch nun, wie er seinen Sohn reden hörte, entschwand sein Zorn, er stand auf und führte den Jüngling Marzuwân heran und ließ ilm neben Kamar ez-Zamân sitzen. Dann hub der König an und sprach zu dem Fremdling: ,Preis sei Allah für deine wohlbehaltene Ankunft !'Jener erwiderte: ,Allah erhalte dir deinen Sohn!' Und er rief den Segen des Himmels auf den König herab. Nun fragte der König ihn: ,Aus welchem Lande bist du?' Jener gab zur Antwort: ,Von den Inseln des inneren Meeres, aus dem Lande des Königs el-Ghajûr, des Herrn der Inselfesten. der Meere und von den sieben Palästen.' Und weiter sprach der König Schehrimân: ,Möge dein Kommen für meinen Sohn ein Segen sein, und möge Allah ihn von seiner Not befreien!' Jener erwiderte: ,So Allah der Erhabene will, wird nur Gutes geschehen!' Darauf neigte Marzuwân sich über Kamar ez-Zamân und flüsterte ihm ins Ohr, ohne daß der König und die Würdenträger es merkten: ,Hoher Herr, sei stark, hab Zuversicht und quäl dich nicht! Sie, um deren willen du in diesem Elend bist -frage nicht nach ihrer Not um deinetwillen! Du hast dein Geheimnis gehütet und bist krank geworden; aber sie hat ihr Geheimnis offenbart, und man sagte von ihr, sie sei irre geworden; und jetzt schmachtet sie im Gefängnis, um ihren Hals trägt sie eine eherne Kette, und sie ist im größten Elend. Doch, so Allah der Erhabene will, sollt ihr beide durch meine Hand geheiltwerden.' Als Kamar ez-Zamân diese Worte vernahm, kam neue Lebenskraft über ihn, sein Herz ward stark, und ein Schauer der Freude durchlief ihn; und er gab seinem Vater ein Zeichen, daß er ihn aufrichten möge. Der König ward vor Freude fast wie von Sinnen, und er eilte zu seinem Sohne und richtete ilm auf. Nachdem nun Kamar ez-Zamân sich aufrecht gesetzt hatte, schwenkte der



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König aus Sorge um seinen Sohn sein Taschentuch; da entfernten sich alle Emire und Wesire; und er legte zwei Kissen für den Prinzen zurecht, an die er sich beim Sitzen anlehnen konnte. Ferner befahl der König, daß man den Palast mit Safran durchduften solle; dann gab er Befehl, die Stadt zu schmücken, und zu Marzuwân sprach er: ,Bei Allah, mein Sohn, dein Kommen hat Glück und Segen gebracht!' Darauf erwies er ihm die höchsten Ehren und ließ Speisen für ihn bringen. Als die gebracht waren, trat Marzuwân heran, indem er zu Kamar ez-Zamân sprach: ,Tritt herzu und iß mit mir.' Der gehorchte ihm, trat herzu und aß mit ihm. Derweilen aber rief der König den Segen des Himmels auf Marzuwân herab und sprach:, Wie schön ist es doch, daß du gekommen bist, mein Sohn!' Und wie der Vater nun seinen Sohn essen sah, ward er noch froher und glücklicher, und er ging alsbald fort und berichtete es der Mutter und dem ganzen Hause. So ward die frohe Botschaft von der Genesung des Prinzen im Palaste verkündet, und da der König die Schmückung der Stadt befohlen hatte, nahm auch das Volk an der Freude teil, und es war ein hoher Festtag. Marzuwân aber verbrachte die Nacht bei Kamar ez-Zamân, und auch der König blieb bei den beiden in seiner Freude und seinem Glück. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 199. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß König Schehrimân in jener Nacht bei den beiden blieb, hocherfreut über die Genesung seines Sohnes. Als es dann Morgen geworden und der König gegangen war und Marzuwân mit Kamar ez-Zamân allein blieb, erzählte er ihm alles von Anfang bis zu Ende. Er begann mit den Worten: ,Wisse, ich kenne sie, mit der du vereint gewesen bist.



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Sie heißt Prinzessin Budûr, die Tochter des Königs el-Ghajûr.' Und dann berichtete er ihm alles, was der Prinzessin Budûr widerfahren war, von Anfang bis zu Ende. Auch erzählte er ihm von ihrer großen Liebe zu ihm, und er schloß, indem er sprach: ,So ist es denn ihr gerade so mit ihrem Vater ergangen wie dir mit deinem Vater. Du bist ohne Zweifel der, den sie liebt, wie sie die ist, die du liebst. Nun sei stark und hab Zuversicht; denn ich will dich zu ihr führen und dich bald mit ihr wieder vereinen, und ich will an euch handeln, wie der Dichter gesagt hat:

Wenn je ein Freund der Freundin abhold ward
Und immer in der Abkehr noch beharrt,
So eine und verbinde ich die beiden,
Gleichwie der Zapfen in der Schere Schneiden.'

Und dann fuhr Marzuwân fort, Kamar ez-Zamân zu ermutigen, zu stärken und zu trösten und ihm zuzureden, er möchte essen und trinken. Nachdem der Prinz darauf die Speisen gegessen und den Wein getrunken hatte, kehrte seine Lebenskraft zu ihm zurück, neuer Mut erfüllte ihn, und so ward er von seinem Elend befreit. Währenddessen unterhielt Marzuwân ihn durch Lieder und Erzählungen, bis Kamar ez-Zamân sogar aufstand und ins Badehaus zu gehen verlangte. Darauf führte Marzuwân ilm an der Hand, und beide gingen ins Badehaus, wo sie den Leib badeten und sich wuschen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 200. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß damals, als Kamar ez-Zamân, der Sohn des Königs Schehrimân, ins Bad ging, sein Vater aus Freude darüber befahl, die Gefangenen freizulassen, den Großen seines Reiches prächtige Ehrenkleider verlieh, den Armen Almosen spendete und die Stadt schmücken ließ; so prangte



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denn die Hauptstadt sieben Tage lang im Schmuck. Nun aber sagte Marzuwân zu Kamar ez-Zamân: ,Wisse, hoher Herr, ich bin nur zu Einem Zwecke von der Prinzessin Budûr gekommen, und nur Ein Grund hat mich zu meiner Reise veranlaßt; der ist, daß ich sie von ihrem Leid befreie. So bleibt uns denn nur noch übrig, daß wir auf ein Mittel sinnen, zu ihr zu gelangen. Und da dein Vater die Trennung von dir nicht zu ertragen vermag, so meine ich, du solltest ihn morgen um die Erlaubnis bitten, zur Jagd in die Steppe ziehen zu dürfen. Dann nimm zwei Satteltaschen voll Geld mit dir, besteige einen Renner und führe ein Handpferd an der Leine mit; ich will dann dasselbe tun wie du und mit dir ausreiten. Deinem Vater sage, du wollest dich in der Steppe erholen, jagen, dich des Blickes in die weite Ferne erfreuen und dort eine Nacht zubringen. Wenn wir dann aber fortgeritten sind, wollen wir unserer Wege ziehen; dann laß auch keinen von den Dienern uns begleiten.' ,Der Rat ist gut', erwiderte Kamar ez-Zamân und freute sich sehr darüber. Und da er sich nun stark fühlte, ging er zu seinem Vater und erzählte ihm von dem Plane. Der König gab ihm die Erlaubnis, auf die Jagd zu gehen, indem er zu ihm sprach: ,Lieber Sohn, an tausend Tagen! Gesegnet sei Er, der dich wieder so stark gemacht hat! Ich habe nichts dagegen; doch bleib nur eine einzige Nacht fort, komme morgen wieder zu mir! Du weißt ja, mein Leben hat nur durch dich Wert für mich; ich kann es auch noch kaum glauben, daß du von deiner Krankheit genesen bist. Denn du bist für mich wie der, von dem der Dichter sang:

Besaß ich auch jederzeit Salomons Teppich
Und dazu der Perserkönige Reich:
Und könnte mein Auge dein Antlitz nicht schauen -
Sie wären dem Flügel der Mücke nur gleich.'



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Darauf rüstete der König seinen Sohn Kamar ez-Zamân und mit ihm den Marzuwân aus: er gab Befehl, für sie vier Rosse zu schirren, dazu ein Dromedar für das Geld und ein Lastkamel, das die Zehrung und das Wasser tragen sollte. Und Kamar ez-Zamân gab Anweisung, daß niemand mit ihm hinausziehen solle, um ihn zu bedienen. Dann nahm sein Vater Abschied von ihm, indem er ihn an seine Brust drückte und ihn küßte und zu ihm sprach: ,Ich bitte dich um Allahs willen, bleib nicht länger fern von mir als eine einzige Nacht; in ihr wird der Schlaf mich fliehen, denn mir geht es, wie der Dichter sprach:
Bist du mir nah, bin ich glücklich, ja glücklich;
Doch weil' ich dir fern, bin ich traurig, ja traurig.
Für dich möcht ich sterben! Ist Lieb ein Verbrechen,
So ist mein Verbrechen gar schaurig, ja schaurig.
Brennt Lohe der Liebe in dir wie in mir?
Ich leide die Qualen der Höllenglut hier.'

Der Prinz erwiderte: ,Lieber Vater, so Gott will, bleibe ich nur eine Nacht fort.' Dann sagte er ihm Lebewohl und ging fort. Und nun machten Kamar ez-Zamân und Marzuwân sich auf, bestiegen die Rosse, führten das Dromedar mit dem Gelde und das Kamel mit dem Wasser und der Zehrung mit sich und zogen der Steppe entgegen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 201. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Kamar ez-Zamân und Marzuwân auf brachen und der Steppe entgegenzogen. So ritten sie dahin von Tagesanbruch bis zum Abend; da stiegen sie ab, aßen und tranken, fütterten ihre Tiere und ruhten eine Weile aus. Dann saßen sie wieder auf und ritten weiter. Drei Tage



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zogen sie so dahin; doch am vierten Tage kamen sie in ein weites Gelände, in dem sich ein Dickicht befand. Dort stiegen sie ab; und nun nahm Marzuwân ein Kamel und ein Pferd, schlachtete beide, schnitt ihr Fleisch in Stücke und legte ihre Knochen bloß. Auch nahm er Hemd und Hose von Kamar ez-Zamân, zerschnitt sie und besudelte sie mit dem Blute des Pferdes. Und schließlich nahm er den Rock des Prinzen, zerriß ihn und tränkte ihn mit dem Blute und warf dann alles auf die Wegkreuzung. Als sie danach gegessen und getrunken hatten, wieder aufgesessen waren und weiterritten, fragte Kamar ez-Zamân seinen Begleiter nach dem, was er getan hatte, indem er sprach: ,Lieber Bruder, was bedeutet dies, was du getan hast? Was soll uns das nützen?' Jener gab zur Antwort: ,Wisse, dein Vater, der König Schehrimân, wird, wenn wir noch eine zweite Nacht nach dem Tage, an dem wir von ihm Abschied genommen haben, ausbleiben und nicht sogleich wieder zu ihm kommen, alsbald aufsitzen und unserer Spur nachreiten. Und wenn er dann zu jener Stätte kommt, an der ich das Blut vergossen habe, und dein Hemd und deine Hose zerrissen und blutbefleckt sieht, so wird er denken, dir sei von den Wegelagerern oder von den wilden Tieren ein Leid widerfahren. So wird er nicht mehr hoffen, dich zu finden, sondern er wird in die Stadt zurückkehren; und wir werden durch diese List unser Ziel erreichen.' Da rief Kamar ez-Zamân: ,Bei Allah, das ist eine treffliche List. Was du getan hast, ist gut.' Dann ritten die beiden Tag und Nacht weiter; doch während dieser ganzen Zeit klagte Kamar ez-Zamân immer, wenn er mit sich allein war, und weinte, bis er endlich nahe dem Ziele wieder froh ward, und da sprach er diese Verse:

Erweisest du Hörte dem Freunde, der deiner stündlich denket?
Nachdem du seiner begehrtest, versagst du dich ihm schon?



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Verriet ich dich je in der Liebe, so sei mir die Huld verwirket!
Und habe ich je gelogen, so sei die Trennung mein Lohn!
Ich habe keine Schuld, daß ich die Hörte verdiente;
Doch wenn ich je gefehlt, so hab ich es längst bereut.
Es ist ein Wunder der Zeit, daß du dich von mir trennest -
Doch immer neue Wunder bringt uns ja die Zeit!

Als Kamar ez-Zamân diese Verse gesprochen hatte, rief Marzuwân: ,Sieh, das sind die Inseln des Königs el-Ghajûr dort vor uns!' Da freute Kamar ez-Zamân sich sehr, und er dankte dem Marzuwân für alles, was er getan hatte, küßte ihn auf die Stirn und drückte ihn an sich. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 202. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Kamar ez-Zamân, als Marzuwân zu ihm sprach: ,Sieh, das sind die Inseln des Königs el-Ghajûr', sich freute und ihm für alles, was er getan hatte, dankte, ilm küßte und an seine Brust drückte. Und als sie die Inseln erreicht hatten, zogen sie in die Hauptstadt ein, und Marzuwân führte den Prinzen in einen Chân; dort ruhten sie sich drei Tage lang von der Reise aus. Darauf nahm Marzuwân ihn bei der Hand und ging mit ihm in das Badehaus; und dann legte er ihm Kaufmannskleider an. Ferner versah er ihn mit einer goldenen geomantischen Tafel, mit allem Zubehör und mit einem vergoldeten Astrolabium aus Silber. Und dann sprach er zu ihm: ,Wohlan, hoher Herr, nimm deinen Stand unterhalb des Königspalastes und ruf aus:

Ich bin der Berechner, der schreibkundige Mann!
Ich bin's, der das Gesuchte und den Suchenden erkennen kann!
Ich bin der Weise, klug und gewandt!
Ich bin der Sterndeuter, überall bekannt!
Wo ist der, der da sucht?



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Wenn der König dich hört, so wird er nach dir schicken und dich zu seiner Tochter, der Prinzessin Budûr, die du liebst, hineinführen. Und wenn du dann zu ihr eingetreten bist, so sprich zu ihm: ,Gewähre mir eine Frist von drei Tagen; ist sie dann wieder gesund, so gib sie mir zur Frau; ist sie es aber nicht, so tu mit mir, wie du mit denen vor mir getan hast!' Der König wird es dir bewilligen; und sobald du mit ihr allein bist, gib dich ihr zu erkennen. Dann wird sie wieder zu Kräften kommen, wenn sie dich sieht, ihr Wahnsinn wird von ihr weichen, und sie wird in einer einzigen Nacht genesen; darauf gib ihr zu essen und zu trinken. Ihr Vater aber wird dich in seiner Freude über ihre Genesung mit ihr vermählen und sein Reich mit dir teilen; denn das hat er sich selbst zur Bedingung gemacht. Und nun Glück auf!' Als Kamar ez-Zamân diese Worte vernommen hatte, sprach er: ,Möge deine Güte mir nie fehlen!' Und er nahm die Geräte von ihm entgegen und verließ den Chân, gekleidet und ausgerüstet, wie wir erzählt haben. Er schritt dahin, bis er unten am Palast des Königs el-Ghajûr stand, und begann zu rufen:
Ich bin der Berechner, der schreibkundige Mann!
Ich bin's, der das Gesuchte und den Suchenden erkennen kann!
Ich schlage das Zauberbuch auf
Und berechne der Dinge Lauf!
Ich kann den Sinn der Träume künden
Und das Verlorene durch Talismane wiederfinden!
Wo ist der, der da sucht?

Als die Leute der Stadt diesen Ausruf hörten, kamen sie zu ihm; denn sie hatten seit langer Zeit keinen Schreibkundigen und keinen Sterndeuter gesehen. So standen sie denn um ihn herum, begannen ihn zu betrachten und sahen ihn in der Blüte der Schönheit, der Anmut und vollkommensten Lieblichkeit; und während sie so dastanden, in Verwunderung über seine Schönheit



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und Herrlichkeit und seines Wuchses Ebenmäßigkeit, trat einer an ihn heran und sprach zu ihm: ,üm Allahs willen, du schöner junger Mann, der so gewählt reden kann, setze doch dein Leben nicht aufs Spiel, begib dich nicht selbst in Todesgefahr im Streben nach der Vermählung mit der Prinzessin Budûr, der Tochter des Königs el-Ghajûr! Sieh nur mit deinen eigenen Augen auf die Häupter, die dort hängen! Die, denen sie gehörten, sind alle aus diesem Grunde getötet worden.' Doch Kamar ez-Zamân hörte nicht auf sein Wort, sondern fuhr fort, mit lauter Stimme zu rufen:

Ich bin der Weise, der schreibkundige Mann!
Ich bin der Sterndeuter, der berechnen kann!

Darauf wollte das Volk ihn von seinem Tun zurückhalten; allein er kümmerte sich gar nicht um die Leute, sondern er sprach bei sich: ,Nur wer die Sehnsucht leidet, kennt sie.' Und weiter rief er mit lauter Stimme: ,Ich bin der Weise, ich bin der Sterndeuter!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 203. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Kamar ez-Zamân sich um das Gerede der Leute aus der Stadt nicht kümmerte, sondern zu rufen fortfuhr:

Ich bin der schreibkundige Mann!
Ich bin's, der berechnen kann!
Ich bin der Sterndeuter!

Da wurden alle Leute der Stadt ärgerlich über ihn, und sie sprachen: ,Du bist doch nur ein törichter, eigensinniger, dummer Jüngling! Hab Mitleid mit deiner Jugend, deinem zarten Alter, deiner Schönheit und Anmut!' Dennoch rief Kamar ez-Zamân immer weiter: ,Ich bin der Sterndeuter, der Berechner! Ist einer da, der suchte' Während er so rief und das Volk



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um zurückhalten wollte, hörte plötzlich der König el-Ghajûr seine Stimme und das Lärmen des Volkes; und er sprach zum Wesir: ,Geh hinab und bring uns diesen Sterndeuter!' Da ging der Wesir eilends hinab, holte Kamar ez-Zamân mitten aus der Volksmenge heraus und führte ihn zum König hinauf. Als dieser nun vor dem Herrscher stand, küßte er den Boden und sprach die Verse:

Der Zierden acht hast du zum Ruhm in dir vereint.
Und durch sie diene dir das Schicksal allezeit:
Dein Wissen, Frömmigkeit, dein Ruhm und Edelmut,
Dein Wort und tiefer Sinn, dein Sieg, die Herrlichkeit.

Nachdem der König el-Ghajûr ihn angeblickt hatte, ließ er ihn neben sich sitzen und wandte sich anilin mit den Worten: ,üm Gottes willen, mein Sohn, wenn du kein Sterndeuter bist, so setze dein Leben nicht aufs Spiel und geh nicht auf meine Bedingung ein! Denn ich habe es mir zur Bedingung gemacht, daß ich einem jeden, der zu meiner Tochter hineingeht und sie nicht hellt, den Kopf abschlagen lasse; aber wer nur immer sie gesund macht, den will ich mit ihr vermählen. Laß dich durch deine Schönheit und Anmut nicht irreführen; bei Gott, bei Gott, wenn du sie nicht heilst, so werde ich dir den Kopf abschlagen lassen!' Da antwortete Kamar ez-Zamân: ,Das steht dir frei, und ich willige ein; ich habe es vorher gewußt, ehe ich zu dir kam.' Darauf ließ der König el-Ghajûr die Kadis kommen, um sie als Zeugen wider ihn zu haben, und übergab ihn dem Eunuchen mit den Worten: ,Führe diesen zur Prinzessin Budûr!' Da nahm der Eunuch ihn bei der Hand und ging mit ihm in die Vorhalle; aber Kamar ez-Zamân eilte ihm vorauf, und der Eunuch begann zu laufen und rief ihm zu: ,Du da, eile doch nicht in dein eigenes Verderben! Ich habe noch nie einen Sterndeuter so wie dich in sein eigenes Unheil



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rennen sehen. Du weißt aber ja nicht, welche Nöte dir bevorstehen!' Nun wandte Kamar ez-Zamân sein Antlitz von dem Eunuchen ab. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 204. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Eunuch zu Kamar ez-Zamân sprach: ,Gedulde dich, eile nicht so!' Nun wandte der sein Antlitz von ihm ab und begann diese Verse zu sprechen:

Ich bin ein Weiser, doch vor deiner Schönheit töricht;
Ich weiß nicht, was ich sagen soll, verwirrt im Sinn.
Nenn ich dich Sonne. deine Schönheit schwindet niemals
Vor meinem Blicke: doch die Sonnen sinken hin.
Dich schmückt vollkommne Zier. die der beredte Mann
Nicht künden und von der kein Sänger singen kann.

Dann hielt der Eunuch den Kamar ez-Zamân vor dem Vorhange über der Tür an, und der Prinz sprach zu ihm: ,Was von beiden ist dir lieber: soll ich deine Herrin von hier aus behandeln und heilen, oder soll ich zu ihr hineingehen und sie hinter dem Vorhange genesen machen?' Verwundert über seine Worte entgegnete der Eunuch: ,Wenn du sie von hier aus heilest, so ist das ein größerer Beweis deiner Vortrefffichkeit.' Und nun setzte Kamar ez-Zamân sich vor dem Vorhange nieder, nahm Tintenkapsel, Rohrfeder und Papier und schrieb darauf diese Worte: ,Dies ist der Brief dessen, in dem die Leidenschaft schwelt, * den die Liebe quält, * und dessen Tage der Kummer zählt. *Wehe dem, dessen Lebenshoffnung verloren geht, *und dem der sichere Tod vor Augen steht! *Sein Herze ist von Trauer schwer, *und es hat keinen Retter noch Helfer mehr. *Und von seinem wachen Blick *hält kein Tröster den Gram zurück. *Der Tag vergeht ihm, von Flammen



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entfacht, *und in bitterer Qual die Nacht. * Sein Leib ist von Hagerkeit entstellt, *seit er von ihr, die er liebt, keine Kunde erhält.' Darauf schrieb er diese Verse:

Ich schreibe, und mein Herze begehrt nur dein zu denken,
Das Auge ist mir wund vom Blute, das es weint.
Den Leib bedeckt das Feuer der Sehnsucht und der Trauer
Mit einem Hemd der Hagerkeit, dem Leid sich eint.
Ich klag die Liebe an bei dir, seit sie mich peinigt
Und der Geduld in mir die Stätte weggerafft:
Sei huldvoll, hab Erbarmen, bezeuge deine Neigung;
Mein Herze ist zerrissen durch der Liebe Kraft.

Und unter die Verse schrieb er diese gereimten Worte: ,Die Herzen genesen *beim Anblick der geliebten Wesen. *Wem von der Geliebten Unrecht geschah, *dessen Arzt ist Allah. * Wer von euch oder uns Verrat begeht, * erreicht nicht, wonach sein Begehren steht. * Es gibt nichts Schöneres als einen Liebenden, der in Treue harrt * einer Geliebten, durch die er gepeinigt ward.'

Als Unterschrift aber schrieb er: ,Von ihm, der von Leidenschaft betört. * der von Liebe verstört, *dem der Schlaf verscheucht ward durch der sehnenden Liebe Kraft, *der gefangen ward von rasender Leidenschaft, * von Kamar ez-Zamân,* dem Sohne des Schehrimân, * an die schönste Perle ihrer Zeit,* die auserlesene Paradiesesmaid,*die Herrin Budûr, *die Tochter des Königs el-Ghajûr. *Wisse, daß ich zur Nachtzeit wache; * und bei Tage mir quälende Sorgen mache; * an mir zehren immer mehr Krankheit und Hagerkeit, *Liebe und Sehnsuchtsleid. *Meiner Seufzer sind viel; *der Tränen ist kein Ziel.*Ich bin von der Liebe gebannt, *die Leidenschaft brachte mich an des Grabes Rand, *und der Trennungsschmerz hat mein Herz verbrannt. *Wie ein Schuldner bin ich der Sehnsucht geweiht,* ich bin ein Weggenosse dem Leid. *Ich bin der Schlaflose, dessen



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Auge sich nimmer schließt, *der Liebessklave, dessen Träne immer fließt. *Nie erlischt das Feuer in meinem Herzen,*nie ruhen meiner Sehnsucht glühende Schmerzen.'

An den Rand aber schrieb er diesen schönen Vers:

Ein Gruß, der aus den Schätzen der Huld des Herren eilt
Zu ihr, bei der mein Herz und meine Seele weilt.

Und dazu schrieb er noch diese Verse:

Gewahre mir Kunde von dir; vielleicht wird deine Botschaft
An mir Erbarmen üben, dem Herzen Tröstung leihn.
In meiner Leidenschaft zu dir und meiner Liebe
Erscheint gering mir, was ich dulde, Leid und Pein.
Behüte Gott ein Volk, des Wohnstatt mir sofern ist;
Ich schloß die Lieb zu ihm im festen Schreine ein.
Jetzt hat das Schicksal mich mit seiner Huld begnadet
Und warf mich in den Staub am Tor der Liebsten mein.
Ich sah Budûr an meiner Seite auf dem Lager,
Der Mond meiner Zeit' erglänzte durch ihrer Sonne Schein.

Nachdem Kamar ez-Zamân dann den Brief versiegelt hatte, schrieb er als Aufschrift diese Verse:

Prag meinen Brief nach dem, was hier mein Schreibrohr schrieb;
Die Züge künden dir mein Leiden und meine Lieb -
Beim Schreiben brachen Tränen aus meinem Auge hervor,
Und ach, die Sehnsucht klagte dem Blatte durch mein Rohr.
Nie hält die Träne ein, aufs Blatt hinabzufließen;
Wenn meine Tränen trocknen, will ich mein Blut vergießen.

Und zuletzt schrieb er auf die Rückseite des Briefes:

Ich sende deinen Ring, den ich einst eingetauscht,
Als wir uns nahe waren; schick du mir deinen Ring.

Darauf legte Kamar ez-Zamân den Ring der Prinzessin Budûr in den gefalteten Brief und übergab ihn dem Eunuchen; der nahm ihn und trat mit ihm zu seiner Herrin ein. — —«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 205. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Kamar ez-Zamân den Ring in den Brief legte und ilm dem Eunuchen übergab, und daß der ihn darauf nahm und mit ihm zur Prinzessin Budûr eintrat. Sie nahm das Schreiben aus der Hand des Eunuchen entgegen, öffnete es und fand darin ihren eigenen Ring. Dann las sie das Blatt, und als sie den Inhalt verstanden hatte, erkannte sie, daß es von ihrem Geliebten kam und daß er selbst es war, der vor dem Vorhange stand. Und da ward sie vor Freude fast wie von Sinnen, da schwoll und weitete sich ihre Brust vor lauter jubel, und sie sprach diese Verse:

Ich habe lange getrauert, weil das Geschick uns trennte,
Und immer rannen mir aus meinen Augen die Tränen.
Ich schwor, wenn je das Schicksal uns wieder vereinen sollte,
Ich wolle nie wieder die Trennung mit meiner Zunge erwähnen.
Die Freude ist plötzlich zu mir gekommen und hat über Nacht
Durch die Größe dessen, was mich erfreut, mich zum Weinen gebracht.
O Auge, dich geleiten die Tränen zu jeder Zeit;
Sie rinnen in meiner Freude und auch in meinem Leid.

Nach diesen Worten erhob sich die Herrin Budûr alsbald, preßte ihre Füße fest gegen die Mauer und zerrte mit ihrer ganzen Kraft an dem eisernen Ring, bis sie ihn am Halse zerbrochen und auch die Kette zerrissen hatte. Dann eilte sie hinter dem Vorhange hervor, warf sich Kamar ez-Zamân entgegen und küßte ihn auf den Mund, gleichwie die Tauben sich schnäbeln. Und sie umarmte ihn mit allem Ungestüm ihrer Leidenschaft und ihrer Sehnsucht und rief: ,Mein Gebieter, wache ich oder träume icht Hat Allah uns wirklich in seiner Güte vereint, nachdem wir so lange getrennt waren? Preis sei



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Ihm, der uns zusammengeführt hat, nachdem wir schon verzweifelt waren!'

Als der Eunuch sie also sah, lief er eilends zum König el-Ghajûr, küßte den Boden vor ihm und sprach: ,Hoher Herr, wisse, dieser Sterndeuter ist der Oberste und der Weiseste aller Sterndeuter! Er hat deine Tochter geheilt, während er vor dem Vorhange stand, ohne zu ihr hineinzugehen!' Der König aber sprach: ,Sieh genau zu, ob diese Kunde wahr ist!' ,O Herr,' antwortete der Eunuch, ,erhebe dich und schau sie an, wie sie die Kraft gefunden hat, die eisernen Ketten zu zerbrechen, wie sie zu dem Sterndeuter hinaus eilte, ihn küßte und umarmte!' Nun erhob sich der König el-Ghajûr und ging zu seiner Tochter; als sie ihn erblickte, sprang sie auf, verhüllte ihr Haupt und sprach diese beiden Verse:

Ich liebe siwâk, den Zahnreiber, nicht; denn wenn ich ihn nenne,
So sage ich siwâk', das heißt, einen andren als dich.
Doch liebe ich arâk, den Strauch; denn wenn ich ihn nenne,
So sage ich arâk, das heißt, ich sehe dich.'

Da freute ihr Vater sich so sehr über ihre Genesung, daß er fast den Verstand verlor, und er küßte sie auf die Stirn; denn er hatte sie sehr lieb. Dann wandte der König el-Ghajûr sich an Kamar ez-Zamân, erkundigte sich nach seinem Wohlergehen und fragte ihn: ,Aus welchem Lande kommst du?' Der Prinz berichtete ihm darauf von seiner Herkunft und seinem Stande und tat ihm kund, daß der König Schehrimân sein Vater sei. Dann erzählte er ihm seine ganze Geschichte von Anfang bis zu Ende und berichtete ihm alles, was er mit der Herrin Budûr erlebt hatte, und berichtete somit auch, wie er den Ring



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von ihrem Finger genommen und ihr seinen Ring angelegt hatte. Voll Erstaunen über dies alles rief der König el-Ghajûr: ,Eure Geschichte verdient in den Büchern aufgezeichnet zu werden, auf daß sie noch nach eurem Tode gelesen werde von Geschlecht zu Geschlecht!' Dann ließ er alsbald die Kadis und die Zeugen kommen und ließ die Eheurkunde schreiben für die Herrin Budûr und Kamar ez-Zamân. Ferner gab er Befehl, die Stadt sieben Tagelang zu schmücken, und die Diener breiteten die Tische mit allerlei Speisen aus. So ward ein Freudenfest gefeiert, die Stadt ward geschmückt, alle Krieger legten ihre prächtigsten Gewänder an, und die Freudenbotschaft ward überall unter Trommelklang verkündet. Kamar ez-Zamân aber ging zur Herrin Budûr ein. Ihr Vater freute sich über ihre Genesung und ihre Vermählung und dankte Gott, daß er sie in Liebe mit einem schönen jungen Prinzen vereint hatte. Nun ward die Braut vor ihm entschleiert, und beide glichen einander an Schönheit und Lieblichkeit. an Anmut und Zierlichkeit. Und in selbiger Nacht ruhte Kamar ez-Zamân bei ihr und erreichte bei ihr das Ziel seiner Wünsche; und auch sie stillte ihr Verlangen nach ihm und genoß seine Schönheit und Anmut. Bis zum Morgen blieben sie in enger Umarmung vereint. Am nächsten Tage aber ließ der König ein Festmahl bereiten und lud alles Volk zu ihm ein, von den Inseln im Binnenmeer und im Meere draußen. Da brachte man die Tische mit den auserlesensten Speisen, und einen vollen Monat lang blieben die Tische gedeckt.

Nachdem Kamar ez-Zamân so seine Sehnsucht gestillt und das Ziel seiner Wünsche erreicht hatte, und nachdem er in seinem Glück eine lange Weile bei der Herrin Budûr gewesen war, da mußte er seines Vaters, des Königs Schehrimân, gedenken; er sah ihn im Traum, wie er zu ihm sprach: ,Mein



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Sohn, kannst du mir dies antun?' Und dann sprach der Vater diese Verse im Traume zu ihm:

Der Mond, der im Dunkel schien, erschreckte mich durch sein Schwinden
Und ließ so meine Augen nur noch die Sterne sehn.
Gemach, meine Seele! Vielleicht wird er bald wiederkehren.
Ertrag, mein Herz, geduldig, was dir durch ihn geschehn!

Als Kamar ez-Zamân seinen Vater. der ihm Vorwürfe machte. im Traum gesehen hatte, wachte er am Morgen betrübt und traurig auf, Und wie dann die Herrin Budûr ihn nach dem Grunde fragte, tat er ihr kund, was er gesehen hatte. — —« Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 206. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Kamar ez-Zamân, nachdem er der Herrin Budûr kundgetan hatte, was er im Traum gesehen, mit ihr zu ihrem Vater ging, und daß die beiden ihm davon erzählten und ihn um Erlaubnis baten. fortreisen zu dürfen. Als er dem Prinzen diese Erlaubnis gegeben hatte, sprach die Herrin Budûr: ,Lieber Vater, ich kann es nicht ertragen, mich von ihm zu trennen.' ,So reise denn mit ihm', erwiderte ihr Vater und gab ihr die Erlaubnis, ein volles Jahr mit ihrem Gemahl fortzubleiben und dann jedes Jahr einmal zukommen, um den Vater zu besuchen. Da küßte sie ihrem Vater die Hand. und ebenso tat Kamar ez-Zamân. Darauf begann der König el-Ghajûr seine Tochter und ihren Gemahl für die Reise auszurüsten; er versah sie mit Wegzehrung und mit allen Dingen, die zur Reise nötig waren, ließ für sie Rosse kommen, die durch Brandmarken ausgezeichnet waren, ferner Dromedare, und für seine Tochter eine Sänfte, ließ Maultiere und Lastkamele für sie beladen und gab ihnen Sklaven und andere Leute zur Bedienung mit. So ließ er ihnen alles, was sie für die Reise



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brauchten, herbeischaffen. Am Tage des Aufbruchs aber, als König el-Ghajûr von Kamar ez-Zamân Abschied nahm, verlieh er ihm zehn prächtige Ehrenkleider, die mit Gold bestickt und mit Edelsteinen besetzt waren; dazu gab er ihm zehn Rosse, zehn Kamelinnen und einen Schatz Goldes, und er empfahl seine Tochter, die Herrin Budûr, seinem Schutze. Nachdem er sie noch bis zum Ende des Inselreiches begleitet hatte, nahm er von Kamar ez-Zamân Abschied, trat zu seiner Tochter, der Herrin Budûr, die in ihrer Sänfte war, heran, zog sie an seine Brust und küßte sie; dann sprach er unter Tränen:

Der du die Trennung suchst, gemach!
Umarmung ist der Liebe Lohn.
Gemach! Des Schicksals Art ist Trug;
Dem Glücke winkt die Trennung schon.

Dann ging er von seiner Tochter fort, trat wieder zu ihrem Gemahl Kamar ez-Zamân und nahm noch einmal Abschied von ihm und küßte ilm. Schließlich aber trennte er sich von den beiden und kehrte mit seinem Heere in seine Hauptstadt zurück, nachdem er ihnen den Befehl zum Aufbruch gegeben hatte.

Nun zogen Kamar ez-Zamân und seine Gemahlin, die Herrin Budûr, und ihr Gefolge dahin, den ersten, den zweiten, den dritten und vierten Tag; und nachdem sie so einen ganzen Monat hindurch immer weiter gereist waren, machten sie bei einer Wiese halt, einem weiten Land, in dem sich viel Futterkraut befand. Dort schlugen sie ihre Zelte auf, aßen und tranken und gingen zur Ruhe. Auch die Herrin Budûr legte sich nieder, und als Kamar ez-Zamân zu ihr ins Zelt trat, fand er sie schlafend daliegen; sie war in ein Hemd aus aprikosenfarbener Seide gekleidet, das ihre ganze Gestalt erkennen ließ, und auf ihrem Haupte lag ein goldgewirktes Kopftuch, das mit Perlen und



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Edelsteinen besetzt war. Plötzlich hob der Lufthauch ihr Hemd hoch und wehte es bis über den Nabel hinaus, sodaß auch ihre Brüste entblößt wurden und an ihr ein Leib sichtbar ward, der weißer als Schnee war; in jeder seiner Falten hätte eine Unze von Behennußöl Platz gefunden. Da wurde er von noch heftigerer Liebesleidenschaft ergriffen, und er sprach:

Sprach man zu mir, wenn eine heiße Flamme glüht
Und wenn ein brennend Feuer durch Herz und Brust mir zieht:
Verlangt es dich denn mehr, mit ihr vereint zu sein
Als kühles Wasser trinken? ich riefe: Sie allein!

Dann legte Kamar ez-Zamân seine Hand auf die Schnur ihrer Hose, zog daran und löste sie, da sein Herz nach ihr verlangte. Plötzlich erblickte er einen Edelstein, rot wie Drachenblut, der an der Schnur befestigt war. Er band ihn los, schaute ihn anund sah, daß auf ihm zwei Reihen von Namen in einer Schrift. die er nicht lesen konnte, eingegraben waren. Verwundert sprach er bei sich: ,Wäre dieser Stein nicht ein großes Kleinod für sie, so hätte sie ihn nicht in dieser Weise an die Schnur ihrer Hose festgebunden und ihn nicht an der sichersten Stelle bei sich verborgen, um ihn nicht zu verlieren. Was mag sie wohl damit tun? Und was für ein Geheimnis mag an ihm hängen?' Dann nahm er den Stein und verließ das Zelt, um ihn bei Licht zu betrachten. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 207. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß er den Stein nahm, um ihn bei Licht zu betrachten; und wie er ihn so in der Hand hielt und genau anschaute, da stieß ein Vogel auf ihn herab, riß ihm den Stein aus der Hand, flog damit fort und ließ sich dann wieder auf die Erde nieder. In seiner Sorge um den Stein lief er hinter



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dem Vogel her; der aber flog mit derselben Schnelligkeit, wie Kamar ez-Zamân lief, vor ihm dahin. Der Prinz folgte ihm immer weiter von Ort zu Ort und von Hügel zu Hügel, bis es Abend ward und die Dunkelheit anbrach. Da setzte sich der Vogel auf einen hohen Baum; Kamar ez-Zamân blieb ratlos unter ihm stehen, und seine Kräfte verließen ihn vor Hunger und Erschöpfung. Schon gab er sich verloren und wollte wieder umkehren, doch er kannte den Weg nicht mehr, auf dem er gekommen war, und so brach dort die Finsternis über ihn herein. Da rief er: ,Es gibt keine Majestät und es gibt keine Macht außer bei Allah dem Erhabenen und Allmächtigen!' Dann legte er sich unter dem Baume, auf dem der Vogel saß, nieder und schlief bis zum Morgen. Als er darauf aus seinem Schlafe erwachte, sah er, wie auch der Vogel aufgewacht war und gerade von dem Baume fortflog. Nun ging Kamar ez-Zamân hinter ihm her, und jener Vogel flog langsam weiter, mit derselben Schnelligkeit, wie der Prinz ging. Da mußte er lächeln, und er sprach: ,Gottes Wunder! Gestern flog dieser Vogel so rasch, wie ich lief; und heute weiß er, daß ich müde aufgewacht bin und nicht mehr so rasch laufen kann wie vorher, und darum fliegt er so langsam, wie ich gehe. Bei Allah, das ist seltsam! Doch ich muß diesem Vogel folgen, mag er mich zum Leben oder zum Tode führen. Ich will hinter ihm her gehen, wohin er sich auch wenden mag; denn er wird sicherlich in einem bewohnten Lande sich aufhalten.' So ging denn Kamar ez-Zamân weiter, während der Vogel über ihn flog und jede Nacht auf einem Baume zubrachte; zehn Tage lang folgte er ihm, und dabei nährte er sich von den Früchten der Erde und trank vom Wasser ihrer Bäche. Am elften Tage jedoch kam er zu einer bewohnten Stadt; da plötzlich flatterte der Vogel davon, so rasch wie ein Augenlid zuckt, flog in jene



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Stadt hinein und entschwand den Blicken des Prinzen. Der verstand nicht, was das bedeutete, und wußte nicht, wohin der Vogel entschwunden war; und verwundert rief er aus: ,Preis sei Allah, der mich behütet hat, bis ich zu dieser Stadt gekommen bin!' Dann setzte er sich an einem Bache nieder, wusch sich Hände, Füße und Gesicht und ruhte eine Weile aus. Dabei dachte er an sein früheres Leben in Sorglosigkeit und Glück und in Vereinigung mit der Geliebten, und betrachtete seinen jetzigen Zustand, Ermattung, Sorgen, Einsamkeit in der Fremde, Hunger und Trennungsschmerz. Die Tränen rannen ihm aus den Augen, und er sprach:

Ich barg, was mir von dir geschah; doch es kam an den Tag.
Der Schlaf meines Auges wich, so daß es schlummerlos lag.
Ich rief, wenn mir das Elend mein Herze fast zerbricht:
O Schicksal, quäle mich nicht immer, verwunde mich nicht.
Seht doch, wie meine Seele in Not und Fährlichkeit schwebt!
Wenn nur der Herr der Liebe gerecht mit mir verfährt,
So wäre meinem Auge der Schlummer nicht verwehrt.
O Herrin, erbarm dich dessen, den Sehnsucht krank gemacht,
Sei gnädig dem mächtigen Manne, den Liebe ins Elend gebracht,
Ihm, der einst reich gewesen und jetzt in Armut lebt!
Die Tadler quälten dich, ich folgte ihnen nicht;
Ich machte taub die Ohren und stumm mein Angesicht.
Sie sprachen: Du liebst eine Schlanke. Und meine Antwort war:
Ich wählte sie unter vielen und ließ die andere Schar.
Laßt ab, das Auge wird blind, wenn das Schicksal Unheil webe!

Nachdem er so gesprochen, ruhte Kamar ez-Zamân sich wiederum aus; dann erhob er sich und ging langsam weiter, bis er in die Stadt kam. — —e

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 208. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet



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worden, o glücklicher König, daß Kamar ez-Zamân, nachdem er so gesprochen, sich ausruhte und dann in das Tor der Stadt eintrat, ohne zu wissen, wohin er sich wenden sollte. So wanderte er durch die Stadt von einem Ende bis zum anderen; durch das Landtor war er eingetreten, und dann war er immer weiter gegangen, bis er zum Meerestor kam, ohne daß ihm einer von ihren Bewohnern begegnete. Die Stadt lag nämlich an der Küste des Meeres. Nachdem er nun durch das Meerestor hinausgegangen war, schritt er weiter dahin, bis er zu den Gärten und Hainen der Stadt gelangte. Dort trat er ein und ging unter den Bäumen weiter; schließlich kam er zu einem Garten, vor dessen Tor er stehen blieb. Da trat der Gartenwächter zu ihm heraus und grüßte ihn. Als der Prinz den Gruß zurückgegeben hatte, hieß der Gärtner ihn willkommen und sprach zu ihm: ,Preis sei Allah, daß du vor den Bewohnern dieser Stadt entkommen bist, ohne Schaden zu nehmen! Tritt schnell in diesen Garten ein, ehe dich einer von ihnen sieht!' Ganz erstaunt trat Kamar ez-Zamân in den Garten ein und fragte den Gärtner: ,Was ist es denn mit den Bewohnern dieser Stadt, und wie steht es um sie?' Jener gab zur Antwort: ,Wisse, die Einwohner der Stadt sind alle Magier. Doch um Gottes willen, sage mir, wie bist du zu dieser Stätte gekommen? Weshalb hast du überhaupt unser Land betreten?' Nun berichtete Kamar ez-Zamân dem Gärtner alles, was er erlebt hatte, von Anfang bis zu Ende. Hocherstaunt sprach jener darauf: ,Wisse, mein Sohn, das Land der Muslime ist weit von hier entfernt. Zwischen ihm und uns liegt eine Reise von vier Monaten zur See, zu Lande aber dauert sie ein ganzes Jahr. Wir haben ein Schiff, das jedes Jahr in See sticht und mit Waren nach dem ersten muslimischen Lande fährt; von hier fährt es in das Meer der Ebenholzinseln und von dort nach den Chali-Inseln,



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über die der König Schehrimân herrscht.' Nun dachte Kamar ez-Zamân eine Weile nach und kam zu der Erkenntnis. daß es das beste für ihn sei, in dem Garten bei dem Gärtner zu bleiben und ihm als Tagelöhner zu dienen. So sprach er denn zu ihm: ,Willst du mich als Tagelöhner in diesem Garten annehmen?' ,Ich höre und willfahre', sprach jener und lehrte ihn alsbald, wie man das Wasser zu den Beeten leitet. Dann begann Kamar ez-Zamân das Wasser dorthin zu leiten und das Unkraut mit der Hacke herauszuschlagen. Der Gärtner gab ihm einen kurzen blauen Rock, der ihm bis an die Knie reichte. Doch während Kamar ez-Zamân bei dem Gärtner die Bäume bewässerte, weinte er Ströme von Tränen; und da er so allein in der Fremde war, konnte keine Nacht und kein Tag ihm Ruhe bringen, und er begann, Lieder über seine Geliebte zu singen, darunter auch dies Lied:

Ihr gabt uns ein Versprechen; habt ihr es nicht gehalten?
Ihr gabt uns euer Wort; habt ihr's nicht wahr gemacht?
Wir wachten um der Liebe willen, und ihr schliefet.
Und wer da schläft, ist doch nicht dem gleich, der da wacht.
Wir schworen euch, wir wollten die Liebe heimlich halten;
Euch reizte der Verleumder; er sprach, da sprachet ihr.
O meine Freunde ihr, in Leiden und in Freuden.
Allzeit seid ihr allein das Ziel der Wünsche mir.
Bei einem von den Menschen weilt mein gefoltert Herze;
Hätt er doch Huld und Mitleid mit meiner Not gekannt!
Nicht jedes Auge ist gleich meinem Aug verwundet;
Nicht jedes Herze ist gleich meinem Herz gebannt.
Ihr tatet unrecht, spracht: Die Liebe tut das Unrecht.
Ja, ihr habt wahrlich recht; denn also ist die Welt.
Fragt den Verliebten, der die Treue allzeit wahret,
Auch wenn ein lodernd Feuer sein Herz in Flammen hält!
Wenn über mich mein Gegner in der Liebe richtet,
Bei wem beklag ich mich? Wem kund ich dann mein Leid?



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Und trug ich nach der zarten Liebe nicht Verlangen,
So wär mein Herze nicht dem Liebesdienst geweiht!

So stand es um Kamar ez-Zamân, den Sohn des Königs Schehrimân; seine Gemahlin aber, die Herrin Budûr, die Tochter des Königs el-Ghajûr, suchte, wie sie aufwachte, nach ihrem Gatten, doch fand sie ihn nicht. Nun sah sie, daß ihre Hose geöffnet war; da suchte sie nach dem Knoten, in dem sich der Edelstein befand, doch sie bemerkte, daß er gelöst war und daß der Stein fehlte. Und sie sprach bei sich selbst: ,Gottes Wunder! 'Wo ist mein Gemahl? Es ist, als hätte er den Stein genommen und wäre fortgegangen; aber er kennt doch das Geheimnis nicht, das er birgt. Wohin mag er denn nur gegangen sein? Es muß eine seltsame Sache sein, die ihn veranlaßt hat fortzugehen; denn er konnte es nicht ertragen, sich auch nur eine Stunde von mir zu trennen. Allah verfluche den Stein und jene Stunde!' Darauf sann die Herrin Budûr nach, indem sie sich sagte: ,Wenn ich zu den Dienern hinausgehe und ihnen kundtue, daß mein Gemahl verschwunden ist, so werden sie meiner begehren; darum muß ich eine List anwenden.' Alsdann zog sie Gewänder ihres Gatten Kama ez-Zamânan, band sich einen Turban um ihr Haupt, der dem seinen glich, zog die Stiefel an und band den Schleier vor Kinn und Mund; in der Sänfte aber ließ sie eine Sklavin sitzen. Nun trat sie aus ihrem Zelte hervor und rief die Reitknechte; als die ihr das Roß gebracht hatten, saß sie auf und gab Befehl, die Lasten zu schnüren. Nachdem das geschehen war, gebot sie aufzubrechen. Darauf setzte die Karawane ihren Marsch fort; die Prinzessin aber wußte sich so gut zu verstellen, daß niemand zweifelte, sie sei Kamar ez-Zamân selber, und sie glich ihm ja auch an Gestalt und Antlitz. So zog sie mit ihrem Gefolge dahin, Tag und Nacht, bis sie zu einer Stadt kam, die am Salzmeere lag. Dort ließ sie vor den



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Toren haltmachen und ihre Zelte aufschlagen, um auszuruhen. Dann fragte sie nach jener Stadt, und es ward ihr gesagt: ,Dies ist die Ebenholzstadt. Über sie herrscht der König Armanûs, und er hat eine Tochter des Namens Hajât en-Nufûs.' — — «

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 209. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß damals, als die Herrin Budûr vor den Toren der Ebenholzstadt haltmachen ließ, um auszuruhen, der König Armanûs einen Boten aussandte, um zu erfahren, welcher König dort vor den Toren seiner Hauptstadt lagerte. Als der Bote bei den Zelten ankam, fragte er die Leute, und die berichteten ihm, es sei ein Prinz, der von dem Wege abgeirrt sei; er ziehe aber nach den Chalidân-Inseln zum König Schehrimân. Da kehrte der Abgesandte zu König Armanûs zurück und erstattete ihm Bericht; und als der König seine Worte vernommen hatte, zog er mit den Großen seines Reiches aus, dem Fremden entgegen. Wie er bei den Zelten ankam, stieg die Herrin Budûr von ihrem Rosse, und auch der König Armanûs saß ab. Sie begrüßten einander, und er führte sie in die Stadt hinein, stieg mit ihr zu seinem Schlosse hinauf und befahl, die Tische auszubreiten und die Schüsseln mit vielerlei Speisen aufzutragen; auch gab er Befehl, das Gefolge der Herrin Budûr in das Gästehaus zubringen. So blieb man drei Tage dort. Darauf begab der König sich zu der Herrin Budûr; sie war aber an jenem Tage im Bade gewesen, und nun leuchtete ihr Angesicht wie von des vollen Mondes Licht, so daß alle Welt durch sie berückt ward und das Herz der Menschen bei ihrem Anblicke entzückt ward. Als König Armanûs zu ihr eintrat, trug sie ein Seidengewand, das mit Gold gewirkt und mit Edelsteinen besetzt war. Und er sprach zu ihr: ,Mein Sohn,



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sieh, ich bin ein alter, schwacher Greis, und ich bin nie mit einem Sohne gesegnet worden, sondern nur mit einer Tochter, die dir an Schönheit und Anmut gleicht. Ich habe jetzt nicht mehr die Kraft, das Reich zu lenken; drum soll sie dein sein. mein Sohn, und wenn dies mein Land dir gefällt und du hier bleiben und hier wohnen willst, so will ich dich mit ihr vermählen und dir mein Königreich geben, auf daß ich ruhen kann.' Da senkte die Herrin Budûr ihr Haupt, und vor Verlegenheit pente ihre Stirn von Schweißtropfen, und sie sprach bei sich selbst: ,Was soll ich arme Frau tun? Wenn ich nicht einwillige, sondern ihn verlasse, so bin ich nicht sicher vor ihm; dann wird er wohl ein Heer hinter mir hersenden und mich töten lassen. Wenn ich ihm aber willfahre, so wird mein Geheimnis an den Tag kommen. Nun habe ich auch noch meinen geliebten Kamar ez-Zamân verloren, und ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. So kann ich mich denn nur dadurch retten, daß ich schweige und einwillige und bei ihm bleibe, bis Allah vollendet, was geschehen soll.' Dann hob die Herrin Budûr ihr Haupt, und indem sie sich dem König Armanûs fügte, sprach sie: ,Ich höre und gehorche!' Erfreut darüber befahl der König dem Ausrufer, auf den Ebenholz inseln bekanntzugeben, man solle ein Freudenfest feiern und die Häuser schmücken. Und er versammelte die Kammerherren. die Statthalter. die Emire. die Wesire. die Großen des Reiches und die Kadis der Stadt; dann entsagte er der Herrschaft, setzte die Herrin Budûr als Sultan ein und legte ihr das Gewand der Königswürde an. Darauf traten alle Emire vor die Herrin Budûr in dem festen Glauben, er sei ein Jüngling; und ein jeder von ihnen, der sie anblickte, ward durch das Übermaß ihrer Schönheit und Anmut so erregt, daß er seine Hosen näßte. Als nun König Budûr zum Herrscher eingesetzt war und die Trommeln



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schlugen, um diese Freudenbotschaft zu verkünden, und als sie sich dann auf ihren Thron niedergesetzt hatte, da machte sich der König Armanûs an die Ausstattung seiner Tochter Hajât en-Nufûs. Und nach einigen Tagen ward die Herrin Budûr zu Hajât en-Nufûs hineingeführt; da waren sie wie zwei Monde, die zu gleicher Zeit aufgehen, oder zwei Sonnen, die vereint am Himmel stehen. Nachdem man dann die Kerzen für sie angezündet und das Lager für sie ausgebreitet hatte, wurden die Türen geschlossen und die Vorhänge herabgelassen. Nun setzte sich die Herrin Budûr mit der Prinzessin Hajât en-Nufûs nieder; da dachte sie an ihren geliebten Kamar ez-Zamân und ward von bitterem Leide angetan. Sie weinte, weil er von ihr getrennt und fern war, und sie sprach:

Du Ferner, um den mein Herz sich immer schmerzlicher sorget,
Kein Hauch blieb mir im Leibe, seit du mir nicht mehr nah.
Einst hatte ich ein Auge, das ob des Wachens klagte;
Jetzt schmolzen es die Tränen. Ach, wär das Wachen noch da!
Als du von dannen gingst, blieb mir das zarte Sehnen -
Nun fragt nach ihm, welch Los er in der Fremde fand!
Wenn meine Augen nicht von Tränen überströmten,
Dann wurde von meinen Flammen die weite Erde verbrannt.
Ich klage zu Gott um den Freund, den ich verloren habe,
Der meinem Liebeskummer kein Erbarmen weiht.
Ich tat ihm nichts zuleide, als daß ich mich nach ihm sehne;
Den Menschen bringt die Liebe doch immer Freud und Leid.

Als die Herrin Budûr diese Worte gesprochen hatte, küßte sie die Prinzessin Hajâten-Nufûs, die neben ihr saß, auf den Mund. Dann erhob sie sich sofort, nahm die religiöse Waschung vor, und betete so lange, bis die Prinzessin einschlummerte. Darauf legte sie sich zu ihr auf das Lager und blieb, indem sie ihr den Rücken zuwandte, bis zum Morgen bei ihr. Als aber der Tag anbrach, kamen der König und seine Gemahlin zu ihrer Tochter



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und fragten sie, wie es ihr ergangen sei. Daerzählte sie ihnen, was sie erlebt und welche Verse sie gehört hatte.

Während so Hajâten-Nufûs mit ihren Eltern sprach, war die Königin Budûr inzwischen hinausgegangen und hatte sich auf ihren Herrscher thron gesetzt. Nun kamen die Emire und all die Häuptlinge und die Großen des Reiches zu ihr und wünschten ihr Glück zu ihrer Herrschaft; sie küßten den Boden vor ihr und flehten den Segen des Himmels auf sie herab. Sie aber schaute sie lächelnd an, gab ihnen Ehrengewänder, verlieh den Emiren und Großen des Reiches höhere Würden und größere Lehen und beschenkte die Truppen; da gewannen sie sie lieb, und alles Volk betete für eine lange Dauer ihrer Herrschaft, indem sie glaubten, sie sei ein Mann. Sie erteilte Gebote und Verbote, sprach Recht, befreite die Gefangenen und schaffte die Gebühren ab; so saß sie in der Regierungshalle, bis die Nacht einbrach. Dann ging sie wieder in das Gemach, das für sie bereitet war, und fand dort die Prinzessin Hajâten-Nufûs auf dem Lager sitzend. Sie setzte sich zu ihr, streichelte ihr den Rücken, liebkoste sie und küßte sie auf die Stirn. Dann aber sprach sie diese Verse:

Nun wurde mein Geheimnis durch die Tränen ruchbar;
Mein hagrer Leib auch machte mein Sehnen offenbar.
Ich barg die Lieb, sie wurde kund am Trennungstage
Den Neidern durch mein Elend, das nicht verborgen war.
Der du die Lagerstatt verlassen hast, du brachtest
Die Krankheit meinem Leibe und meinem Geiste Not.
Du wohnest tief im Herzen, und meine Augen strömen
Von Tränen, meine Wimpern sind vom Blute rot.
Mein Herzblut geb ich hin für ihn, der ferne weilet,
Auf immerdar; und meine Sehnsucht ist ihm kund.
Ich hab ein Auge, das aus Lieb zu ihm dem Schlafe
Entsagt hat; allezeit ist es von Tränen mund.
Die Feinde glaubten wohl, ich würde es ertragen;
Doch nein, mein Ohr soll ihnen niemals Beachtung leihn.



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Ihr Glaube ward zuschanden an mir, und ich erreichte
Durch Kaviar ez-Zamân das Ziel der Wünsche mein.
Er hat die Tugenden vereint, die vor ihm niemals
Ein König aus der Vorzeit so wie er besaß.
Durch seine Huld und Güte vergaßen jetzt die Menschen
Die Großmut Ibn Zâidas', die Huld Muâwijas.
Wär nicht die Zeit zu kurz, versagte ,nein Gesang
Vor deiner Schönheit nicht -ich priese dich noch lang.

Dann erhob die Königin Budûr sich, wischte ihre Tränen ab, nahm die religiöse Waschung vor und betete. Wiederum betete sie so lange, bis der Schlaf die Prinzessin Hajât en-Nufûs übermannte, sodaß sie einschlummerte. Darauf ging die Herrin Budûr hin und schlief an ihrer Seite bis zum Morgen. Nun erhob sie sich, sprach das Frühgebet und setzte sich auf ihren Herrscher thron nieder. Sie erließ Gebote und Verbote, sprach Recht und Gerechtigkeit.

Während sie damit beschäftigt war, kam inzwischen der König Armanûs zu seiner Tochter und fragte sie, wie es ihr ergangen sei. Da berichtete sie ihm alles, was sie erlebt hatte; sie wiederholte ihm auch die Verse, die die Königin Budûr gesprochen hatte, und schloß mit den Worten: ,Lieber Vater, ich habe noch nie einen verständigeren und bescheideneren Mann gesehen als meinen Gatten; nur weint und seufzt er immer.' Ihr Vater erwiderte ihr: ,Meine Tochter, gedulde dich mit ihm noch diese dritte Nacht. Wenn er dann nicht zu dir eingeht und dir das Mädchentum nimmt, so ist es an uns, zu erwägen und zu handeln; dann werde ich ihn der Herrschaft entkleiden



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und ihn aus unserem Lande verjagen.' Nachdem er diesen Plan mit seiner Tochter verabredet hatte, verbarg er sein Vorhaben bei sich. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 210. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß König Armanûs, nachdem er diesen Plan mit seiner Tochter verabredet hatte, sein Vorhaben bei sich verbarg. Als dann die Nacht kam, erhob sich die Königin Budûr von dem Throne der Herrschaft und begab sich zum Schlosse. Dort trat sie in das Gemach ein, das für sie bereitet war. Sie sah, wie die Kerzen brannten und wie die Herrin Hajât en-Nufûs dasaß. Und wieder mußte sie an ihren Gatten denken und an all das, was ihnen jene kurze Zeit an Trennungsschmerz gebracht hatte. Da begann sie zu weinen und zu klagen und in Seufzer auszubrechen, und sie hub an, diese Verse zu sprechen:

Die Kunde von mir hat, ich schwör's, die Welt durchdrungen,
Gleichwie die Sonne auf der ganzen Steppe brennt.
Es sprachen ihre Zeichen, allein ihr Sinn war dunkel;
Und darum wächst mein Sehnen und findet nie ein End.
Ich hasse nun die schöne Geduld, seitdem ich liebe.
Hast du je den Verliebten die Liebe hassen sehn?
Ein Blick, der krank macht, hat mit Ungestüm getroffen.
Und wer vom Blicke krank ward, um den ist's rasch geschehn.
Er ließ die Locken wallen und senkte seinen Schleier;
Da sah ich hell und dunkel die Schönheit der Gestalt.
In seinen Händen stehen mir Krankheit und Genesung;
Nur, wer die Krankheit schuf, heilt Liebesleiden bald.
Der Gürtel ruht berauscht an ihrem weichen Rumpfe,
Und voller Neid erheben sich die Hüften nicht.
Die Lockenpracht an ihrer hellen Stirne gleichet
Der dunklen Nacht, durchbrochen von des Morgens Licht.



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Nachdem sie diese Verse gesprochen hatte, wollte sie wieder zu beten beginnen; aber Hajât en-Nufûs ergriff sie an ihrem Saume und hielt sie fest, indem sie rief: ,O mein Gebieter, hast du vor meinem Vater, der dir doch so viel Gutes getan hat, keine Scheu, daß du mich bis jetzt allein lässest?' Als Budûr solches von ihr vernahm, blieb sie an derselben Stätte aufrecht sitzen und fragte: ,Mein Lieb, was sagst du da?' ,Ich sage,' antwortete jene, ,daß ich noch nie jemanden gesehen habe, der so hochmütig ist wie du! Muß denn ein jeder, der schön ist, auch so hochmütig sein? Doch ich sage dies nicht, um in dir Verlangen nach mir zu erwecken, sondern nur, weil ich um dich wegen des Königs Armanûs besorgt bin. Denn er hat beschlossen, wenn du nicht heute nacht zu mir eingehst und mir das Mädchentum nimmst, dich morgen früh abzusetzen und dich aus seinem Lande zu vertreiben. Ja, vielleicht wird der Zorn in ihm so mächtig werden, daß er dich töten läßt. Sieh, mein Gebieter, ich habe Mitleid mit dir, und darum warne ich dich. Nun kannst du deinen Entschluß fassen. 'Wie die Herrin Budûr diese Worte aus ihrem Munde vernommen hatte, senkte sie ihr Haupt zu Boden, ratlos, was sie tun sollte. Dann sprach sie bei sich selber: ,Wenn ich mich weigere, bin ich verloren; und wenn ich willfahre, so wird mein Geheimnis ruchbar. Da bin ich jetzt Königin über alle Ebenholzinseln, und sie unterstehen meiner Herrschaft; und nur hier kann ich wieder mit Kamar ez-Zamân vereint werden, da er keinen anderen Weg zu seinem Lande hat als über die Ebenholzinseln. Ach, ich bin ratlos. was soll ich tun? Ich will meine Sache in Allahs Hände befehlen; denn er ist der beste Lenker. Ich bin doch kein Mann, daß ich diese Jungfrau öffnen könnte!' Darauf sprach die Königin Budûr zu Hajât en-Nufûs: ,Mein Lieb, daß ich dich allein gelassen und mich dir versagt habe, ist ganz gegen meinen Willen



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geschehen.' Und dann erzählte sie ihr, was sie erlebt hatte, von Anfang bis zu Ende, zeigte sich ihr und bat sie: ,Ich flehe dich um Gottes willen an, verrate mich nicht, bewahre mein Geheimnis, bis Allah mich mit meinem geliebten Kamar ez-Zamân wieder vereinigt. Dann komme, was kommen mag.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 211. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Herrin Budûr der Hajâten-Nufûs ihre Geschichte kundtat und sie um Schweigen bat. Als diese nun ihre Worte vernommen hatte, war sie über die Erlebnisse der Königin sehr verwundert; und sie hatte Mitleid mit ihr, flehte zum Himmel, daß sie wieder mit ihrem geliebten Kamar ez-Zamân vereinigt werden möchte, und sagte: ,Liebe Schwester, sei unbesorgt und ohne Furcht! Hab nur Geduld, bis Allah vollendet, was vorher bestimmt ist!' Darauf sprach sie die Verse:

Bei mir ist das Geheimnis in einem verschlossenen Hause;
Sein Schlüssel ist verloren; und das Haus ist verriegelt.
Nur der verläßliche Mann bewahret das Geheimnis;
Und das Geheimnis ist bei den besten Menschen versiegelt.

Nach diesen Versen fuhr sie fort: ,Schwester, es ist der edle Mann, indessen Brust das Geheimnis wie im Grabe ruhen kann. Ich werde dein Geheimnis nie verraten.' Dann scherzten sie miteinander, umarmten und küßten sich und schliefen fast bis zur Zeit des Rufes zum Frühgebet. Da erhob sich Hajât en-Nufûs, holte eine junge Taube, schlachtete sie über ihrem Hemde und befleckte sich mit dem Blute; und nachdem sie ihre Hose abgelegt hatte, rief sie laut. Da eilten ihre Dienerinnen zu ihr und stimmten die Freudenrufe an. Nun kam auch ihre Mutter zu ihr herein, fragte sie, wie es ihr ergangen sei,



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pflegte sie und blieb bis zum Abend bei ihr. Die Königin Budûr aber ging, als es Morgen ward, ins Bad, wusch sich und betete das Frühgebet; dann begab sie sich in die Regierungshalle, setzte sich auf den Herrscherthron und sprach Recht unter dem Volke. Wie nun König Armanûs die Freudenrufe hörte, fragte er, was es gebe; da ward ihm berichtet, daß seine Tochter zur Frau gemacht sei. Darüber freute er sich, und seine Brust schwoll vor lauter Jubel; er ließ ein großes Festmahl bereiten, bei dessen Feier das Volk lange Zeit verweilte.

Lassen wir nun die beiden und wenden wir uns zu König Schehrimân! Er hatte, nachdem sein Sohn mit Marzuwân zu Jagd und Hatz ausgeritten war, wie zuvor berichtet wurde, gewartet, bis die Nacht hereinbrach; als aber sein Sohn dann noch nicht kam, verbrachte er die Nacht schlaflos, ja, die Nacht ward ihm lang, quälende Unruhe bedrängte ihn, seine Erregung ward immer stärker, und er glaubte, es würde nie Tag werden. Als aber der Morgen gekommen war, wartete er bis zum Mittag auf seinen Sohn; und wie er auch dann noch nicht heimkehrte, da ahnte sein Herz die Trennung schon, und es entbrannte in Sorge um seinen Sohn. Laut rief er: ,Wehe, mein Sohn!' Dann weinte er, bis die Tränen seine Gewänder näßten und aus zerrissenem Herzen sich die Worte preßten:

Das Volk der Liebe hab ich immerdar getadelt;
Da mußte ihre Süße und Bitterkeit mir nahn.
Ich trank in vollen Zügen den Becher ihrer Härte;
Und ihrem Herrn und Diener ward ich ein Untertan.
Das Schicksal schwor, es wolle ob unsrer Trennung walten;
Und jetzo hat das Schicksal seinen Schwur gehalten.

Nachdem er diese Verse gesprochen hatte, trocknete er seine Tränen und ließ den Truppen durch einen Herold den Befehl zum Aufbruch mitteilen, und er gebot, sie sollten sich zu einer



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langen Reise beeilen. Da saß das ganze Heer auf, und der Sultan zog aus, das Innere von Sorge um seinen Sohn Kamar ez-Zamân entbrannt, und mit einem Herzen, das nur noch Trauer empfand; und man zog in Eilmärschen dahin. Nun teilte der König sein Heer in sechs Teile, einen rechten und einen linken Flügel, die Vorhut und den Nachtrab und dazu zwei mittlere Abteilungen, und ließ ihnen sagen, daß alle am nächsten Tage an dem Kreuzwege zusammentreffen sollten. Da trennten sich die Heeresabteilungen, setzten den Marsch fort und zogen den Rest des Tages hindurch immer weiter, bis die Nacht anbrach. Aber auch die ganze Nacht hindurch ritten sie dahin, bis sie am folgenden Mittag alle an jene Stelle kamen, an der vier Wege zusammenliefen. Sie wußten nun nicht, welchen Weg der Prinz eingeschlagen hatte, aber sie sahen alsbald die Überreste der zerrissenen Kleider und das zerfetzte Fleisch; auch erblickten sie die noch vorhandenen Blutspuren und beschauten jedes Stück von den Kleidern und von dem Fleische auf allen Seiten. Als der König Schehrimân das sah, stieß er aus dem Grunde seines Herzens einen lauten Schrei hervor und rief: ,Wehe, mein Sohn!' Und er schlug sich ins Gesicht, raufte sich den Bart, zerriß seine Kleider, und da er ja fest an den Tod seines Sohnes glaubte, so weinte und klagte er immer lauter. Auch die Krieger weinten mit ihm; denn sie alle glaubten, daß Kamar ez-Zamân umgekommen sei, und sie streuten sich Staub auf das Haupt. Dann brach die Nacht über sie herein, während sie noch weinten und klagten, bis sie der Verzweiflung nahe waren. Das Herz des Königs aber war von brennenden Seufzern entflammt, und er sprach diese Verse:

O tadelt den Betrübten nicht ob seiner Trauer:
Ihm ward genug zuteil an kummervoller Not.
Er weint im Übermaß der Sorge und des Schmerzes;



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Und seine Qualen kunden, welch Feuer in ihm lobt.
O glücklich, wer da liebt, wenn ihm das Leid geschworen,
Sein Auge solle niemals ohne Tränen sein.
Er zeigt das Leid, da ihn der helle Mond verlassen,
Der schöner als die andren erstrahlt mit seinem Schein.
Ach, ihm gab jetzt der Tod den vollen Kelch zu trinken
Am Tag, da jener ging und aus der Heimat schwand.
Ja, er verließ das Land und zog von uns ins Elend
Und bot auch keinem Bruder zum Abschied noch die Hand.
Er aber brachte uns nur Trennungsschmerz und Kummer
Und lauter Pein und Sorge, da er uns verließ.
Jetzt ist er fortgegangen und ist von uns geschieden;
Der Herr beschenkte ihn mit Seinem Paradies.

Als König Schehrimân diese Verse gesprochen hatte, kehrte er mit seinen Truppen in seine Hauptstadt zurück. — —« Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 212. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß König Schehrimân, als er diese Verse gesprochen hatte, mit seinen Truppen in seine Hauptstadt zurückkehrte; er war ja sicher, daß sein Sohn umgekommen war, und nahm an, daß entweder ein wildes Tier oder ein Wegelagerer über ihn hergefallen sei und ihn in Stücke gerissen hätte. Dann ließ er auf den Chalidân-Inseln ausrufen, daß die Bewohner aus Trauer um seinen Sohn Kamar ez-Zamân sich schwarz kleiden sollten; auch ließ er zu seinem Gedächtnisse ein Gebäude errichten, das er ,das Haus der Trauer' nannte. Und nun pflegte er nur jeden Montag und Donnerstag in seiner Regierungshalle über seine Krieger und seine Untertanen Recht zu sprechen, während er an den übrigen Tagen der Woche in das Trauerhaus ging und dort nur trauerte und in Klageliedern seinem Schmerze Ausdruck lieh. Und so sprach er:



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Der Tag der Sehnsucht ist der Tag, da du vor mir stehst;
Der Tag des Unglücks aber der Tag, da du von mir gehst.
Verbringe ich auch die Nacht in Angst und von Unheil bedroht,
So ist deine Nähe mir süßer als Freisein von aller Not.

Und ferner sprach er:

Mein Leben gab ich hin fur ihn, der durch sein Gehen
Die Herzen tief verletzte, sie quälte und zerbrach.
So mag die Freude denn die Witwenfrist erfüllen,
Seit ich bei seinem Fortgang ihr dreifache Scheidung sprach.

So stand es um den König Schehrimân. Doch die Königin Budûr, die Tochter des Königs el-Ghajûr, war als Herrscherin im Ebenholzlande geblieben; und dort pflegte das Volk mit den Fingern auf sie zu weisen und zu sagen: ,Das ist der Eidam des Königs Armanûs!' Und jede Nacht ruhte sie zusammen mit der Herrin Hajât en-Nufûs und klagte unter Tränen um ihre Sehnsucht nach ihrem Gemahle Kamar ez-Zamân; dann pflegte sie ihr seine Schönheit und Anmut zu schildern und wünschte mit ihm vereint zu sein, wäre es auch nur im Traume. Und dabei sprach sie:

Gott weiß es ja, ich habe, seitdem du von mir schiedest,
So lange geweint, bis daß ich mir die Tränen lieh.
Da sprach zu mir mein Tadler: ,Geduld! Du wirst sie gewinnen.'
Ich rief ,Oder du mich tadelst, Geduld -wie find ich die?'

Lassen wir nun die Königin Budûr, und wenden wir uns wieder zu Kamar ez-Zamân! Der war schon eine ganze Weile bei dem Gärtner dort im Garten geblieben. Aber er weinte Tag und Nacht und klagte in Versen um die vergangenen Tage der Glückseligkeit und Nächte der Fröhlichkeit. Dann pflegte der Gärtner zu ihm zu sagen: ,Am Ende des Jahres wird das Schiff nach dem Lande der Muslime fahren.' In solchen Gedanken lebte der Prinz dahin, bis er eines Tages sah, wie das



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Volk sich versammelte. Als er sich darüber wunderte, kam gerade der Gärtner zu ihm und sagte: ,Mein Sohn, laß heute die Arbeit ruhen und leite kein Wasser mehr zu den Bäumen; denn heute ist ein Feiertag, und die Leute besuchen einander. Also ruhe dich aus, doch hab ein Auge auf den Garten; denn ich will für dich nach dem Schiffe Ausschau halten. Es ist ja nur noch eine kurze Weile, bis ich dich in das Land der Muslime heimsenden kann.' Darauf verließ er den Garten, während Kamar ez-Zamân allein dort zurückblieb. Nun dachte er von neuem über seine Lage nach; da brach ihm schier das Herz, und seine Tränen rannen. Ja, er weinte so heftig, daß er in Ohnmacht sank. Als er dann wieder zu sich kam, erhob er sich und ging im Garten umher; und er dachte, verstört und voll Leid, an die Unbilden der Zeit und an die lange Fremdlings schaft und Einsamkeit. Plötzlich aber strauchelte er und fiel vornüber; seine Stirn schlug auf eine hervorstehende Baumwurzel und ward von ihr aufgerissen, das Blut floß von der Stirn herab und mischte sich mit seinen Tränen. Da wischte er sich das Blut ab, trocknete seine Tränen und verband sich die Stirn mit einem Stück Zeug. Dann wanderte er in jenem Garten weiter, nachdenklich und trüben Geistes. Und zufällig traf sein Blick auf einen Baum, in dessen Krone sich zwei Vögel stritten; der eine von beiden fiel über den anderen her, schlug den Schnabel in seinen Hals und riß ihm den Kopf vom Leibe; dann flog er mit dem Kopfe von dannen, während der Leib des toten Vogels vor Kamar ez-Zamân auf den Boden fiel. Und wie er so dalag, ließen sich zwei große Vögel zu ihm hernieder, und der eine blieb bei seinem Kopfende, der andere bei seinem Schwanzende stehen; beide senkten ihre Flügel und ihre Schnäbel über ihn, reckten ihre Hälse nach ihm aus und weinten. Da mußte auch Kamar ez-Zamân weinen, wie er die beiden



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Vögel um ihren Gefährten trauern sah; denn er dachte an die Trennung von seiner Gemahlin und an seinen Vater. —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 213. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Kamar ez-Zamân, wie er die beiden Vögel um ihren Gefährten trauern sah, ob der Trennung von seiner Gemahlin und seinem Vater weinen mußte. Und als er dann die beiden Vögel weiter beobachtete, sah er, daß sie ein Grab gruben und den getöteten Vogel darin bestatteten. Dann flogen sie in die Lüfte davon und blieben eine Weile seinem Blicke entschwunden; aber bald darauf kehrten sie mit dem Mörder zurück und ließen sich mit ihm auf das Grab des Getöteten nieder. Dort hockten sie auf dein Mörder, bis sie ihn getötet hatten, rissen ihm den Leib auf, zerrten seine Eingeweide heraus und ließen sein Blut auf das Grab des getöteten Vogels fließen; dann zerpickten sie sein Fleisch, rissen seine Haut in Stücke, holten alles, was in seinem Leibe war, heraus und verstreuten es nach verschiedenen Seiten hin. Das alles geschah, während Kamar ez-Zamân zuschaute und sich verwunderte; und wie er so die Stätte betrachtete, an der die beiden den anderen Vogel getötet hatten, fiel sein Blick auf etwas, das er glitzern sah. Er trat hinzu und fand den Kropf des Vogels; den nahm er auf, und als er ihn öffnete, fand er darin den Edelstein, der die Ursache der Trennung von seiner Gemahlin gewesen war. Doch als er ihn erblickte und erkannte, fiel er vor Freuden ohnmächtig zu Boden. Nachdem er dann wieder zu sich gekommen war, rief er: ,Preis sei Allah! Dies ist ein gutes Zeichen, das mir die Wiedervereinigung mit meiner Geliebten verkündet.' Dann betrachtete er ihn genau, führte ihn über die Augen, band ilm an seinen Arm und freute sich



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über sein Glück. Darauf ging er wieder umher und wartete auf den Gärtner bis zum Abend; aber der kam nicht. So legte sich Kamar ez-Zamân an seiner gewohnten Stätte nieder und schlief bis zum Morgen. Da machte er sich an seine Arbeit, band sich einen Strick aus Palmfasern um den Leib, nahm Axt und Korb, ging durch den Garten, und als er zu einem Johannisbrotbaum kam, hieb er mit der Axt auf seine Wurzeln. Da es klang, als ob der Schlag auf Metall stieße, räumte er die Erde an der Stelle hinweg, und nun entdeckte er eine Falltür; die öffnete er. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 240. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Kamar ez-Zamân, nachdem er die Falltür geöffnet hatte, einen Eingang und eine Treppe fand. Auf ihr stieg er hinab, und da entdeckte er einen alten Saal aus der Zeit der 'Âd und Thamûd. der aus dem Felsen herausgehauen war und eine gewölbte Decke hatte. Er sah, daß sie voll war von leuchtendem rotem Golde, und sprach bei sich: ,Jetzt hat die Not ein Ende; Glück und Freude sind zu mir gekommen!' Dann stieg er wieder hinauf aus dem Gewölbe in den Garten, legte die Falltür so hin, wie sie vorher gewesen war, ging zu seiner Arbeitsstätte zurück und leitete Wasser zu den Bäumen, bis der Tag zur Neige ging. Da kam auch der Gärtner und sprach zu ihm: ,Mein Sohn, freue dich, du wirst bald in die Heimat zurückfahren können. Die Kaufleute haben sich für die Reise gerüstet, und das Schiff wird nach drei Tagen zur Ebenholzstadt unter Segel gehen; das ist die erste muslimische Stadt. Wenn du dort angelangt bist, mußt du noch sechs Monate zu Lande weiter reisen, bis du die Chalidân-Inseln,



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über die der König Schchrimân herrscht, erreichest.' Erfreut sprach Kamar ez-Zamân:

Laßt nicht von ihm, der niemals von euch lassen konnte,
Macht's ihm, der schuldlos ist, durch Härte nicht so schwer!
Ein anderer als ich hätt seit der langen Trennung
Wohl seine Art geändert und kennte euch nicht mehr!

Darauf küßte Kamar ez-Zamân dem Gärtner die Hand und sprach zu ihm: ,Mein Vater, wie du mir eine frohe Botschaft bringst, so will auch ich dich durch eine große Freudennachricht erfreuen.' Darauf erzählte er ihm von der Halle, die er gefunden hatte, und der Gärtner sprach erfreut: ,Mein Sohn, seit achtzig Jahren bin ich in diesem Garten, und ich habe noch nie etwas entdeckt; du aber bist noch nicht ein Jahr lang bei mir und hast schon diesen Schatz gefunden. Er ist eine Gabe des Himmels für dich, er wird jetzt deiner Not ein Ende machen, und er wird dir helfen, daß du zu den Deinen zurückkehren kannst und mit deinen Lieben wieder vereinigt wirst.' Doch Kamar ez-Zamân erwiderte: ,Wir müssen ihn unter uns teilen!' Dann führte er den Gärtner zu jener Stätte und zeigte ihm das Gold, das sich in zwanzig Krügen befand; zehn davon nahm er, und zehn nahm der Gärtner, indem er sprach: ,Mein Sohn, fülle dir Schläuche mit den Sperlingsoliven, die in diesem Garten wachsen; solche gibt es nur in unserem Lande, und die Kaufleute führen sie nach allen Ländern aus. Tu sie mit dem Golde hinein und nimm sie als Deckmantel, indem du zuerst das Gold in die Schläuche legst und dann die Oliven auf das Gold. Dann verschließe die Schläuche und nimm sie mit dir auf das Schiff.' Nun machte Kamar ez-Zamân sich sofort daran, fünfzig Schläuche zu füllen; er tat das Gold hinein und versteckte es, indem er die Oliven, die er auf das Gold legte, als Deckmantel benutzte; auch den Edelstein legte er in einen der



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Schläuche. Darauf setzte er sich mit dem Gärtner nieder, um zu plaudern; und da er jetzt die Gewißheit hatte, daß er mit den Seinen wieder vereint und bald bei ihnen sein würde, sprach er bei sich selber: ,Wenn ich zu der Ebenholzinsel komme. will ich von dort nach dem Lande meines Vaters reisen; und überall will ich nach meiner geliebten Budûr fragen. Ach, wüßte ich nur, ob sie in ihr Land zurückgekehrt oder ob sie nach dem Lande meines Vaters weitergezogen ist, oder ob ihr auf dem Wege etwas zugestoßen ist!' Und dann sprach er:

Sie pflanzten mir Liebe ins Herz und zogen fort;
Jetzt ist das Haus der Geliebten am fernen Ort.
Mich haben die Zelte verlassen und ihre Bewohner;
Die Einkehrstätte, die mich nicht kennt, ist weit.
Auch meine Geduld entschwand, seit sie entschwanden;
Mich flohen der Schlummer und meine Festigkeit.
Seit sie mich verließen, verließen mich die Freuden;
Ach, eine Stätte der Ruhe finde ich nie.
Sie machten beim Abschied die Tränen des Auges mir rinnen,
Und immer ob ihres Fernseins vergieße ich sie.
Sehne ich mich danach, sie dereinst zu sehen,
Und wird das Seufzen zu viel, das Warten zu lang,
So denk ich an ihre Gestalt, und in meinen, Herzen
Wohnt Liebe und treues Gedenken und Sehnsucht so bang.

Während Kamar ez-Zamân nun noch dort blieb, um das Ende der drei Tage zu erwarten, erzählte er dem Gärtner die Geschichte von den Vögeln und alles, was mit ihnen geschehen war; und jener verwunderte sich darüber. Darauf legten beide sich nieder und schliefen bis zum Morgen. Am nächsten Morgen aber erkrankte der Gärtner; zwei Tage lang lag er krank danieder, doch am dritten Tage ward die Krankheit in ihm so heftig, daß man an seiner Genesung verzweifelte und Kamar ez-Zamân um ihn tiefbekümmert ward. Da kam plötzlich der Kapitän mit den Seeleuten, und sie fragten nach dem Gärtner;



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man sagte ihnen, er sei krank. Dann fragten sie weiter: ,Wo ist denn der Jüngling, der mit uns nach der Ebenholzinsel fahren will?' ,Dies ist euer Diener, der vor euch steht', erwiderte Kamar ez-Zamân und wies sie an, die Schläuche nach dem Schiffe zubringen. Die nahmen sie auf und sagten noch zudem Prinzen: ,Beeile dich; denn der Wind ist günstig!' ,Ich höre und gehorche!' gab er zurück. Dann brachte er seinen Reisevorrat aufs Schiff und begab sich noch einmal zu dem Gärtner, um ihm Lebewohl zu sagen. Aber er fand ihn schon im Todeskampf, und so setzte er sich ihm zu Häupten und drückte ihm die Augen zu. Und als dann seine Seele den Leib verlassen hatte, versah er den Leichnam und bestattete ihn zur Erde. indem er die Seele der Barmherzigkeit Allahs des Erhabenen empfahl. Wie er dann aber wieder zu dem Schiffe kam, fand er, daß es bereits Segel gesetzt hatte und abgefahren war; und er sah es immer weiter in See fahren, bis es seinen Blicken entschwand. Nun ward Kamar ez-Zamân bestürzt und ratlos. wie einer, der vergeblich auf Antwort sinnt und auch selbst nicht zu reden beginnt. So ging er zum Garten zurück und setzte sich nieder, von Sorgen gebückt und von Kummer bedrückt; er streute sich Staub aufs Haupt und schlug sich ins Gesicht. ——«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 215. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Kamar ez-Zamân, als das Schiff abgefahren war, zu jenem Garten zurückkehrte und sich niedersetzte, von Sorgen gebückt und von Kummer bedrückt. Dann aber mietete erden Garten von seinem Besitzer und stellte einen Mann an, der unter seiner Leitung ihm beim Bewässern der Bäume half. Darauf begab er sich zu der Falltür, stieg in das Gewölbe hinab, füllte das übrige Gold in fünfzig Schläuche,



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legte Oliven darauf und fragte nach dem Schiffe. Als man ihm sagte, es fahre in jedem Jahre nur einmal, da wuchs seine Unruhe, und er seufzte über sein Mißgeschick, besonders darüber, daß er den Stein verloren hatte, der von der Herrin Budûr war, und er begann zu weinen in den Nächten und an den Tagen und sein Leid in Gedichten zu klagen.

Lassen wir nun Kamar ez-Zamân hinter uns und folgen wir dem Schiff! Das fuhr bei günstigem Winde dahin und erreichte die Ebenholzinsel. Nun geschah es, wie es vom Schicksale bestimmt war, daß die Königin Budûr an dem Fenster saß, das auf das Meer führte, und daß sie das Schiff erblickte, wie es am Strande vor Anker ging. Da klopfte ihr das Herz, und sie stieg sofort mit den Emiren und Kammerherren und Statthaltern zu Pferde. ritt an den Strand und machte bei dein Schiffe halt, als die Waren gerade ausgeladen und in die Speicher gebracht wurden. Dann ließ sie den Kapitän zu sich kommen und fragte ihn, was er bringe. Der erwiderte ihr: ,O König, ich bringe in diesem Schiffe Drogen, Augenschminken, Heilpulver, Salben, Pflaster, allerlei kostbare Güter und Waren, prächtige Stoffe und Tücher aus jemenischem Leder, in solchen Mengen, daß Kamele und Maultiere sie nicht zu tragen vermögen, dazu Essenzen, Gewürze, sumatranisches Aloeholz, Tamarinden und Sperlingsoliven, die es in diesem Lande nur selten gibt.' Als die Königin Budûr von Sperlings oliven reden hörte, begehrte ihr Herz danach, und sie fragte den Schiffsführer: ,Wieviel Oliven hast du mitgebrachte' Er antwortete: ,Ich habe fünfzig Schläuche voll mitgebracht; ihr Besitzer aber ist nicht mit uns gekommen. Der König möge so viel von ihnen nehmen, wie er will!' Nun befahl sie: ,Bringt sie an Land, damit ich sie sehe!' Da rief der Kapitän die Seeleute an, und sie brachten die fünfzig Schläuche. Die Königin öffnete einen, sah die Oliven an



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und sprach: ,Ich will diese fünfzig Schläuche nehmen und euch den Preis dafür zahlen, wie hoch er auch sein mag.' Der Kapitän gab darauf zur Antwort: ,Diese Oliven haben in unserem Lande keinen Wert; der die Schläuche damit gefüllt hat, ist hinter uns zurückgeblieben, und er ist ein armer Mann. 'Darauf fragte sie weiter: ,Und wieviel beträgt ihr Wert hier?' ,Tausend Dirhems', erwiderte der Mann. Nun sagte sie: ,Ich will sie für tausend Dirhems nehmen', und sie befahl, die Schläuche ins Schloß zu bringen. Als es dann Nacht geworden war, befahl sie, einen Schlauch bringen zu lassen, und sie öffnete ihn, während niemand im Zimmer war außer ihr und Hajât en-Nufûs. Sie stellte eine Schüssel vor sich hin und schüttete den Schlauch auf sie aus, und plötzlich fiel auch ein Haufen roten Goldes in die Schüssel hinein. Da sagte sie zu der Herrin Hajât en-Nufûs: ,Dies ist ja lauter Gold!' Alsbald ließ sie alle anderen Schläuche bringen, untersuchte sie und fand sie alle fast voll von Gold, während alle Oliven zusammen kaum einen einzigen Schlauch füllten. Während sie nun in dem Golde umhersuchte, fand sie den Stein in ihm; sie nahm ihn in die Hand, betrachtete ihn genau, und siehe da, es war der Stein, der früher an der Schnur ihrer Hose befestigt gewesen war und den Kamar ez-Zamân mitgenommen hatte. Als sie dessen sicher war, stieß sie einen Freudenschrei aus und sank ohnmächtig zu Boden. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 216. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Königin Budûr, als sie den Stein sah, einen Freudenschrei ausstieß und ohnmächtig zu Boden sank. Nachdem sie dann wieder zu sich gekommenwar, sprach sie bei sich selber: ,Dieser Stein war die Ursache meiner



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Trennung von meinem geliebten Kamar ez-Zamân; aber er ist jetzt ein Vorbote des Glücks.' Und zu der Herrin Hajât en-Nufûs sagte sie, daß die Auffindung des Steines ein Vorzeichen der Wiedervereinigung sei. Als es aber Morgen geworden war, setzte sie sich auf den Herrscher thron und ließ den Schiffsführer kommen; und wie dieser vor sie trat, küßte er den Boden vor ihr, und sie fragte: ,Wo hast du den Besitzer dieser Oliven gelassen?' ,O größter König unserer Zeit,' erwiderte er, ,wir haben ihn im Lande der Magier zurückgelassen; er ist ein Gärtner.' Da fuhr sie fort: ,Wenn du ihn mir nicht bringst, so ahnst du nicht, welches Unheil dir und deinem Schiffe widerfahren wird.' Dann ließ sie die Warenhäuser der Kaufleute versiegeln und sprach zu ihnen: ,Wisset, der Besitzer dieser Oliven ist mein Schuldner, und ich habe Geld von ihm zu beanspruchen. Wenn ihr ihn mir nicht herbeischafft, so lasse ich euch alle töten und ziehe eure Waren ein. 'Jene nun begaben sich zu dem Kapitän und versprachen ihm, die Miete für sein Schiff zu ersetzen, wenn er zurückfahre und ein zweites Mal komme, indem sie noch hinzufügten: ,Mache, daß wir von diesem ungerechten Tyrannen loskommen!' Da ging der Kapitän an Bord und ließ die Segel spannen; Allah aber hatte ihm eine günstige Fahrt vorherbestimmt, und so kam er eines Nachts bei der Insel an und ging sofort zu dem Garten hinauf. Kamar ez-Zamân, dem die Nacht zu lang geworden war und der an seine Geliebte denken mußte, saß da und weinte über sein Geschick und sprach:

Wie manche Nacht, in der die Sterne stille stehen.
Kam über ihn, der Sorgen nicht ertragen kann.
Gleichwie den Auferstehungstag in ferner Zukunft
So wacht er sehnsuchtsvoll das Tageslicht heran.

Da klopfte der Kapitän an das Tor; Kamar ez-Zamân öffnete es und ging zu ihm hinaus. Sofort ergriffen ihn die Seeleute



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und brachten ihn an Bord; dann spannten sie die Segel und fuhren ab. Tag und Nacht segelten sie dahin; und da Kamar ez-Zamân nicht wußte, weshalb dies alles geschah, fragte er sie nach dem Grunde. Sie gaben ihm zur Antwort: ,Du bist ein Schuldner des Königs, der über die Ebenholzinseln herrscht, des Eidams des Königs Armanûs; du willst ihm sein Geld stehlen, du elender Kerl!' ,Bei Allah,' rief er, ,mein Lebelang bin ich noch nicht in dem Lande gewesen; ich kenne es nicht.' Doch sie fuhren weiter mit ihm, bis sie bei den Ebenholzinseln ankamen; und dort brachten sie ihn alsbald zur Herrin Budûr. Sowie sie ihn nur sah, erkannte sie ihn, und sie rief: ,Laßt ihn bei den Eunuchen; sie sollen ihn ins Bad führen!' Dann hob sie die Sperre über die Kaufleute auf und schenkte dem Kapitän ein Ehrengewand, das zehntausend Dinare wert war. Und als sie an jenem Abend in den Palast kam, erzählte sie der Herrin Hajât en-Nufûs, was geschehen war, und fügte hinzu: ,Bewahre das Geheimnis, bis ich mein Ziel erreiche und eine Tat tue, die aufgezeichnet werden und nach meinem Tode Königen und Untertanen vorgelesen werden soll.'

Wie sie befohlen hatte, man solle Kamar ez-Zamân ins Bad führen, hatten die Diener es getan und ihm ein königliches Gewand angelegt. Und als der Prinz aus dem Bade kam, war er wie ein Weidenzweig so zart, oder wie ein Stern, durch dessen Glanz das Licht von Sonne und Mond übertroffen ward; und seine Lebensgeister kehrten wieder in ihn zurück. Dann machte er sich auf den Weg zu ihr und trat in den Palast ein. Als sie ihn erblickte, zwang sie ihr Herz sich zu gedulden, bis sie ihr Vorhaben ausgeführt hätte. Zunächst schenkte sie ihm weiße Sklaven und Eunuchen, Maultiere und Kamele, und gab ihm einen Schatz Geldes. Dann ließ sie ihn von Würde zu Würde aufsteigen, bis sie ihn zum Schatzmeister gemacht und ihm die



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Staatsgelder anvertraut hatte. So erwies sie ihm ihre Huld und machte ilm zu ihrem Vertrauten und machte die Emire mit seiner hohen Ehrenstellung bekannt; da gewannen sie alle ihn lieb. Und die Königin Budûr mehrte ihm seine Einkünfte jeden Tag; doch Kamar ez-Zamân wußte nicht, weshalb sie ihn so auszeichnete. Aus der Fülle seines Reichtums begann er zu schenken und Freigebigkeit zu üben, und er widmete seine Dienste dem König Armanûs, so daß dieser ihn hochschätzte und die Emire und alles Volk, hoch und gering, ihn lieb gewannen und bei seinem Leben schworen. Bei alledem mußte Kamar ez-Zamân immer wieder staunen, wie die Königin Budûr ihn so sehr auszeichnete; und so sprach er bei sich selber: ,Bei Allah, diese große Zuneigung muß doch einen Grund haben; vielleicht erweist dieser König mir solche sich immer noch häufenden Ehren nur, weil er etwas Böses vorhat. Jetzt muß ich ilm bitten, daß er mir die Erlaubnis gibt, aus seinem Lande fortzureisen.' Darauf begab er sich zu der Königin Budûr und sprach zu ihr: ,O König, du hast mir überreiche Ehren erwiesen; aber du wirst das Maß deiner Güte voll machen. wenn du mir erlaubst fortzureisen, indem du mir alles wieder nimmst, was du mir gnädig geschenkt hast.' Die Königin Budûr lächelte und sprach zu ihm: ,Was treibt dich dazu, nach Reisen zu trachten und der Gefahren nicht zu achten? Du stehst doch jetzt in hohen Ehren und genießest Wohltaten, die sich immer mehren!' Da antwortete Kamar ez-Zamân ihr: ,O König, diese Gunst ist, wenn sie keinen Grund hat, das größte Wunder, zumal du mir Würden verliehen hast, wie sie nur für einen alten Mann berechtigt sind, und ich bin doch fast noch ein kleines Kind.' Nun sprach die Königin Budûr: ,Der Grund davon ist, daß ich dich liebe, weil deine Anmut so übergroß ist und weil du von so strahlender, herrlicher Schönheit bist. Und



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wenn du mir gewährst, was ich von dir verlange, so will ich dich noch höher ehren und Gaben und Gunstbezeugungen dir mehren. Ja, ich will dich zum Wesir machen, trotz deiner Jugend, wie mich die Leute hier zum Sultan über sich eingesetzt haben, als ich im selben Alter war. Es ist kein Wunder heute, wenn die Jungen herrschen; wie vortrefflich hat doch der Dichter gesagt:

Es scheint, daß unsere Zeit dem Volke Lots gehöre;
Sie zeiget große Lust, die Kleinen zu befördern.'

Als Kamar ez-Zamân diese Worte hörte, schämte er sich, und seine Wangen wurden rot, bis sie zu flammen schienen. Und er sprach: ,Es verlangt mich nicht, in dieser Gunst zu stehen, die dahinführt, Sünde zu begehen. Ich will so leben, daß ich arm an weltlichen Gütern bin, doch reich an Tugend und mannhaftem Sinn.' Doch die Königin Budûr erwiderte: ,Ich lasse mich durch deine Zurückhaltung, die aus Stolz und Sprödigkeit geboren ist, nicht täuschen. Denn trefflich sprach der Dichter:

Ich sprach ihm von der Zeit der Liebe; doch er sagte:
Wie lange willst du dich mit schmerzhaft Wort bemühn?
Da zeigte ich ihm Gold, und er hub an zu sprechen:
Wohin soll ich vor des Geschickes Allmacht fliehn?'

Als Kamar ez-Zamân diese Worte vernahm und auch zum Verständnis der Verse kam, sprach er: ,O König, ich bin nicht gewöhnt, solche Dinge zu tun; und ich bin nicht stark genug dazu, daß solche Lasten auf mir ruhn, die selbst ein älterer als ich kaum tragen kann, geschweige denn ich ganz unger Mann!' Über diese Worte lächelte die Königin Budûr, und dann sprach sie: ,Das ist doch ganz sonderbar, wo das richtige Urteil fehlt, 'zeigt sich der Irrtum klar! Wenn du noch jung bist, wie kannst du da befürchten, sündhaft zu sein, und dich des Vergehens zeihn? Du bist ja ein Knabe, der noch nicht im Alter der Verantwortlichkeit



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steht; und ein Kind wird doch nicht gescholten oder getadelt, wenn es sich vergeht! Du zwingst dich ja nur selbst zu einem Wortgefecht; doch dich zu genießen habe ich ein Recht. Drum höre nun auf, dich zu sträuben und auszuweichen; denn Allahs Befehl ist ein vorherbestimmtes Zeichen. Ich muß mich doch am meisten von allen fürchten, in Irrtum zu verfallen. Schön sprach der Dichter:

Mein Speer war groß; da sprach zu mir der Knabe:
Stich mir ins Herz und sei ein starker Mann!
Ich sprach: Das ist nicht recht. Ergab zur Antwort:
Bei mir ist's recht. Und rasch folgt ich ihm dann.'

Als Kamar ez-Zamân diese Worte hören mußte, da verwandelte sich das helle Tageslicht zur Finsternis vor seinem Angesicht, und er rief aus: ,O König, du hast bei dir schöne Sklavinnen und Frauen, und ihresgleichen sind in unserer Zeit nicht zu schauen. Können die dir nicht genug auch ohne mich sein? Tu mit ihnen, was du willst, und laß mich allein!' Da erwiderte sie: ,Du hast recht gesprochen; und doch werden ihm, der dich liebt, durch sie Schmerz und Kummer nicht gebrochen. Denn wenn Natur und Neigung verdorben sind, so gehorchen sie bösem Rate geschwind. Drum wirf die Gegengründe fort und höre auf das Dichterwort:

Siehst du nicht auf dem Markte die Früchte aufgereiht?
Die Feigen dem, und jenem die Sykomorenfrucht!

Und ein anderer sprach:

Bei mancher ist die Spange stumm, doch hell erklingt ihr Gürtel;
Der eine ist ein reicher Mann; der andre klagt ob Not.
Du willst, ich soll durch ihren Reiz in Torheit dich vergessen.
Ich will kein Ketzer sein, seit ich mein Herz dem Glauben bot.
Beim Wangenflaum, der ihr Gelock bald in den Schatten stellt,
Mich trennt von deiner Liebe nicht die reinste Maid der Welt.



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Und wieder ein anderer:

O du, der Schönheit Perle, ich glaub an deine Liebe;
Als einziges Bekenntnis hab ich dich erkoren.
Ich ließ die Frauen nur allein um deinetwillen;
Die Menschheit glaubt, ich sei ein Mönch, der Welt verloren.

Und wieder ein anderer:

Vergleich den zarten Knaben nicht mit einer Maid,
Hör nicht auf den Verleumder, der dich des Unrechts zeiht!
Ein Mädchen, dem das Antlitz die Füße küsset, ist
Doch fern von einem Rehe, das den Boden küßt!

Und wieder ein anderer:

Für dich geb ich mein Leben; ich hab nur dich erwählt,
Weil nie der Frauen Leid noch Niederkunft dich quält.
Doch wollte ich den Frauen meine Neigung weihn,
Dann wär für meine Kinder die weite Welt zu klein.

Und wieder ein anderer:

Sie hatte mich gebeten, und es geschah doch nie;
Da rief sie denn erzürnt ob ihrer Liebesmüh:
Erfüllest du an mir nicht deine Mannespflicht,
So tadle, wenn du morgen gehörnt aufwachst, mich nicht!'

Und wieder ein anderer:

Sie sprach zu mir, als ich bei ihr nicht ruhen wollte:
Einfältger Narr, du bist der größte Tor der Welt!
Zu mir die rechte Richtung hat dir nicht gefallen;
Ich zeig dir eine Richtung, die dir wohlgefällt!

Und wieder ein anderer:

Sie bot die zarte Lende mir;
Ich sprach: Ich komme nicht zu dir.
Da wandte sie sich ab und sprach:



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Wer töricht ist, der lieget brach.
Wie man es tat in alter Zeit.
Das hat man ganz vergessen heut.
Sie drehte sich, da schaute ich
Das, was geschmolz'nem Silber glich.
O Herrin, das war gut getan,
Ja, gut; mich ficht kein Kummer an!
Du tatest gut, du schenkest mehr,
Als wenn es Gottes Gnade wär.

Und wieder ein anderer:

Der Mann erhebt die Hände zum Gebet;
Die Frau erhebt die Füße, wenn sie fleht.
O, welch ein fromm Beginnen ist es doch;
Und Gott erhebt es in der Tiefe hoch.'

Als Kamar ez-Zamân all diese Verse von ihr gehört hatte und nun sicher war, daß er ihrem Begehren nicht ausweichen konnte, da sprach er: ,O König unserer Zeit, wenn es denn sein muß, so versprich mir, daß du dergleichen nur ein einziges Mal mit mir tust, obschon das kaum dazu dienen wird, deine verdorbene Natur zu bessern. Aber danach sollst du es nie wieder von mir verlangen; vielleicht wird Allah dann die Schuld von mir nehmen.' Sie erwiderte: ,Das verspreche ich. dir; und ich hoffe, daß Allah Verzeihung an uns übt und uns in seiner Gnade die schwere Sünde vergibt. Denn der Himmeisgürtel der Verzeihung ist nicht so eng, daß er nicht auch uns umfaßt, uns entsühnt von der schweren Sündenlast, und uns zum Lichte der rechten Leitung hinausführt, aus der Finsternis des Irrtums fort! Und wie schön ist doch das Dichterwort:

Das Volk verdächtigt uns und hat darauf bestanden
Mit seiner Seele, seinem Herzen, immerdar aufs neue.
Komm, was sie denken, laß uns tun und so das Unrecht,
Das sie uns tun, verhüten, doch einmal nur -dann Reue!'



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Darauf gab sie ihm das feste Versprechen und schwur ihm einen Eid bei der Existenz Gottes. daß dies nur einmal zwischen ihnen geschehen solle, einmal für alle Zeiten, möge auch das Verlangen nach ihm ihr Tod und Verderben bereiten. Unter dieser Bedingung ging er mit ihr zu einem Gemach, das sie allein kannte, damit sie das Feuer löschte, das in ihr brannte. Er aber sprach: ,Es gibt keine Majestät und es gibt keine Macht außer bei Allah, der erhaben und allmächtig ist! Dies ist von dem Glorreichen und Allweisen vorherbestimmt seit langer Frist.' Darauf löste er seine Hosen, von Scham übergossen, während vor übergroßer Angst die Tränen aus seinen Augen flossen. Doch lächelnd hieß sie ihn mit ihr zum Lager gehen, und sprach: ,Nach dieser Nacht sollst du nie mehr etwas Widerwärtiges sehen.' Und sie neigte sich zu ihm und küßte ihn, indem sie sich eng an ihn schmiegte und dabei Wade zu Wade fügte. Dann sprach sie zu ihm: ,Lege deine Hand zwischen die Schenkel an die Stelle, die dir bekannt; vielleicht, daß es dann, nachdem es lag, wieder aufstehen kann!' Doch er weinte und sprach: ,Ich verstehe nichts von dergleichen Dingen.' ,Bei Allah,' rief sie, ,wenn du tust, was ich dir befohlen habe, so wird dir daraus Freude erwachsen!' Nun streckte er die Hand aus, doch ihm erbebten die Eingeweide; und er fand ihren Schenkel weicher als Rahm und zarter als Seide. Doch dadurch die Berührung in ihm die Lust erweckt wurde, so führte er die Hand hierhin und dorthin, bis sie zu einer Kuppel kam, die reich an Segnungen und Bewegungen war. Darauf sprich er bei sich selber: ,Ist es möglich, daß dieser König ein Zwitter sein kann, weder ein Weib noch ein Mann?' So sagte er dann laut: ,O König, ich finde bei dir kein Werkzeug, wie es ein Mann sonst hat. Was trieb dich denn zu solcher Tat?' Da lachte die Königin Budûr. bis sie auf den Rücken fiel, und rief: ,O du mein Geliebter,



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wie schnell hast du die Nächte vergessen, die wir zusammen verlebten!' Darauf gab sie sich ihm zu erkennen, und er wußte nun, daß sie seine Gemahlin war, die Prinzessin Budûr, die Tochter des Königs el-Ghajûr, des Herrn der Insel und der Meere. Er drückte sie an sich, und auch sie umarmte ihn; er küßte sie, und sie küßte ihn wieder. Dann legten sie sich auf das Lager der Vereinigung nieder, und sie sprachen die Dichterworte:
Als ihn der schlanke Arm in meine Nähe lockte,
Zum weichen Leibe hin mit heißer Liebespein,
Und ihm das harte Herz mit seiner Zartheit tränkte.
Da willigt' er nach langem Sträuben endlich ein.
Aus Furcht, die Tadler möchten ihn sehen, wenn er käme,
Erschien er, von der Rüstung geschützt und fest umfaßt.
Der Rumpf klagt ob der Hüften, die auf die Füße drücken
Bei ihrem Schreiten, wie auf das Kamel die Last.
Gegürtet ist er mit dem Schwerte seiner Blicke,
Gepanzert in der Locken Pracht, die dunkel glüht.
Sein Duft verkündet mir die Freude seines Kommens,
Ich fliege wie ein Vogel, der aus dem Käfig flieht.
Die Wange breit' ich hin zum Wege seiner Schuhe;
Er heilt mir mit dem Pulver des Staubs der Augen Leid.
Der Liebe Banner knüpf ich, wenn ich ihn umarme;
Des Glückes Knoten lös ich: ach, einst war's mir so weit.
Nun rüste ich ein Fest, erfolget seinem Rufe
Voll Freuden; fern ist ihm des grauen Alters Not.
Der Vollmond streut die Sterne der Zähne in dem Munde,
Sie tanzen in dem Antlitz, das wie von Wein so rot.
Ich aber geb mich in der Nische ihrer Freuden
Ganz dem hin, dessen Tun selbst Sündern Reue lieh.
Ich schwöre bei den Versen des Lichts' in seinem Antlitz:
Die Sure vom Bekenntnis' vergeß ich bei ihm nie.



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Darauf erzählte die Königin Budûr dem Prinzen Kamar ez-Zamân alles, was sie erlebt hatte, von Anfang bis zu Ende; und auch er berichtete ihr alle seine Erlebnisse. Doch danach begann er zu schelten, indem er zu ihr sprach: ,Was hat dich denn nur zu dem veranlaßt, was du mir heute nacht angetan hast?' Sie antwortete: ,Sei mir nicht böse! Das ist nur zum Scherze geschehen, und um Lust und Freude noch zu erhöhen.' Als dann der helle Tag sich erhob und die Welt mit seinen feurigen Strahlen durchwob, sandte die Königin Budûr zum König Armanûs, dem Vater der Prinzessin Hajât en-Nufûs; sie tat ihm kund, wie es sich mit ihr in Wahrheit verhielt, berichtete ihm, daß sie die Gattin des Kamar ez-Zamân sei, erzählte ihm. was sie beide erlebt hatten und wodurch sie voneinander getrennt wurden, und ließ ihn wissen, daß seine Tochter Hajât en-Nufûs noch immer eine Jungfrau sei. Wie König Armanûs, der Herrscher über die Ebenholzinseln, die Geschichte der Königin Budûr, der Tochter des Königs el-Ghajûr, vernommen hatte, war er über sie höchlichst erstaunt, und er befahl, daß man sie mit goldenen Lettern aufzeichne. Dann wandte er sich zu Kamar ez-Zamân und fragte ihn: ,Prinz, willst du mein Eidam werden und dich mit meiner Tochter Hajât en-Nufûs vermählen?' Der gab zur Antwort: ,Laß mich zuerst die Königin Budûr um Rat fragen; denn ihr verdanke ich ungezählte Wohltaten.' Und als er sich mit ihr beriet, sagte sie: ,Das ist ein guter Plan! Drum vermähle dich mit ihr, und ich will ihr eine Dienerin sein; denn ich bin in ihrer Schuld für mancherlei Wohltat, Güte und Huld. Denke auch zumal daran, daß wir hier in ihrem Palaste sind und daß ihr Vater uns mit Güte überhäuft hat.' Da Kamar ez-Zamân nun sah, daß die Königin Budûr jenen Plan billigte und keine Eifersucht gegen Hajât en-Nufûs hegte, so kam er hierin mit ihr überein. — —«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 217. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Kamar ez-Zamân mit seiner Gemahlin, der Königin Budûr, hierin übereinkam; so berichtete er denn dem König Armanûs, was sie gesagt hatte, daß sie nämlich dem Plane zustimme und der Hajât en-Nufûs eine Dienerin sein wolle. Als König Armanûs diese Worte aus dem Munde des Kamar ez-Zamân vernahm, war er hocherfreut. Dann ging er hin und setzte sich auf seinen Herrscherthron, ließ alle Wesire und Emire, Kammerherrn und Großen des Reiches kommen und verkündete ihnen die Geschichte von Kamar ez-Zamân und seiner Gemahlin, der Prinzessin Budûr, von Anfang bis zu Ende; und er fügte hinzu, er wolle seine Tochter Hajât en-Nufûs mit Kamar ez-Zamân vermählen und ihn an Stelle seiner Gemahlin, der Prinzessin Budûr, zum Sultan über sie einsetzen. Da sprachen sie alle: ,Dieweil Kamar ez-Zamân der Gemahl der Prinzessin Budûr ist, die vorher Sultan über uns war, während wir glaubten, sie sei der Eidam unseres Königs Armanûs, so wollen wir ihn als Sultan über uns anerkennen und seine Untertanen sein und ihm stets he Treue wahren.' Darüber freute König Armanûs sich sehr. Dann berief er die Kadis und die Zeugen und die höchsten Würdenträger des Reiches zu sich, und er ließ das Ehebündnis zwischen Kamar ez-Zamân und der Prinzessin Hajât en-Nufûs schließen. Nun ließ er Freudenfeste feiern und prunkvolle Gastmähler herrichten; er verlieh prächtige Ehrenkleider an alle Emire und Hauptleute des Heeres, ließ Almosen an die Armen und Bedürftigen verteilen und befreite alle Gefangenen. Das Volk freute sich über die Thronbesteigung des Königs Kamar ez-Zamân und wünschte ihm lange Dauer des Ruhms, der



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Glückseligkeit und der Herrlichkeit. Wie nun Kamar ez-Zamân Sultan geworden war, hob er die Abgaben auf und entließ die Leute, die noch in Gefangenschaft geblieben waren. Und er herrschte, gepriesen von seinen Untertanen, und lebte mit seinen beiden Gemahlinnen in Glück und Seligkeit, in Treue und Fröhlichkeit, indem er abwechselnd je eine Nacht bei jeder von beiden verbrachte. So blieb es auch lange Zeit; fern waren ihm Sorgen und Traurigkeit, und selbst sein Vater, der König Schehrimân, geriet bei ihm in Vergessenheit, ja auch die Ehre und Gunst, deren er sich einst bei ihm erfreut. Da segnete Allah der Erhabene ihn mit zwei Knaben, die seine Gattinnen ihm gebaren, und die wie zwei leuchtende Monde waren. Der ältere von beiden war der Sohn der Budûr und erhielt den Namen el-Malik el-Amdschad; der jüngere aber war ein Sproß der Königin Hajâten-Nufûs und ward el-Malik el-As'ad genannt. Und el-As'ad war noch schöner als el-Amdschad. Die beiden wuchsen auf, von Glanz und zärtlicher Liebe umgeben und in der Erziehung zum vornehmen Leben; sie lernten die Schreibkunst und die Wissenschaften, die Staatskunst und das Rittertum. und sie wurden so zu einem Bilde der Vollkommenheit und der höchsten Schönheit und Lieblichkeit, und sie erregten das Entzücken der Frauen wie der Männer weit und breit. Sie blieben eng miteinander verbunden, bis sie siebenzehn Jahre alt waren; sie aßen zusammen und tranken zusammen und trennten sich nie, zu keiner Zeit und zu keiner Stunde, so daß alle Menschen sie darum beneideten. Nachdem sie das Mannesalter erreicht hatten und in allem vollkommen geworden waren, pflegte ihr Vater, wenn er auf Reisen ging, sie abwechselnd in der Regierungs halle seinen Platz einnehmen zu lassen; und dann sprach ein jeder von ihnen je einen Tag Recht unter dem Volke. Nun wollte es das Schicksal,



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dem keiner entgeht, und das Verhängnis, das fest geschrieben steht, daß die Liebe zu el-As'ad, dem Sohne der Hajâten-Nufûs, das Herz der Königin Budûr, der Gemahlin seines Vaters, entzündete; und ebenso drang die Liebe zu el-Amdschad, dem Sohne der Königin Budûr, in das Herz der Hajât en-Nufûs, der Gemahlin seines Vaters. Und so begann eine jede von den beiden Frauen mit dem Sohne ihrer Eheschwester zu tändeln, ihn zu küssen und an die Brust zu ziehen; und wenn seine rechte Mutter das sah, so glaubte sie, das seien nur Zeichen der Neigung und Liebe, wie sie Mütter zu ihren Kindern haben. Ja, die Liebe hatte sich so tief in die Herzen der beiden Frauen eingedrückt, und sie wurden von den Jünglingen so berückt, daß eine jede von ihnen, sobald der Sohn ihrer Eheschwester zu ihr eintrat, ihn sogleich an die Brust zog und sich nie von ihm trennen wollte. Doch schließlich, als es ihnen zu lange währte, zu hangen und zu bangen, und als sie keinen Weg sahen, um an das Ziel ihrer Wünsche zu gelangen, wiesen sie Trank und Speise zurück und trennten sich von des Schlummers süßem Glück. Nun ritt der König wieder einmal auf die Jagd und befahl seinen beiden Söhnen nach ihrer Gewohnheit je einen Tag abwechselnd an seiner Stelle zu sitzen, um Recht zu sprechen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 218. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der König wieder einmal auf die Jagd ritt und seinen beiden Söhnen befahl, nach ihrer Gewohnheit je einen Tag abwechseln dan seiner Stelle zu sitzen, um Recht zu sprechen. So setzte sich denn am ersten Tage el-Amdschad, der Sohn der Königin Budûr, auf den Herrscherthron, erließ Gebote und Verbote, setzte ein und setzte ab, gab



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und versagte. Da schrieb ihm die Königin Hajâten-Nufûs, die Mutter des Prinzen el-As'ad, einen Brief. in dem sie um seine Neigung bat; sie offenbarte ihm, daß sie ihn leidenschaftlich liebe, sie warf die Hülle der Scham ab und ließ ihn wissen, daß sie wünsche, mit ihm in Liebe vereint zu sein. Sie nahm ein Blatt und schrieb darauf diese Zeilen: ,Von der Elenden, die vor Liebe brennt, * der Betrübten, die von dir getrennt, * deren Jugend durch die Liebe zu dir hinschwindet * und die sich um deinetwillen in endlosen Qualen windet! *Wollte ich dir die langen Leiden zu schildern wagen, *und was ich alles an Trübsal ertragen * —wie die Leidenschaften an mir nagen, *welch Leiden mir Weinen und Seufzen flieht. *wie mein betrübtes Herz zerbricht, * wie der Gram mich begleitet *und die Sorge mich geleitet, * was ich leide, von dir getrennt zu sein * an Kümmernis und brennender Pein. * so würden der Worte im Briefe zu viel. *und ich käme nicht an der Beschreibung Ziel. * Himmel und Erde engen mich ein, * und meine einzige Hoffnung bist du allein. * Den Tod mußte ich schon vor mir schauen, * und ich rang mit der Vernichtung Grauen. * In mir wächst die brennende Qual, *der Schmerz um Fernsein und Trennung zumal. *Wollt ich schildern, welche Wunden die Sehnsucht mir schlug, * so wären der Blätter nie genug. *Und im Übermaße von Unglück und zehrendem Leid *hab ich dir diese Verse geweiht:

Wenn ich dir schildern wollte, welch Feuer ich erdulde,
Welch Siechtum, welche Unruh und welche Leidenschaft,
So würde auf der Erde Schreibrohr, Papier und Tinte,
Ja, auch ein jedes Blatt gar bald hinweggerafft.'

Dann hüllte die Königin Hajâten-Nufûs dies Blatt in ein Stück kostbarer Seide, das mit Moschus und Ambra getränkt war, und legte dazu einige ihrer seidenen Haarbänder, die Schätze



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wert waren; dann schlug sie das Ganze in ein Tuch und übergab es einem Eunuchen, dem sie befahl, es dem Prinzen el-Amdschad zu bringen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 219. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß sie das Blatt mit der Botschaft dem Eunuchen übergab, dem sie befahl, es dem Prinzen el-Amdschad zu bringen. Da ging jener Eunuch fort, ohne zu wissen, was für ilm in dem geheimnisvollen Schoße der Zukunft verborgen war; doch Er, der die geheimen Dinge kennt, lenkt alles, wie es Ihm gefällt! Wie nun der Eunuch zum Prinzen el-Amdschad eingetreten war, küßte er den Boden vor ihm, überreichte ihm das Tuch und überbrachte ihm so die Botschaft. Der Prinz nahm das Tuch aus den Händen des Eunuchen entgegen, öffnete es, sah den Brief, öffnete auch den und las ihn. Und als er seinen Inhalt verstanden hatte, erkannte er. daß die Gemahlin seines Vaters in ihrem innersten Wesen eine Verräterin war und daß sie seinen Vater Kamar ez-Zamân in ihrem Herzen betrogen hatte. Da ergrimmte er gewaltig, und er schalt die Frauen wegen ihres Tuns, indem er rief: ,Allah verfluche die Frauen, die Verräterinnen, die keinen Verstand und keinen Glauben haben!' Dann zog er sein Schwert und schrie den Eunuchen an: ,Weh dir, du elender Mohr! Bringst du da die Botschaft, die Verrat birgt, von der Frau deines Herrn? Bei Allah, an dir ist nichts Gutes, du Schwarzgesicht, dessen schwarze Taten im Himmelsbuche stehen, du Kerl von häßlichem, törichtem Wesen und eklig anzusehen!' Und alsbald traf er ihn mit dem Schwert auf den Nacken und trennte ihm den Kopf vom Rumpfe. Dann faltete er das Tuch wieder über seinem Inhalte zusammen und steckte es in seine Tasche,



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ging zu seiner Mutter und erzählte ihr, was geschehen war. Dabei schmähte und beschimpfte er sogar auch sie, indem er sprach: ,Von euch ist jede einzelne immer noch elender als die andere. Bei Allah dem Allmächtigen, wenn ich nicht befürchtete, gegen meinen Vater Kamar ez-Zamân und meinen Bruder el-Malik el-As'ad unrecht zu handeln, so würde ich hingehen und ihr den Kopf abschlagen, wie ich ihrem Eunuchen den Hals durchschlagen habe.' Dann verließ er seine Mutter, die Königin Budûr, in überschäumender Wut. Als aber der Königin Hajât en-Nufûs, der Gemahlin seines Vaters, berichtet wurde, was er mit ihrem Eunuchen getan hatte, da verwünschte und verfluchte sie ilm und spann Ränke wider ihn. Krank vor Wut, Zorn und Sorgen, verbrachte el-Malik el-Amdschad jene Nacht und fand auch keine Freude mehr an Speise, Trank und Schlaf.

Am nächsten Morgen ging sein Bruder, el-Malik el-As'ad, hin und setzte sich auf den Thron seines Vaters, um unter dem Volke Recht zu sprechen. Doch seine Mutter, Hajâten-Nufûs, erwachte ganz krank, da sie ja wußte, daß el-Malik el-Amdschad den Eunuchen erschlagen hatte. Wie nun el-Malik el-As'ad sich an jenem Tage niedergesetzt hatte, sprach er Recht und Gerechtigkeit, setzte ein und ab, erließ Gebote und Verbote, gab und spendete; und so saß er auf dem Herrscher thron bis um die Zeit des Nachmittagsgebetes. Da schickte die Königin Budûr, die Mutter des Prinzen el-Malik el-Amdschad, zu einer listigen alten Frau und offenbarte ihr, was sie in ihrem Herzen empfand; und sie nahm ein Blatt, um ihm eine Botschaft an el-Malik el-As'ad, dem Sohne ihres Gemahles, anzuvertrauen. Und indem sie ihm das Übermaß ihrer leidenschaftlichen Liebe zu ihm klagte, schrieb sie ihm diese Worte: ,Von ihr, die vor Liebe und Sehnsucht zugrunde geht, * an ihn, der



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unter den Menschen als schönster und edelster dasteht, * der sich brüstet mit seiner Lieblichkeit * und stolz ist auf seine Zierlichkeit. *der kein Gehör dem Wunsche nach Liebesvereinigung mit ihm leiht, * der mit seiner Gunst die nicht beglückt, *die sich vor dem Grausamen, Harten demütig bückt, * von ihr, die Liebeskummer bannt, * zu el-Malik el-As'ad's Hand, * an den Jüngling im herrlichen Schönheitskleid, * geschmückt mit strahlender Lieblichkeit, * einem mondhellen Angesicht, *und einer Stirn von glänzendem, schimmerndem Licht. *Dies ist mein Brief an ihn, der durch seine Liebe meinen Leib hinschwinden heißt, *der mir Haut und Gebein zerreißt. *Wisse, meine Geduld ist dahin, *und ich bin ratlos in meinem Sinn. *Sehnsucht und Wachen quälen mich, *Geduld und Schlummer fliehen mich, * Kummer und Schlaflosigkeit verzehren mich. *Sehnsüchtige Liebe brennt in mir, *Krankheit und Siechtum weilen in mir. * Mein Leben sei dir dargebracht, * und wenn der Tod einer zärtlich Liebenden dir Freude macht, * so möge Allah dir ein langes Leben verleihn * und dich von allem Übel befrein!' Und nach diesen Zeilen schrieb sie noch diese Verse:

Das Schicksal hat bestimmt, daß ich dich lieben solle,
Ach, deine Schönheit ist dem hellen Monde gleich.
Du trägst die Zartheit und der Rede Wohllaut in dir;
Du bist vor allen Menschen an Strahlenglanze reich.
Ich gebe mich zufrieden, daß du mir Qual bereitest;
Vielleicht gewährst du mir noch einen einz'gen Blick.
Ja, glücklich, wer den Tod durch Liebe zu dir findet;
Wer Lieb und Sehnsucht nicht empfindet, kennt kein Glück!

Dazu fügte sie noch diese Verse:

Dir, As'ad, klage ich die Flammenglut der Liebe;
Erbarm dich der Betörten, in der die Sehnsucht bhf.
Wie lange soll die Hand des Leidens mit mir spielen,



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Die Liebe und die Sorge, das Wachen und die Not?
Bald sink ich wie ins Meer, bald klage ich, o Wunder,
Ob Feuersglut im Herzen, du Ziel der Wünsche mein! Der du mich tadelst, laß den Tadel, flieh die Liebe;
Sonst würd dein Auge bald ein Tränenrinnsal sein.
Wie viele Male rief ich im Schmerz der Trennung: Wehe!
Und doch, das Weherufen, es tat mir niemals gut.
Du machst mich krank durch Hörte; ich kann sie nicht ertragen;
Du bist der Arzt, hilf mir mit dem, was nötig tut.
O Tadler, laß das Tadeln, nimm dich davor in acht,
Daß dich die Liebeskrankheit nicht trifft und elend macht!

Darauf tränkte die Königin das Blatt der Botschaft mit stark duftendem Moschus und umwand es mit Bändern aus ihrem Haare; die waren aus irakischer Seide und hatten Troddeln aus smaragdgrünen Streifen, die mit Perlen und Edelsteinen besetzt waren. Darauf übergab sie das Ganze der Alten und befahl ihr, es dem Prinzen el-Malik el-As'ad, dem Sohne ihres Gemahls, des Königs Kamar ez-Zamân, zu überbringen. Die Alte ging, ihr zu Gefallen, hin und trat alsbald zu el-Malik el-As'ad ein, der sich in seinem eigenen Gemache befand, als sie kam. Sie überreichte ihm das Blatt mit dem, was es enthielt. und blieb eine Weile stehen, um auf eine Antwort zu warten. Da las el-Malik el-As'ad den Brief und verstand seinen Inhalt; dann umwand er es wieder mit den Haarbändern und steckte es in seine Tasche. Doch er ergrimmte gar sehr, sein Zorn kannte keine Grenzen mehr, und er fluchte den trügerischen Weibern. Und so sprang er auf, zog sein Schwert aus der Scheide, traf die Alte im Nacken und trennte ihr den Kopf vom Rumpfe. Dann machte er sich auf und ging zu seiner Mutter Hajât en-Nufûs; die fand er auf ihrem Lager liegen, krank durch ihr Erlebnis mit el-Malik el-Amdschad, und er schmähte sie und fluchte ihr. Darauf verließ er sie, begab sich zu seinem



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Bruder el-Malik el-Amdschad und erzählte ihm, was er von seiner Mutter, der Königin Budûr, hatte erleben müssen. Auch berichtete er ihm, daß er die Alte, die mit der Botschaft zu ihm gekommen war, totgeschlagen hatte, und fügte hinzu: ,Bei Allah, lieber Bruder, wenn ich mich nicht vor dir gescheut hätte, so wäre ich im selben Augenblick zu ihr geeilt und hätte ihr den Kopf von den Schultern geschlagen!' ,Bei Allah, lieber Bruder,' erwiderte el-Malik el-Amdschad, ,wisse, gestern, als ich auf dem Herrscherthrone saß, ist mir dasselbe widerfahren wie dir heute. Deine Mutter schickte mir eine Botschaft, die ähnliche Worte enthielt.' Und so erzählte er ihm alles, was er mit der Königin Hajât en-Nufûs erlebt hatte, indem er hinzufügte: ,Bei Allah, mein Bruder, wenn ich mich nicht vor dir gescheut hätte, so wäre ich zu ihr geeilt und hätte mit ihr dasselbe getan wie mit dem Eunuchen.' Dann blieben die beiden den Rest der Nacht hindurch im Gespräche beisammen und fluchten den treulosen Weibern. Aber sie verpflichteten sich gegenseitig, diese Sache geheimzuhalten, damit ihr Vater, der König Kamar ez-Zamân, nicht davon höre und die beiden Frauen nicht töte. So verbrachten sie die Nacht in Betrübnis bis zum Morgen.

Am nächsten Morgen kam der König mit seinem Heere von der Jagd zurück und setzte sich eine Weile auf seinen Herrscherthron. Dann entließ er die Emire und begab sich in den Palast; dort fand er seine beiden Gemahlinnen schwerkrank auf ihren Lagern. Aber sie hatten bereits Ränke gegen ihre Söhne gesponnen und hatten sich verabredet, sie zu Tode zu bringen, da sie sich ja ihnen gegenüber bloßgestellt hatten und befürchteten, daß sie nun in ihrer Gewalt sein würden. Doch als der König sie in diesem Zustande erblickte, fragte er sie, was ihnen fehle. Da erhoben sie sich vor ihm, küßten ihm die Hände



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und sagten, indem sie die Sache umkehrten: ,Wisse, o König, deine beiden Söhne, die doch in deiner Güte aufgewachsen sind, haben sich an deinen Frauen vergangen und haben dich verraten und mit Schmach befleckt.' Als Kamar ez-Zamân diese Worte von seinen Frauen hören mußte, ward das helle Tageslicht finster vor seinem Angesicht, und er entbrannte von so gewaltiger Wut, daß er vor Übermaß des Zornes fast den Verstand verlor. Er fuhr seine Frauen an: ,Erklärt mir diese Sache näher!' Da sprach die Königin Budûr: ,Wisse, o größter König unserer Zeit, dein Sohn el-As'ad, der Sproß von Hajât en-Nufûs, sendet mir seit geraumer Zeit Botschaften und Briefe und will mich zum Ehebruch verleiten; ich verbot es ihm, aber er ließ sich nicht hindern. Als du nun fortgezogen warst, stürzte er sich trunken mit einem gezückten Schwerte in der Hand auf mich; doch er traf damit meinen Eunuchen und tötete ihn. Dann setzte er sich mit dem Schwerte in der Hand auf meine Brust, und ich fürchtete, er würde mich, wenn ich mich ihm widersetzte, ebenso erschlagen, wie er meinen Eunuchen erschlagen hatte. So tat er denn seinen Willen an mir mit Gewalt. Und wenn du mir nicht zu meinem Rechte wider ihn verhilfst, o König, so töte ich mich selbst mit eigener Hand; denn ich mag nicht mehr in der Welt leben, nachdem diese verruchte Tat geschehen ist.' Danach berichtete ihm Hajât en-Nufûs, von Tränen erstickt, eine gleiche Geschichte, wie ihre Eheschwester Budûr sie erzählt hatte. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 220. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Königin Hajât en-Nufûs ihrem Gatten, dem König Kamar ez-Zamân, eine gleiche Geschichte erzählte wie die Königin Budûr und mit den



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Worten schloß: ,So ist auch mir das gleiche von deinem Sohne el-Arndschad widerfahren.' Dann begann sie zu weinen und zu klagen und sprach: ,Wenn du mir nicht wider ihn zu meinem Rechte verhilfst, so berichte ich es meinem Vater, dem König Armanûs.' Nun weinten beide Frauen bitterlich vor ihrem Gemahl, dem König Kamar ez-Zamân. Als aber der König die Tränen seiner beiden Gemahlinnen sah und ihre Worte vernommen hatte, glaubte er, daß alles wahr sei; und da ergrimmte er gewaltig über alle Maßen. So machte er sich auf und wollte über seine beiden Söhne herfallen, um sie zu töten; aber da trat ihm sein Schwäher, der König Armanûs, entgegen, der gerade zu ihm hereinkam, um ihn zu begrüßen, da er gehört hatte, daß er von der Jagd zurückgekehrt sei. Als er ihn sah, wie er das gezückte Schwert in der Hand hielt und wie ihm das Blut vor dem Übermaße seines Ingrimms aus der Nase tropfte, fragte er ihn, was mit ihm sei. Jener erzählte ihm alles, was ihm von seinen Söhnen el-Amdschad und el-As'ad angetan war, und fügte hinzu: ,Jetzt will ich zu ihnen eilen, auf daß ich sie mit dem schmählichsten Tode bestrafe und sie zum schmachvollsten warnenden Beispiele mache.' Sein Schwäher, der König Armanûs, der auch wider sie ergrimmte, gab ihm zur Antwort: ,Gut ist, was du tun willst, mein Sohn! Allah segne die beiden nicht, noch segne er je Söhne, die sich so gegen ihre Eltern vergehen! Doch, mein Sohn, es heißt im Sprichwort: ,Wer die Folgen nicht bedenkt, dem wird vom Schicksal kein Glück geschenkt.' Sie sind ja doch deine Söhne, und darum gebührt es sich, daß du sie nicht mit eigener Hand tötest; denn sonst würdest du ihre Todesqual hinunterwürgen müssen und später ihren Tod bereuen, wenn die Reue nichts mehr fruchtet. Darum schicke sie mit einem deiner Mamluken fort, auf daß er sie in der Wüste töte, fern von deinen Augen, wie es



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im Sprichwort heißt: ,Fern von meinem Freunde ist es besser und schöner, wo das Auge nicht sieht und das Herz nicht betrübt wird.' Als König Kamar ez-Zamân von seinem Schwäher, dem König Armanûs, diese Worte vernommen hatte, sah er ein, daß sie das Richtige trafen; so steckte er denn sein Schwert wieder in die Scheide, kehrte um und setzte sich auf den Thron seiner Herrschaft. Dann berief er seinen Schatzmeister, einen hochbetagten Greis, erfahren in allen Angelegenheiten und in den Wechselfällen der Zeiten; zu dem sprach er: ,Geh zu meinen Söhnen el-Amdschad und el-As'ad, lege ihnen starke Fesseln an, tu sie in zwei Kisten und lade sie auf ein Maultier; dann besteige ein Reittier und zieh mit ihnen mitten in die Wüste. Dort bringe sie um, fülle zwei Flaschen mit ihrem Blute und komm schnell damit zu mir zurück!' ,Ich höre und gehorche!' sprach der Schatzmeister; dann machte er sich 'sofort auf, begab sich zu el-Amdschad und el-As'ad und traf sie unterwegs, wie sie gerade aus der Vorhalle des Palastes traten. Sie hatten ihre feinsten und prächtigsten Gewänder angelegt und wollten sich zu ihrem Vater, dem König Kamar ez-Zamân, begeben, um ihn zu begrüßen und zu seiner wohlbehaltenen Rückkehr von dem Jagdzuge zu beglückwünschen. Als der Schatzmeister sie erblickte, legte er Hand an sie und sprach zu ihnen: ,Meine Söhne. bedenkt, ich bin ein Sklave, dem man gebietet; nun hat mir euer Vater einen Befehl erteilt -sagt, wollt ihr seinem Befehle gehorchen?' Sie antworteten: ,Jawohl', und so trat denn der Schatzmeister auf sie zu, fesselte sie, legte sie in zwei Kisten, lud sie auf den Rücken eines Maultieres und zog mit ihnen aus der Stadt hinaus. Und er ritt mit ihnen in der Wüste immer weiter, bis es fast Mittag geworden war. Dann machte er an einer öden und wüsten Stätte halt, stieg von seinem Pferde ab, nahm die beiden Kisten von dem



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Rücken des Maultieres herunter, öffnete sie und holte el-Amdschad und el-As'ad aus ihnen hervor. Wie er die beiden erblickte, blickte, weinte er bitterlich um ihre Schönheit und Anmut. Doch dann zog er sein Schwert aus der Scheide und sprach zu ihnen: ,Bei Allah, meine lieben Herren, es fällt mir schwer, euch ein Leids anzutun; doch mich trifft keine Schuld an all dieser Not, denn ich bin nur ein Sklave unter Gebot. Euer Vater, der König Kamar ez-Zamân, hat mir befohlen, euch den Kopf abzuschlagen.' Sie gaben ihm zur Antwort: ,Emir, tu, was der König dir befohlen hat! Wir wollen alles, was Allah der Allmächtige und Allgewaltige über uns verhängt hat, in Geduld ertragen; du bist schuldlos an unserem Blute.' Dann umarmten sie einander und nahmen voneinander Abschied. El-As'ad aber sprach zu dem Schatzmeister: ,üm Allahs willen, lieber Oheim, laß mich nicht die Todesqualen meines Bruders hinunterwürgen, laß mich den Kelch des Anblicks seiner Leiden nicht trinken; töte mich vor ihm, das ist leichter für mich!' Doch da sprach el-Amdschad ebenso und flehte den Schatzmeister an, ihn vor seinem Bruder zu töten, indem er sprach: ,Mein Bruder ist jünger als ich, erspare es mir, seine Qualen zu sehen!' Nun weinten beide so bitterlich, daß ihrem Schmerze kein andrer glich, und der Schatzmeister weinte mit ihnen. — -«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 221. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Schatzmeister mit den beiden weinte. Dann umarmten die beiden Brüder einander und nahmen voneinander Abschied; und der eine von ihnen sprach zu dem anderen: ,All dies kommt durch die Falschheit der Verräterinnen, meiner Mutter und deiner Mutter;



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ter; dies ist nun die Vergeltung für mein Verhalten gegen deine Mutter und für dein Verhalten gegen meine Mutter! Es gibt keine Majestät und es gibt keine Macht außer bei Allah dem Erhabenen und Allmächtigen; wir sind Gottes Geschöpfe, und zu ihm kehren wir zurück!' Darauf umarmte el-As'ad seinen Bruder von neuem, und er begann in Seufzer auszubrechen und hub an, diese Verse zusprechen:

O du, zu dem wir klagen und uns flüchten,
Bereit für alles, was da kommen kann!
Mir hilft nichts mehr, als an dein Tor zu klopfen;
Weist du mich ab, wo klopfe ich dann an?
Du, dessen Huld sich birgt im Worte ,Sei!',
Hort alles Guten, steh mir gnädig bei!

Als el-Amdschad hörte, wie sein Bruder klagte, weinte er und schloß ihn an seine Brust und sprach diese beiden Verse:

O der du mehr als einmal mir deine Hilfe liehest,
Und dessen Gabenreichtum schier unermeßlich ist,
Nie hat in meinem Leben mich ein Leid getroffen,
Bei dem ich nicht gefunden, daß du mein Retter bist.

Dann sprach el-Amdschad zu dem Schatzmeister: ,Ich bitte dich bei dem Einen, dem Allbezwinger, bei dem König, dem Alldurchdringer, töte mich vor meinem Bruder el-As'ad; dann erlischt das Feuer in meinem Herzen, und dann brennen nicht mehr die Schmerzen.' El-As'ad aber weinte und rief: ,Nein, ich will zuerst sterben!' Schließlich sprach el-Amdschad: ,Am schönsten wäre es, wir umarmten einander, so daß, wenn das Schwert auf uns herniedersaust, es uns mit einem einzigen Streiche tötet!' Nachdem nun die beiden einander umarmt und Wange an Wange gepreßt hatten, legte der Schatzmeister weinend die Stricke um sie und band sie fest. Darauf zog er sein Schwert und sprach: ,Bei Allah, liebe Heren



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schwer, euch zu töten! Habt ihr jetzt noch einen Wunsch, den ich euch erfüllen, einen Auftrag, den ich ausführen, eine Botschaft, die ich ausrichten könnte?' Da gab el-Amdschad zur Antwort: ,Wir haben keinen Wunsch mehr; aber einen Auftrag will ich dir geben, der lautet: Lege meinen Bruder el-As'ad zuunterst und mich zuoberst, damit der Schwertstreich zuerst auf mich falle; wenn du uns dann getötet hast und zum König zurückkehrst und er dich fragt, ob du vor unserem Tode noch etwas von uns vernommen habest, so antworte ihm: ,Deine Söhne lassen dich grüßen und dir sagen: Du wußtest nicht, ob sie unschuldig oder schuldig waren; dennoch hast du sie töten lassen, ohne dich ihrer Schuld zu vergewissern und ohne ihre Sache zu untersuchen.' Dann sprich zu ihm diese beiden Verse:

Die Weiber sind Teufel, zu unsrem Verderben erschaffen;
Ich flüchte zu Gott vor diesen teuflischen Schlingen.
Sie sind der Quell der Leiden, die unter den Menschen
Erscheinen, in Sachen der Welt und in Glaubensdingen.'

Dann schloß el-Amdschad mit den Worten: ,Wir wünschen nichts von dir, als daß du diese beiden Verse, die du soeben vernommen hast, unserem Vater wiederholest!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 222. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß el-Amdschad zu dem Schatzmeister sprach: ,Wir wünschen nichts von dir, als daß du diese beiden Verse, die du soeben vernommen hast. unserem Vater wiederholest. Doch ich bitte dich um Allahs willen, hab noch etwas Geduld mit uns, damit ich auch diese beiden Verse vor meinem Bruder sprechen kann.' Dann weinte er bitterlich und hub an zu sprechen:



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Ein Vorbild sind für uns der Vorzeit Fürsten,
Die alle längst dahingeschwunden sind.
Wie viele zogen schon auf diesem Wege,
Die Hohen und die Niedern. Greis und Kind!

Als der Schatzmeister diese Worte von el-Amdschad vernahm, weinte er heftig, so daß sein Bart feucht ward. El-As'ads Augen aber begannen in Tränen auszubrechen, und er hub an, diese Verse zu sprechen:

Das Schicksal schreckt nach dem Geschehen durch die Spuren;
Die Träne gilt nicht nur dem Leib und der Gestalt.
Wie trüb sind manche Nächte! Gott tilg, was wir an ihnen
Verschulden; doch sie trübte auch des Geschicks Gewalt.
Der Zeiten Ungunst hat den Ibn Zubair vernichtet;
Ihn schützte nicht die Flucht zu Kaaba und schwarzem Stein.'
O wäre doch für 'Alt' ein andrer eingetreten -
Trat doch auch Châridscha für 'Amr als Opfer ein!'

Die strömenden Tränen färbten seine Wange, und er klagte weiter mit diesem Gesange:

Die Nächte und die Tage des Lebens sind gezeichnet
Durch Trug; und List und Tücke beherrschen alle ganz.
Das Wüsten trugbild ist für sie gleich weißen Zähnen,
Des Dunkels Graun für sie gleich schwarzem Augenglanz.
Ich habe mich versündigt an dieser argen Welt
Dem Schwert gleich, das der Streiter noch in der Scheide hält.

Dann begann er von neuem in Seufzer auszubrechen und hub an, diese Verse zu sprechen:



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Der du nach der gemeinen Welt verlangest, wisse,
Sie ist das Netz des Unheils und der Trübsal Haus;
Ein Haus, das heute dich noch lachen läßt, doch morgen
Schon weinen -solchem Hause werde der Garaus!
Ohn Ende ist ihr Streit; und wer in ihr gefangen,
Wird niemals frei; denn der Gefahren sind so viel.
Wie mancher schaute stolz auf ihren Trug, ja, zeigte
Sich trotzig, schritt hinaus weit über Maß und Ziel -
Da wandte sie den Rücken des Schilds ihm zu und ließ ihn
Die Dolche kosten, stets auf Rache nur bedacht.
So wisse denn, daß ihre Streiche plötzlich treffen,
Verzieht sie noch so lange, säumt auch des Schicksals Macht!
Gib acht, auf daß dein Leben nicht verloren gehe
In ihrem eitlen Tand, ohn daß du sie bezwingst.
Schneid ab das Band der Sehnsucht, das dich an sie kettet,
Auf daß du, recht geleitet, ein göttlich Ziel erringst.

Als el-As'ad diese Verse gesprochen hatte, umarmte er seinen Bruder el-Amdschad so fest, daß es schien, als ob die beiden ein Leib wären. Schon zog der Schatzmeister sein Schwert und wollte die beiden treffen, als plötzlich sein Pferd scheute und in die Wüste davonrannte. Jenes Pferd aber hatte tausend Goldstücke gekostet, und es trug einen prächtigen Sattel, der viel Geld wert war. Darum warf der Schatzmeister das Schwert aus der Hand und eilte seinem Rosse nach. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 223. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Schatzmeister, als er mit brennender Angst im Herzen seinem Rosse nacheilte, immer weiter hinter ihm herlief, um es zu ergreifen, bis es in ein Dickicht eindrang. Da folgte er ihm in jenes Dickicht hinein; das Roß drang immer weiter vor, schlug mit den Hufen auf den Boden. so daß der Staub in die Höhe stob und sich



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empor in die Lüfte hob, es schnaubte und fauchte angsterfüllt, und es wieherte und wurde wild. Denn in jenem Dickicht hauste ein Löwe, ein furchtbares Ungeheuer; sein Anblick erschreckte, und seine Augen sprühten Feuer; grimmig sah sein Antlitz aus, und seine Gestalt erfüllte die Herzen mit Graus. Als der Schatzmeister sich umschaute und diesen Löwen erblickte, der auf ilm zukam, und als er keinen Ausweg sah, um vor ihm zu fliehen, aber auch kein Schwert bei sich hatte, da sprach er bei sich selber: ,Es gibt keine Majestät und es gibt keine Macht außer bei Allah dem Erhabenen und Allmächtigen! In dieser Not bin ich wegen der Sünde an el-Amdschad und el-As'ad geraten; diese ganze Fahrt war unselig von Anfang an.'

Inzwischen aber war für el-Amdschad und el-As'ad die Hitze so drückend geworden, und sie litten an so heftigem Durste, daß die Zunge ihnen aus dem Munde herniederhing, und sie riefen um Hilfe in ihrer Qual, aber niemand half ihnen. Da sprachen sie: ,Ach, wären wir doch getötet worden; dann hätten wir Ruhe vor dieser Pein! Jetzt wissen wir nicht, wohin das Pferd gelaufen ist, und der Schatzmeister ist hinter ihm hergeeilt und hat uns hier gefesselt liegen lassen! Wenn er doch nur käme und uns tötete! Das wäre leichter für uns als diese Qual zu erdulden.' Nun hub el-As'ad an: ,Lieber Bruder, harre aus! Sicherlich kommt uns Hilfe von Allah dem Gepriesenen und Erhabenen; denn nur weil er uns gnädig war, ist das Pferd davongelaufen, und es ist uns kein Leid widerfahren als dieser Durst.' Dann schüttelte er sich, bewegte sich nach rechts und nach links, so daß seine Fesseln sich lösten, erhob sich und löste auch die Fesseln seines Bruders. Darauf ergriff er das Schwert des Emirs und sprach zu seinem Bruder: ,Bei Allah, wir wollen nicht eher von hier fortgehen, als bis wir ilm aufgespürt und erfahren haben, was aus ihm geworden ist.' Alsbald begannen



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sie, der Spur nachzugehen; und die führte sie zudem Dickicht. Dort sprachen sie zueinander: ,Das Pferd und der Schatzmeister sind sicher noch nicht durch dies Dickicht hindurchgedrungen.' Nun sagte el-As'ad zu seinem Bruder: ,Bleib du hier stehen! Ich will in das Gebüsch hineingehen und es durchsuchen.' Doch el-Amdschad erwiderte: ,Ich laß dich nicht allein hineingehen, nein, wir wollen zusammen gehen. Leben wir, so leben wir gemeinsam; und sterben wir, so sterben wir gemeinsam.' So gingen denn beide zugleich hinein, und sie erblickten den Löwen, wie er gerade auf den Schatzmeister losgesprungen war; jener aber lag unter ihm wie ein kleiner Vogel und flehte zu Gott und streckte die Arme gen Himmel. Als el-Amdschad das sah, hob er das Schwert. stürzte sich auf den Löwen und versetzte ihm einen Hieb zwischen die Augen, der ihm den Garaus machte, und tot sank der Löwe zu Boden. Der Schatzmeister aber sprang auf; erstaunte über dies Wunder, und als er el-Amdschad und el-As'ad, die Söhne seines Herrn, dort stehen sah, warf er sich vor ihnen nieder und sprach zu ihnen: ,Bei Allah, hohe Herren, es ist mir unmöglich, mich so an euch zu versündigen, daß ich euch töte! Möge es nie einen Menschen geben, der euch das Leben nimmt, ja, ich will mein eigenes Leben für euch hingeben!' —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 224. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Schatzmeister zu el-Amdschad und el-As'ad sprach: ,Ich will mein eigenes Leben für euch hingeben!' Dann warf er sich ihnen ungestüm entgegen, umarmte sie und fragte sie, wie sie sich ihrer Fesseln entledigt hätten und hierher gekommen wären. Da erzählten sie ihm, wie sie durstig geworden waren, wie sich dann die



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Fesseln von dem einen gelöst hatten und wie der dann den anderen befreit hatte, und daß dies alles nur um ihres reinen Gewissens willen geschehen sei; dann berichteten sie, wie sie der Spur gefolgt waren, bis sie ihn gefunden hatten. Als er ihre Worte vernahm, dankte er ihnen für das, was sie getan hatten, und ging mit ihnen aus dem Dickicht hinaus. Dort draußen sprachen sie zu ihm: ,Lieber Oheim, führe nur den Befehl unseres Vaters aus!' Doch er rief: ,Allah verhüte, daß ich euch ein Leids antue! Vernehmet vielmehr, was ich tun will: ich will eure Kleider nehmen und euch in meine Gewänder kleiden; dann will ich zwei Flaschen mit dem Blute des Löwen füllen, zum König gehen und ihm sagen, ich hätte euch getötet. Ihr aber ziehet hinaus ins Land, Gottes Erde ist weit! Doch wisset, liebe Herren, daß die Trennung von euch mir schwer wird.' Dann weinten alle drei, der Schatzmeister und die beiden Jünglinge. Nun legten die beiden ihre Gewänder ab, und der Schatzmeister gab ihnen seine Kleider. Er selbst aber ging zum König, nachdem er die Gewänder genommen, sie zu zwei Bündeln zusammengebunden und von dem Blute des Löwen zwei Flaschen gefüllt hatte; erlegte die beiden Bündel vor sich auf den Rücken des Rosses, nahm dann Abschied von den beiden Prinzen und begab sich zur Stadt. So ritt er dahin, bis er zum König kam; und er trat zu ihm ein und küßte den Boden vor ihm. Der König sah, daß sein Antlitz verstört war; das kam zwar von seinem Abenteuer mit dem Löwen, aber der König dachte, es rühre von der Tötung seiner Söhne her, und so war er erfreut. Er fragte nun: ,Hast du das Werk vollbracht?' ,Ja, Herr!' erwiderte der Schatzmeister und reichte ihm die beiden Bündel mit den Kleidern und die beiden mit Blut gefüllten Flaschen. Weiter fragte der König: ,Wie ist es dir mit ihnen ergangen? Und haben sie dir etwa einen letzten Auftrag



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gegebene' Der Schatzmeister gab zur Antwort: ,Ich fand sie geduldig und in ihr Schicksal ergeben. Und sie sprachen zu mir: ,Unser Vater ist unschuldig; bring ihm unseren Gruß und sprich zu ihm: ,Dich trifft keine Schuld an unserem Tode und an unserem Blute', und wir geben dir den Auftrag, diese beiden Verse vor ihm zu wiederholen:

Die Weiber sind Teufel, zu unserm Verderben erschaffen;
Ich fluchte zu Gott vor diesen teuflischen Schlingen.
Sie sind der Quell der Leiden, die unter den Menschen
Erscheinen, in Sachen der Welt und in Glaubensdingen.'

Als der König diese Worte aus dem Munde des Schatzmeisters gehört hatte, senkte er sein Haupt lange Zeit zu Boden, und er erkannte an der Bedeutung dieser Worte seiner Söhne, daß sie zu Unrecht getötet waren; dann dachte er nach über die Arglist der Frauen und über das Unheil, das von ihnen kommt. Schließlich nahm er die beiden Bündel und öffnete sie; und unter Tränen wandte er die Kleider seiner Söhne um. — —« Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 225. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der König Kamar ez-Zamân, als er die beiden Bündel geöffnet und die Kleider seiner Söhne unter Tränen umgewandt hatte, und als er dann das Gewand seines Sohnes el-As'ad auseinanderfaltete, in dessen Tasche einen Brief fand, der von der Hand seiner Gemahlin Budûr geschrieben und mit Bändern aus ihrem Haare umwunden war. Er öffnete den Brief und las ihn, und als er den Inhalt verstanden hatte, da wußte er, daß seinem Sohne el-As'ad ein Unrecht geschehen war. Dann durchsuchte er auch das Kleiderbündel el-Amdschads und fand in seiner Tasche einen Brief, der von der Hand seiner Gemahlin Hajât en-Nufûs



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geschrieben und auch mit Bändern aus ihrem Haare umwunden war. Er öffnete den Brief und las ihn, und als er den Inhalt verstanden hatte, wußte er, daß auch diesem Sohne ein Unrecht geschehen war. Da schlug er die Hände zusammen und rief: ,Es gibt keine Majestät und es gibt keine Macht außer bei Allah dem Erhabenen und Allmächtigen! Ich habe also meine Söhne zu Unrecht getötet!' Dann schlug er sich selbst vor das Antlitz und rief: ,Weh um die Söhne, weh! Welch lange Trauer, die ich vor mir seh!' Und er befahl, zwei Gräber in einem Hause zu errichten, das nannte er das ,Haus der Trauer', und auf die Gräber ließ er die Namen seiner beiden Söhne einmeißeln. Nun warf er sich auf das Grübel-Amdschads, und er weinte und stöhnte und klagte und sprach diese Verse:

O Mond, du bist jetzt in den Staub gesunken,
Die hellen Sterne weinen um dich nun!
O Reis, seit du zerbrachest, wird kein Auge
Auf deines Schaft es zartem Spiele ruhn.
Aus Eifersucht raubt ich dich meinem Auge,
Bis in der andren Welt es dich erblickt.
Schlaflos ertrinke ich in seinen Tränen,
Und in den Höllenpfuhl bin ich entrückt.

Dann warf er sich auf das Grab el-As'ads, und er weinte und stöhnte und klagte, bis er in einen Tränenstrom ausbrach und diese Verse sprach:

Ach, gern wollt ich das Unheil mit dir teilen;
Doch anders wollte Gott, als ich gedacht!
Schwarz machte ich die Welt vor meinem Blicke;
Des Auges Schwärze hab ich weiß gemacht.
Die Tränen, die ich wein', versiegen nimmer;
Mein wundes Herze ist an Schwären reich.
Wie schwer ist es für mich, dich dort zu wissen,
Wo Knecht und Edelmann einander gleich!



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Dann weinte und klagte der König immer lauter; doch schließlich hörte er auf, seinen Schmerz unter Tränen in Verse zu kleiden, und schloß sich, fern von seinen Freunden und Gefährten, in dem Hause der Trauer ein. Dort saß er nun und beweinte seine Söhne, indem er sich von seinen Frauen und all seinen Genossen fernhielt.

Also stand es um den König. El-Amdschad und el-As'ad aber waren unterdessen in der Wüste immer weitergezogen. Sie aßen von den Kräutern der Erde und tranken aus den Regenlachen, einen ganzen Monat lang, bis ihr Weg sie zu einem Gebirge von schwarzem Feuersteine führte, dessen Ende nicht abzusehen war. Bei jenem Gebirge gabelte sich der Weg; ein Zweig zog sich auf mittlerer Höhe durch das Gebirge hin, der andere stieg zum Gipfel empor. Sie schlugen den Weg ein, der zur Höhe hinauf lief, und zogen fünf Tage lang auf ihm dahin, aber da sahen sie noch kein Ende. Nun überwältigte sie die Müdigkeit; denn sie waren nicht daran gewöhnt, auf Berge zu klimmen noch überhaupt zu Fuße zu wandern. Und da sie auch die Hoffnung, das Ziel zu erreichen, aufgaben, kehrten sie um und schlugen den anderen Weg ein, der sich auf mittlerer Höhe durch das Gebirge hinzog. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 226. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß el-Amdschad und el-As'ad, die Söhne des Königs Kamar ez-Zamân, als sie auf dem Wege zum Gipfel umgekehrt waren und den Weg auf mittlerer Höhe eingeschlagen hatten, den ganzen Tag hindurch auf ihm weitergingen, bis es Abend ward. Da sprach el-As'ad, der von dem langen Wandern müde geworden war, zu seinem Bruder: ,Lieber Bruder, ich kann jetzt nicht mehr weitergehen;



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denn ich bin zu schwach.' Doch el-Amdschad erwiderte: ,Lieber Bruder, nimm deine ganze Kraft zusammen! Allah wird die Not von uns wenden.' Dann gingen die beiden noch eine Weile in der Dunkelheit weiter, bis die Finsternis sie ganz umhüllte; da ermüdete el-As'ad gar sehr, und seine Erschöpfung kannte keine Grenzen mehr, und während er rief: ,Lieber Bruder. ich bin todmüde vom Gehen', warf er sich auf den Boden und weinte. Nun hob sein Bruder el-Amdschad ihn auf und trug ihn weiter; bald ging er mit seiner Last dahin, bald setzte er sich und ruhte aus, bis daß der Morgen dämmerte. Da trug er ihn auf eine Bergeshöhe, und dort fanden sie eine Quelle fließenden Wassers und daneben einen Granatapfelbaum und eine Gebetsnische. Sie trauten kaum ihren Augen, als sie das sahen; doch alsbald ließen sie sich bei jener Quelle nieder, tranken von ihrem Wasser, aßen von den Früchten des Granatapfelbaumes und ruhten dort, bis die Sonne aufging. Dann richteten sie sich auf, wuschen sich im Quellwasser, aßen wieder von den Granatäpfeln, die auf dem Baume hingen, und ruhten bis zur Zeit des Nachmittagsgebetes. Nun gedachten sie weiterzuwandern; aber el-As'ad konnte nicht mehr gehen, da seine Füße geschwollen waren. So blieben sie dort drei Tage lang, bis sie sich ausgeruht hatten, und dann zogen sie im Gebirge weiter, Tag und Nacht; wie sie aber so über die Berge wanderten, von Müdigkeit und Durst völlig erschöpft, winkte ihnen plötzlich in der Ferne eine Stadt. Hocherfreut zogen sie auf sie zu. und wie sie in ihrer Nähe waren, dankten sie Allah dem Erhabenen, und el-Amdschad sprach zu el-As'ad: ,Lieber Bruder, bleib du hier sitzen; ich will zu dieser Stadt hingehen und nachsehen, was es für eine Stadt ist, wem sie gehört, und wo in Gottes weiter Welt wir uns befinden. Dann werden wir auch erfahren, durch was für ein Land wir gezogen sind,



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als wir das Gebirge da durchquerten; wären wir an seinem Fuße entlang gewandert, so hätten wir diese Stadt in einem ganzen Jahre nicht erreicht. Allah sei gepriesen, daß wir nun gerettet sind!' Aber el-As'ad erwiderte: ,Bei Allah, Bruder, ich will in diese Stadt hinuntergehen, kein andrer soll es tun; denn ich stehe mit meinem Leben für dich ein. Wenn du mich jetzt allein lässest und hinab gehst und mir fern bist, so mache ich mir tausend Gedanken um dich, die Sorgen um dich werden mich schier ertränken, und ich werde die Trennung von dir nicht ertragen können.' ,So geh und bleib nicht lange fort!' sprach el-Amdschad. Nun ging el-As'ad zum Fuße des Berges hinab, nachdem er einige Goldstücke mitgenommen hatte, und sein Bruder blieb allein zurück, um auf ihn zu warten. Er ging rasch den Berg hinunter, bis er in die Stadt kam; dort ging er durch die Straßen und traf auf seinem Wege einen alten hochbetagten Mann mit einem langen Barte, der ihm auf die Brust herabwallte und sich dort in zwei Spitzen teilte; in seiner Hand trug der Mann einen Stab, auf seinem Leibe kostbare Gewänder und auf seinem Haupte einen großen roten Turban. Als el-As'ad ilm erblickte, verwunderte er sich über seine Kleidung und sein Aussehen, trat auf ihn zu, grüßte ihn und sprach: ,Wo ist der Weg zum Markt, hoher Herre' Wie der Alte die Frage des Jünglings vernahm, lächelte er ihm freundlich zu und sprach: ,Mein Sohn, mich deucht, du bist ein Fremdling.' El-As'ad gab zur Antwort: ,Jawohl, ich bin ein Fremdling.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 227. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Alte, dem el-As'ad begegnete, ihm freundlich zulächelte und sprach: ,Mein Sohn, mich deucht, du bist ein Fremdling', und daß el-As'ad



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zur Antwort gab: ,Jawohl, ich bin ein Fremdling.' Dann fuhr der Alte fort: .Du hast unser Land durch dein Kommen beglückt, mein Sohn, und du hast das Land deines Volkes durch dein Fernsein untröstlich gemacht. Was willst du auf dem Markte tun?' .Lieber Oheim.' erwiderte el-As'ad, ,ich habe einen Bruder, den ich im Gebirge zurücklassen mußte. Wir kommen aus einem fernen Lande. und wir sind schon drei Monate lang auf der Reise. Als wir diese Stadt hier erblickten, da habe ich ihn, meinen älteren Bruder, auf dem Berghang verlassen, und ich bin hierher gekommen, um etwas zu essen zu kaufen: damit will ich zu meinem Bruder zurückgehen, und dann wollen wir uns davon nähren.' Da sagte der Alte: ,Mein Sohn, freue dich frohester Kj. inde! Wisse, ich gebe heute ein Fest, und ich habe viele Gäste bei mir; dazu habe ich die besten und schönsten Speisen bereitet, die sich das Herz nur wünschen kann. Willst du nun mit mir zu meinem Hause gehen, damit ich dir dort geben kann, was du wünschest? Ich will keinen Preis, kein Entgelt von dir nehmen; aber ich will dir über diese Stadt Auskunft geben. Allah sei gepriesen, daß ich gerade dir begegnet bin und daß du niemand anders getroffen hast!' ,Handle nach deiner Güte,' antwortete el-As'ad, ,doch tu es bald! Denn mein Bruder wartet auf mich, und er denkt nur an mich.' Darauf ergriff der Alte die Hand el-As'ads und führte ihn durch eine enge Gasse, indem er ihm zulächelte und sprach: ,Preis sei Ihm, der dich vor dem Volke dieser Stadt behütet hat!' Und so führte er ilm dahin, bis er in ein geräumiges Haus eintrat; darin befand sich eine Halle, in deren Mitte vierzig hochbetagte alte Männer saßen, im Kreise um ein brennendes Feuer aufgereiht; rings um das Feuer in ihrer Mitte saßen sie auf den Knien, beteten es an und warfen sich vor ihm nieder. Wie el-As'ad das sah, erschrak er über sie, und seinen



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Leib überlief ein Schauern; doch er wußte nicht, was es mit ihnen auf sich hatte. Nun rief der Alte jenen Leuten zu: ,Ihr Priester des Feuers, welch ein gesegneter Tag ist dies!' Dann rief er weiter: ,Du da, Ghadbân!' Da kam ein schwarzer Sklave herbei, von mächtiger Gestalt und furchtbarem Aussehen; sein Antlitz war voll Graus, und seine Nase sah wie flachgedrückt aus. Diesem Neger gab er ein Zeichen, und flugs bog der die Arme el-As'ads auf den Rücken und fesselte sie. Darauf befahl der Alte ihm: ,Führe ihn in das Verlies unter der Erde, laß ihn dort liegen und sage der Sklavin Soundso, sie solle ihre Arbeit tun und ihn Tag und Nacht foltern.' Da packte der Neger ihn, führte ihn in jenes Verlies und übergab ihn der Sklavin. Die übernahm ihre Folterarbeit, bei der sie ihm einen Laib Brot am Morgen und einen Laib am Abend, ferner einen Krug mit salzigem Wasser in der Frühe und einen anderen zur Nachtzeit zu geben hatte. Nun sprachen die Priester zueinander: ,Wenn die Zeit des Feuerfestes kommt, dann wollen wir ihn auf dem Berge dem Feuer als Opfer darbringen.' Die Sklavin aber ging zu ihm hinab und versetzte ihm schmerzhafte Schläge, bis das Blut ihm an den Seiten herablief und er in Ohnmacht sank; dann legte sie einen Laib Brot und stellte einen Krug mit salzigem Wasser zu seinen Häupten, ging davon und ließ ihn allein. Um Mitternacht erwachte el-As'ad, und wie er merkte, daß er gefesselt und voll Striemen war, und wie die Schläge ihn schmerzten, da weinte er bitterlich. Nun dachte er an sein früheres Ansehen und Glück und an seine Herrschaft und Macht zurück, und auch daran, daß er jetzt von seinem Vater und seiner Heimat getrennt war. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 228. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir



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berichtet worden, o glücklicher König, daß el-As'ad merkte, wie er gebunden und voll Striemen war, und daß die Schläge ihn schmerzten: da dachte er an sein früheres Ansehen und Glück und an seine Herrschaft und Macht zurück, und er weinte und begann in Seufzer auszubrechen, und er hub an, diese Verse zu sprechen:

Verweilt bei den Trümmern des Hauses und fragt nach unsrem Geschicke;
Glaubt nicht, wir wohnten noch wie ehedem im Land!
Die Zeit, die alle trennt, hat jetzt auch uns geschieden,
Obgleich unsrer Neider Herz noch kein Genüge fand.
Mich foltert mit der Geißel eine verruchte Sklavin;
Mit Feindschaft wider mich erfüllte sich ihr Sinn.
Vielleicht vereinet Gott uns doch noch einmal wieder
Und treibt durch seine Strafe die Feinde vor uns hin.

Als el-As'ad diese Verse gesprochen hatte, streckte er die Hand nach seinen Häupten aus, und da fand er ein Brot und einen Krug mit salzigem Wasser; er aß ein wenig davon, nur so viel, um sein Leben zu fristen, und desgleichen trank er etwas von dem Wasser. Doch bis zum Morgen konnte er nicht wieder einschlafen wegen der vielen Wanzen und Läuse. Als aber der Morgen dämmerte, kam die Sklavin wieder zu ihm herunter, um seine Kleider zu wechseln; denn seine Gewänder waren mit Blut getränkt und klebten ihm am Leibe fest, so daß jetzt die Haut mit dem Hemde abriß. Da schrie er auf und wehklagte und sprach: ,Mein Gott, wenn dies dein Wille ist, so laß mir noch mehr widerfahren! Herr, du übersiehest meinen Unterdrücker nicht; so nimm Rache für mich an ihm!' Dann begann er in Seufzer auszubrechen, und er hub an, diese Verse zu sprechen:

Geduld gebührt deinem Spruche, o Gott, im Lenken der Welt;
Ich füge mich still darein, wenn es dir so gefällt.
Geduld gebühret dem, was du bestimmest, o Herr;



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Geduld, auch wenn ich in Feuer von Dornen geworfen wär.
Sie übten Gewalt und Feindschaft an mir und grausamen Hohn;
Vielleicht gewährest du dereinst mir guten Lohn.
Laß nie, o Herr, den Frevler fern deinem Auge sein!
Denn du, o Herr des Schicksals, nur du trittst für mich ein.

Und dann sprach er die Worte eines anderen Dichters:

Mit deinen Sorgen quäl dich nie;
Vertrau dem Schicksal alle Müh!
Manch Ding schaut sich betrüblich an;
Doch später hast du Freude dran.
Oft wird zur Weite, was bedrängt;
Oft wird die Weite eingeengt.
Denn Allah tut, was er nur will:
Und seinem Willen füg dich still.
Freu dich am Guten, das du hast:
Vergiß dadurch vergangne Last!

Als er diese Verse gesprochen hatte, fiel die Sklavin wieder mit Schlägen über ihn her, bis er in Ohnmacht sank. Sie warf ihm noch einen Laib Brot zu, stellte einen Krug mit salzigem Wasser hin und ging fort von ihm. So ließ sie ihn dort liegen, wie er war, mutterseelenallein, tiefbetrübt, indem ihm das Blut an den Seiten herab rann, mit eisernen Banden gefesselt und fern von den Lieben. Nun weinte er und dachte an seinen Bruder und an seine frühere Herrlichkeit. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 229. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß el-As'ad an seinen Bruder und an seine frühere Herrlichkeit dachte. Und er wimmerte und jammerte, und er zagte und klagte; dann begann er in heiße Tränen auszubrechen und hub an, diese Verse zu sprechen:

O Geschick, halt ein! Wie lange hast du grausam mich gequält,
Und die Brüder mir geraubet, Tag' und Nächte ungezählt!



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Ist's nicht Zeit, daß du gerührt wirst durch mein langes Fernesein
Und daß du dich milde zeigest? Ach, dein Herz ist wie von Stein!
Böses tatst du meinen Freunden, als du helle Schadenfreud
Allen meinen Feinden schenktest ob dem angetanen Leid.
Ja, des Feindes Herz frohlockte, als er alles dieses sah:
Denn voll heißer Sehnsucht saß ich einsam in der Fremde da.
All das Elend, das mir widerfahren, war noch nicht genug,
Diese Trennung von den Freunden, die den Blick mit Trübheit schlug;
Und so bin ich denn gepeinigt durch den engen Kerker hier:
Ach, mich tröstet kein Gefährte, nur Verzweiflung bleibet mir,
Und ein Tränenstrom, der wie ein Regen aus den Wolken rinnt,
Und ein Heimweh, dessen heiße Flammen unauslöschlich sind,
Und ein Schmerz und eine Sehnsucht, Denken an vergangne Lust,
Und ein Seufzen und ein Stöhnen aus der schmerzdurchwogten Brust.
Qual des Sehnens muß ich kosten, Trauer hält mich immer fest,
Und ich bin in Leid versunken, das mich nimmer ruhen läßt.
Ach, ich finde keinen trauten Freund, der mir Erbarmen zeigt,
Der zum Kranken kommt und freundlich sich in Trauer zu ihm neigt.
Lebet denn noch ein Gefährte, der in Liebe sich mir eint,
Der um die durchwachten Nächte und die Leiden mit mir weint?
Klagen möcht ich ihm den Kummer, der in meinem Herzen brennt,
Wenn mein Auge immer wach ist und den Schlummer nicht mehr kennt.
Ach, so lange wird die Nacht mir, wenn die Folter nimmer ruht,
Und im Feuer meiner Sorgen brenn ich, in der Flammenglut.
Und die Wanzen und die Flöhe trinken von dem Blute mein
Gleichwie aus der Hand des jungen, zarten Schenken roten Wein.
Und der Leib, der durch die Bisse löst' gen Ungeziefers schwand,
Gleichet. ach, dem Geld der Waise in des bösen Richters Hand.
Und so wohne ich in einem Grabe, das drei Ellen mißt;
Ach, in Fesseln und im Blute wälz ich mich zu jeder Frist.
Meine Tränen sind mein Wein, und Ketten klirren ist mein Sang,
Meine Zukost ist mein Denken und mein Bett die Sorge bang.

Als er all diese Worte zu Ende gesprochen hatte, seufzte und klagte er von neuem, und er dachte daran, wie er früher gelebt hatte, und daran, daß er von seinem Bruder getrennt war.



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Also stand es um ihn. Sein Bruder eI-Amdschad aber wartete auf el-As'ad bis zum Mittag; da jener dann noch nicht zurückkehrte, begann dem Wartenden das Herz zu schlagen, der Schmerz um die Trennung bedrückte ihn schwer, und seinen Augen entströmte ein Tränenmeer. —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 230. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß el-Amdschad auf seinen Bruder el-As'ad bis zum Mittag wartete; da jener dann noch nicht zurückkehrte, begann dem Wartenden das Herz zu schlagen, der Schmerz um die Trennung bedrückte ihn schwer, und seinen Augen entströmte ein Tränenmeer. Und weinend rief er: ,Weh, mein liebes Brüderlein! Weh, der Gefährte mein! Weh meine Sorgenpein! Wie sehr hatte ich gefürchtet, daß wir getrennt werden könnten!' Dann ging er den Berghang hinab, während seine Tränen ihm über die Wangen rannen, und trat in die Stadt ein; in ihr ging er weiter, bis er zum Markte kam. Dort fragte er die Leute nach dem Namen der Stadt und nach ihren Bewohnern. Man gab ihm zur Antwort: ,Sie heißt die Stadt der Magier, und ihre Bewohner beten zum Feuer anstatt zum allmächtigen König.' Dann fragte er weiter nach der Ebenholzstadt, und man antwortete ihm: ,Von hier bis dort ist es zu Lande eine Reise von einem Jahre, zur See aber eine Fahrt von sechs Monaten; ihr König hieß früher Armanûs, doch er hat sich jetzt einen Sultan zum Schwiegersohn genommen und ihn an seiner Statt den Thron besteigen lassen. Dieser König nun heißt Kamar ez-Zamân; der ist ein Mann der Güte und Gerechtigkeit, der Treue und Freigebigkeit.' Wie el-Amdschad von seinem Vater sprechen hörte, begann er zu weinen und zu seufzen und zu klagen, und er wußte nicht, wohin



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er sich wenden sollte. Doch dann kaufte er sich ein wenig Zehrung und begab sich an eine entlegene Stätte; dort setzte er sich nieder und wollte essen, aber er mußte wieder an seinen Bruder denken, und so begann er zu weinen, und er aß widerstrebend nur einen Bissen, um sein Leben zu fristen. Dann stand er wieder auf und ging in der Stadt umher, um Kunde von seinem Bruder zu erhalten. Da fand er einen muslimischen Mann, einen Schneider, der in seinem Laden saß; beidem setzte er sich nieder und erzählte ihm seine Geschichte. Darauf sagte der Schneider: ,Wenn er in die Hände eines der Magier gefallen ist, so wird es dir schwer werden, ihn wiederzusehen; aber vielleicht wird Allah euch doch noch vereinigen.' Dann fügte er hinzu: ,Willst du bei mir wohnen, mein Bruder?' Als el-Amdschad einwilligte, freute der Schneider sich darüber. Nun blieb der Prinz eine Reihe von Tagen bei ihm, während dieser ihn tröstete, ihm Mut zusprach und ihn im Schneiderhandwerk unterrichtete, bis er es gelernt hatte. Eines Tages aber ging er hinaus an die Meeresküste und wusch seine Kleider; dann ging er ins Badehaus und legte reine Gewänder an. Als er von dort wieder herauskam und sich dann die Stadt ansah, begegnete ihm auf seinem Wege eine Frau von großer Schönheit und Zierlichkeit; ihr Wuchs war von zarter Ebenmäßigkeit, sie war ein Bild der Lieblichkeit und die größte Schönheit ihrer Zeit. Als sie ihn erblickte, hob sie ihren Schleier von ihrem Antlitz, winkte ihm mit den Brauen und den Augen zu und lockte ihn mit ihren Blicken, indem sie diese Verse sprach:

Ich sah dich kommen, und da senkt ich meine Blicke;
Es schien, als wärst du Schlanker einer Sonne Strahl.
Denn ach, du bist der schönste Mann, der je erschienen,
Und schöner noch als gestern bist du heut zumal.
Wenn man die Schönheit teilte, käme wohl ein Fünftel



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Auf Joseph, oder nur ein Teil vom fünften Teil:
Und alles andre wär dann ganz allein dein eigen.
Ach, jede Seele gäb für dich ihr Seelenheil!'

Als el-Amdschad diese Worte aus ihrem Munde vernahm. wandten sich seine Gedanken zu ihr, und sein Herz sehnte sich nach ihr. Da spielte mit ihm der Liebe Gewalt, und indem er ihr ein Zeichen zuwinkte, sprach er diese Verse:

Über den Rosen der Wangen stehen die Dornen der Lanzen.
Wer ist es wohl, der sich getraute, sie zu pflücken?
Nein, strecke nicht die Hände nach ihnen aus; denn lange
Sind sie zum Kampf bereit, wenn wir den Blick erst zücken.
Sag ihr, die Gewalt antat und zur Verführung wurde, Ja, übt sie Gerechtigkeit, verführt sie nur noch mehr
Ist dein Gesicht verschleiert, so lockt es noch mehr in die Irre;
Für eine Schönheit wie deine ist Glanz die beste Wehr.
Sie gleicht der Sonne; du kannst ihr nicht ins Antlitz schauen;
Nur wenn sie von leichtem Nebel bedeckt ist, kannst du es sehn.
Die Zarte wurde treu behütet vor jeder Kränkung;
So fraget die Hüter des Stammes: Was soll mit mir geschehn?
Wenn man mich töten will, so werde ihre Absicht.
Die böse, nicht zur Tat! Man lasse uns doch allein!
Denn, stürmen sie wider mich an, sie bringen kein größeres Unheil
Als jene schöne Maid, stürmt sie mit dem Blick auf mich ein.

Wie sie diese Verse aus dem Munde el-Amdschads gehört hatte, begann sie in Seufzer auszubrechen, und indem sie ihm wieder zunickte, hub sie an, diese Verse zu sprechen:

Du hast, nicht ich, den Weg der Züchtigkeit betreten;
Gewähre deine Gunst; denn nahe ist die Zeit.
Der du den Morgen bringst durch deiner Stirne Leuchten,
Der du die Nacht hinbreitest durch deiner Locken Kleid!
Durch göttliche Gestalt zwingst du mich zur Verehrung,
Ja, du verlocktest mich, längst hast du mich verführt.



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Kein Wunder, wenn mein Herz im Liebesfeuer brennet;
Denn Feuer ist's, was dem, der Göttern dient, gebührt.
Du kaufest eine wie mich umsonst und ohne Preis;
Doch mußt du mich dann wieder verkaufen, so nimm den Preis.

Als el-Amdschad solche Worte von ihr hörte, fragte er sie: Willst du zu mir kommen, oder soll ich zu dir komment' Da senkte sie beschämt ihr Haupt nieder und sprach die Worte des Hocherhabenen: ,Die Männer haben den Vorrang vor den Frauen um dessen willen, was Allah den einen vor den anderen vorausgegeben hat."Diesen ihren Wink verstand el-Amdschad. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 231. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß el-Amdschad den Wink der Frau verstand und nun wußte, daß sie mit ihm dorthin gehen wollte, wohin er ging. Er fühlte sich verpflichtet, die Dame an einen geziemenden Ort zu führen; aber da er sich schämte, mit ihr zum Hause des Schneiders, der sein Meister war, zu gehen, so schritt er ihr zunächst ziellos voran. Sie ging hinter ihm her, und so wanderten die beiden immer weiter, von Gasse zu Gasse und von Platz zu Platz, bis sie müde ward und ihn fragte: ,Mein Gebieter, wo ist dein Haust' Er gab zur Antwort: ,Vor uns; wir haben nur noch ein wenig bis dorthin zu gehen!' Dann bog er mit ihr in eine schöne Straße ein, und sie gingen in ihr weiter, er voran und sie hinter ihm, bis er zum Ende kam und nun bemerkte, daß es eine Sackgasse war. Da sprach er: ,Es gibt keine Majestät und es gibt keine Macht außer bei Allah dem Erhabenen und Allmächtigen!' Als er sich aber umblickte, sah er am Abschluß der Straße ein hohes Tor mit zwei steinernen Bänken; doch das Tor war verschlossen. Da



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setzte el-Amdschad sich auf die eine Bank und sie auf die andere; und als sie ihn fragte: ,Mein Gebieter, worauf wartest du?' senkte er sein Haupt eine Weile zu Boden. Dann hob er es wieder und sprach: ,Ich erwarte meinen Mamluken; der hat den Schlüssel. Ich hatte ihm befohlen, er solle uns Speise und Trank und was zum Weine gehört herrichten, bis ich aus dem Bade zurückkäme.' Aber bei sich selber sprach er: ,Vielleicht wird ihr die Zeit zu lang werden; dann wird sie ihrer Wege gehen und mich hier allein lassen, und ich werde auch meiner Wege gehen.' Als ihr nun wirklich die Zeit zu lang ward, sprach sie zu ihm: ,Mein Gebieter, der Mamluk läßt uns aber lange warten, und wir müssen hier auf der Straße sitzen !'Dann ging sie mit einem Steine zu dem Riegel des Tores. Doch el-Arndschad rief: ,Sei nicht voreilig! Warte, bis der Mamluk kommt!' Aber sie hörte nicht auf ihn, sondern schlug mit dem Steine auf den Riegel, so daß er in zwei Teile zersprang und das Tor sich auftat. Und als el-Amdschad sprach: ,Was hat dich angefochten, daß du dies tun konntest?' antwortete sie ihm: ,O laß nur, mein Gebieter! Was tut's? Ist dies nicht dein Haus und deine Wohnung?' Er aber erwiderte: ,Jawohl; doch es ist nicht nötig, den Riegel zu zerbrechen?' Dann trat die Dame in das Haus ein, während el-Amdschad aus Furcht vor den Besitzern des Hauses ratlos stehen blieb und nicht wußte, was er tun sollte. Da sprach die Dame zu ihm: ,Weshalb trittst du nicht ein, du mein Augenlicht und mein Herzblut?' Er antwortete: ,Ich höre und gehorche; aber der Mamluk läßt mich doch lange warten, und ich weiß nicht, ob er etwas von dem, was ich ihm geboten und befohlen habe, getan hat oder nicht.' Darauf trat er mit ihr ein, voll Todesangst vor den Besitzern des Hauses. Und drinnen in dem Hause fand er eine schöne Halle mit vier Estraden, die einander gegenüberlagen; auf ihnen



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befanden sich Nischen und erhöhte Sitze, und alles war mit Teppichen aus Seide und Brokat bedeckt. Inmitten der Halle war ein kostbarer Springbrunnen, und an seinem Rande standen gedeckte Tische, in die Edelsteine und Juwelen eingelegt waren; die waren mit Früchten und Blumen beladen, und daneben standen die Trinkgeräte. Dort stand auch ein Leuchter mit einer großen Kerze darin; und der ganze Raum war angefüllt mit kostbaren Stoffen, Truhen und Schemel standen dort, und auf jedem Schemel lag ein Kleiderbündel und darüber ein Beutel voll Goldstücke und Silberstücke. Der Fußboden war mit Marmor getäfelt, und das ganze Haus zeugte von dem Wohlstande seines Besitzers.

Wie el-Amdschad all das sah, war er ganz ratlos; und er sprach bei sich selber: ,Jetzt bin ich verloren! Wahrlich, wir sind Allahs Geschöpfe, und zu ihm kehren wir zurück.' Aber als die Dame jene Stätte betrachtete, freute sie sich gar sehr, ja, ihre Freude kannte keine Grenzen mehr; und sie rief: ,Bei Allah, mein Gebieter, dein Mamluk hat nichts versäumt; er hat die Halle gefegt, die Speisen gekocht und die Früchte aufgetragen. Ich bin doch gerade zur schönsten Zeit gekommen!' Aber el-Amdschad achtete ihrer nicht, da sein Herz von Furcht vor den Besitzern des Hauses erfüllt war; und so sprach sie zu ihm: ,Nicht doch, mein Gebieter, mein liebes Herz! Was stehst du so dat' Dann seufzte sie tief und gab el-Amdschad einen Kuß, der so schallte, wie wenn eine Walnuß aufgeknackt wird, und sie fuhr fort: ,Mein Gebieter, wenn du mit einer anderen dich verabredet hast, so will ich mich gürten und ihr aufwarten.' Aus einem Herzen voll Grimm lachte el-Amdschad laut auf, trat herzu und setzte sich nieder; dabei atmete seine Brust schwer, und er dachte in seinem Inneren: ,Ein schmählicher Tod fur mich, wenn der Besitzer des Hauses kommt!' Die



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Dame aber setzte sich an seine Seite und scherzte und lachte, während el-Amdschad voller Sorgen mit finsterer Miene dasaß und sich tausend Gedanken machte und bei sich selber sprach: ,Bald muß der kommen, dem dieser Saal gehört. Was soll ich dann zu ihm sagen? Er wird mich totschlagen, das ist ganz sicher, und dann ist es aus mit mir.' Nun erhob sich die Dame. streifte die Ärmel auf, holte einen Untersatz, auf den sie dann die Tischplatte legte, und begann zu essen; und sie sprach zu el-Amdschad: ,Iß, mein Gebieter!' Da machte auch el-Amdschad sich daran, zu essen; aber die Speise mundete ihm nicht, vielmehr mußte er immer nach der Tür hinschauen. Schließlich, als die Dame sich satt gegessen hatte, trug sie den Tisch ab, setzte die Platte mit den Früchten darauf und begann von der Feinkost zu naschen. Dann brachte sie den Wein herbei, öffnete den Krug, füllte einen Becher und reichte ihn el-Amdschad; der nahm ihn aus ihrer Hand hin, aber er dachte bei sich: ,Wehe, wehe, der Hausherr! Wenn der kommt und mich sieht!' Seine Augen waren auf die Vorhalle gerichtet, während er den Becher in der Hand hielt. Und wirklich, wie er gerade so dasaß, kam plötzlich der Herr des Hauses. Das war ein früherer weißer Sklave, einer von den vornehmsten Leuten der Stadt; denn er war Stallmeister beim König. Der hatte sich jene Halle zu seinem Vergnügen eingerichtet, um sich in ihr zu erholen und sich dorthin zurückzuziehen, mit wem er wollte. An diesem Tage nun hatte er einen Liebling eingeladen und die Stätte für ihn herrichten lassen. Jener Mann hieß Bahâdur; er hatte eine offene Hand, übte Milde und Freigebigkeit und war stets zu Almosen und Spenden bereit. Als er nun näher kam - —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 223.



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Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Bahâdur, der Besitzer der Halle. der Stallmeister. als er dem Tore näher kam und es offen sah, ganz langsam weiterging und seinen Kopf vorstreckte. Da erblickte er el-Amdschad und die Dame und vor ihnen die Platte mit den Früchten und den Weinkrug. Gerade in diesem Augenblicke hielt el-Amdschad den Becher in der Hand, während sein Auge auf die Tür gerichtet war. Wie nun sein Blick dem des Hausherrn begegnete, da erblich er, und sein Leib erbebte. Doch als Bahâdur ihn bleich und in Verwirrung sah, gab er ihm ein Zeichen, indem er den Finger auf den Mund legte, als wollte er sagen: ,Schweig und komm zu mir her!' Da stellte el-Amdschad den Becher aus der Hand und stand auf, um zu ihm zu gehen; und als die Dame fragte: ,Wohin?' schüttelte er den Kopf und gab ihr durch ein Zeichen zu verstehen, daß er Wasser lassen wolle. Dann ging er barfuß in die Vorhalle hinaus, und als er Bahâdur sah, erkannte er in ihm den Herrn des Hauses, eilte auf ihn zu, küßte ihm beide Hände und sprach zu ihm: ,Ich beschwöre dich bei Allah, hoher Herr, ehe du mir ein Leid antust, höre, was ich dir zu sagen habe.' Und nun berichtete er ihm seine ganze Geschichte von Anfang bis zu Ende; er erzählte ihm, wie er sein Land und seine königliche Stellung hatte verlassen müssen, wie er nicht aus freien Stücken den Saal betreten hatte, und daß vielmehr die Dame es gewesen war, die den Riegel zerbrochen, die Tür geöffnet und all dies Unheil angerichtet hatte. Als Bahâdur die Worte el-Amdschads angehört und sein Geschick erfahren hatte und nunmehr wußte, daß er ein Königssohn war, hatte er Mitleid und Erbarmen mit ihm. Dann sprach er zu ihm: ,Höre auf mein Wort, Amdschad, und gehorche mir! So will ich dir dafür bürgen, daß du vor dem, was du befürchtest, sicher bewahrt



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bleibst. Wenn du mir aber zu wider handelst, so töte ich dich.' El-Amdschad gab zur Antwort: ,Befiehl mir, was du willst; ich werde dir nie zuwiderhandeln, da ich ein Freigelassener deiner Großmut bin.' Nun fuhr Bahâdur fort: ,Geh alsbald in das Haus zurück, setze dich an den Platz, an dem du warest, und sei guter Dinge. Dann will ich zu dir hineintreten —ich heiße Bahâdur -. und wenn ich zu dir komme, so schilt mich und fahr mich an und sprich: ,Warum bist du so lange ausgeblieben?' Nimm keine Entschuldigung von mir an, sondern schlag mich; wenn du aber Nachsicht mit mir übst, so nehme ich dir das Leben. Jetzt geh hinein und sei lustig! Und was du nur immer zu dieser Zeit von mir verlangst, das wirst du sogleich bereit vor dir finden. Verlebe diese Nacht ganz, wie du willst; morgen früh aber geh deiner Wege! Solches tu ich, um dich zu ehren, da du ein Fremdling bist; denn ich liebe die Fremdlinge und erachte es für meine Pflicht, sie zu ehren.' Da küßte el-Amdschad ihm die Hand und kehrte in den Saal zurück, nachdem sein Antlitz wieder die natürliche Röte und Weiße angenommen hatte. Sobald er eingetreten war, rief er der Dame zu: ,Gebieterin. du hast deine Stätte durch deine Gegenwart froh gemacht! Dies wird eine gesegnete Nacht!' Sie aber sagte: ,Das ist doch wunderbar an dir, daß du mich jetzt so freundlich begrüßest!' ,Bei Allah, Gebieterin,' erwiderte el-Amdschad, ,ich glaubte sicher, mein Mamluk Bahâdur hätte mir einige Juwelen halsbänder gestohlen, von denen jedes zehntausend Dinare wert ist. Wie ich aber gerade jetzt hinausging und immer noch daran dachte, suchte ich nach ihnen und fand sie an ihrer Stelle. Nur weiß ich nicht, warum der Mamluk so lange ausbleibt; ich werde ihn doch gehörig bestrafen müssen.' Da war die Dame mit der Antwort el-Amdschads zufrieden; und nun begannen die beiden zu scherzen und zu trinken und



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guter Dinge zu sein. So vergnügten sie sich weiter, bis die Sonne zur Rüste gehen wollte; da trat Bahâdur ein, der seine Kleider gewechselt, sein Gewand gegürtet und Stiefel, wie sie die Mamluken tragen, angelegt hatte. Er sprach den Gruß, küßte den Boden und kreuzte die Arme auf der Brust; und er senkte seinen Kopf nieder wie jemand, der seine Schuld eingesteht. Mit zornigem Auge schaute el-Amdschad ihn an und rief ihm zu: ,O du elendester aller Mamluken, warum bist du so lange ausgebliebene' ,Hoher Herr,' entgegnete er, ,ich war damit beschäftigt, meine Kleider zu waschen, und ich wußte nicht, daß du hier bist; du hattest mich ja für den Abend und nicht für den Tag herbestellt.' Aber el-Amdschad schrie ihn an mit den Worten: ,Du lügst, elendester aller Mamluken; bei Allah, ich muß dich schlagen!' Und sofort sprang er auf, warf Bahâdur zu Boden, nahm einen Stock und schlug ihn leicht. Aber nun sprang auch die Dame auf, riß ihm den Stock aus der Hand und fiel mit so heftigen Schlägen über Bahâdur her, daß ihm vor Schmerz die Tränen aus den Augen rannen und daß er um Hilfe rief und mit den Zähnen knirschte. Da rief el-Amdschad der Dame zu: ,Tu das nicht!' während sie immer sagte: ,Laß mich meinen Zorn an ihm stillen!' Doch er nahm ihr den Stock wieder ab und schob sie beiseite. Da stand Bahâdur wieder auf, wischte sich die Tränen aus dem Gesichte und wartete ihnen von neuem eine Weile auf. Dann säuberte er den Saal und zündete die Kerzen an; aber jedesmal, wenn er hinausging oder hereinkam, beschimpfte und verfluchte die Dame den Bahâdur, während el-Amdschad sie zornig anfuhr: ,üm des erhabenen Allah willen, laß ab von meinem Mamluken; er ist dergleichen nicht gewohnt!' Dann fuhren sie fort zu essen und zu trinken, indem Bahâdur ihnen aufwartete, bis gegen Mitternacht; da ward er schließlich müde von dem Aufwarten



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und von den Schlägen, er sank mitten in dem Saale nieder und begann zu schnarchen und zu schnauben. Die Dame aber, die trunken war, sprach zu el-Amdschad: ,Auf, nimm dies Schwert, das da hängt, und schlag diesem Mamluken den Kopf ab! Tust du es nicht, so ist es dein eigenes Verderben.' Doch er entgegnete: ,Was fällt dir ein, meinen Mamluken töten zu wollen?' Sie gab zur Antwort: ,Unser Vergnügen wird nur noch vollkommener werden, wenn er tot ist. Wenn du es nicht tust, so gehe ich hin und schlage ihn tot.' Da rief el-Amdschad: ,üm Allahs willen, tu es nicht!' Aber sie rief: ,Ich tu es doch!' nahm das Schwert herab, zückte es und ging auf Bahâdur zu, um ihn zu töten. Nun sagte el-Amdschad sich: ,Dieser Mann hat uns Gutes erwiesen, er hat uns beschützt, er ist freundlich gegen uns gewesen, er hat sich selbst zu meinem Mamluken gemacht -wie könnten wir ihm das mit dem Tode lohnen! Nein, das soll nimmermehr geschehen!' Da rief er denn der Dame zu: ,Wenn mein Mamluk wirklich den Tod finden soll, so kommt es mir eher zu, ihn zu töten, als dir!' Dann riß er ihr das Schwert aus der Hand, reckte seinen Arm empor und hieb auf den Nacken der Dame, so daß ihr der Kopf vom Rumpfe flog und dann auf den Hausherrn niederfiel. Der erwachte, setzte sich aufrecht, schlug die Augen auf und sah, wie el-Amdschad mit dem bluttriefenden Schwerte in der Hand vor ihm stand; und weiter blickte er nach der Dame hin, da sah er sie tot am Boden liegen. Er fragte, was mit ihr sei, und el-Amdschad berichtete, was sie getan hatte, und schloß mit den Worten: ,Sie bestand darauf, dich zu töten; dies ist nun ihr Lohn.' Da sprang Bahâdur auf, küßte den Prinzen auf die Stirn und sprach zu ihm: ,Hoher Herr, ach, hättest du sie doch verschont! Nun bleibt uns aber nichts anderes zu tun, als sie sogleich fortzuschaffen, ehe es Tag wird.' Dann



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gürtete Bahâdur sein Gewand, nahm die Leiche der Dame, hüllte sie in einen Mantel, legte sie in einen Korb, hob ihn auf die Schulter und sprach zu el-Amdschad: ,Du bist hier fremd und kennst niemanden; so bleib denn, wo du jetzt bist, und warte auf mich bis zur Morgendämmerung. Wenn ich dann zu dir zurückkehre, so will ich dir sicherlich viel Gutes erweisen und mich bemühen, Nachricht von deinem Bruder zu erhalten. Kehre ich aber bei Sonnenaufgang nicht wieder zu dir zurück, so wisse, daß es mit mir aus ist, und dann Gott befohlen! Dann gehört dies Haus dir, und alles, was an Geld und Gut darinnen ist, ist dein.' Darauf verließ er, mit dem Korbe auf der Schulter, den Saal, zog mit ihm durch die Gassen dahin und schlug den Weg zum offenen Meere ein, um die Last hineinzuwerfen. Doch wie er schon nahe der Küste war, wandte er sich um und sah den Präfekten und die Hauptleute der Wache, die von allen Seiten auf ihn zu kamen. Als sie ihn erkannten, wunderten sie sich, öffneten den Korb und fanden eine Leiche darin. Da ergriffen sie ihn und legten ihn die Nacht hindurch bis zum Morgen in eiserne Fesseln. Darauf brachten sie Hinund den Korb, wie er war, zum König und erstatteten Bericht über ihn. Wie der König dies alles gesehen und gehört hatte, ergrimmte er gewaltig und rief dem Stallmeister zu: ,Wehe dir! Du tust immer dergleichen; du tötest die Leute und wirfst sie ins Meer und nimmst ihnen alle ihre Habe! Wie viele Morde magst du schon vor diesem begangen haben!' Bahâdur aber senkte sein Haupt. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 233. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Bahâdur sein Haupt vor dem König zu Boden senkte. Doch der König schrie ihn



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an und sprach: ,Du da, wer hat diese Frau getötet?' Er gab zur Antwort: ,Hoher Herr, ich habe sie getötet. Es gibt keine Majestät und es gibt keine Macht außer bei Allah dem Erhabenen und Allmächtigen!' Da befahl der König in seinem Grimme, ihn zu hängen; und der Henker führte ihn auf des Königs Befehl fort. Der Präfekt begleitete ihn mit einem Ausrufer, der da in den Straßen der Stadt ausrief, das Volk solle sich die Hinrichtung des königlichen Stallmeisters Bahâdur ansehen. Und so zogen sie in allen Gassen und Straßen umher.

So weit Bahâdur; el-Amdschad aber wartete inzwischen, und als der Tag dämmerte und die Sonne aufging, Bahâdur aber nicht zu ihm zurückkam, da rief er: ,Es gibt keine Majestät und es gibt keine Macht außer bei Allah dem Erhabenen und Allmächtigen! Was mag ihm begegnet, was mag ihm zugestoßen sein?' Während er darüber nachsann, rief der Ausrufer aus, das Volk solle sich die Hinrichtung Bahâdurs ansehen, und er werde zur Mittagszeit gehängt werden. Als el-Amdschad das hören mußte, weinte er und sprach: ,Fürwahr, wir sind Allahs Geschöpfe, und zu ihm kehren wir zurück! Er will sich zu Unrecht für mich opfern, während ich es doch bin, der sie getötet hat. Bei Allah, das soll nimmermehr geschehen!' Und alsbald verließ er den Saal, schloß die Tür ab, eilte durch die Stadt dahin, bis er Bahâdur eingeholt hatte. Da trat er vor den Präfekten hin und bat ihn: ,Hoher Herr, töte Bahâdur nicht; er ist unschuldig! Bei Allah, ich allein habe sie getötet, kein anderer.' Als der Präfekt seine Worte vernommen hatte. hatte, führte er ihn zusammen mit Bahâdur zum König hinauf und berichtete ihm, was er von el-Amdschad gehört hatte. Da blickte der König den Prinzen an und fragte ihn: ,Hast du die Frau getötet?' ,Jawohl!' gab der zur Antwort. Der König fuhr fort: ,Erzähle mir, warum du sie getötet hast, und sage mir die



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Wahrheit!' Da gab jener ihm zur Antwort: ,O König, ich erlebte eine wunderbare Geschichte. und seltsam ist, was ich berichte. Würde es mit Sticheln in die Augenwinkel geschrieben, so wäre es eine Warnung für die, so sich warnen lassen.' Dann erzählte er dem König seine Geschichte und tat ihm alles kund, was ihm und seinem Bruder widerfahren war, von Anfang bis zu Ende. Der König war darob über die Maßen erstaunt, und er sprach zu dem Prinzen: ,Jetzt weiß ich, daß du ohne Schuld bist. Doch sag, Jüngling, willst du als Wesir bei mir bleiben?' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte el-Amdschad; und da verlieh der König ihm und Bahâdur prächtige Ehrenkleider, und er schenkte ihm ein schönes Haus mit Eunuchen und Dienern, ja, er gab ihm gnädigst alles, was er brauchte; dazu setzte er ihm Gehalt und Einkünfte fest und befahl, man solle nach seinem Bruder el-As'ad suchen. Nun setzte el-Amdschad sich auf den Stuhl des Wesirs, sprach Recht und Gerechtigkeit, setzte ein und setzte ab, nahm und gab. Und er sandte den Ausrufer in die Straßen der Stadt, der nach seinem Bruder el-As'ad rief. Eine Weile rief der Mann immerfort aus, in allen Straßen und Gassen: aber dem Wesir kam keine Kunde von seinem Bruder zu Ohren, und jegliche Spur von ihm schien verloren.

Also war es el-Amdschad ergangen. Aber el-As'ad ward indessen von den Magiern Tag und Nacht, früh und spät, ein ganzes Jahr lang gefoltert, bis das Magierfest herannahte. Nun machte Bahrâm der Magier sich zur Reise bereit und rüstete ein Schiff für sich aus. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 234. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Bahrâm der Magier, als er ein Schiff für die Reise gerüstet hatte, den Prinzen



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el-As'ad mit sich nahm; er hatte ihn in eine große Kiste getan, die Kiste verschlossen und an Bord bringen lassen. Und gerade zu jener Zeit, in der Bahrâm die Kiste mit el-As'ad aufs Schiff bringen ließ, traf es sich, durch Geschick und Vorherbestimmung, daß el-Amdschad in der Nähe stand und aufs Meer blickte. Wie er all die Sachen sah, die aufs Schiff geschafft wurden, pochte ihm das Herz; und da befahl er seinen Dienern, ihm sein Reittier heranzuführen. Dann saß er auf und ritt, begleitet von einer Schar aus seinem Gefolge, am Meere entlang; bei dem Schiffe des Magiers machte er halt und befahl seinen Leuten, hinaufzugehen und es zu durchsuchen. Die Leute stiegen hinauf und durchsuchten das ganze Schiff, aber sie fanden nichts; so gingen sie wieder an Land und taten das el-Amdschad kund. Der ritt darauf nach Hause zurück. Doch wie er dort ankam und sein Schloß betrat, krampfte sich ihm das Herz zusammen, er blickte mit seinen Augen überall umher, und da sah er zwei Verse, die auf einer Wand geschrieben standen; das waren diese beiden Verse:

O du mein Freund, du weilest fern den Blicken, Dem Herz und Sinne kann dich nichts entrücken.
Du ließest mich zurück in bittrem Kummer
Und raubtest, schlafend, meinem Aug den Schlummer.

Als el-Amdschad diese Verse las, mußte er an seinen Bruder denken, und er weinte.

Lassen wir ihn nun und sehen wir, was mit Bahrâm dem Magier geschah! Der bestieg das Schiff und rief und schrie die Matrosen an, eiligst die Segel zu setzen. Da spannten sie die Segel aus und gingen in See und fuhren dahin Tag und Nacht. Jeden zweiten Tag nahm der Magier den Prinzen el-As'ad heraus und gab ihm ein wenig Zehrung zu essen und ein wenig Wasser zu trinken, bis sie in die Nähe des Feuerberges kamen.



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Da erhob sich ein Sturm wider sie, und das Meer wogte mit dem Schiffe auf und ab, so daß es den richtigen Kurs verlor. Nun gerieten die Fahrenden auf eine falsche Fährte und trieben in andere Gewässer, die nicht ihr Ziel waren. Schließlich gelangten sie zu einer Stadt, die an der Meeresküste erbaut war und die eine Burg besaß, deren Fenster auf jenes Meer blickten; über diese Stadt herrschte eine Frau, die Königin Mardschâna geheißen war. Nun sprach der Kapitän zu Bahrâm: ,Lieber Herr, wir sind vom rechten Wege abgetrieben, und wir müssen jetzt diese Stadt anlaufen, damit wir uns dort ausruhen. Danach möge Allah tun, was er will!' Bahrâm antwortete: ,Was du tust und was du meinst, ist richtig; ich will handeln, wie du es für recht hältst.' Dann fuhr der Kapitän fort: ,Wenn die Königin zu uns sendet und uns ausforscht, was sollen wir ihr denn zur Antwort geben?' Bahrâm erwiderte: ,Ich habe hier ja diesen Muslim bei mir. Dem wollen wir Mamlukenkleider anlegen und ihn dann mit uns an Land nehmen. Wenn die Königin ihn sieht, so wird sie denken, er sei wirklich ein Mamluk, und ich will zu ihr sprechen: ,Ich bin ein Sklavenhändler, der mit weißen Sklaven Handel treibt; ich hatte schon viele Mamluken bei mir, aber ich habe sie alle verkauft außer diesem einen, der nun bei mir geblieben ist.' Da sagte der Kapitän: ,Das sind treffliche Worte!' Bald darauf erreichten sie die Stadt, zogen die Segel ein und gingen vor Anker; und als das Schiff still lag, kam die Königin Mardschâna mit ihrer Garde, machte bei dem Schiffe halt und rief den Kapitän heraus. Der kam zu ihr ans Land und küßte den Boden vor ihr, worauf sie fragte: ,Welche Ladung ist in deinem Schiffe da, und wen hast du bei dir?' Er gab zur Antwort: ,O mächtigste Königin unserer Zeit, ich habe einen Kaufmann bei mir, der mit weißen Sklaven handelt.' ,Bring ihn her zu mir!' befahl



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sie; und da kam auch Bahrâm ans Land, begleitet von el-As'ad, der in Mamlukenkleidern hinter ihm ging. Als nun Bahrâm vor sie hintrat, den Boden küßte und sich wieder aufrichtete, fragte sie ihn: ,Was für ein Gewerbe hast du?' ,Ich bin ein Sklavenhändler', erwiderte er. Da blickte sie auf el-As'ad, von dem sie wirklich glaubte, daß er ein Mamluk sei, und fragte ihn: ,Wie ist dein Name?' Den Prinzen erstickten fast die Tränen. doch antwortete er ihr: ,Mein Name ist el-As'ad.' Gerührt fragte sie weiter: ,Kannst du schreiben?' und als er es bejahte, ließ sie ihm Tintenkapsel, Schreibrohr und Papier reichen und sprach zu ihm: ,Schreib etwas, auf daß ich es sehe!' Da schrieb er diese beiden Verse:

Du Einsichtsvoller, sage, was vermag der Mensch,
Wenn ihn das Unglück stets anfallen Wegen hetzt?
Gott warf gefesselt ihn ins Meer und sprach zu ihm:
Sei auf der Hut, daß dich das Wasser nicht benetzt!

Als sie das Blatt gelesen hatte, fühlte sie Mitleid mit ihm, und so sprach sie zu Bahrâm: ,Verkaufe mir diesen Mamluken!' Doch er gab ihr zur Antwort: ,Hohe Herrin, es ist mir nicht möglich, ihn zu verkaufen; hab ich doch schon alle meine Mamluken verkauft, so daß mir nur noch dieser einzige übrig geblieben ist!' Da rief die Königin Mardschâna: ,Ich muß ihn dir abnehmen, entweder durch Kauf oder als Geschenk!' Aber Bahrâm erwiderte: ,Ich will ihn weder verkaufen noch verschenken.' Da ergriff sie el-As'ad sofort bei der Hand, nahm ihn mit sich und führte ihn in die Burg hinauf. Dem Magier aber ließ sie sagen: ,Wenn du nicht noch heute nacht von unserer Stadt absegeist, so nehme ich dir alle deine Habe und lasse dein Schiff zertrümmern.' Als jener diese Botschaft vernahm, grämte er sich sehr und sprach:, Dies ist wahrhaftig keine Reise, über die man sich freuen kann !'Dann begann er sich wieder reisefertig zu



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machen, holte alles ein, was erhaben wollte, und wartete, bis die Nacht einbrach, um in ihr wieder abzufahren; zu den Matrosen aber sprach er: ,Verseht euch mit Proviant und füllet eure Schläuche mit Wasser; wir wollen gegen Ende der Nacht in See gehen!' Da besorgten die Seeleute ihre Geschäfte und warteten bis zum Abend. Dann brach die Nacht über sie herein.

Wenden wir uns nun von ihnen zur Königin Mardschâna! Die war mit el-As'ad fortgegangen und hatte ihn in die Burg geführt. Dort ließ sie die Fenster, die auf das Meer blickten, öffnen und befahl den Sklavinnen, die Speisen zu bringen. Jene trugen nun die Speisen auf, und die beiden aßen. Dann befahl die Königin, den Wein zu bringen. —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 235. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Königin Mardschâna den Sklavinnen befahl, den Wein zubringen. Die trugen ihn auf, und da trank sie mit el-As'ad. Allah aber, der Gepriesene und Erhabene, erfüllte ihr Herz mit der Liebe zu el-As'ad; und sie begann den Becher immer wieder zu füllen und ihm zu reichen, bis ihm der Verstand entfloh. Da erhob er sich, um ein Bedürfnis zu verrichten, und verließ den Saal; als er darauf eine offene Tür sah, ging er durch sie hindurch und schritt weiter, bis ihn sein Weg in einen großen Garten führte, in dem sich Fruchtbäume und Blumen von allerlei Art befanden. Dort, unter einem Baume, hockte er nieder und tat, was er nötig hatte; dann erhob er sich wieder und ging zu dem Springbrunnen, der in dem Garten war. Aber noch ehe er seine Kleider wieder zugebunden hatte, fiel er auf den Rücken nieder; und die Luft des Gartens betäubte ihn, er versank in Schlaf, und die Nacht brach über ihn herein.



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Also stand es um den Prinzen. Bahrâm aber rief, als es Nacht geworden war, den Matrosen zu: ,Spannt die Segel! Wir wollen abfahren!' ,Wir hören und gehorchen!' erwiderten sie, ,doch gib uns noch so lange Zeit, bis wir alle unsere. Schläuche gefüllt haben; dann wollen wir die Segel setzen.' Nun gingen die Matrosen noch einmal mit ihren Schläuchen an Land, um sie zu füllen; sie zogen um das Schloß herum, und da sie nichts als die Gartenmauern fanden, kletterten sie über sie hinüber. stiegen in den Garten hinab und folgten den Fußspuren, die zum Springbrunnen führten. Wie sie bei ihm ankamen, fanden sie el-As'ad auf dem Rücken liegen. Sofort erkannten sie ihn, und hocherfreut trugen sie ihn davon, nachdem sie ihre Schläuche gefüllt hatten. Dann stiegen sie wieder über die Mauer, brachten den Prinzen eilends zu Bahrâm und riefen ihm zu: ,Freue dich, denn dein Wunsch ist erfüllt, dein Kummer ist gestillt! Deine Trommel hat geschlagen, deine Flöte hat geblasen! Deinen Gefangenen, den die Königin Mardschâna dir mit Gewalt abgenommen hatte, haben wir wiedergefunden, und hier bringen wir ihn dir.' Dann warfen sie el-As'ad vor ihn hin. Als Bahrâm ihn erblickte, da hüpfte sein Herz vor lauter Freud, und seine Brust schwoll ihm vor Seligkeit. Er schenkte ihnen Ehrenkleider und befahl ihnen, eiligst die Segel zusetzen. Da spannten sie die Segel und fuhren ab in der Richtung auf den Feuerberg ;bis zum Morgen segelten sie so weiter.

Lassen wir Bahrâm dahinfahren und kehren wir zur Königin Mardschâna zurück! Als el-As'ad sie verlassen hatte, wartete sie eine ganze Weile auf ihn; doch da er nicht zurückkehrte, erhob sie sich und suchte nach ihm, aber sie konnte keine Spur von ihm finden. Nun ließ sie Fackeln anzünden und befahl den Sklavinnen, nach ihm zu suchen; ja, sie selbst ging zum Garten hinab, und als sie das Tor offen stehen sah, wußte sie, daß er



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dort hineingegangen war. Sie eilte in den Garten, aber sie fand dort nur seine Sandalen beim Springbrunnen, und obwohl sie im ganzen Garten auf der Suche nach ihm umherstreifte, entdeckte sie keine Spur von ihm; trotzdem suchte sie weiter nach ihm in allen Ecken des Gartens, bis es Morgen ward. Da fragte sie nach dem Schiffe, und man sagte ihr, es sei im ersten Drittel der Nacht abgefahren; da wußte sie, daß jene ihn mit sich genommen hatten, und sie ward zornig und traurig. Alsbald gab sie Befehl, man solle sogleich zehn große Schiffe ausrüsten; auch sie selbst rüstete sich zum Streite und bestieg eins von den zehn Schiffen mit ihren Mamluken, Sklavinnen und Leibgarden, die alle in prächtigen Rüstungen gekleidet und kriegs gemäß bewaffnet waren. Die Segel wurden gespannt, und sie ließ den Kapitänen sagen: ,Wenn ihr das Schiff des Magiers einholt, so sind euch von mir Ehrenkleider und Geldgeschenke gewiß. 'Wenn ihr es aber nicht einholt, so lasse ich euch bis zum letzten Mann hinrichten.' Da wurden die Seeleute von Furcht und großer Hoffnung beseelt, und sie segelten rasch dahin, jenen Tag und die nächste Nacht, und dann noch den zweiten Tag und den dritten Tag; erst am vierten Tage kam ihnen das Schiff Bahrains des Magiers in Sicht. Und ehe noch der Tag zur Rüste ging, umringte das Geschwader von allen Seiten das Magierschiff, gerade als Bahrâm den Prinzen el-As'ad hervorgeholt hatte und ilm schlug und folterte, während der Gequälte nach Hilfe und Rettung schrie; aber er fand keinen Helfer, keinen Retter unter den Menschen, und die heftigen Schläge schmerzten ilm. Während also der Magier sein Opfer peinigte, blickte er zufällig auf, und da sah er, wie das Geschwader sein Schiff umringt hatte und es umschloß, gleichwie das Weiße im Auge das Schwarze umschließt. Nun sah Bahrâm den sicheren Tod vor Augen, er seufzte auf und rief: ,O du da, As'ad, dies



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alles geschieht um deinetwillen!' Dann packte er ihn bei der Hand und befahl seinen Leuten, ihn ins Meer zu werfen, und er höhnte: ,Bei Allah, ich bringe dich zu Tode, ehe ich selber sterbe!' Alsbald ergriffen die Matrosen ilm an Händen und Füßen und warfen ilm mitten ins Meer. Doch Allah, der Gepriesene und Erhabene, der da wollte, daß er gerettet würde und seines Lebens Ende noch nicht erreichte, erlaubte, daß er wieder auftauchte, nachdem er bereits gesunken war; dann ruderte er mit Händen und Füßen, bis Gott ihm half und ihm Rettung brachte, denn die Wogen hoben ihn und trugen ihn weit von dem Schiffe des Magiers fort, und er erreichte das Festland. Dort stieg er ans Ufer, aber er glaubte kaum noch an seine Rettung. Wie er nun auf dem festen Lande war, legte er seine Kleider ab, preßte sie und breitete sie aus. Nackt saß er da und weinte über seine Not, über all die Schicksalsschläge, die ihn getroffen hatten, über Foltern und Gefangenschaft und Einsamkeit in der Fremde, und dann sprach er diese beiden Verse:

Mein Gott, ich kann's nicht tragen, ich weiß mir keine Hilfe;
Beengt ist mir die Brust, zerschnitten ist mein Seil.
Und wem soll denn der Arme seine Nöte klagen
Als seinem Herrn? Du bist der Herren Herr, mein Heil!

Nach diesen Worten stand er auf und legte seine Kleider wieder an; doch er wußte nicht, wohin er gehen sollte, wohin er kommen würde. So begann er, sich von den Kräutern der Erde und den Früchten der Bäume zu nähren und von dem Wasser der Bäche zu trinken, er zog dahin Tag und Nacht, und endlich sah er eine Stadt in der Ferne winken. Erfreut beschleunigte er seinen Schritt, und als er sie erreichte - —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 236. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir



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berichtet worden, o glücklicher König, daß el-As'ad, als er die Stadt erreichte, von der Nacht überrascht wurde; so war denn auch das Stadttor geschlossen. Nun traf es sich durch die Vorherbestimmung des Schicksals, daß diese Stadt dieselbe war, in der er gefangen gewesen und in der sein Bruder el-Amdschad Minister des Königs war. Da also el-As'ad das Tor verschlossen fand, so kehrte er in der Richtung des Friedhofes um, nach der Stätte der Gräber. Und wie er dort ankam, fand er ein Grabgebäude mit einem Tor ohne Tür; in das ging er hinein und legte sich nieder zu schlafen, indem er sein Gesicht mit dem Arm bedeckte.

Inzwischen hatte Bahrâm der Magier die Königin Mardschâna, als sie mit ihrem Geschwader ihn eingeholt hatte, durch List und Zauberei geschlagen, war wohlbehalten in der Richtung nach seiner Heimat umgekehrt und sofort frohen Mutes dahingesegelt. Als er dann bei dem Friedhofe vorbeifuhr, stieg er dort, wie das Geschick es vorherbestimmt hatte, aus dem Schiffe ans Land und schritt zu Fuß zwischen den Gräbern weiter. Da sah er das Grabgebäude, in dem el-As'ad schlief, offen stehen, und verwundert sprach er: ,Ich will doch einmal in dies Grab hineinschauen!' Und wie er hineinschaute. sah er el-As'ad in einer Ecke des Gebäudes. das Gesicht vorn Arme bedeckt, schlafend liegen. Er schaute dem Schläfer ins Gesicht, erkannte ihn und rief: ,Lebst du denn immer noch?' Und alsbald packte er um und schleppte ihn in sein Haus, wo er ja ein unterirdisches Verlies hatte, das zur Folterung der Muslime bestimmt war. Auch hatte er eine Tochter des Namens Bustân. Er legte nun an el-As'ad schwere Fesseln, warf ihn in jenes Verlies und gab seiner Tochter den Auftrag, ihn Tag und Nacht zu foltern, bis er tot wäre. Zuerst versetzte er ihm selbst noch heftige Schläge, dann schloß er das Verlies ab



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und gab die Schlüssel seiner Tochter. Bald darauf aber öffnete seine Tochter Bustân das Verlies wieder und ging hinab, um ihn zu schlagen. Da erblickte sie in ihm einen Jüngling von zartem Wesen und schönem Aussehen, der geschwungene Augenbrauen und tiefschwarze Augensterne hatte. Ihr Herz ward von Liebe zu ihm erfüllt, und sie fragte ihn: ,Wie ist dein Name?' Er gab ihr zur Antwort: ,Mein Name ist el-As'ad." Da rief sie: ,Mögest du wirklich glücklich sein! Und glücklich seien deine Tage! Du verdienst es nicht, gefoltert und geschlagen zu werden. Ich weiß, daß dir ein Unrecht geschieht.' Und sie begann ihm freundlich zuzusprechen, und sie löste seine Fesseln. Dann fragte sie ihn nach dem islamischen Glauben, und er tat ihr kund, er sei der rechte Glaube, und unser Herr Mohammed habe durch Wunder ohnegleichen und offenkundige Zeichen die Wahrheit erwiesen; der Feuerdienst aber sei schädlich und fromme nichts. Und ferner unterrichtete er sie in den Glaubenslehren des Islams, bis sie sich von ihm bekehren ließ und ihr Herz von der Liebe zum wahren Glauben durchdrungen ward. Auch erfüllte Allah der Erhabene ihr Inneres mit der Liebe zu el-As'ad, und so sprach sie die beiden Sätze des Glaubensbekenntnisses und gehörte hinfort zum Volke der Glückseligkeit. Dann brachte sie ihm zu essen und zu trinken, unterhielt sich und betete mit ihm; auch bereitete sie ihm Hühnerbrühen, bis er wieder zu Kräften kam, seine Schwäche von ihm wich und er seine frühere Gesundheit wiedererlangte. Solches geschah ihm von der Tochter Bahrains des Magiers. Als nun eines Tages die Jungfrau von el-As'ad kam, blieb sie an der Tür stehen, und da kam gerade der Ausrufer vorbei und rief: ,Wer einen schönen Jüngling, der so und so aussieht, bei sich hat und ihn herbeibringt, der soll so viel Geld haben, wie 1 Der Glückliche.



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er verlangt! Wer ihn aber bei sich hat und ihn verleugnet, der soll vor der Tür seines Hauses aufgehängt werden; dessen Habe soll geplündert, und sein Blut soll ungerächt vergossen werden!' Nun hatte el-As'ad aber Bustân. die Tochter Bahrains, bereits mit allem, was ihm widerfahren war, bekanntgemacht; als sie daher jenen Ausruf hörte, wußte sie sogleich, daß er der Gesuchte war. Alsbald ging sie wieder zu ihm hinein und berichtete ihm, was sie gehört hatte. Da ging er hinaus und begab sich zum Hause des Wesirs; und wie er den Wesir von weitem erblickte, rief er aus: ,Bei Allah, dieser Wesir ist ja mein Bruder el-Amdschad!' Dann ging er zusammen mit der Jungfrau, die ihm folgte, in das Schloß hinauf und warf sich, sowie er seinen Bruder el-Amdschad traf, an seine Brust. Auch el-Amdschad erkannte ihn und fiel ihm um den Hals; so umarmten die beiden einander, umgeben von den Mamluken, die von ihren Rossen abgestiegen waren. Eine Weile versanken el-As'ad und el-Amdschad in Ohnmacht; doch als sie wieder zu sich gekommen waren, nahm el-Amdschad seinen Bruder und führte ihn zum Sultan, dem er alles berichtete. Der Sultan befahl darauf, das Haus Bahrains zu plündern. - -«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 237. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Sultan befahl, el-Amdschad solle das Haus des Bahrâm plündern und ihn selbst hängen lassen. Da schickte der Wesir Leute aus, um dies zu tun; die begaben sich zum Hause Bahrains, plünderten es und brachten seine Tochter zum Wesir. Und der empfing sie mit allen Ehren; denn el-As'ad hatte seinem Bruder alles berichtet, wie er gefoltert worden war und wie die Tochter Bahrains ihm Gutes erwiesen hatte; darum erwies er ihr hohe Ehre.



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Dann erzählte auch el-Arndschad seinem Bruder alles, was er mit der Dame erlebt hatte, wie er dem Tode durch den Strick entgangen war, und wie er Wesir geworden war. So klagte einer dem andern, wie er unter der Trennung vom Bruder gelitten hatte. Darauf ließ der König den Magier kommen und befahl, ihm den Kopf abzuschlagen. Bahrâm aber fragte: ,Mächtigster König, bist du wirklich entschlossen, mich töten zulassen?' Als der König diese Frage bejahte, bat Bahrâm: ,Hab noch ein wenig Geduld mit mir, o König!' Dann senkte er sein Haupt zu Boden, und als er es wieder erhob, sprach er das Glaubensbekenntnis und wurde Muslim als Schutzbefohlener des Sultans: darüber freuten sich alle. Dann erzählten el-Amdschad und el-As'ad ihm alles, was sie erlebt hatten; er wunderte sich darüber und sprach zu den beiden: ,Hohe Herren, rüstet euch zur Heimreise; ich will euch begleiten.' Beide waren darüber und über seine Bekehrung zum Islam hocherfreut, aber dennoch weinten sie bitterlich; da sprach Bahrâm zu ihnen: ,Hohe Herren, weinet nicht; ihr werdet doch schließlich wieder mit den Euren vereinigt werden, wie auch Ni'ma und Nu'm vereinigt wurden.' Als sie fragten: ,Wie erging es denn Ni'ma und Nu'm?' erzählte Bahrâm


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