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Kapitel 

SPIELMANNS GESCHICHTEN DER SAHEL

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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MIT EINER KARTE DER SAHARA UND

EINER BILDERTAFEL / TITEL- UND

EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

4. Hambodeju

Hambodeju (ein Fulbe) war der Sohn eines Königs. Aber als er ein Knabe von zehn Jahren war, starb der König, und Hambodeju wurde mitsamt dem Königreiche von seinem Onkel übernommen. Er ward am Hofe des Onkels erzogen. Er spielte mit den Kindern seines Onkels. Eines Tages sagte im erregten Wortstreit der Sohn des Onkels zu Hambodeju: "Was willst du hier eigentlich? Dein Vater ist gestorben. Das Königreich gehört meinem Vater, deinem Onkel. Du hast hier nichts mehr zu suchen." Hambodeju lief sogleich zu seiner Mutter und fragte sie: "Wem gehört das Königreich? Gehört es meinem Onkel oder gehört es mir?" Die Mutter sagte: "Dein Vater war der König dieses Landes. Als dein Vater starb, nahm dein Onkel die Herrschaft an sich. Dein Vater hat aber ein sehr gutes Pferd hinterlassen. Das heißt Bonnujuwadu. Das kannst du jeden Augenblick nehmen." Hambodeju sagte: "Es ist gut", und ging.

Hambodeju ging hin und zog das Pferd Bonnujuwadu aus dem Stall. Er rief seinen Mabo (Spielmann, zugleich Knappe), gab ihm auch ein Pferd und sein Gewehr und sagte: "Komm, wir gehen in den Krieg. Wenn ich gewinne, will ich gegen meinen Onkel zu Felde ziehen, und ich werde sehen, ob ich die Herrschaft meines Vaters nicht zurückgewinne." Er ritt mit seinem Mabo von dannen.

Er kam mit seinem Mabo in die Sahel. Als er zehn Tage weit durch die Sahel geritten war, traf er auf ein kleines Dorf. Hambodeju fragte: "Wem gehört dieses Dorf?" Ein Mann sagte: "Dem Burdam (Tuareg)." Hambodeju fragte: "Wer ist der König dieses



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Landes? Wer hat die Kriegsmacht?" Die Leute sagten: "Das ist König Eile, der König der Tuareg." Hambodeju ließ sich den Weg zeigen und ritt weiter auf die Stadt Elies zu.

König Eile hatte einen Sohn und eine Tochter. Der Sohn hieß Hammâdi Eile. Hammâdi Eile hatte die Gewohnheit, abends sein Pferd zu besteigen und mit seinem Mabo einen Ritt zu unternehmen. Als Hambodeju sich dem Orte Elies näherte, traf er auf den jungen Hammâdi Eile. Er sagte: "Guten Tag." Hammâdi Eile sagte: "Guten Tag." Hambodeju fragte: "Wer bist du?" Hammâdi Eile sagte: "Ich bin Hammâdi Eile, ein Burdam, der Sohn des Königs der Burdam. Wer bist du?" Hambodeju sagte: "Ich bin Hambodeju, der Sohn eines Fulbekönigs." Hammâdi Eile fragte: "Was willst du hier?" Hambodeju sagte: "Ich habe mit deinem Vater einiges zu besprechen." Hammâdi Eile sagte: "Höre, Hambodeju, du hast ein gutes Pferd, wir wollen miteinander um die Wette reiten und sehen, wer der erste von uns beiden in der Stadt sein wird." Hambodeju sagte: "Es hat keinen Wert, denn ich werde sowieso der erste sein. Ich habe keine Lust zu einem Wettritt." Da wollte ihn Hammâdi Eile zum Wettritt reizen. Er riß Hambodeju die Mütze vom Kopf und jagte mit ihr von dannen.

Hambodeju sagte aber zu seinem Mabo: "Gib mir mein Schwert." Der Mabo gab ihm das Schwert. Hambodeju jagte hinter Hammâdi Eile her. Er erreichte ihn. Er holte mit dem Schwert aus und traf Hammâdi Eile am Hinterkopf. Der Königssohn sank tot zu Boden. Der Mabo Hammâdi Elies jagte sogleich von dannen und in die Stadt. Er traf den König Eile. Er sagte: "Soeben ist dein Sohn gestorben." Hammâdi Eile fragte: "Kam der Tod vom Himmel oder aus der Erde?" Der Mabo sagte: "Man braucht nicht so weit zu greifen. Ein Fulbe, der soeben ankam, hat deinen Sohn getötet." Alle Leute kamen in dem Orte zusammen. Es waren sehr viele, denn am anderen Tage sollte ein großes Opferfest gefeiert werden.

Als Hambodeju den Königssohn Hammâdi Eile erschlagen hatte, sagte sein eigener Mabo zu ihm: "Hambodeju, du hast nicht recht daran getan, daß du diesen Königssohn getötet hast, wo du zu seinem Vater willst. Es war nicht klug. Willst du nun doch noch den König Eile aufsuchen?" Hambodeju sagte: "Natürlich werde ich den König Eile aufsuchen." Der Mabo sagte: "Wenn du das tust, dann bist du ein Grintiwall und ein Garantawall" (Grintiwall = soviel wie unerschrockener Held; Garantawall = soviel wie freigibiger



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Held). Darauf ritten sie in die Ortschaft ein. Auf einem großen Platze war eine ungeheure Menge von Menschen versammelt. Als Hambodeju das sah, riß er sein Pferd empor, sprengte auf die Menschenmenge zu, riß sein Schwert hervor und - alle versammelten Burdam flohen in wilder Hast auseinander. Der König Eile ließ Hambodeju sagen: "Steige heute in der Stadt ab. Morgen werde ich in großer Versammlung den Fall aburteilen."

Hambodeju nahm seine Wohnung bei einer alten Frau. Die Alte wußte es aber nicht, daß es Hambodeju gewesen war, der den Königssohn getötet hatte. Hambodeju sagte zu der Alten: "Besorge doch etwas Wasser für uns und unsere Pferde." Die alte Frau sagte: "Ach, mit dem Wasser ist es eine schwierige Sache. Wasser gibt es nicht. Wir haben ja einen großen Teich, aber in dem Teich lebt ein mächtiges Tier, das heißt Kurua. Das Tier Kurua hat drei Köpfe und lagert im Teich. Damit wir nun die Erlaubnis bekommen, Wasser zu nehmen, muß die Stadt in jedem Jahre eines seiner schönsten Mädchen dem Tiere als Opfer in den See senden. Dieser große Opfertag aber ist morgen. Deshalb sind so viele Mädchen in der Stadt. Das Mädchen, das geopfert werden soll, ist Fatumata Eile, die Tochter des Königs Elle, die Schwester des Hammâdi Eile, der heute getötet wurde. Da nun aber morgen gerade der Opfertag ist, wird Kurua es nicht dulden, daß jemand Wasser aus seinem Teiche nimmt, und kein Mann wird es wagen, denn Kurua mit seinen drei Köpfen ist fürchterlieh." Hambodeju fragte: "Wo ist der Weg zu dem Teiche des Ungeheuers Kurua?" Die alte Frau sagte: "Er führt hier vorbei. Wenn man hier heruntergeht, ist man bald da."

Hambodeju sagte zu seinem Mabo: "Lege Bonnujuwadu den Faram (das ist der kleine Zügel, an dem die Pferde zur Tränke und Schwemme geführt werden) an, gib mir mein Schwert und führe das Pferd hinter mir her." Sie gingen. Sie kamen an den Teich. Hambodeju nahm sein Gewehr zum Schusse bereit in die Hand und sagte: "Nun, mein Mabo, führe mir Bonnujuwadu in den See hinaus." Der Mabo tat es. Als das Pferd mit dem Mabo das Wasser betrat, hob Kurua erstaunt einen Kopf aus der Tiefe herauf. Hambodeju zog sein Schwert und schlug zu. Der Kopf fiel getrennt herab. Kurua hob die anderen beiden Köpfe empor. Hambodeju schlug zu. Die beiden Köpfe fielen herab. Hambodeju rief seinem Mabo zu: "Ist Kurua ganz tot?" Der Mabo sagte: "Ja, er schwimmt tot auf dem Wasser."



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Hambodeju ging nun hin und schlug dem Ungeheuer den Schwanz ab. Er gab ihn dem Mabo und sagte: "Nimm ihn mit." Dann stellte Hambodeju am Ufer seine Schuhe hin und legte die lederne Scheide seines Messers darüber, damit er später belegen könne, daß er es gewesen sei, der diesen Kampf unternommen habe. Sie nahmen Wasser mit, kehrten in ihre Wohnung zurück, und Hambodeju sagte zu der Alten: "Hier ist Wasser, — nimm und trink."

Am anderen Morgen versammelten sich alle Burdam auf dem Platze. Sie kamen in ungeheuern Mengen zusammen, denn heute sollte dem Kurua die Tochter des Königs zum Opfer dargebracht werden. Dann konnte wieder jedermann trinken. Also war alles zusammengekommen. König Eile sagte auf dem großen Platze: "Wir wollen jetzt über den Fulbe urteilen, der meinen Sohn Hammâdi Eile getötet hat." Die Burdam aber sagten: "Laß das doch bis nachher. Erst wollen wir uns einmal satt trinken. Erst wollen wir dem Tiere Kurua das Mädchen als Opfer darbringen, damit wir trinken können." König Eile sagte: "Das ist wahr, gehen wir zum Teiche."

Alle Menschen, die da waren, wanderten zum Teiche hin. Es waren wohl eine Million Menschen. Diese Million von Menschen wollte es sehen, wie das Mädchen dem Ungeheuer Kurua überantwortet wurde und wollte dann trinken. Man brachte das Mädchen herbei, das in diesem Jahre dem Ungeheuer anheimfallen sollte. Es war Fatumata Eile, die Tochter des Burdam-Königs Eile, die Schwester des gestern getöteten Hammâdi Eile. Das Mädchen trat an den Rand des Sees. Das Untier Kurua rührte sich nicht. Das Mädchen trat mit den Füßen in die Fläche des Teiches und wartete. Das Untier Kurua zeigte und rührte sich nicht.

Die Menschenmenge ward ungeduldig und schrie: "Weiter hinein!" Fatumata Eile ging weiter hinein in den See und wartete. Das Untier Kurua rührte und regte sich nicht. Keiner seiner drei Köpfe ward sichtbar. Alles wartete. Die Menschenmenge war ungeduldig und schrie: "Weiter hinein!" Fatumata Eile ging noch weiter hinein. Fatumata Eile ging bis in die Mitte des Teiches. Da blieb sie stehen und wartete. Das Ungeheuer Kurua rührte und regte sich nicht. Keiner seiner drei Köpfe ward sichtbar. Alle warteten. Fatumata Eile wartete. Die ganze Menge wartete. Aber es geschah nichts. Da schrie einer aus der Menge: "Kurua ist gestorben!" Alles schrie: "Kurua ist gestorben!" Einer rief: "Es soll



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doch ein Mann in den See gehen und schauen, ob Kurua tot ist oder noch lebt." Alle schrien: "Ja, es soll einer nachsehen." —Es war da eine Menge von über eine Million Köpfen versammelt, dem Opferschauspiele beizuwohnen. Es war aber unter der ganzen Million Menschen nicht einer da, der es zunächst gewagt hätte, auch nur an den Rand des Teiches Kuruas vorzugehen.

Endlich fand sich ein Mann mit einer Lanze bereit, zögernd bis an das Ufer zu gehen. Er stieß mit der Lanze mehrmals in das Wasser und rief dann: "Kurua ist tot." Einige kamen nun an das Ufer und fanden die Schuhe und die Messerscheide Hambodejus. Einer rief: "Es muß irgendein Mann Kurua getötet haben. Er hat seine Schuhe und seine Dolchscheide als Wahrzeichen zurückgelassen." Die Leute schrien: "So wird es sein." Man brachte die Schuhe und die Messerscheide dem König Eile. Er sagte: "Diese Dinge hat der zurückgelassen, der Kurua getötet hat. Nun werden wir ihn erkennen können." Darauf begann alle Welt in großer Freudigkeit zu trinken und Wasser mit sich fortzunehmen. Fatumata Eile aber kehrte aus der Mitte des Sees gänzlich gesund und unangetastet zurück

In der Stadt versammelte sich alle Welt auf dem großen Platze. König Eile sagte: "Nun führt mir den Fulbe hierher, damit wir über ihn urteilen können." Es war da eine ganze Million von Menschen in einem Kreise versammelt. Neben dem König Eile saß die gerettete Fatumata Eile. Vor dem König auf dem freien Platz standen die Schuhe und die leere Messerscheide, die man am Ufer gefunden hatte. — Man rief Hambodeju.

Hambodeju ging durch die Straßen der Stadt. Hinter ihm ging sein Mabo. Der hatte den Schwanz Kuruas unter dem Rock und sang:

"Wo andere Furcht haben,
Da empfindet Hambodeju nichts.
Wo andere fliehen,
Da bleibt Hambodeju ruhig am Platze.
Wo andere Schlechtes tun,
Da bleibt Hambodeju fern."

Hambodeju kam auf den großen Platz, auf dem die Million Menschen versammelt war. Hambodeju ging quer über den freien Raum dahin, wo der König Eile saß. Es standen da die Schuhe und die Messerscheide. Alle diese Menschen sahen die Messerscheide, die



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Schuhe und sahen den Fulbe, der Hammâdi Eile, den Sohn des Königs, getötet hatte.

Hambodeju ging gerade über den freien großen Platz, den die Menge umschloß. Er ging auf den König Eile zu. Er wandte sich aber nicht- an den König Eile, sondern er nahm einen der beiden Schuhe, die dastanden und zog ihn über seinen Fuß. Er nahm den anderen der beiden Schuhe und zog ihn über den anderen Fuß. Er zog seinen Dolch heraus, fügte ihn in die Messerscheide und steckte die Waffe zu sich. Dann griff er hinter sich, ließ sich von seinem Mabo den Schwanz des Untiers Kurua geben, legte ihn vor dem König hin und sagte: "Hier!" — Alles das sah die gesamte in der Runde versammelte Menschheit. Es war etwa eine Million von Menschen. Das sah der König Eile. Das sah Fatumata Eile, die Schwester des getöteten Hammâdi Eile. Und als sie das sah, trat sie zu ihrem Vater und sagte: "Mein Vater, gib mich diesem Fulbe zur Frau. Nie will ich einen anderen Mann heiraten. Töte mich lieber, als daß du mich einem anderen Manne zur Frau gibst."

König Eile blickte seine Tochter an. Er blickte Hambodeju an und sagte: "Nimm meine Tochter Fatumata zur Frau, und außerdem will ich dir jeden Wunsch erfüllen, soweit es in meiner Macht steht." Hambodeju sagte: "Ich bin nicht gekommen, um ein Weib zu gewinnen. Ich bin Hambodeju, der Sohn des Fulbekönigs von Bogo in Konari. Mein Oheim hat mir meine Herrschaft geraubt, und ich bin gekommen, dich zu bitten, mir ein Heer zu geben, mit dem ich meine Herrschaft zurückerobern kann." König Eile sagte: "Nimm meine Tochter zum Weibe. Die Kriegsmacht, die du brauchst, werde ich dir gerne geben." — So heiratete Hambodeju die Tochter des Königs Eile.

Dann sandte Hambodeju einen Boten an seinen Onkel und ließ ihm sagen: "Rüste dich. Ich ziehe gegen dich zu Felde. Laß.dir ein Paar Schuhe mit eisernen Sohlen machen. Denn ich werde dich verfolgen und hinter dir herjagen, bis du diese Eisensohlen durchgelaufen hast. Ich weiß, daß nicht nur eine Frau bei den Fulbe einen tapferen Sohn geboren hat. Wir werden also heftig kämpfen." Hambodeju rüstete sein Heer und rückte vor. Beide Heere stießen aufeinander. Es wurde auf beiden Seiten sehr tapfer und todesmutig gekämpft. Zuletzt siegte Hambodejus Heer. Hambodeju schlug die Truppen seines Onkels in die Flucht. Hambodeju jagte hinter dem Feinde verfolgend her.

Als er eine Strecke weit gekommen war, sah er seinen Onkel am



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Wege sitzen. Der wartete da auf seinen Neffen Hambodeju, um mit ihm zu kämpfen. Beide ergriffen ihre Lanzen. Sie warfen die Lanzen. Die Lanzen zersplitterten. Sie warfen andere Lanzen. Auch die zersplitterten. Dann schlugen beide mit den Schwertern aufeinander los. Die Schwerter zersplitterten. Dann aber ergriff Hambodeju den Sattelgurt seines Pferdes, schlug damit auf seinen Onkel und tötete ihn so. Darauf schnitt er seinem Onkel den Kopf ab.

Hambodeju wurde König. Er nahm die Krieger seines Oheims. Die: Hälfte von dessen Haussklaven behielt er. Die andere Hälfte sandte er an seinen Schwiegervater Eile. Solange er lebte, regierte er im Orte Bogo in Konari.


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