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Kapitel 

SPIELMANNS GESCHICHTEN DER SAHEL

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



Atlantis Bd_06-0004 Flip arpa

MIT EINER KARTE DER SAHARA UND

EINER BILDERTAFEL / TITEL- UND

EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE


Die nationalistischen Fulbe

Schon die kurze Betrachtung der Soninke gab (S. 93ff.) Veranlassung, von den Fulbe, dem "rätselhaften Volke", das heute im westlichen und zentralen Sudan eine so große Rolle spielt, zu sprechen. Unter den dunkleren Völkern das feinrassige Element, geistig das einzige zu Fanatismus neigende, seiner ganzen Veranlagung nach in starken Kurven zwischen primitivem Nomadismus und prunkvollem Königtum schwankend, nie wie andere Sudanvölker dem Prozeß der Auflösung unter den Bauernelementen verfallend - rassenbewußt und rassenstark, seelisch blutmäßig bei der Mischung durchschlagend: das sind die Fulbe.

Viel ist über die "Urheimat" der Fulbe gesprochen. Schon Barth identifizierte sie mit den Leucaethiopen und Boilat teilte als erster Legenden vom Ursprunge aus Fassa, jenseits der Sahara, das ist Fessan, mit. Diese Vermutungen über die jüngere Herkunft (die uns hier allein interessiert; in noch weiter zurückliegenden Zeiten waren sie sicher in Ostafrika ansässig) werden durch eine große Menge von Überlieferungen bestätigt. Silimi-Fulbe im Mossigebiet gaben an, daß sie in der Vorzeit unter der "harten Herrschaft des Königs Fassa aus dem Norden" kamen. Bororo-Fulbe in Adamaua sprachen von dem "Gara-Fasa" im Norden, der sie einst in schwerer Knechtschaft hielt und dem sie nach Süden entwichen. Der Gara wäre ihnen dann aber gefolgt und als König in Adamaua, Muri, sowie im Tsadsee geblieben. In der Tat finden sich heute noch Reste von Garadynastien in Adamaua.

Die Gesänge und Volkstraditionen geben aber auch noch mancherlei Bestätigung. Wenn die Gassire-Legende von "den bündischen Boro-ma" spricht (S. 54), wenn die Bardenüberlieferung "von den Borojogo" (5. 6) berichtet, wenn Leute am Nordrande der Sahara von den "Kel-Boro" zu erzählen wußten, deren Rinder früher statt der Kamele die Lasttiere waren, dann ist das alles nur ein Hinweis auf die Bezeichnung Bororo, die die heidnischen Fulbehirten im zentralen Sudan noch heute führen.

Also treten die Fulbe-Leucaethiopen als ein primitives, von den stolzen Garamantenrittern verachtetes Hirtenvolk in die Geschichte des klassischen Altertums ein, ein Volk, das bedrückt wurde. Von den Burdama-Berbern spricht der alte Sang achtungsvoll, die Fulbe nennt er "hündisch" und jeden, der das kriechende, unterwürfige Gebaren erlebt hat, das dieses Volk auszeichnet, solange es machtlos und arm ist, versteht den Ausdruck "hündisch" ausgezeichnet. Wer aber dann auch Vertreter der gleichen Rasse als Fürsten, als Gewaltherren, als Machthaber gesehen hat, wer selbst beobachtet hat, mit welcher zwischen Hochstapelei und Taschenspielerkunst



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schwankende Geschicklichkeit diese Leute sich alles wie selbstverständlich anzueignen verstehen, der findet es ganz natürlich, daß diese Art sich in einer Zone des eingebürgerten Bardensanges und beliebten Vorfahrenrühmung auch ein Heldenbuch anlegen mußte und daß sie dies auf dem ihnen üblichen Wege des Räubers, d. h. der unrechtmäßigen Aneignung, erreichten.

Oben (S. 94) schilderte ich das Verfahren schon gelegentlich der Erörterung des Pui, des kleinen Heldenbuches der Soninke. Eine Durchsicht des eigentlich fulbischen Heldenbuches, des Baudi, zeigt das noch deutlicher. Es beginnt mit dem verschlechterten Sang von Sira Maga, der hier seines sicher ursprünglichen Beinamens Njoro beraubt ist. Dann wird eine in Nordafrika (z. B. bei den Kabylen) und im östlichen Sudan sicher uralte Mythe zum Sang von Goroba Dike. Die alte Drachenmythe der Garamanten muß herhalten. Vielfach werden Namen geändert, aber man scheut sich auch nicht (wie z. B. im Sang von Sira Sanke) den alten Namen und die alte Heidenart beizubehalten. Oder aber alte Märchen, wie die Stücke 16 und 17, oder Ursprungsmythen, wie 18, dann aber auch Gesänge der Kasten, wie 13-15 — alles ist gut genug, um den leeren Einband eines "nationalen" Heldenbuches zu füllen.

Von diesem Standpunkte aus betrachtet ist das Baudi der typische Ausdruck unverschämter Aneignungskunst. Doch spricht aus ihm noch mehr. Besonders auffallend ist das Motiv des Kampfes unter dem Zeichen des Islam gegen das Heidentum. Die Stücke 5-12 zeigen dies. Hier tritt der Fanatismus hervor, der sonst den Innerafrikanern fehlt.

Dann bemerke man aber auch den wundervollen Rassenstolz, der einer weitverbreiteten Mythe in dem Prachtstück Goroba-Dike einen ganz besonderen Charm gibt, wie er dieser alten Fabel sonst nicht eigen ist. Damit wären wir aber bei der Frage der Veranlagung der Fulbe zum Spielmannssang angelangt.

Daß der Spielmann und sein Epos vom Mittelländischen Meer her durch das Volk der Garamanten nach der Sahel und in den Sudan getragen wurde, erweisen der Inhalt und die Geschichte des Dausi. Also als Schöpfer des Bardentums kommen die Fulbe nicht in Betracht. Aber auch mit den Barden der Fulbe, mit den Mabo ist es eine eigene Sache, wie überhaupt mit dem ganzen Kastenwesen bei diesem aneignungs- und anpassungsfähigen Volke. Bei den Mande werden die Kasten durch Sippen gebildet, die in ihrer Kastenzugehörigkeit schwanken. Bei den Fulbe werden die Kasten durch bestimmte Völker gebildet, und nie kann hier ein kriegerisches Schicksal die Kastenzugehörigkeit ändern - es sei denn, daß die Fulbe das Verbreitungsgebiet des Kastengebietes verlassen



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und dann - stirbt das Kastenwesen, gleichzeitig aber auch der Bardengesang sogleich aus. Nur wo die Mande Spielmannslieder pflegen, sind sie auch bei Fulbe heimisch und werden auch da nur von den Mabo gesungen, die aber sicher keine ursprünglichen Fulbe sind.

So also ist die dichterische Fähigkeit dieses alten Hirtenvolkes zu beurteilen.


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