Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

SPIELMANNS GESCHICHTEN DER SAHEL

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



Atlantis Bd_06-0004 Flip arpa

MIT EINER KARTE DER SAHARA UND

EINER BILDERTAFEL / TITEL- UND

EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

7. Sagate Singo


(früher Sana Singo)

Dio Dama war ein raublustiger Recke. Er stammte aus Massina, ward jedoch in Kalla erzogen und lernte dieses Land daher sehr genau kennen. Als er erwachsen war, kehrte er nach Massina zurück, warb einige Spießgesellen an und unternahm Raubzüge nach Kalla.

Eines Tages kam er auch auf solche Weise nach Kalla, um in einem Dorfe alle Schafe zu rauben und heimzutreiben nach Massina.



Atlantis Bd_06-143 Flip arpa

Mit einigen Gehilfen gelang es, Schafe zusammenzutreiben. Die Leute sagten: "So ist es gut! Nun wollen wir heimkehren." Dio Dama aber sagte: "Hier, gleich neben dem Orte ist ein angenehmer Platz an einem Gewässer. Da wollen wir uns lagern. Ich verlasse die Gegend nicht, ehe ich nicht einige Kugeln gefrühstückt habe." (Der Dialli erklärt ergänzend, das hieße so viel, als er wolle nicht ohne einen Kampf heimkehren.) Also lagerte Dio Dama mit den Spießgenossen und mit den Hammeln an dem Wasser.

Bis gegen Mitternacht wälzte sich die Frau Sagate Singos auf ihrem Lager hin und her. Um Mitternacht fragte Sagate Singo: "Was hast du eigentlich? Du wirfst dich immer hin und her ?" Die Frau antwortete: "Ich höre, daß mein kleiner Hammel unten am Wasser schreit. Oh, ich habe keinen tapferen Mann, der mir den Hammel zurücktreibt." Sagate Singo sagte: "Ach, wenn es weiter nichts ist. Schlaf nur. Morgen früh werde ich ihn hertreiben. Ich höre, er ist nicht allein, die anderen Hammel des Dorfes sind auch dabei. Es werden sich wohl einige fremde Hirten ihrer angenommen haben, die bis morgen früh auf die Belohnung für den unerbetenen Hirtendienst warten." Sagate Singo drehte sich um und schlief weiter. Nach einiger Zeit wachte er wieder auf, denn seine Frau weinte neben ihm gar bitterlich und schluchzte: "Ach, ich bin eine arme Frau, die keinen tapferen Mann hat, der ihr ihren kleinen Hammel zurücktreiben kann. Ich habe keinen tapferen Mann."

Da stand Sagate Singo von seinem Lager auf und sagte: "So will ich denn einen ,Arbeiter' mitnehmen, der mit mir den Hammel heimtreibt." Er nahm sein Gewehr (der Dialli erklärt, das sei sein "Arbeiter"), einige Kugeln und das Pulverhorn. — Es war in der Nacht sehr kalt und deshalb hatten sich die Räuber am Wasser ein Feuer angezündet, über dem sie die Hände wärmten. Sagate Singo sah einen Mann, der die Hände über das Feuer hielt. Er schoß. Der Mann fiel tot um. Ein anderer sagte: "Diesem Genossen war kalt; nun wird er aber noch kälter werden. Es muß hier viel Wild und gute Jäger geben." Als er das gesagt hatte, pfiff die zweite Kugel Sagate Singos in seinen Kopf. Dio Dama erhob sich und sah um sich. Er fiel auch todwund hin.

Sagate Singo trieb die Hammel zurück. Seitdem nannte man ihn Sagate Sungalu, und daraus entstand sein Name Sagate Singo. (Wie er vordem hieß, weiß man nicht.)

Alle Leute sagten: "Sagate Singo, Sagate Singo - ach, das ist der Tapferste von allen." Alle Leute sagten so. Nur Sagate Singos



Atlantis Bd_06-144 Flip arpa

Frau meinte: "Was wollt ihr? Mein Mann soll tapferer sein als andere? Ich habe das nicht gesehen. Ich glaube es nicht. Mein Mann hat nichts Sonderliches vor meinen Augen getan." Die Frau sagte das, wenn Sagate Singo daneben stand. (Der Dialli erklärt dazu: "Die Frau sagte das so wie alle Frauen, die ihren Mann anspornen wollen, noch mehr von der Art zu tun!") Sagate Singo sagte: "Entweder du wirst es selbst sagen, daß ich der Tapferste von allen bin, oder es nimmt noch ein schlimmes Ende mit mir vor deinen Augen. Ich werde dir zeigen, was ich kann, und du wirst mir zugeben, daß ich der Tapferste bin."



***
Eines Tages sagte die Frau: "Ich will heute nach Sansanding zum Markte gehen." Sagate Singo fragte: "Was willst du denn dort?" Die Frau sagte: "Ich will auf dem Markte ein Fenkalang (einen Lendenschurz aus gestreiftem Baumwollstoff) kaufen." Sagate Singo sagte: "Gut, das sollst du haben." Sagate Singo ging und kaufte mehrere Fenkalang. Er brachte sie seiner Frau und sagte: "Hier hast du sie." Die Frau sagte: "Ach, die du da gekauft hast, will ich nicht. Ich will die Reise nach Sansanding machen und einen Fenkalang kaufen - das ist es." Sagate Singo sagte: "Es ist gut."

Sagate Singo zog einen Tragochsen heran und setzte seine Frau darauf. Er übergab das Reisegerät seiner Frau einem Sklaven, daß er es vor ihr hertrage. Er nahm sein Gewehr, stieg auf sein Pferd und sagte: "Nun können wir reisen." Er ritt hinter seiner Frau her, um sie zu schützen. —Sie kamen nach Sansanding. Die Frau kaufte ihren Fenkalang. Sagate Singo kaufte sich eine Kalebasse mit Honigbier. Sie begaben sich auf den Rückweg. Voran ging der Sklave, hinter ihm ritt die Frau auf dem Tragochsen, zuletzt folgte Sagate Singo auf dem Pferde.

Nach einiger Zeit kamen sie an eine Wegkreuzung. Von hier aus führte ein weiterer Weg nach Hause, der war viel begangen und deshalb sicher. Es zweigte aber ein weit näherer Weg ab, doch den wagte fast niemand zu bereisen; denn alle Welt wußte, daß hier oft Räuber am Wege lagen. Als sie nun an diese Wegkreuzung kamen, sagte die Frau: "Ja, wenn ich einen tapferen Mann hätte, dann würde ich den kürzeren Weg vorziehen. Mein Mann ist aber kein Tapferer." Sagate Singo sagte: "Warte!" Darauf nahm er seine Kalebasse mit Honigbier und trank sie aus. Als er das getan hatte, sagte er: "Voran! Wir nehmen den kürzeren Weg!" Der



Atlantis Bd_06-145 Flip arpa

Sklave ging voran, die Frau auf dem Tragochsen folgte, langsam reitend kam dann zuletzt Sagate Singo.

Nach einiger Zeit schlug sich der Sklave auf die Seite und rief: "Vor uns sind Reiter auf Pferden!" Die Frau antwortete: "Was findest du daran neu? Hast du noch nie Pferde gesehen? Reitet mein Mann hinter mir vielleicht auf einem Schaf? Geh voran und sieh zu, daß du meine Sachen gut trägst, damit sie nicht herunterfallen! Vorwärts!" Am Wege hielt ein Räuber zu Pferde, der sagte: "Ihr zwei seid Gefangene!" Die Frau antwortete: "Sei ein wenig vorsichtig mit dem, was du redest. Denn hinter mir kommt mein Mann!" Der Räuber fragte: "Wer kommt da hinten?" Die Frau sagte: "Das ist Sagate Singo, mein Mann!"

Sagate Singo war von dem Honigbier träge und schläfrig geworden. Er war nach vorn zusammengesunken und kam vornübergebeugt auf dem Pferde hängend und schlafend angezottelt. Als er den Wortstreit seiner Frau hörte, wachte er auf, ergriff das Gewehr und schoß den Räuber am Wege nieder. Die Frau sagte: "Du bist doch ein Tapferer!" Nach einiger Zeit kamen sie an eine Stelle, da hielt Dio Dama auf einem Pferde am Wege. Dio Dama sagte: "Ich bin Dio Dama, wer bist du?" Sagate Singo sagte: "Ich bin Sagate Singo, ein Freier. Du aber bist ein Räuber, und deine Gesellen liegen im Grase versteckt." Dio Dama sagte: "Nein, ich bin auch ein Freier und ich habe keine Spießgesellen im Grase. Ich bin auch ein Freier." Sagate Singo sagte: "Wenn du auch ein Freier bist, so will ich dir zum Tanze in die Hände klatschen." Er nahm sein Gewehr und schoß in das hohe Gras; da fiel ein Räuber tot zu Boden. Er nahm sein Gewehr und schoß wieder, und wieder fiel ein Räuber. Er nahm sein Gewehr und schoß in das Gras, und wieder fiel ein Räuber. Die anderen rannten von dannen. Sagate Singo sagte: "Wenn ein freier Mann zum Tanze aufspielt, macht er das so. Weiber und Sklaven klatschen mit den Händen."


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt