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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

UBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 2

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VOM PFAU UND VOM SPERLING

Zur Zeit jenes Webers lebte ein Sperling, der jeden Tag einen der Könige der Vögel zu besuchen pflegte und immerdar des Morgens und des Abends bei ihm war; denn er war der erste,



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der früh zu ihm kam, und der letzte, der ihn spät verließ. Nun begab es sich, daß eine Schar von Vögeln sich auf einem hohen Berge versammelte, und daß sie dort zueinander sprachen: ,Wir sind jetzt unser viele geworden, und viel Streit ist unter uns entstanden. Darum müssen wir einen König haben, der für unsere Angelegenheit sorgt; dann werden wir einig sein, und der Streit wird bei uns aufhören.' Jener Sperling kam gerade bei ihnen vorüber, und er riet ihnen, den Pfau zum König zu machen; denn das war der König, den er zu besuchen pflegte. So erwählten sie denn den Pfau und machten ihn zum König über ihre Schar. Da erwies er ihnen allerlei Wohltaten. und er machte jenen Sperling zu seinem Sekretär und Wesir. Dieser pflegte nun bisweilen seinen Dienst zu verlassen und sich nach dem, was sonst vorging, umzuschauen. Eines Tages aber blieb er lange aus, und da geriet der Pfau in große Unruhe; doch während er so ungeduldig wartete, kam plötzlich der Sperling zu ihm herein. Da rief der Pfau: ,Was hat dich so lange aufgehalten, dich, der du mir von meinen Dienern der nächste bist. und der mir von allen der liebste ist?' Der Sperling gab zur Antwort: ,Ich habe etwas gesehen, das mich mit Grauen erfüllte und mich erschreckte.' ,Was hast du denn gesehen?' fragte der Pfau; und der Sperling erwiderte: ,Ich habe einen Mann gesehen, der ein Netz hatte; das stellte er dicht bei meinem Neste auf, dann schlug er ringsum die Pflöcke fest, streute Körner mitten hinein und setzte sich abseits nieder. Da blieb ich dort, um zu sehen, was er beginnen würde; und während ich so wartete, kam ein Kranich mit seinem Weibchen, getrieben vom Schicksal und Verhängnis, und beide fielen mitten in das Netz und begannen zu schreien. Da sprang der Vogelsteller auf und fing die beiden. Das hat mich tief bekümmert, und darum bin ich lange fortgeblieben, o größter König unserer



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Zeit. Ich will auch nicht mehr in dem Neste dort wohnen, da ich vor dem Netz auf der Hut sein muß.' Der Pfau aber sagte: ,Verlaß deine Stätte nicht; denn alle Vorsicht schützt dich gegen das Schicksal nicht!' Gehorsam dem Befehle seines Herrn antwortete der Sperling: ,Ich will ausharren und nicht weichen, um dem Könige zu gehorchen!' Doch er blieb weiter auf seiner Hut und waltete seines Amtes: er holte Speise für den Pfau. und der aß. bis er satt war, und trank Wasser nach dem Essen; dann ging der Sperling fort.

Wie er nun eines Tages wieder Ausschau hielt, da erblickte er zwei Sperlinge, die auf der Erde miteinander stritten. Nun sprach er bei sich selbst: ,Wie kann ich der Wesir des Reiches sein und zusehen, wie die Sperlinge vor meinen Augen miteinander kämpfen! Bei Allah, ich muß Frieden zwischen ihnen stiften.' Rasch flog er zu ihnen, um sie zu versöhnen. Aber da warf der Vogelsteller sein Netz über sie alle hin; und so fiel auch jener Sperling hinein. Nun trat der Vogelsteller heran, ergriff ihn und gab um seinem Gefährten, indem er sprach: ,Gib gut acht auf ihn; der ist fett. Ich habe noch nie einen schöneren als ihn gesehen!' Aber der Sperling sprach bei sich selbst: ,Nun bin ich dem verfallen, was ich befürchtete: daß ich mich sicher fühlte, lag nur am Pfau. So half mir denn die Vorsicht gegen den Schlag des Schicksals nicht. Ach, auch für den Vorsichtigen gibt es vor dem Verhängnisse keinen Zufluchtsort; und wie schön ist doch das Dichterwort:

Was nicht geschehen soll, geschieht auch nie durch Listen;
Doch was geschehen soll, das wird geschehen.
Ja, was geschehen soll, geschieht zu seiner Stunde;
Allein ein Tor kann es doch nie verstehen. « * * *



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Da sprach der König: »O Schehrezâd, erzähle mir noch mehr 'solche Geschichten!«Sie gab zur Antwort: »In der kommenden Nacht, wenn der König, dem Allah Macht verleihe, mich am Leben läßt! —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 153. Nacht anbrach, erzählte sie


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