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Kapitel 

SPIELMANNS GESCHICHTEN DER SAHEL

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



Atlantis Bd_06-0004 Flip arpa

MIT EINER KARTE DER SAHARA UND

EINER BILDERTAFEL / TITEL- UND

EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE


Die edlen Soninke

Dem großen Heldenbuch gegenüber steht das kleine, das Pui. Das Dausi war eine Einheit, das Pui stets eine Sammlung. Im Pui wurden die Taten von zwölf Helden besungen, deren Namen noch bekannt sind. Sie heißen:

Buge Korroba, Sirani Korro Samba,
Buguni Djenni, Samba Ta Samba,
Mbara Mpiöna Mansa Ma, Kumba Sira,
Tomma Korro Suke, Korrondo Sassi,
Dongimba Samba, Alli Dorre,
Bassala-n'Sa, Gana Singo.

Diesen Namen entsprechend bestand das Pui also aus zwölf Stücken, die einzeln und nicht geschlossen vorgetragen wurden. Die Stücke des Pui waren stets beliebt und sind es zum Teil noch heute, so daß ein jeder Dialli das eine oder andere kennt. Wenn es trotzdem nicht gelang, alle zwölf Stücke zu erhalten, so liegt dies nicht nur daran, daß es stets eine Glückssache ist, bei solcher Zersplitterung bei dem ersten Suchen sogleich annähernde Vollständigkeit zu gewinnen, sondern es liegt auch in einer sehr wichtigen Erscheinung begründet, die sogleich zutage tritt, wenn diese eben gegebene Liste mit den Überschriften der von mir aufgefundenen Stücke verglichen wird. Es ergibt sich, daß nur ein Teil der Heldennamen sich in beiden Reihen deckt, und den mehreren Namen, die aus vorliegender Liste fehlen, entsprechen eine allerdings kürzere Reihe solcher, die in den Stücken vorhanden ist und in der Liste fehlt. So ist z. B. von Samba Kullung, von Gossi, von Sira Maga Njoro in der Pui-Liste nichts gesagt, und dennoch gehören sie allgemein und häufig an verschiedensten Orten abgegebenen Erklärungen zufolge in das Pui. Dies fordert eine Erklärung, die sich auch ohne Schwierigkeit einstellt, sobald die geographischen und historischen Tatsachen ins Auge gefaßt werden.

Die zwölf Helden heißen "die Helden von Kala", einem Gebiet, in dessen Mitte heute noch Sokolo liegt, d. h. das sich westlich von Faraka in die Sahel hinauszog. Die Bewohner von Kala, das einst sehr mächtig war, sind auch heute zum Teil noch die Soninke oder Marka oder Sarakolle oder Assuanik, welche Namen von verschiedenen Nachbarn verwendet, doch immer das gleiche Volk, die gleiche Volksart bezeichnen.

Die Soninke im Sokologebiet geben selbst an, daß ihre Helden, ehe sie Wagadu gründeten, weit aus dem Osten, aus Uagada gekommen seien, und zwar unter Fassa Sisse, d. h. wir haben hier wieder die über Agadez gekommenen Fessaner vor uns (vgl. S. 50 ff.), die hier als Sisse, d. h. als Songhai, spezialisiert werden. Also sind es Fessaner, die eine Zeitlang im Nigertale über die Songhai herrschten,



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sich mit dieser Art mischten und dann bei der Ausdehnung des Songhaireiches (wohl zur Zeit Sonni Aus, der 1464/65 diese Länder eroberte) die Provinz Kala gewannen und zu hoher Blüte brachten.

Die Helden wirkten aber nicht nur in ihrem eigenen Lande. Sie zogen gern in das reiche Faraka, in die Gebiete, in dem heute Segu und östlich Massina liegen, hinein, eroberten dort aus den südlichen Negerländern stammende Goldschätze und von den Fulbe ebenda in großen Herden gezüchtetes Vieh. Sie waren auch voller Verständnis für die schönen Frauen der Fulbe, die allerdings jedes Mannes Auge erfreuen müssen, und dieses Wohlgefallen - so sagen die Barden der Soninke selbst -wurde ihnen oft und vielfach zum Unglück. Denn nie wäre der Sohn eines Soninke und einer Fulbefrau ein Soninke geworden; er wurde stets ein Fulbe. Das Bewußtsein, ein Fulbe zu sein, wirkte so stark, daß alle so heranwachsenden Söhne sich stolz als Fulbe erklärten und mit dem Bewußtsein, Kinder des ersten Volkes der Welt zu sein, prahlten.

Das Fulbeelement schwoll. Die Fulbe vollzogen dann aber eine Maßnahme, die stets alle Völker der hamitischen Welt, die niemals Werte schuf, sondern nur umwertete, befolgt haben: sie eigneten sich den Ruhm der Vorzeit an. Ein kleines Beispiel zeigt dies. In der Liste finden wir als letzten Helden noch Gana Singo. Gana ist noch der Ausdruck für Held bei den Soninke. Der Sang selbst aber spricht von Sagate Singo. Sagate heißt im Fulfulde "Held", und in der Tat spricht der Sang heute von dem Fulbe Singo und nur wenige Barden wissen noch, daß Singo früher ein Soninke war.

Noch deutlicher tritt dieser Entwicklungsgang hervor, wenn der Bardensang von Sira Maga Njoro mit dem vergleichbar wird, was das Volk sich von diesem erzählt. Die Überlieferung weiß, daß Sira Maga Njoro, ein heidnischer Soninkefürst, gegen die fulbische fanatische Islamisierung kämpfte und in diesem Kampfe den Heldentod fand.

So mag denn die alte Soninkeliste den richtigen Namen manches Helden bergen, der bei der Inanspruchnahme durch die Fulbe zum Besten eines neuen Namens ausgemerzt wurde, und so mag sich manches der nachfolgenden Stücke mit der Liste decken, ohne daß es wie bei Sagate Singo ohne weiteres nachgewiesen werden kann.

Die Soninke selbst wissen von alledem nur wenig. Im Kampfe gegen den Islam wurden sie in der Sahel stark bedrängt; große Massen zogen der Westküste zu, wo ihr Name nur noch als der für Räuber und Säufer geeignete angewendet wird. In beiden Namen lebt aber noch die Erinnerung einstiger historisch-kulturgeschichtlicher Bedeutung. Zum Räuber wird im bäuerlichen Sudan der Held der Sahel, zum Säufer wird in diesen korn- und somit bierreichen Ländern jeder gestempelt, der dem alkoholischen Enthaltungsgebot des Islam nicht folgt.


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