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Kapitel 

SPIELMANNS GESCHICHTEN DER SAHEL

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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MIT EINER KARTE DER SAHARA UND

EINER BILDERTAFEL / TITEL- UND

EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE


Die alten Garamanten

Das Dausi, eine Sammlung verschiedener epischer Novellen, gilt so recht als "das" Heldenbuch der Soninke oder Marka. Vielleicht ist es besser, das Dausi als das große Heldenbuch dieses Volkes zu bezeichnen, dem das kleine, das "Pui", zur Seite steht. Dausi und Pui waren dadurch unterschieden, daß das Dausi ursprünglich ein fortlaufendes Ganzes war, daß alles darin den seinem geschichtlichen Werdegang entsprechenden Platz hatte, während im Pui nur die Taten einzelner Persönlichkeiten verherrlicht wurden. Das Pui war eine Sammlung von (anscheinend stets) zwölf Stücken, das Dausi die Fortführung einer in einem urzeitlichen Punkte beginnenden organisch mit der Geschichte bis in die Neuzeit hereinwachsenden Einheit. Er konnte stets im Sinne der Verlängerung vermehrt, niemals im Innenbau verändert werden, ohne seine Existenz zu beeinträchtigen.

Die zerrüttenden Vorgänge, denen Westsahel und Westsudan einerseits durch den zersetzenden Einfluß des ganz anders dirigierenden Islam und andererseits durch die wachsend um sich greifende Macht der auflösenden Vernegerung und Verbauerung ausgesetzt waren, mußten auch die Erhaltung der Spielmannsgesänge beeinträchtigen und wirkten natürlich auf ein großes organisches Ganze stärker als auf eine Sammlung kleiner Stücke. Die kleinen Stücke blieben erhalten, jedes für sich, weil keines Dimensionen zeigte, die nicht auch einer islamischen Verniggerung noch faßbar gewesen wären. Die Innenmasse der großen Heldenbücher waren aber zu mächtig. Es wurde ebenfalls in Stücke und Stückchen aufgelöst, die dann, des inneren Zusammenhanges beraubt, ihre Lebenskraft einbüßten und der Vergessenheit anheimfielen.

So ist denn ein großer Teil des Dausi verloren. Und zwar scheinen es gerade die geschichtlich Bedeutungsvollen, die dem Volksverständnis in der Zusammenhanglosigkeit unbegreifbar und uninteressant Gewordenen zu sein, die verschwanden. Vieles mag ein kunstgerechtes Suchen noch finden; das Ganze wird kaum wieder zusammengebracht werden. Ist es doch beinahe als ein Zufall zu bezeichnen, daß der alles sagende Ausgangspunkt, das Keimstück, in dem das Ganze als "eines" vorbereitet liegt, bewahrt wurde. Denn dieses Keimstück, die Novelle von Gassires Laute, fand ich nicht im Westsudan, sondern - in Togo. Das kam so:

Von Bassari aus, wo ich im Jahre 1909 mein Hauptquartier im Sinnhof 1 aufgeschlagen hatte, sandte ich einen meiner Assistenten nach der im nördlichen Dahome gelegenen Stadt Wangara Sugu. Er hatte unter anderem die Aufgabe, eine Gruppe alter Sagenerzähler aufzubringen und mir zuzusenden. Die Leute kamen und



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unter ihnen befand sich ein "Djerma", also ein Mann jenes Stammes, der vor Jahrhunderten vom alten Reiche im Westen abgesprengt, den Niger abwärts bis an die Grenze der Schiffbarkeit nach Osten verschlagen war. Dieser Djerma konnte mir das Stück "Gassires Laute" mitteilen, von dem ich im Westen nur noch den kleinen, schon märchenhaft gewordenen Brocken gewinnen konnte, der S. 38 dieses Bandes abgedruckt ist.

Dieses Keimstück nun läßt uns die große Linienführung, die einst dem Dausi zugrunde lag, erkennen. Ein helles Licht fällt damit aber nicht nur auf das ursprüngliche Wesen dieses "großen Heldenbuches", erklärt nicht nur den Sinn des "Verlierens Wagadus", sondern gewährt auch eine tiefe Einsicht in Jahrtausende von Jahren zurückliegende Vorgänge innerafrikanischer Geschichte.

Die Barden des Westsudan erklären Wagadu heute als den Ort, der bei Gumbu im Markalande, also westlich des Nigerbogens, lag. Jetzt hören wir, daß Wagadu viermal in ganz verschiedenen Gebieten stand. Die Herren Wagadus wanderten und nahmen die "Idee" ihrer Burg mit, die viermal verkörpert war, nämlich in Dierra, Agada, Ganna und Silla. Das Stück selbst schildert die Verlegung von Dierra nach Agada, die Auswanderung des Helden aus einem weit im Norden gelegenen Lande nach dem Ort Agada. Ja, es erzählt sogar, daß die Helden in ganz früher Zeit an der Küste, also am Mittelmeergestade, gelebt und gekämpft haben.

Vergegenwärtigen wir uns alle Einzelheiten, so ist die Lösung sehr leicht. Das Volk der Helden ist das der Fasa, von denen im Sudan viel erzählt wird. Ihre Hauptstadt ist Dierra. "Fasa" im Norden und in einer gewissen Nähe der Mittelmeerküste kann lediglich Fessan sein, in dem heute noch die Ruinen "Djermas" (=Dierra) als Nachklang des alten "Garama" Herodots und der Römer (s. Plinius und Strabo über den Zug des Lucius Balbus Gaditanus anno 19 v. Chr.) in der Nähe der Stadt Mursuk liegen.*

Zog der Held Gassire mit seiner Gefolgschaft nun nach Süden fort und entstand danach Agada, so kann dies Agada kaum ein anderes sein, als das im Lande Air nördlich der Haussastaaten gelegene Agadez (das Tigidda oder Tagadda der Chroniken). Dann



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ist aber wohl auch Wagadu gleich Agadez und ist damit erwiesen, daß die Hauptstücke des Dausi in Agadez in einer vor der Gründung des Reiches (Jana gelegenen Zeit in großer Vollkommenheit ausgestaltet wurden. Damit verstehen wir denn auch viel besser die Sage von der Bidaschlange und das Motiv des Regenmangels, das in Wagadu-Gumbu unverständlich ist, aber in dem trockenen Klima von Wagadu-Agadez sehr wohl seine Erklärung findet.

Das Dausi führt also in eine für afrikanische Verhältnisse erstaunliche historische Tiefe zurück. Es bringt uns in die Lage, den alten Herodot zu interpellieren, und so finden wir ein halbes Tausend Jahre vor Christi Geburt die Schilderung der sehr sorgfältig Ackerbau treibenden, Viehzucht pflegenden und in Viergespannen zu Felde ziehenden Garamanten (Herodot IV 183). Nach Bertholon ist diese garamantische Kultur auf alte phrygischthrakische Kolonien, die an den Syrten blühten, zurückzuführen, und damit würde dann das Rätsel des innerafrikanischen Bardensanges in ungezwungener Weise seine Lösung finden. Dieses ganz besonders, da die Verbreitung derselben die gleiche ist, wie die der Bestattung in mächtigen Urnen, die am Mittelmeer bis zu einem Alter von etwa 2500-3000 Jahren vor Christi Geburt zurücksieht.

Sind wir damit der Quelle dieses eigenartigen Kulturstromes, der sich im Dausi und im ganzen Bardengesang manifestiert hat, nahe gekommen, so sollen auch noch einige Zeilen seinem weiteren Verlauf gewidmet werden. Im Fessan wurde Garama zu Djerma, in der Sahel und in der Sahara erhielt sich aber das Gara und ist heute noch in der ganzen Reihe die Bezeichnung für die Kaste der Barden und Lederarbeiter (denn mit den Garamanten trat auch eine höhere Kunst der Lederverarbeitung in den Erdteil ein) erhalten. Die Mitglieder dieser Kaste heißen bei Malinke, Soninke und Bammana gara-nke, bei den Tuareg gara-sa, bei den Kabylen a-charas, bei den Fulbe gerga-ssabe usw. — In den Sudansprachen wird das r gern eingetauscht, eine Beobachtung, die schon Passarge (Adamaua S. 416) gemacht hat. Die Malinke kennen noch die Urheimat ihres Adels als das der Tungana, die Songhai nennen dies Land Mena das der Tungara. Ein Held ist bei den Bosso ein ngara; bei den Mande wird er zum ngana.

Diese Reihen zeigen aber wie das ganze Heldentum und auch die Geschichte des großen Reiches Gana* mit dem Einfall der Garamanten zusammenhängt, deren bäuerliche Nachkommen im Volksmunde wie in den Chroniken als Wangara weiterleben.

Ob die Reihenfolge, in der hier die einzelnen Bruchstücke des



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Dausi wiedergegeben werden, eine unbedingt richtige ist, dürfte für mehrere Stücke heute noch schwer zu entscheiden sein. Bezeichnend für den wirren Zustand der Bardenauffassung sind die ein. leitenden Worte des Barden Korongo, die ich hier wiedergebe.

"Im Lande Djarra herrschte früher Fali vom Stamme Fasa. Dieser wurde verjagt von Dama Ngile (Ngile lang. Dama ist Name), der aber meist Dama Djawarra genannt wird, weil er der Ahnherr der Familie Djawarra ist. Das Volk der Soninke, wo es auch heute sitzt, stammt von Dama Ngile ab und kommt aus Djarra. Die Soninke wurden verdrängt durch den Häuptling Mbarra, den Ahnherrn der Kuliobaili, also von dem der Massasi."

Das sind zunächst Namen und Worte; aber ein Zusammenhang, eine Beziehung fehlt. Im Gegensatz hierzu erscheint ein Keimstück wie "Gassires Laute" wie kristallkiare Schlichtheit und Tatsächlichkeit. Der Sinn des Dausi selbst, von dem hoffentlich noch manches Stück gefunden wird, muß die Beziehungen verständlich machen.



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ZUR GESCHICHTE DER GARAMANTEN -WANDERUNG


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