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SPIELMANNS GESCHICHTEN DER SAHEL

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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MIT EINER KARTE DER SAHARA UND

EINER BILDERTAFEL / TITEL- UND

EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

Die Dialli = Barden. — Eine Kaste mit ganz anderen Eigentümlichkeiten stellen die "Sänger" kurzweg Dialli bei den Westsaheliern und Westsudanern dar. Während wir bei den Numu ziemlich sicher sind, daß dies eine zur Kaste gestempelte Nation war und dafür z. B. in den Angaben der Sumangurulegende auch einen festen Anhaltepunkt finden, trifft das für die "Sängerkaste" eigentlich nicht zu. Heruntergekommene Kasten und unterworfene Stämme verschiedenster Kulturzugehörigkeit haben sich unter dem Drucke der Verhältnisse dann und wann als "Sänger", als Hofbedienstete, ihren neuen Herren zur Verfügung gestellt. So gibt es denn bei verschiedenen Stämmen mehrere Sängerarten nebeneinander. Das sei hier verfolgt.

Bei den Stämmen der eigentlichen Malinke und ihren nördlichen Nachbarn, den Sarrakole (oder Soni-nke oder Marka), fällt eine wesentliche Unterschiedlichkeit auf. Marka und Angehörige haben als getrennte Kasten "Sänger" und "Garanke", das sind Lederarbeiter. Bei den Malinke von Kangaba bis zum Tukorro hinauf gibt es aber als älteste Kaste dieser Art nur die Dialli, und die sind gleichzeitig auch die Lederarbeiter. Eine Garanke-Kaste wie bei Marka, Songhai und Tuareg gibt es also bei den Malinke und ebenso bei den Bammana nicht, und die Dialhi verrichten im Süden das, was



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im Norden zwei Kasten zufällt. Dagegen finden sich in Sierra Leona wiederum Garanke. Und da die Garanke, wie ich in der Einleitung zum Dausi zeigen werde, aus den nördlichen Saharaländern stammen, so zeigt sich diese Schicht des Berbertumes bis zur Westküste vorgedrungen.

Im übrigen wirken bei den Malinke in Bambuk bis Bure und Konia noch "Fina" als Sängerkaste, diese singen zu einer Glocke, die der des Namabundes gleicht. Es sind das aber weniger Sänger als Sprecher und Ausrufer.

Außer gelegentlichen Festsingereien liegt in den Händen der eigentlichen Dialli die Erhaltung alter heiliger Gesänge, die historische und mythologische Stoffe in epenartiger Form vereinigen. Diese Sänger sind Barden. Ich habe mich bemüht, von solchen Epen zu sammeln, was erreichbar war und von dem, was mir unerreichbar blieb, wenigstens die Namen zu erfahren, um so einen Uberblick über den wesentlichen Bestand an solchen Werken zu schaffen.

Bei den Malinke ist da zunächst die haibhistorische Legende von Sunjatta oder Mare Sunjarra, von der ich wohl den größten Teil zusammengebracht habe (vgl. Bd. V). Dieses hervorragend wichtige und beliebte Epos wird von Dialli sowohl wie von Fina gesungen. Es ist eine Reihe einzelner Stücke. Es gibt wohl keinen Dialli, der alle Einzelgesänge kennt. Wir haben es hier, wie bei allen anderen Gebilden dieser Art, mit Volkssängen im Sinne homerischer Dichtungen zu tun.

Unbedingt ein Vorfahre der Sunjattalegende ist das schon mehr epische ältere Niaule, das von Dialli und zuweilen aber auch von Vornehmen gesungen wird. Ein jüngeres Niaule basiert dagegen auf der Sunjattalegende und scheint die Geschichte einiger Geschlechter bis in die Gegenwart fortzusetzen. Es ist reiner Hof- und Schmeichelgesang, der sehr viele Umdrehungen zur Glorifizierung einiger jüngerer Herrschergeschlechter enthalten soll. Ich habe wenig davon gehört, aber das, was ich vernahm, ließ mich zu der Überzeugung kommen, daß die wertvolle Zeit zur Bearbeitung anderer Stoffe besser anzuwenden sei.

Als drittes Epos erwähne ich das "Mankang", das die Geschichte "Tamba Bukaris" behandelt, der "zwischen" Sierra Leona und Dingiraij "ein Reich errichtete". Es behandelt in ausmalender und stark übertreibender Form diesen Stoff, den man mit größerer historischer Klarheit anderweitig einheimsen kann. Endlich muß ich das "Dianjung" erwähnen. Dieses dürfte hauptsächlich in Bambuk bekannt sein. Es behandelt Bambuk und die Geschichte der Sussokko, alias "Bambugu Sira Sabo". Dieses halte ich als Mittelstück zwischen der Sumanguru-Sunjatta-Legende einerseits



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und den Zuständen der gegenwärtigen Völkerlagerung andererseits für sehr wichtig, und es hat mir bitter leid getan, daß ich nicht imstande war, diese Sache zu finden. Dies Epos muß in Bambuk gesucht werden.

Die zweite wichtige Region ist das Markaland. Hier sind drei ganz verschiedene Sängerschichten, nämlich I. die Diare oder Diare, 2. die Gessere, 3. die Garanke. Die letzteren, die Lederarbeiter, gelten als die ältesten Sänger, die Diare als jüngere, aber vornehmsten und prunkhaftesten "Minnesänger", und die Gessere endlich als die jüngsten und wohl bedeutend weniger geachteten. Jedenfalls sind sie nicht, wie die Diare, selbst achtbare Helden gewesen. Wir kennen ihre historische Entstehung. Als die Djaora ihre Herrschaft und Macht im Markalande begründeten, zerfiel der damals hochgeachtete Stamm der Niagate oder Diagate gleich vielen anderen Sippen einem Parteikonflikte anheim. Ein Teil zog sich unter Beibehaltung des gleichen Namens und als Horofamilie ins Bondu-Gambiagebiet zurück. Einen zweiten treffen wir heute noch als Niare oder Niage im Bamakogebiete. Der größte aber trat als Knapp. schaft in den Dienst der Djaora. Diese Leute wurden Gessere (bei anderen Gerrese) genannt. Sie kämpften und sangen den Diaora, und in ihren Gesängen preisen sie die Geschichte dieser großen Bewegung, natürlich unter Prononcierung der entsprechenden Sippenglorifikation. Diese Gesänge haben den Namen: Djon-korre-Njame. Njame ist gleichbedeutend mit Djaora. Korre heißt Krieg. Das Djon ist mir unklar. Ich wüßte, ohne weitere Beziehung dazwischen entdecken zu können, nur das Wort djongo (Plural: djombu) Tannä als ähnlich klingend in Marka anzuführen. Es kann aber auch eine Bedeutung wie djon = Sklave bestehen. Derselbe Gesang wird auch wohl Njam-kolli, d. h. "Djaorakampf" genannt.

Es gelang, einige Gessere nach Bammako kommen zu lassen, die den größten Teil der Legende wohl ziemlich klar explizierten. — Die Gessere singen zur Kalebassengitarre. Sie werden außerdem zu Königsfesten, Begräbnissen, Kriegszügen und Krönungen herangezogen und verherrlichen diese Gelegenheiten durch stramme Lobhudelei und - auch Geschichtsverdrehung resp. Stammbaumfälschung. Die Gessere sind heute nicht übermäßig geachtet. Durchaus nicht!

Die zweite Gruppe der Sänger repräsentieren die Diare, oder Diare, die wohl die geachtetsten Spielleute im westlichen Sahel und Sudan sind. Trommelschlag gehört auch in ihre Konzerte. Aber das Große, das sie bieten, den wahrhaftigen, uralten Bardensang, benötigt keine musikalische Vorbereitung, kein anderes Begleitinstrument als eine Sudangitarre. Das berühmteste und in ganz Senegambien populärste Werk führt den Namen: Pui. Alle Stücke



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des Pui werden im gleichen Takt, mit gleicher Melodie begleitet. Die aber weicht ab von dem Takte und der Begleitungsmelodie der Sunjattalegende. Vom Ursprunge des Pui erzählen die Diare in volkstümlicher Weise: Ein Perlhuhn legte einmal Eier, große und schöne Eier. Eine Riesenschlange kam und nahm jedes Ei, das gelegt war, eines nach dem anderen, sobald das Perihuhn es hatte fallen lassen. Endlich war das Perihuhn dieser Sache überdrüssig. Es beschloß, der großen Schlange den Krieg zu erklären. Es machte sich auf den Weg. Am Wege sang es kriegsmutig alles vom Herzen. Es sang, was es vorhatte. Gassire, der alle Vogelstimmen verstand, hörte das Perlhuhn. Er horchte hin und hörte das Kriegslied. Gassire folgte dem Perlhuhn. Das Perlhuhn ging dahin, wo die große Schlange war, die seine Eier verschluckt hatte. Das Perlhuhn begann den Kampf. Das Perlhuhn überwand die Schlange. Das Perlhuhn tötete die Schlange, die große, dicke Schlange. Gassire sah es. Dann flog das Perlhuhn auf einen Baum und sang. Das, was es sang, das war die Geschichte aller alten Heldentaten, die vor der des Perlhuhns, das tapfer im Kampfe die Schlange getötet hatte, geschehen waren. Das war das Pui! Gassire merkte sich das Pui sehr wohl. Er sang es als erster selbst, und so kam es unter die Menschen. (Vgl. hierzu 5. 50 ff. über die tiefe Bedeutsamkeit des hier märchenhaft erhaltenen Motives.)

Es ist wohl gelungen, so ziemlich alle noch bekannten alten Teile dieses "Heldenbuches" zu vereinen. Ich sage: "so ziemlich", denn es scheint wirklich ein Teil verloren zu sein. Einige Stücke sollen "verklungen" sein. Möglich wohl, daß meine "Hofsänger" ihre Unwissenheit damit zu beschönigen suchten. Aber da andererseits die Namen der Heroen in rhythmischen wohlbekannten Zeilen erhalten sind, so fällt es sehr auf, daß alle zu verschiedenen Zeiten zitierten Diare die meisten Epen als bekannt, aber immer die gleichen als verloren bezeichneten. Im übrigen ist es ein "Heldenbuch". Die einzelnen Vorträge hängen untereinander nicht zusammen. Angeblich sollen alle Puihelden im Sokololande gelebt haben, aber mehrere Sänge spielen auch anderweitig. Endlich sei erwähnt, daß einige Helden gerade der schöneren Stücke im Heldenverzeichnis des Pui nicht aufgezählt sind.

Der zweite ebenso schöne Sang der Diare betrifft anscheinend noch ältere Stoffe. Es ist das Dausi, dessen Historien um das alte Reich und Land Wagadu gesponnen sind. Es ist die Rettung verschiedener sehr schöner, zumal großartiger Ausgangsstücke in sehr klarer Version gelungen, von deren Existenz schon früher Inhaltsmitteilungen in die wissenschaftliche Literatur gelangt waren. Also schöne Stücke sind gesichert. Aber ein sicher beträchtlicher Teil fehlt. Wenn die Diare behaupten, daß "nichts weiter mehr bestände",



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so ist das nicht glaubhaft. Vielmehr möchte eine Nachforschung im Gumbu-Bakunu-Gebiet und in Djerma und Agadez vielversprechend und lohnend erscheinen. — Das Dausi enthält einige der poetischsten Stücke der gesamten sahelisch-sudanischen Epenkunst.

Endlich sei des Sanges der Garanke oder Lederarbeiter gedacht. Diesen, den ältesten, fehlt das eigentliche Epos. Sie singen wohl vor dem Volke, gelten auch als älteste Kaste unter den Soninke nach den Tage, aber ihr Gesang, das Kanjo, enthält angeblich keinerlei Heldensage. Die Garanke singen, wie die stolzen Horo sagen, "nur für Weiber und Huren".

Als dritte Träger alter Epenkunst, und nicht zuletzt, müssen die Barden der Fulbe genannt werden. Die Fulbesänger Njaemjo (Plural: njaengbe) waren von dreierlei sehr verschiedener Art. Als Kaste gab es zweierlei, die vornehmen, edelgeborenen Mabo (Plural: mabobe) und die weniger geachteten, ja sogar im allgemeinen bei Malinke recht verachteten Gaulo (Plural: awilbe). Aber die Vornehmen, die Helden selbst griffen, wenn sie gegen den Feind zu Felde zogen, zur Hodu (Plural: kolli), das ist die Gitarre, und sangen dann das Beiti. Ob dies dasselbe war wie das Baudi, von dem nachher gehandelt werden soll, weiß ich nicht. Der Inhalt bestand jedenfalls darin, daß die Recken von den Heldentaten ihrer Altvorderen, ihrer Ahnen, sangen und dadurch zeigten, von welcher Art sie seien und damit endeten, daß sie jetzt auch nicht anders handeln würden. Zumal am Vorabend eines Kampfes spielte das Lied dieser Art eine Rolle, und die Gitarre soll dann von einem adligen Arm in den anderen gewandert sein.

Um die Stoffe nachher besser zusammenhalten zu können und alles, die Fulbesänger Angehende, dann erledigt zu haben, gehe ich nun vom ritterlichen zum wenigst geachteten Sänger über, zum Gaulo. Die Sängeraufgabe des Gaulo bestand nicht im epischen Fassen, Halten und Wiedergeben, sondern nur in exzitierenden Volksgesängen. Sie sangen die Gumala, das waren geistesarme Kriegsgesänge. Sie begannen mit dem islamischen Gruße und verkündeten dann: morgen sollten die Helden früh aufstehen; sie sollten sich vorbereiten, daß in einer halben Stunde sie dann der Tod erreichen könne; wer Mohammedaner sei, solle also sein Gebet verrichten, wer es nicht sei, solle sehen, was er vornehme, es sei seine Sache. Sie sollten nur früh aufstehen usw. Diesen Kriegsgesang begleiteten sie mit keinem Instrument. Sie markierten aber durch Arm- und Fingerbewegung Violinspiel. Zum Kampfe selbst schrien und hetzten sie. Sie kreischten in einem fort den Namen der Feldherrn.

Die Gaulo galten vieler Orts als Fulbe; aber man kannte ihren Ursprung



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besser. Sie stammten aus dem Mahnke-Gebiet und waren - Koita oder Keita, also königlichen Blutes. Nur im Bondu-Bundugebiete haben sie sich eine leidlich geachtete Stellung zu verschaffen gewußt, sonst galten sie überall als schlimmste Bettler. Von diesen Vagabunden, die aus dem Bondugebiet über das Land ausgeflossen sind, erzählt man allgemein häßliche Geschichten. Man sagt, daß sie durchgehend faul und durchaus arbeitsfeindlich seien. Sie bettelten und taten sonst nichts. Gibt man einem Gaulo nichts, so verunreinigt er die Küche des "hartherzigen" Mannes in der gleichen ekelhaften Weise, in der Diebe bei uns in Europa ihre Denkmale am Tatorte zu setzen pflegen. Aber beim Ahnherrn Dukure sind sie damit einmal hereingefallen, und die dieses Vorkommnis behandelnde Anekdote entbehrt nicht des Humors. Also Dukure war es ebenso gegangen. Dukure kam dazu. Er sah den Gaulo und sein Produkt. Er geriet aber nicht in Zorn. Vielmehr äußerte er sogleich große Freude. Er legte Blätter darum, schlang Stricke darum, nahm es am Strick in die Höhe und sagte zu dem verblüfften Gaulo: "Du hast mir einen großen Gefallen getan. Ich weiß schon lange, daß die Exkremente eines Gaulo für mich das wertvollste Zaubermittel sind, die ich in meinem Hause aufhängen soll. Ich gebe es nur wieder fort, wenn es mir mit Gold aufgewogen wird." Darauf befiel den Gaulo große Angst. Er ging auf den Leim. Er bezahlte das Gewicht mühsam in Gold. Seitdem wagt kein Gaulo mehr, einen Dukuresprossen anzupumpen oder gar ihm ein derartiges Küchengeschenk zu hinterlassen. Doch verlassen wir diese wenig sympathischen Leute.

Die Mabo dagegen sind hochvornehme Sänger. Sie sangen vor allen Dingen die Epen, die Baudi oder Maboide heißen und weit und breit berühmt sind. Es läßt sich bei vielen Stücken eine große Ähnlichkeit, die zwischen den Sängen des Pui und denen des Baudi besteht, nicht verkennen. Einzelne Ritter ziehen aus. Allein. Nur ein Mann begleitet sie. Das ist der Mabo, Sänger und Knappe. Die Taten sind packend geschildert. Oft geht eine Verschlafenheit, eine ritterliche Unlust und Faulheit dem plötzlichen Erwachen zur Heldenhaftigkeit voran. Oder auch ein kleiner König verläßt sein Heer, reitet dem Feinde entgegen, kämpft mit dem Herrscher der großen Macht und siegt. Der Einzelkampf ist die wahre Heldenprobe in diesen Gesängen. Oder auch ein jüngerer Sohn, dessen Ehrgeiz kein Gut aus väterlichem Erbe erwarten darf, früher wohl der Königssohn, denn der fortziehende war ein solcher, weil nach dem früher herrschenden Matriarchatsgesetze der Schwestersohn die Thronfolge antrat, zieht aus, erlegt den Drachen, erwirbt königlich Weib und königlich Reich. Gleichwie in deutschen oder französischen Sagen des Mittelalters ist das auch Minnesang: bei Fulbe



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Sahelischsudanische SaiteninstrumenteI. Erzählergitarre aus Jbi.2. Gitarre der Barden aus Segu (-Kondi). a) von oben; b/c) von der Seite und im Querschnitt; d) der Steg; e) Fingerhut zum Reißen der Saiten.3. Jägergitarre, von denen geschlagen, die in den Epen die "primitiven" Jäger sind, Gerße; b) die Befestigung der Saiten.4. Ein gleiches Instrument der Mahnke (-Dosang-gais). a) Durchschnitt; b) Steg von der Seite; c) der Steg von vorn.



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und Marka hat der Ritter seine Dame, der er Blut und Schwert leiht. Derartige Züge kann keine Sunjattalegende bergen. Die ist eben Geschichtsmalerei in den Händen von Halbnegern. Aus Pui, Dausi und Baudi aber klingt nordischer Geist und belebt so ein reiches, tiefes, mittelalterlich imposantes Epenwerk. Übrigens besitzen die Fulbe Massinas und Futa Dialons, die Toronke, das Baudi, die Torodo Futa Toros von dem Stamme der Mba aber das Ldgia, das die Taten Samba Galadjos behandelt. Das ist genau von gleicher Art.

Soweit nach Norden vorgedrungen, komme ich auf eine hochinteressante Beobachtung zu sprechen, die ich seinerzeit in Kayes machte und die gewissermaßen mein Epenstudium im Sudan einleitete. In Kayes war ein Weib von der Schmiedekaste des Maurenvolkes der Ulad Nassr; die schlug eine große Gitarre und sang ein Heldenlied; das wurde mir damals als Ardin bezeichnet. Das alte Weib soll am Senegal recht berühmt sein; es zieht zwischen Bakel, Kayes, Medina und Njoro umher. Die Frau gehörte zur Kaste der Schmiede, der Malle (Plural: malle[i]), in deren Händen hier der Epensang liegt. Also ein Nachklang aus der Zeit des alten Malireiches. Das Ardin soll aber und muß, wie man sagte und auch aus dem Vergleich einiger Notizen zu ersehen war, nichts anderes sein als das Baudi. —Es muß dabei daran erinnert werden, daß die Ulad Nassr und die Torodo sich selbst als nahe Verwandte bezeichnen. Bei diesen gleichen "Fulbe-Mauren" gibt es aber wohl noch mehr des Eigenartigen auf diesem Gebiete. So soll bei ihnen noch ein Sinjeme genannter Heldensang bekannt sein, der große Ähnlichkeit mit dem Niaule haben soll. Nur sind an Stelle (dies wird mir als Einzelheit angegeben) der im Niaule vorkommenden "leichenfressenden Geier" im Sinjeme die "leichenfressenden Hunde" der Mauren getreten.

Um das eigene Manuskriptmaterial zu skizzieren, sei erwähnt, daß ich sehr bedeutende Teile des Baudi und wohl alle wesentlichen Bestandteile der nicht sehr umfangreichen Lagia eintragen konnte.

Von anderen Epensängern Senegambiens müssen noch die als Gewel (Plural: geweljie) bezeichneten Kastensänger der Wolof genannt werden, die das Malo oder Maro singen. Von diesen weiß ich soviel wie nichts. Es soll sehr alt sein.

Bei den Bammana, sowie anscheinend auch bei den Wangara-Diulastämmen Zentralnigeriens, scheint es eine eigentliche Sängerkaste nicht zu geben. Wie überall wurde und wird auch bei diesen Völkern Sang und Weise geliebt, aber hier können wir von einer rechten Volkskunst, Hauskunst sprechen, mit der wir uns gleich des weiteren beschäftigen wollen. Hier sei aber zunächst von der Stellung der Sängerkaste im allgemeinen gesprochen.



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Aus dem Vorhergehenden ist mit aller Deutlichkeit zu erkennen, daß die Stellung der Sänger, genau wie ihre Kunstübung, eine recht verschiedenartige, nach verschiedenen Stufen hin auf und nieder gehende war. So versteht es sich denn von selbst, daß auch deren soziale Stellung sehr stark variierte. Aber auch darin dürfen wir nicht oberflächlich urteilen. Man hat früher gesagt, daß die Gewel, die Grioten der Wolof dadurch schon als eine verworfene Kaste gekennzeichnet würden, daß man ihnen ein anständiges Begräbnis versage und anstatt dessen deren Leichen in einem Stammioch des häufig hohlen Baobab verspunde. Das aber ist entschieden eine sehr falsche Auffassung, weil wir in den Gewel offenbar nicht nur eine eigene Kaste, sondern ein zur Kaste gestempeltes Volk vor uns haben. Dieses Volk hatte eben die Baumhöhlenbestattung, wie wir sie auch nördlich von Uahiguja entdeckt haben, wie sie die Diawando bei den Marka und bei vielen Mossi ohne Kastenzugehörigkeit heute noch üben. Es ist eine Bestattungsweise, die sich dem Höhlengrabwesen der Tombo und Konkondugu-Malinke, dann den Stopfgräberweisen der Nord-Togo-Bobolinie genau anschließt. Auch im südlichen Mossigebiete soll sie hier und da noch vorkommen. Also ein Stammesmerkmal, das nicht ohne weiteres als ein Zeichen der Kastenerniedrigung angesehen werden darf.

Diese warnende Einschränkung vorausgesandt, muß die niedrigere Stellung der Sängerkasten anstandslos zugegeben werden. Es war eben "fahrendes Volk", eine Vertreterschaft künstlerischer und intelligenter, aber nicht ganz standesgemäßer Berufe. Es liegt nicht allein die Tatsache vor, daß die Sängerkasten doch unterworfene Völker repräsentierten. Vielmehr wirft man ihnen mit Recht wohl einerseits leichtsinnigen Lebenswandel und andererseits sklavische Devotion vor. Wie bezeichnend ist die Ansicht der Mande, daß das Geld dessen, der ein Dialliweib heirate, auseinanderfließe. Dann ist es ein unsolider Beruf. Inspiration! Stimmung! Vorliebe für "den" Schluck! Das kann man bei den Dialli sicherlich sagen, und nie haben die vielen Dialli, mit denen ich ausgiebig Freundschaftsverhältnisse geschlossen habe, besser gesungen, ein vorzüglicheres Gedächtnis gehabt, schöner geformt, als wenn ihr Augenglanz durch ein Schnäpslein angefacht war. — Es liegt ihrem Berufe sicher ein Zug zur Unwahrheit zugrunde. Sie biegen das Stammesbäumlein gar zu gern so, daß der zuhörende Fürst damit recht zufrieden ist. Man kann, wie schon früher einmal gesagt ("Kulturtypen des Westsudan"), psychologisch systematisierend sagen, daß der Schmied der "Schuster", der Sänger der "Schneider" der Sahelen und Sudaner ist.

Bei den verschiedenen Stämmen war die Stellung der einzelnen Sängerkasten recht unterschiedlich. Bei den Fulbefürsten, die



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ritterlich einzeln zur Fehde zogen, war der Mabo Knappe, Berater, Mitkämpfer. Bei den Maliherrschern waren die Sänger geschätzt wegen ihrer Klugheit, ihrer Redegewandtheit und Diplomatie. Man sandte sie deshalb als königliche und kaiserliche Boten und Unterhändler. Jeder Vornehme hatte zu solchem Zwecke einen oder mehrere Dialli. Man wußte diese klugen Männer also sehr wohl zu schätzen, und als der Usurpator Samory seinerzeit sein Reich gründete, war seine größte Sorge, einige geschickte Dialli als "Reklamechefs" zu gewinnen. Aber die wuchtigen Stimmen im Männerrate hatten sie nur, wenn ein listiger Streich ausgeführt werden mußte. Die wichtigen ersten Berater waren vielmehr die weisen Numu, die Numu, von denen die Dialli durch traditionellen Kastenhaß scharf getrennt waren. Schmiede und Sänger heirateten nie Mädchen, höchstens einmal eine Witwe oder eine geschiedene Frau der anderen Kaste. Die Schmiede sahen die Sänger als ein lockeres, leichtlebiges Volk ohne soliden Beruf und Boden und als Speichellecker an. Um gleich noch einiges vom Hof- und Beamtenleben zu sagen, damit die Stellung der Dialli klar werde:

Ein erbliches Hofbeamtentum, wie bei den Mossi und Haussa, gab es nicht. Die nächsten den Herrscherthronen waren die eigenen Verwandten. Nach unten und im Hofstaat ordnend wirkten aber die More der Malinke, die Kobo der Bammana-Könige, d. h. Eunuchen. Die Erziehung der Söhne, die Verwaltung der Güter und Sklaven lag meist in der Hand eines alten Ulussu. Diese alten, treuen Familienhörigen waren überaus geachtet und geschätzt. Und dahinein fügten sich die Dialli in einer lockeren Weise als Dekoration, Staat, Schmuckstücke! Es darf aber eine Seite ihres Wirkens nicht vergessen werden: die Dialli waren auch gefürchtet. Ebensogut wie sie den Ruf eines Herrschers als mächtigen, gerechten und tüchtigen Mann und mit dem Ruf seinen Kredit, sein Kliententum heben konnten, ebenso gefährlich waren sie, wenn ihr böses Mundwerk Erniedrigendes, Wegwerfendes und Entehrendes verbreitete. Daß sie in dieser Hinsicht sehr gefürchtet waren, geht aus mehreren historischen Anekdoten aufs deutlichste hervor.

Nun einiges über den Hausgesang. — Sehr alt - so sagt man, und das ist wahrscheinlich - soll die Musik der Numu sein. Aber nicht alle Numu durften sich immer und zu allen Zeiten belustigen, wie sie gerade wollten. Tanzen und spielen durften die Tage, die Schmiede der Soninke und die Tege, die Schmiede der Wolof. Von dieser Art Leute gab es auch einige bei den Malinke, und die wurden Numu-folli genannt. Das waren die einzigen Schmiede, die tanzen konnten, wie und wann sie wollten. Sie bedurften keiner besonderen Erlaubnis. Dieses Numu-folli-Spiel, das auf der Trommelmusik basiert, ward aber gewünscht und beordert, wenn die Beschneidungszeit



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herannahte. Bei Bammana und Malinke leitete das Spiel der Numu die Beschneidungszeremoniale ein. Sonst spielten die Numu beim Bau der Boote und der Hochöfen die Flöte.

Bei Bammana und Malinke sangen auch die Jäger. Es ist mir nicht gelungen, in deren anscheinend sehr einfachen Liedchen einen sehr tiefen Sinn und für uns verständlichen Zusammenhang zu finden. So singen sie z. B., daß die Hundskopfaffen Schmiede, die Husarenaffen Fulbe, die Eichhörnchen Kinder, die Tauben Diattara, die Geier Könige seien, denn sie gingen wie Könige. — Die Jäger gaben ihre Sänge am Abend zum besten, wenn sie von der Jagd heimkehrten. Es gibt eine Gitarre, die bezeichnet man ausdrücklich als Jägergitarre, das ist die Schimbi. — Anscheinend pflegen übrigens nur die den Bammana des Segureiches nahestehenden vornehmen Familien die Jagd, so die Diarra, die Leute in Kaarta und Beledugu. Dort wissen auch die Jäger den Balafon zu schlagen. Dagegen spielen in Sankarang nur die Dialli und nicht die Vornehmen den Balafon, und die Marka kennen dies Kalebassenpiano überhaupt nicht. Allgemein schreibt man die Balafonkunst (Balafon, ein Kalebassenpiano entspricht dem Marimba des Zentralafrikaner) den Bammana zu, und wenn wir denken, welche eigenartige Rolle das Instrument in der Susu-Sumanguru-Legende einnimmt, so können wir uns der Hoffnung nicht entschlagen, daß die Verbreitung dieser von Vornehmen hier, von Dialli dort geschlagenen Klaviere einige wichtige Anhaltepunkte geben wird. (Vgl. die Tafel: Musikinstrumente.)

Die Bammana sind heute das einzige Volk des Mandingo-Plateaus, welches ursprünglich nicht über eine Sängerkaste verfügte. Alle Dialli der Bammana sind aus dem Malibereiche zugezogen, wie diese fahrenden Leute sich eben an jedem "Hofe" gern niederlassen, an dem Herrschermacht und finanzieller Hochstand zu finden ist, an dem ein reicher Mann lobenden Sang liebt und mit "goldenen Spangen" zu lohnen weiß. — Dagegen waren alle Bammana sangeskundig, und zwar kann man ihre Produkte wohl am ersten als "Volkslieder" bezeichnen. Das diesen dienende Instrument war die Gitarre, mit Namen djuma koni. Zumal am Freitag abend wurden Liedchen gesungen.

Dann gab es auch "Musikspiele". Das sind zunächst die "Bettelmusikanten". Zwei bis drei Burschen rüsteten sich mit ganz kleinen Gitarren aus, die mit Pferdehaaren als Saiten bespannt waren. Man zog übrigens denen der Pferde die der Giraffen vor. Der Resonanzboden war aus einer Kalebasse geschnitzt. Die Saite ward am Griffholz mit einem Spannring gehalten und geregelt und lief über einen Steg. — Mit diesem Instrument ausgerüstet zogen zwei oder drei



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Burschen von Gehöft zu Gehöft und sangen. Die Mädchen des Gehöftes traten dazu und sangen mit. Der Text soll in alter Zeit sich stets auf Tiere, und zwar immer die gleichen Tiere bezogen haben. Man sang vom

I Bassa, der Eidechse,
2. Kana, der Varanus,
3. Bama, dem Kaiman.
Zu meinem tiefen Leidwesen habe ich die Gesänge nicht auftreiben
können. Oder aber, man sagt wohl richtiger, es hat sich
keiner gefunden, der sie mir verraten wollte. Häufig leugneten die
Leute die Existenz überhaupt, und dann konnte ich nur an bestimmten
Merkmalen beweisen, daß sie sie geheimhielten.

Jedenfalls: Wenn die Burschen derart herumzogen und sangen, und die jungen Mädel sie bald hier bald dort akkompagnierten, so pflegten die Eltern der Mädels diesen Huhn, Ziege, Korn als Geschenke zu machen, und die Mädels bereiteten dann den Bettelstudenten gute Gerichte.

Ein weiteres musikalisches Spiel, das den Bammana bekannt war, war das bekannte "Suchen nach Musik", daß man ja auch bei uns unter Verwendung des Klaviers kennt. Einer muß einen Gegenstand suchen und einer spielt dazu. Irrt der Suchende vom Versteck zu weit ab, wird die Musik leiser, nähert er sich ihm, so wird die Musik stärker. Tout comme chez nous!


Copyright: arpa, 2015.

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