Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

SPIELMANNS GESCHICHTEN DER SAHEL

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



Atlantis Bd_06-0004 Flip arpa

MIT EINER KARTE DER SAHARA UND

EINER BILDERTAFEL / TITEL- UND

EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

Die Ulussu =Hörigen (Sing.: ulussu, Plural: ulussudu, bei Bammana und Malinke) repräsentieren eine durchaus festgegliederte Einrichtung. Ich gebe im folgenden die Beschreibung der Verhältnisse, wie sie bei den Malinke in Bambuk herrschen. Bei den Bammana und Bosso Soroko sind es aber genau die



Atlantis Bd_06-023 Flip arpa

gleichen, und erst bei den Senufo und anderen Völkern im Osten tritt eine Abflauung der Sittenstrenge ein.

Das Wort ulu-su kommt von ulu geboren und su = Gehöft. Es sind also die in den Landweilern, den Farmorten, also nicht die in den Burgen und Städten des Adels Geborenen, Beheimateten, Ursprünglichen. Es sind dies zunächst die Nachkommen der patriarchalisch-sippenmäßig gegliederten Urbevölkerung, die ursprünglichen Bauern, die hier ihrem nahrhaften Gewerbe vor dem Einfall staatenbildender Ritterschaften aus dem Norden nachgingen. Als Urbevölkerung sind es auch die "Jäger", die Primitiven, von denen mancher Barde sang und z. B. in den Epen Samba Kullung und Bassala-n'Sa zu berichten weiß. Als Jäger sind sie noch nicht unterworfen, noch nicht Hörige.

Aus diesen ursprünglich Freien werden dann aber die Ulussu zu Bastarden, die aus der Mischung des Herrenvolkes mit kriegsgefangenen Sklavinnen und der Ulussu untereinander hervorgegangen sind. Die unterworfenen Völker und eroberten Sklaven selbst werden von den Mandestämmen nie mit der Verleihung des eigenen Diamunamens beehrt. Hierin spielen nur die Senufo eine berüchtigte Rolle. Alle unterworfenen Stämme nehmen dort den Diamunamen des neuen Herrschers an. Wohl aber erhalten die mit den Sklavinnen gezeugten Kinder den Diamunamen des vornehmen Vaters. Diese Kinder sind und bleiben aber, wenn nicht die Befreiung durch Freikauf eintritt, Ulussu und sind niemals eo ipso Vornehme oder Freie, also Horo.

Das Eigenartige ist, daß die Ulussu, also heute die Bastarde, nicht Privateigentum ihres vornehmen Erzeugers werden, sondern daß sie entsprechend dem alten Bodenrecht der Ureinwohner zunächst als Orts- oder Gemeindeeigentum gelten, wenn sie auch für ihren Horopatron oder -vater nur bestimmte Arbeitsleistungen auszuführen haben. Übrigens ist es bemerkenswert, daß die Ulussuschaft in Bambuk z. B. nicht nur auf dem Wege direkter Blutsund Geschlechtsmischung eintritt. Ein Mann kauft z. B. Sklaven, das sind djong (Sing.: djong, Plural: djong-balu). Mit dem durch Kriegsglück oder Kauf erworbenen Sklaven männlichen und weiblichen Geschlechts kann der Vornehme machen, was er will. Sobald diese Djong aber - auch ohne seine geschlechtliche Mittätigkeit -auf seinem Hofe ein Kind hervorbringen, ist dieses Kind ein Ulussu, und es führt nicht mehr den Diamunamen der Djongmutter oder des Djongvaters, sondern den seinen. Und auch diese von Djong hervorgebrachten Ulussuarten gelten unbedingt nicht nur als Eigentum der Gemeinde und treten dieses Eigentumsrecht der Gerneinde nicht in irgendeiner Anforderung, die an die Arbeitskraft der Ulussu oder an irgendeine Abgabeart seitens der Ulussuherrn



Atlantis Bd_06-024 Flip arpa

gestellt wird, hervor, sondern dies Mitbesitzrecht der Gemeinde äußert sich erst im Augenblick, wenn der Herr seinen Ulussu befreien will.

Dies kann der Herr nicht anders machen, als indem er ihn freikauft. Und zwar kauft er ihn von der Gemeinde frei. Er zahlt eine ziemlich hohe Summe, und hiervon fällt ein Drittel den anderen Ulussu, ein Drittel den Siginfe (das sind die Fremden, Zugezogenen) und ein Drittel den eigenen Verwandten der Horo zu. Ich habe mich emsig bemüht, eine Antwort auf die Frage zu erhalten, worauf das Anrecht an diese Auszahlung zurückzuführen sei. Denn eigentlich sollte nach unserer Auffassung derartiger Verhältnisse bei den Naturvölkern das Kind, das ein Herrenmann (ein Horo) mit seiner ihm vollkommen gehörenden Sklavin zeugt, doch ihm gehören. Aber scheint nicht so; der Horo erwirbt bei den sittentreuen Nachkommen der alten Malinke die Kastenzugehörigkeit seines derartigen Sprossen nur durch eine Zahlung an seine Familie, die Fremden und die anderen Ulussu. Als Antwort auf meine dahin zielenden Fragen wurde mir immer wieder geantwortet: Der Ulussu gehört nicht wie der Djong seinem Herrn allein, sondern er gehört eben allen gemeinsam, denn er tanzt für alle. Diese Antwort befriedigt natürlich nicht ohne weiteres. — Was die Tänze der Ulussu anbelangt, so sind sie, abgesehen von speziellen mimischen Darstellungen, durch starke Betonung erotischer Bewegungsformen ausgezeichnet. Ich sah solche Tänze zur Zeit der Beschneidungsfeste und sonst. Immer und bei allen Festen fielen mir die alten Ulussudamen auf, die ihren Mittelkörper mit erstaunlicher, von großer Ubung zeugender Geschicklichkeit, in entsprechenden Bewegungen vibrieren ließen. Dafür wurden sie mit allerhand kleinen Gaben bedacht.

Ein Horo kauft einen Ulussu im allgemeinen nur frei, wenn er sein Sohn ist, den er mit einer Ulussufrau, also außerehelich, gezeugt hat, und wenn er diesem Sprossen nun nach seiner Beschneidung das Recht eines ehelichen Sohnes und Horozugehörigen verschaffen will. In solchem Falle wird dann die ganze Gemeinde zusammengerufen. Auf der Mitte des großen Dorfplatzes wird eine Kalebasse voll Wasser aufgestellt sowie ein Armring aus Silber hingelegt. Dieser silberne Armring heißt: buhlukonna-ori (Silber ori; sonst heißt Silber auch wohl wari). Der zu Befreiende muß sich vor aller Welt baden und waschen. Dann legt er den silbernen Armring an, und damit ist er vom Ulussu zum Horo geworden. Der silberne Armring sagt das. Denn ein Ulussu darf als Schmuck wohl Gold, nie aber Silber tragen. Das Silber ist das Schmuckmetall der Vornehmen. Dieses Gebot wird streng innegehalten. — Von dem Augenblick an, da der Ulussu-Sproß den Silberring trägt, ist er



Atlantis Bd_06-025 Flip arpa

Horo und nun führt er den Diamu-Namen seines Horovaters mit vollem Rechte. — Im Volksansehen sind die Söhne der Horo, die diese mit Ulussufrauen als Beischläferinnen (=Taramussu) gezeugt haben, weit begabter als die üblichen ehelichen Söhne aus Horofamilien und man sagt, daß alle großen Krieger und bedeutenden Männer nicht den Horomüttern, sondern den Ulussumüttern entstammten.

Einfacher ist übrigens die Klärung der vollberechtigten Kindschaftsanerkennung so zu erledigen, daß der Horovater, der seine Ulussufrau mit seinem Sprossen schwanger weiß, direkt die schwangere Ulussufrau heiratet. Er hat dann nur nötig, diese Tatsache unter Beifügung kleiner Geschenke der eigenen Familie, den Ulussus und den Fremden mitzuteilen. — Dann gilt das erwartete Kind als eheliches Horokind. — Aber wie gesagt, ganz abgesehen von dem Freikauf haben die Ulussu sonst nicht das Recht, den Diamunamen ihrer Horoherren zu tragen.

Das Leben des Ulussu ist ein durchaus angenehmes. An fünf Tagen der Woche arbeitet er für seinen Herrn, und zwar nur in den Vormittagsstunden von Sonnenaufgang bis Mittag. Die Nachmittagsarbeit, die uranjang heißt, ist für ihn selbst. Außerdem steht ihm freie Verfügung über die Arbeitszeit am Freitag und Sonnabend zu, so daß er in Wahrheit mehr Arbeitszeit für sich, als für seinen Herrn verwenden kann. Was er in dieser Zeit verrichtet, das gehört ihm, und er kann das verwenden, indem er sich eine Frau kauft, indem er heiratet, oder auch wohl, indem er sich freikauft, obgleich das letztere früher nicht allzu häufig vorgekommen ist.

Erstens also, der Ulussu kann sich eine eigene Sklavin anschaffen, d. h. kaufen. Eine Ulussuskiavin heißt: djomandjong. Zeugt er mit ihr Kinder, so geht keinerlei Recht an dieselben auf seinen Herrn über. Sie sind sein Privatbesitz, und was sie verdienen, gehört dem Vater der Kinder, dem Ulussu. Diese Kinder arbeiten nur für ihn. Sie gelten im übrigen, ganz wie ihr Vater, im Ansehen der Leute als Ulussu.

Zweitens kann der Ulussu heiraten, aber das Recht hierzu muß er sich gewissermaßen erkaufen, d. h. er muß etwa für 10 Frank Wert eingeborenen Baumwollstoff seinem Herrn zahlen und je zwei Hühner sowohl dem Angesehensten der Numu als dem Angesehensten der Dialli schenken. Hat der Ulussu keine Hühner, so muß er den gleichen Wert (also ca. 2 Frank für je ein Huhn) in irgendwelchen anderen Gaben diesen beiden Herren zukommen lassen. — Die Kinder einer solchen Ehe gelten als Ulussu und arbeiten nur für den Herrn ihres Vaters - wie ihr Vater selbst.

Endlich kann der Ulussu, wenn er genug erarbeitet hat, sich auch freikaufen. Dann zahlt er für etwa 400 Frank Vieh oder selbstgewebte



Atlantis Bd_06-026 Flip arpa

Stoffe an seinen Herrn, und die kommen auch wieder nicht seinem Herrn zu, sondern der muß die Abgabe zu gleichen Teilen unter die Ulussu, die Fremden und die eigene Familie verteilen. Solange ein Ulussu sich nicht freigekauft hat, gelten seine Kinder nicht nur als Ulussu, sondern sie müssen auch wie ihr Vater die oben angegebene Zeit für den Horo arbeiten.

Die Ulussu haben noch eine wesentliche Industrie in diesen Ländern in Händen: sie sind die vorzüglichsten Weber. Sonst sei noch bemerkt, daß die Ulussu der Mande den Rimaibe (Sing.: dimadio) der Fulbe entsprechen.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt