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Kapitel 

SPIELMANNS GESCHICHTEN DER SAHEL

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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MIT EINER KARTE DER SAHARA UND

EINER BILDERTAFEL / TITEL- UND

EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

Ritter und Spielmann.

Die Dokumente ägyptischer Vergangenheit, alte griechische Sagen, alte römische Historiker -nichts, niemand weiß uns etwas über diese jenseits der Oekumene mittelländischer Geschichte stattgehabten Lebensformen, weiß uns historische Tatsachen aus jenen verschwiegenen Ländern zu sagen. Das eine ist sicher: unsagbar vereinsamt, vergessen und beziehungslos, geradeso weltfremd geworden wie die Herrlichkeit zentralamerikanischer Hochkultur lebte jene Welt dahin - und dennoch unserem eigenen Werden, unserer eigenen großen Vergangenheit so treubleibend, daß die Überlieferungen der Spielleute, Barden, Skalden (oder wie man sie nennen mag) jener Zeit, uns heute noch so verständlich klingen, als wären sie in der Nachbarschaft Tules und nicht in der des alten Atlantis gesungen.

Die Spielleute - Dialli - der heutigen Zeit haben nicht nur die Gesänge der alten Zeit (wir werden jedes der "Heldenbücher" der



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Sahel auf sein tatsächliches Alter prüfen müssen!), sondern auch eine gute Gesamtvorstellung der Lebensform, die ihnen zugrunde liegt, bewahrt. Dies aus dem einfachen Grunde, weil das alte Heidenleben zum Stil ward und jede jüngere Vertreterschaft sich in ihr wieder auszudrücken bestrebte -auch die erste islamische Invasion der berberisch-maurischen Stämme und zuletzt sogar die Führer der marokkanischen Invasion, die Ruma oder Arama. Derart bewahrte die Knappschaft der Spielleute das Bild alten Seins und hat es bis auf unsere Tage in sagenhafter Form bewahrt.

So aber berichten die Dialli Farakas aus der alten - alten Zeit:

Von Anfang an gab es zweierlei Art von Adligen, die aber neben einander in Ganata und Faraka anlangten. Bei den einen galt der Vater nichts und bei diesen ererbten die Söhne des Bruders der Burgherrin alles, die Söhne des Burgherren selbst aber nichts. Bei den anderen aber traten die Söhne des Burgherrn in die Erbschaft, blieben jedoch bis auf einen einzigen nicht daheim, sondern wurden ebenso landzügig wie die enterbten Söhne der ersten Art, so daß alles Land in Faraka wie in der Sahel nach Osten wie nach Westen stets von einer ganzen Anzahl landarmer und landsuchender Adelssöhne durchzogen wurde.

Das Land wurde damals von Burdama (Tuareg) und Borojogo bedrängt, damit kein Salz mehr aus den Salzgruben der Sahara in die Sahel kommen könne. Die jungen Gana, die enterbten Fürstensöhne, zogen aber gegen die Burdama und Borojogo zu Felde. Sie kämpften unter der Führung der Fasa, und als die Borojogo ihre alten Herren, die Fasa, erkannten, erschraken sie so, daß sie ihre Bundesgenossen, die Burdam, im Stich ließen und diese geschlagen wurden. Denn nie konnte ein Borojogo einem Fasa ins Auge sehen. Aus diesem gemeinsamen Kampfe der Gana (= Helden) entstand das Königreich Ganata, das unter der Regierung von 74 Königen seine Eigenart wahrte bis die lauernden Borojogo mit List sich der Stadt des Königs bemächtigten. Eine Liste der Könige Ganatas ist aber noch in Bilma aufbewahrt und in den Händen eines Alten (Bericht des Dialli Djebereu Ko-lagi).

Dialli (Barden der Mande) gab es in der Zeit des alten Ganata nicht; wohl aber Diare und Garajogo. Die Diare waren selbst einst Adlige und vom Stamme der Fasa gewesen, dann aber zu Spielleuten und so die Erhalter des alten Wesens geworden. Das alte Wesen bestand darin, daß jeder Fürst (=gana-maga) seine Söhne mit den Söhnen seiner Ritter (= gana) erziehen ließ und dann, wenn sie Schild und Speer und Schwert zu handhaben wußten, vom Hof entließ. Jeder junge Gana zog dann, vom Vater wohlausgerüstet, mit Pferden und Waffen und begleitet von einem Diare



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oder Garajogo in die Weite und eroberte im Kampfe ein Land und erbaute eine Burg (= sorro). Es erstreckten sich Reihen von Burgen nach allen Richtungen in das Land der Neger, der Schwarzen (Jogofi). Die Diare und Garajogo trugen hinter ihren Herren alle Kenntnis der Geschichte alter Zeiten her, und wenn ein Gana seine Kinder versammelte, rief er den Diare oder Garajogo des Hauses herbei, daß der jenen die alten Angelegenheiten der Sippe vorsinge und sie ihnen für den Weg über der Erde und in die Sahel hinaus einpräge.

Damals gab es noch nichts Unerhörtes auf dem Lande. Gold und Steine regneten zur Erde, und aus den Herzen der Menschen erwuchsen noch die Taten. Damals kauften die Menschen noch nicht die Frauen, sondern die Frauen gewährten den Männern die Nächte, wenn sie diese ihrer würdig erachteten. Damals gab es Burgen (= sorro), aber keine Städte außer Ganata, und wenn ein junger Gana vor einer Burg lagerte und sein Diare oder Garajogo Einlaß begehrte, so ward ihm solche gestattet, nachdem er sich in seinem ritterlichen Schmucke ein Kampfesrecht gewonnen hatte. Ah! Wie oft haben junge Gana die Verpflichtung zu schweren Kämpfen gegen übermächtige Gegner übernommen, unterlagen und zogen dann entseelt in die Burg einer Herrin ein! Dann wurden ihre Leichen herrlich geschmückt, wurden reich gekleidet aufgebahrt, in den Sorros ausgestellt und in mächtigen Urnen bestattet, über denen dann die Erde bis zum Himmel aufgetürmt wurde, so daß ihr Andenken die Seelen der Menschen erfüllte und immer wieder ermahnte, daß das Leben nicht so gemeinen Wert besitze, wie bei den Söhnen der heutigen Zeit (der Bammana), die sich genügend geehrt fühlen durch ein Mittagsmahl von Hundefleisch und Kuhmilch (Bericht der Karamogo Sisse in Mopti-Segu).

Damals kannten die Menschen nur unter Gleichen den Zweikampf, unter Ungleichen aber die Verachtung, im Kampfe mit Gleichen nur Schwert und Speer, im Kampfe mit Ungleichen nur den Sattelgurt, als Ziel des Kampfes nur eine adlige Frau, ein herrschaftliches Land und die Wohltat gegen die Ärmlichen; nie aber erachteten sie es ihrer Würde angemessen, Sklaven zu machen oder Gold zu gewinnen. Stets ehrten sie die Dialli, die ihnen die tiefe Weisheit, nämlich die Weisheit des Wesens der Fasa, vermachten. Niemals aber plärrten die Dialli ihre jämmerlichen Sprüche vom Verdienste des Rühmens. Ein starker Gana mochte arm sein, aber er galt mehr als ein König, mochte der sonst auch noch so reich sein. Jeder Dialli hatte aber im Herzen wie im Bauche stets mehr Weisheit als je ein noch so weiser Marabut (islamischer Geistlicher) zur Verfügung hatte. Denn die Weisheit der Dialli betraf alle großen Geschehnisse in der Geschichte der Gara in Sahara und



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Sahel, das Wissen der Marabut aber besteht in der Wiederholung heiliger Sprüche, die niemals ein Gara, sondern nur ein Mogo-fing (=Neger) verstehen kann.

Herr! ich weiß es wohl, daß es dem Magen und der Gesundheit bekömmlich ist, nicht zu trinken, sondern heiligen Sprüchen zu folgen; aber ich kann es nicht. Denn ich war noch ein Dialli derer, die wohlgemut morgens ausgingen, um mit den Waffen das Leben in doppelter Form und in doppeltem Umfang zu gewinnen oder es ganz zu verlieren. Ich war der Dialli der letzten Gara und wenn es auch nur Bammana waren. Und ich habe sie gesehen, wie sie lebten und wie sie starben. Herr, ich habe daneben Marabut gesehen, die nie trinken und stets weise sind. Herr. dies machte mich klug!

Glaube mir, die Überlieferung unserer Sippe hat Recht: Jene Gara kämpften und tranken. Sie kämpften und gewannen die Liebe der Frauen, eine königliches Besitztum und ihren Platz im Heldengesang! Die Menschen unserer Zeit (die Zeit der Fulbe) kämpfen auch, aber nur um des Propheten willen. Und um des Propheten willen werden sie auch im Kampfe wahnsinnig. Aber dieser Kampf macht heute arm, macht die Männer arm, macht die Frauen arm und niemand reich, es sei denn die Marabut, und auch diese nur reich an Geld. —Sage mir, Herr, ob jemand heute noch ein Glück gewinnen kann, so voll, so stark, so innerlich wie die Gara der alten Zeit? (Dialli Korongo)


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