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Kapitel 

DICHTEN UND DENKEN IM SUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1925

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT EINER KARTE UND EINER TAFEL

6. Sunjattas Flucht

Drei Jahre waren nach der Beschneidung Sunjattas vergangen. Einmal war Djalimussu tumbumannia verreist, da einigten sich die andern acht der neun Subaga auf Veranlassung von Verwandten Sunjattas und verwandelten ihn in einen Turani (Stier). Dann führten sie den jungen Turani heraus und schnitten ihm den Kopf ab, sie töteten ihn; sie zerlegten ihn und machten neun Teile daraus. Jeder nahm seinen Teil, und das neunte Teil für Djalimussu tumbumannia hoben sie auf und gaben es der (Sunjatta schützenden) Subaga, als sie wiederkam. Djalimussu tumbumannia nahm ihren Teil und fragte: "Was ist das für Fleisch ?" Die andern Subaga antworteten: "Das ist das Fleisch Sunjattas, des Sohnes Sugulunkurmangs, den wir in einen Turani verwandelt und dann zerlegt haben."Djalimussu tubumannia sagte: "Was ist mehr Fleisch, ein junger Turani oder neun große Buschbüffel ?"Die acht Subaga antworteten: "Neun große Buschbüffel haben mehr Fleisch!"Djalimussu tumbumannia sagte: "Gut, dann bringt morgen sämtliche Knochen und Sehnen eurer Teile herbei, ich will euch dann jeder einen großen Buschbüffel dafür geben." So ward es; man brachte am andern morgen alle einzelnen Teile des Knochen- und Sehnengerüstes herbei und setzte den Turani wieder zusammen. Es wurde wieder ein junger Ochse daraus. Djalimussu tumbumannia schlug ihn auf den Schwanz, und er wurde wieder Sunjatta. Djalimussu tumbumannia sagte zu ihm: "Laufe schnell von dannen. Bleibe nicht! Gehe aus dem Mandelande! Die



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junge Schlange muß sich verstecken, wenn sie nicht von den Menschen getötet und so jung ums Leben gebracht werden soll."

Sunjatta machte sich mit seiner Mutter auf und ließ durch einen bekannten Mann das Kengebugurilala, das Sandorakel, über sein Schicksal befragen. Das Orakel sagte: "Ehe du dahinkommst, wohin du willst, wirst du dreimal in Zorn geraten. Wenn du dich aber nicht vom Zorn wirst hinreißen lassen, dann wirst du König des Mandelandes werden. Zunächst gehe hin und verstecke dich im Lande Merna." Da machte sich Sunjatta auf den Weg und zog von dannen. Er nahm mit sich seine Mutter Sugulunkurmang, seine kleine Schwester Killikillimadjumasuko und seinen jüngeren Bruder Simbombatanganjati, der auch ein großer starker Mann war. Mit diesen dreien entfloh er und zog aus dem Mandelande.

Er floh auf dem Wege, den das Orakel angegeben hatte und kam zunächst in das Land Dabo, in dem jeder Mann als "guten Tag" "dabo"sagte, und der Häuptling als Kissima Dabo bezeichnet wurde. Die Daboleute hatten drei verschiedene Arten von Baschi (Heiligtümer). Zunächst hatten sie die "Do", das waren Getränke wie das Dolo (Sorghumbier), aber von verschiedener Stärke. Einige konnten nur die Biere vertragen, welche einen Monat alt waren, andere die von fünf Monaten, andere die von sechs Monaten und andere gar die von zehn Jahren Alter. Das waren aber ganz starke Menschen, und nach dem Genuß waren sie müde und betrunken. Das zweite Baschi wurde genannt Tulu Kavuli Faga Kono, das war ein großer Topf, in dem viel Öl gekocht wurde. Wer nun etwas beschwören wollte, der zog seinen Ring vom Arm, warf ihn in das kochende Öl und zog ihn mit entblößtem Arme wieder heraus. Wer falsch geschworen hatte, dem verbrannte das kochende Öl den Arm bis auf die Knochen. Wer aber die Wahrheit gesagt hatte, dem konnte das Öl nichts anhaben. Zum dritten hatten sie das Baschi Binje, das bestand aus sieben doppelten Türen, die stellte man vor einen Baum von der Art des Bamanju (d. i. ein Bananenbaum). Vor diesen Türen schwor man. Wer richtig geschworen hatte, dessen Pfeil drang durch je zwei, ja drei Türen. Wer aber falsch geschworen hatte, dessen Pfeil konnte nicht einmal in das Holz der ersten Tür eindringen.

Die Leute von Dabo sahen aus der Ferne Sunjatta mit seinen Begleitern kommen. Sie sagten: "Was ist das? Es ist ein Fremder, wir wollen ihm den Do von einem Monat Alter geben." Sie reichten ihn Sunjatta, um zu sehen, wie stark er sei. Sunjatta nahm den Becher, und reichte ihn gleich weiter an Killikillimadjumasuko und sagte:



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"Das mag gut sein für ein kleines Mädchen. Für mich ist das nichts." Die Schwester nahm das Gefäß, setzte es an die Lippen und warf dann Becher und Trank fort. Sie sagte: "Pfui, das ist schmutziges Wasser, aber kein Getränk!" Die Leute von Dabo sagten: "Wir wollen ihnen zweijährigen Do geben." Sie reichten ihn Sunjatta. Er setzte es an die Lippen und sagte: "So etwas gibt man bei uns Kindern. Meine Schwester mag das versuchen." Man reichte den Trank Killikillimadjumasuko. Das Mädchen trank davon, warf Trank und Schale fort und sagte: "Das taugt nichts. Die Frauen von Dabo verstehen kein Bier zu brauen." Die Daboleute sagten: "So sollen sie den Do von zehn Jahren versuchen." Sie reichten eine kleine Schale Sunjatta hin. Er versuchte davon und sagte: "Für Frauen mag das gehen, für Männer nicht. Gebt den Trank Killikillimadjumasuko!" Man gab dem Mädchen den Trank. Killikillimadjumasuko setzte die Schale an die Lippen, trank sie aus und sagte: "Gut ist das nicht. Wenn es aber nichts Besseres gibt, wenn die Frauen von Dabo nichts Besseres zu machen wissen, so kann man damit leidlich den Durst löschen. Man bringe mir also den großen Topf." Da brachte man einen ganz großen Topf mit dem zehnjährigen Do, und den trank das Mädchen aus, um damit den Durst zu löschen.

Die Leute von Dabo sagten: "Das sind starke Leute. Dieser Mann soll den Tulu Kavuli Faga Kono versuchen. Man bringe ihn herbei." Die Leute brachten den Topf mit Öl herbei. Sunjatta zog seinen Ring vom Arme, warf ihn in das kochende Öl und sagte: "Njatta, Njatta, Njatta ninkanja, Njatta Namara! Das bin ich. Als ich noch unter dem Herzen meiner Mutter ruhte, da mag sie ein Vogel im Busch erschreckt haben, und sie mag erschrocken sein. Das ist dann nicht mein Fehler. Meine Mutter mag damals erschrocken sein, wenn ein Löwe brüllte. Das kann ich nicht wissen. Damals mag sie vor dem Djinna (Teufel) erschrocken sein. Davon weiß ich nichts. Das gehört nicht in meinen Schwur. Wenn der Donner grollte, wenn der Vater mit ihr schalt, dann mag sie erschrocken sein, und das nehme ich nicht in meinen Schwur auf. Aber seitdem ich meine rechte und meine linke Hand unterscheiden kann, bin ich nicht erschrocken. So mag das jetzt als mein Schwur gelten und alle Haut und Fleisch mag von meinem Arme brennen, wenn ich falsch schwöre. Wenn es aber so ist, dann mag mein Arm so bleiben, wie er ist." Er steckte die Hand in die kochende Flüssigkeit und zog sie wieder empor. Es war alles wohl erhalten, nur ein Härchen war verbrannt. Darüber lachten die Daboleute. Wie die Leute lachten, wurde Sunjatta grimmig



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und wütend. Seine Schwester aber nahm ihn zur Seite und sagte: "Das Kengebugurilala hat gesagt: ,Wenn du dich aber nicht vom Zorne wirst hinreißen lassen, dann wirst du König des Mandelandes werden.' Sei also auf deiner Hut. An der Angelegenheit aber bist du selber schuld. Warum hast du mir nicht vorher deine Absicht gesagt. Ich bin nur ein schwaches Mädchen, eine Frau, aber ich vermag viel. (Das Mädchen verfügte nämlich auch über große Zauberkräfte.) Also sage mir vorher immer alles und ich werde dir behilflich sein." Sunjatta sagte: "So werde ich noch einmal schwören."Sunjatta ging hin und schwur nochmals. Seine Schwester stand daneben. Er steckte den Arm in das kochende Öl und zog ihn wieder heraus. Da war das Härchen, das vorher verbrannt war, wieder hergestellt.

Die Leute von Dabo brachten nunmehr das Binje herbei. Sie stellten die sieben Türen vor dem alten Bananenbaum auf und sagten: "Sunjatta, nimm Pfeil und Bogen und schieß auf die sieben Türen." Da rief er seine Schwester und sagte: "Killikillimadjumasuko, sieh, ich will auf diese sieben Türen schießen." Sie kam herbei. Die Leute sprachen zu ihm: "Wenn du reinen Blutes bist, wenn du das Kind deines königlichen Vaters bist, so magst du getrost auf diese sieben Türen schießen, dann wird dein Pfeil zwei, oder gar drei Türen durchschlagen. Sonst aber wird er das Holz nicht zu durchboren vermögen." Man stellte die Türen auf. Sunjatta nahm seinen Pfeil auf die Bogensehne und sprach: "Wenn ich nicht reinen Blutes bin, so mag de! Pfeil zurückkehren und mich töten." Er schoß; der Pfeil sauste von dannen und zerschlug nicht nur alle sieben Türen, sondern drang auch noch mit voller Wucht in die Wurzel des Baumes, vor dem die Platten standen und warf den Baum um. Da schrie Kissima Dabo der König des Landes Dabo, laut auf, und sogleich war der Baum wieder aufgerichtet an seinem Platze wie vorher. Sunjatta schrie der Baum fiel wieder hin. Der König schrie — da stand der Baum wieder auf. Beide schrien, da fiel der Baum zur Hälfte um, die andere Hälfte blieb stehen. Und so ist es bis heute. Alle Bananenbäum stürzen nach und nach ein.

Die Leute von Dabo sagten aber: "Dies ist ein tapferer und starker Mann", und sie zeigten ihm den Weg nach Merna.


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