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Kapitel 

DICHTEN UND DENKEN IM SUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1925

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT EINER KARTE UND EINER TAFEL

5. Sunjattas Beschneidung

Die Kinder wuchsen miteinander auf. Sunjatta war schwach auf den Füßen, Massa Dangaratuma aber war stark. Sunjatta blieb immer am Boden hocken, und Massa Dangaratuma lernte bald laufen. Als sie schon ein wenig herangewachsen waren, kaufte sich jeder von beiden einen Hund. Massa Dangaratuma nannte den seinen Dindofollobiulukorote (der zuerst Geborene, aber nicht ältere). Sunjatta den seinen Sobekonssante (gut herangewachsen, aber im nötigen Augenblick unglücklich). Wenn sie aßen, reichten sie ihren Hunden je eine Handvoll Essen hin. Sobekonssante war schnell; er schluckte nicht nur die eigene Speise herunter, sondern nahm auch eilig noch Dindofollobiulukorote das Essen fort. Massa Dangaratuma sagte zu Sunjatta: "Wenn das dein Hund noch einmal macht, werde ich ihn totschlagen. Ich werde ihn töten!"Sunjatta sagte: "Wenn du das



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tun solltest, werde ich etwas unternehmen und etwas tun, davon soll ganz Mande reden!" Massa Dangaratuma sagte: "Was willst du! Ich werde ja doch König, und du bist nichts!" Er suchte einen dicken Knüppel und legte ihn neben sich. Als abends das Essen kam, fraß Sobekonssante wieder sein Essen und das des andern Hundes auf. Da nahm Massa Dangaratuma den Knüppel und schlug ihn tot. Nun war Sunjatta ja schwach auf den Beinen (solche Kinder nennt man Nammara) und blieb auch lange Jahre so am Boden hocken. Er war aber am Oberleibe sehr stark. Er packte seinen Bruder an der Ferse und preßte ihn, daß fast die Knochen brachen und er sich vor Angst und Furcht in die Hosen machte. Er preßte ihn sehr, bis Djalimussu tambumannia dazu kam und sagte: "Laß den Fuß deines Bruders los!" Da ließ Sunjatta den Fuß los.

Die Kinder wuchsen heran. Der König sah es, daß zehn der Knaben kräftig und tüchtig waren, während Sunjatta noch immer nicht vom Boden aufzustehen vermochte, trotzdem er schon dreizehn Jahre alt war. Farkuma-Kakenji sagte: "Die Kinder können bis auf Sunjatta nun bald beschnitten werden."Sugulunkurmang hörte das. Sie weinte, weil ihr Sohn nicht schneller heranwuchs. Sunjatta tröstete sie und sagte: "Weine nicht, denn mein Vater kann meine Brüder nicht vor mir beschneiden lassen. Wenn der Vater den Boten mit der Nachricht sendet, so sage ihm, daß er mir die Nachricht selber bringe." Nach einiger Zeit kam der Bote zur Mutter und sagte: "Farkuma-Kakenji will alle Knaben bis auf Sunjatta beschneiden lassen, weil der immer noch am Boden hockt." Sugulunkurmang sagte: "Sage es meinem Sohne selbst. Dort ist er am Boden." Der Bote ging zu Sunjatta und sagte: "Djata Djata Ninkanja."Sunjatta sagte: "Ja, ich bin Djata Djata Ninkanja. Ja, ich bin Jatta Jatta Njatauliballi, der die Knochen zerschlägt, aber nicht aufstehen kann." Der Bote sagte: "Farkuma-Kakenji will deine Brüder beschneiden lassen, aber nicht dich, weil du noch am Boden herumhockst." Sunjatta sagte: "Antworte meinem Vater, daß, wenn meine Brüder endgültig vor mir beschnitten werden, er etwas erleben wird, was man nie hörte, seit Mande entstand. Mande wird dann zergehen und keiner kann es je wieder gründen." Der Bote ging hin und sagte es dem König. Der aber erwiderte: "Das Gerede ist mir gleich. Aus meinem Harn kann nicht ein Kaiman kommen, der mich verschlingt." (Soll heißen: "Meine Nachkommenschaft kann nicht stärker sein als ich es bin.") Der König fuhr fort: "Man lasse seine Brüder beschneiden, komme, was da komme!"



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In der folgenden Nacht begann der Tamtam. Sugulunkurmang weinte wieder. Sie sagte: "Du bist der Älteste und hast immer unglück. Mußt du denn immer zuletzt kommen?" Sunjatta sagte: "Der Vater kann das nicht durchführen. Du wirst das sehen." Sugulunkurmang sagte: "Du wirst sehen, daß es der Vater doch kann." Inzwischen rief der König neun Numu (Schmiede) und gab ihnen den Auftrag, die zehn Knaben zu beschneiden. Also beschnitten acht Numu je einen, der neunte aber zwei Knaben. So wurden die Knaben beschnitten, und die Frauen sangen jubelnd den heiligen Beschneidungsgesang. Sugulunkurmang weinte wieder und sagte: "O mein armes Kind! Mein armes Kind!"Sunjatta sagte zur Mutter: "Laß nur; wir werden sehen, daß es der Vater nicht kann."

Die Numu kamen zu Farkuma-Kajenji und sagten: "Wir sind fertig, zahle uns!" Der König sagte zu einem von ihnen: "Geh jetzt zu Sunjatta und sage zu ihm, die Beschneidung seiner Brüder sei vollbracht. Er könne jetzt tun, was er vorhabe." Der Bote ging hin und sagte es so zu Sunjatta. Sunjatta sagte: "Ehe ich dir meine Antwort gebe, geh zur Seite und laß dein Wasser!" Der Numu ging hin, aber als er sein Glied anfaßte, sah er, daß er nicht mehr beschnitten, sondern daß ihm plötzlich wieder die Vorhaut gewachsen war. Er lief entsetzt zum König zurück. Farkuma-Kakenji fragte: "Nun, welche Antwort hat Sunjatta gegeben ?" Der Numu sagte: "Ehe ich dir antworten kann, mußt du mir die Hände binden lassen." Der König ließ den Mann fesseln. Dann sagte der Numu: "Alle die wir gegen den Willen Sunjattas die Knaben beschnitten haben, wir alle werden wohl wieder eine Vorhaut haben und nicht mehr beschnitten sein. Wenigstens ich bin nicht mehr beschnitten."Alle andern Numu gingen beiseite und sahen und kamen zurück und jeder sagte: "Laß mich binden, ich habe beschnitten und bin selbst nicht mehr beschnitten." Farkuma-Kakenji sagte: "Das ist eine eigene Sache." Er ging selbst hin, um zu urinieren und da sah er, daß er nicht mehr beschnitten war. Das kam so, daß ein Numu zwei Knaben beschnitten, und somit reichte der Zauber für den König mit.

Farkuma-Kakenji kam zurück und sagte: "Bindet mich, denn ich bin auch nicht mehr beschnitten." Darauf gingen der König und alle Schmiede zu Sunjatta und begrüßten ihn als ihren "Kuntigi" (Kopf oder Chef gleich Chef im allgemeinen) und baten ihn um Entschuldigung. Da begann Sunjatta das Spottlied: "Ankatulunke Mande amanji" (amüsieren wir uns Mande schlecht), d. h. etwa: Verspotten



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wir das heruntergekommene (schlechte) Mandeland. Viele Leute sangen das Spottlied. Inzwischen kam Djallimussu tumbumannia und sagte: "Laß deinen Vater nunmehr frei. Er ist müde. Man weiß jetzt, daß du stärker bist als er." Sunjatta sagte: "Ich will meinen Vater unter der Bedingung frei lassen, daß die andern Knaben nicht vor mir beschnitten werden!" Man sagte es Farkuma-Kakenji. Darauf gingen seine Vorhaut und die der Numu wieder zurück; die zehn Knaben hatten dafür aber wieder die ihre, und nun waren sie nicht mehr beschnitten.

Die Mutter Sunjattas bat ihre Nebenfrau: "Gib mir von deinen Sira-(Affenbrotbaum-("Blätter."Die andere Frau sagte heftig: "Heute will ich dir noch geben, dann ist es aber zu Ende. Dein Sohn ist älter als der meine; laß ihn doch auf den Sirabaum klettern und Hals und Knochen beim Klettern riskieren. Der meine sucht für mich. Weshalb rutscht dein Sunjatta immer auf der Erde herum?" Sunjatta hörte draußen, daß seine Mutter mit jemand stritt, und fragte: "Was sprichst du da mit den andern Frauen?"Sugulunkurmang sagte: "Ach, es ist nur wegen der Sirablätter, die ich von einer Nebenfrau erbat."Sunjatta sagte: "Gibt es denn in Mande keine Schmiede? Hat mein Vater keine Schmiede?" Seine Mutter sagte: "Ja, dein Vater hat Schmiede." Da erwiderte Sunjatta: "So sollen sie mir jetzt einen Eisenstab machen, an dem ich mich aufrichten kann." Die Numu (Schmiede) bauten sieben Ganso (Hochöfen), um das Eisen zu einem starken Stabe zu schmelzen. Sie schmiedeten den Stab und brachten ihn Sunjatta. Er nahm den Stab und zerbrach ihn zwischen den Fingern wie ein Rohr. Er sagte: "Das kann mir nichts nützen. Gibt es in Mande keine rechten Schmiede?" Die Leute sagten: "Ja, es gibt Schmiede." Sunjatta sagte: "Dann sollen sie mir einen ordentlichen Eisenstab machen, der hier kann mich nicht tragen." Die Numu bauten nun siebzehn Ganso, um das Eisen zu dem Stabe zu schmelzen. Sie schmiedeten den Stab und brachten ihn Sunjatta. Dieser stemmte ihn nur gegen die Erde, da bog er sich krumm wie ein Bogen. Er warf den Stab weg und sagte: "Nun bringt mir endlich etwas Ordentliches. Derartiges kann mir nichts nützen." Darauf bauten die Schmiede siebenundzwanzig Ganso, um das Eisen zu einem einzigen Stabe zu schmelzen. Sie schmiedeten den Stab und viele Leute trugen ihn. Er war dick wie ein Baumstamm. Sunjatta stützte sich auf ihn; er wollte sich aufrichten. Der Stab war aber nicht ganz stark genug und bog sich wieder ein wenig. Da rief Sunjatta: "Schnell, Mutter, komm, hilf mir!" So stützte er sich links



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auf die Schulter seiner Mutter und rechts auf den Eisenstab. Die Mutter sang jubelnd: "Heute ist ein schöner Tag, der gute Gott hat mir noch keinen gleichen gegeben."

Damals gab es in Mande einen einzigen großen Sirabaum. Wer einen Kern aus der Frucht dieses Baumes verschluckte, der wurde in Mande König. Sunjatta ging mit seinen Leuten zu dem Baume. Viele Leute hatten es schon versucht, mit Knüppeln da hinauf zu werfen, um eine Frucht zu erhalten. Keiner aber hatte soweit hinauf getroffen. Sunjatta aber ergriff statt eines Stockes einen Menschen. Er packte ihn bei den Beinen, aber als er ihn packte, brach dem armen Tropf ein Bein. Unter diesem Baume stand Balla-Fasege-Kuate, ein uralter Sänger (von dem noch heute viele Sänger ihre Herkunft ableiten). Der sang: "Sinkate Namara Konate!" (Bein. zerbrecher Namara-Familie). So erhielt Sunjatta einen seiner Namen. Der hinaufgeworfene Mensch schlug gegen eine Frucht, brach sie und schleuderte sie herab. Dann fiel er auf der andern Seite selbst wieder zu Boden und zerbrach dabei einen Arm, so daß Balla-Fasege-Kuate sang: "Bulukati Namara Konate!" (Armzerbrecher Namara-Familie), was wiederum ein Name Sunjattas wurde. Als die Frucht herunterfiel, begnügte sich Sunjatta nicht damit, wie andere es getan hätten, einen einzelnen die Königsherrschaft spendenden Samenkern zu verschlucken, sondern er schluckte die ganze Frucht so, wie sie war, hinab und verhinderte so, daß ihm ein Rivale entstand. Dann aber ergriff er den ganzen riesigen Baum, wie er vor ihm stand, riß ihn aus der Erde, wie andere ein kleines Pflänzlein gepackt hätten, trug ihn in die Stadt und setzte ihn in das Gehöft seiner Mutter. Er sagte: "Bisher mußte sich meine Mutter an andere wenden, um Sirablätter zu erhalten. Jetzt sollen die andern zu meiner Mutter kommen, wenn sie Sirablätter begehren." Er ließ den Baum im Gehöft seiner Mutter stehen.

Der Vater hörte das und sagte: "Aha, Sunjatta ist jetzt auf, und man kann daran gehen, ihn zu beschneiden." Nun war es Sitte, daß man in feierlichem Zeremonial dem ersten unter den Beschnittenen damals die Kongoton (Mütze) aufsetzte und den Muruffe Durruki (Mantel aus rotem Stoff) umhängte. Kongoton und Muruffe Dur. ruki waren aber so schwer, daß man den Menschen, den man damit geschmückt hätte, gleichzeitig erdrückt hätte, und somit begnügte man sich damit, den Mantel dreimal um seine Schultern und die mit dreihundertdreiunddreißig Köpfen von Tauben (Tubani) und drei. hundertdreiunddreißig Köpfen von Kronenkranichen (Koma) geschmückte



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Kongoton dreimal über seinen Kopf zu halten. —So hielt man auch den Muruffe Durruki über ihn, einmal, nahm ihn wieder weg, zum zweiten Male und nahm ihn wieder weg, da rief Sunjatta: "Nun laßt ihn aber schnell auf meine Schultern fallen, sonst passiert etwas Schlimmes in Mande!" Man ließ ihn auf ihn fallen und der Mantel, der andere zerdrückt hätte, zerriß ein wenig auf den Schultern Sunjattas, so mächtig war er gebaut. Man hielt die Mütze Kongoton über ihn, einmal, man hob sie fort, zweimal, man hob sie fort. Sunjatta rief: "Nun setzt sie aber schnell auf meinen Kopf, sonst passiert etwas Schlimmes in Mande!" Man setzte sie auf seinen Kopf und die Mütze, die jeden andern unter sich zermalmt hätte, sie zerriß auf seinem Haupte, sie war zu eng, zu zart — so mächtig war das Haupt Sunjattas!

Dann wurde Sunjatta in diesem Kleide beschnitten.


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