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Kapitel 

DICHTEN UND DENKEN IM SUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1925

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT EINER KARTE UND EINER TAFEL

i) Der Mauern Edsu Madjias

Edsu Madjia rief eines Tages alle seine Leute zusammen und sagte: "Heute ist Freitag. Aber es soll auf den Farmen gearbeitet werden." Er sandte eine Botschaft in das Land und ließ überall sagen: "Heute ist Freitag, aber es soll gearbeitet werden." Er rief alle Trommler zusammen. Allenthalben ward alle Welt zur Arbeit gerufen, trotzdem Freitag war.

Alle Leute in der Stadt sagten: "Wir gehen heute nicht zur Arbeit, denn es ist Freitag." Alle Leute auf dem Lande sagten: "Wir gehen heute nicht zur Arbeit, denn es ist Freitag. Nur ein Malla kam zur Arbeit. Dieser Malla (Mauern) ging hinaus zu den Farmen. Er setzte sich auf ein hohes Jamsbeet. Er saß da einige Zeit. Da kam aus



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einer Öffnung im Boden eine kleine giftige Schlange. Der Malla sprang auf. Der Malla rannte davon. Die Schlange lief hinter dem Malla her. Der Malla rannte. Der Malla sagte: "Ich sehe es. Es ist ein Unrecht am Freitag zur Arbeit zu gehen. Die Schlange treibt mich fort!"

Der Malla rannte so schnell er konnte von dannen. Aber die Schlange lief schneller als der Malla. Die Schlange holte den Malla ein. Die Schlange schlang sich um das Bein des Malla. Der Malla blieb stehen. Er wagte es nicht weiterzugehen. Der Malla fragte die Schlange: "Was treibt dich dazu, zu mir zu kommen? Weshalb läufst du hinter mir her und nicht hinter irgend etwas anderem?" Die Schlange sagte: "Ich lief vor dem großen Kranich fort, der so gerne Schlangen frißt. Der große Kranich wollte mich fressen." Die kleine giftige Schlange bat den Malla und sagte: "Sei mein Freund und verstecke mich vor dem grauen Kranich!" Der Malla sagte: "Das will ich gerne tun!" Der Malla machte ein tiefes Loch. Er warf die Schlange in das Loch und sagte: "Da unten wirst du gut geschützt sein." Die Schlange sagte: "Grabe mich nicht ein. Verstecke mich in deinem Munde. Da kommt schon der Jiwjiwa (graue Kranich) !" Der Malla sah, daß der graue Kranich kam. Da nahm er die kleine giftige Schlange und versteckte sie in seinem Munde.

Der graue Kranich kam. Der graue Kranich fragte den Malla: "Hast du nicht die kleine giftige Schlange gesehen?" Der Malla sagte: "Die kleine giftige Schlange habe ich gesehen. Sie ist vor langer Zeit hier vorbeigelaufen." Darauf tief der Kranich weiter, so schnell er konnte. Er hatte es nicht bemerkt, daß der Malla die kleine giftige Schlange im Munde hatte.

Als der graue Kranich weit fort war, sagte der Malla zu der kleinen giftigen Schlange: "Der graue Kranich ist weit fort. Komm nun wieder heraus aus meinem Munde." Die kleine giftige Schlange sagte: "Nein, ich werde nicht aus deinem Munde gehen. Dein Mund ist so vorzüglich für mich geeignet, daß ich noch länger darin bleiben werde." Der Malla sagte: "Ich will aber nach Hause gehen." Die kleine giftige Schlange sagte: "Bleib hier! Wenn du einen Schritt weiter gehst, werde ich dich in deine Zunge beißen. Du wirst sterben und also doch hierbleiben." Der Malla blieb stehen. Er wagte nicht, einen Schritt weiter zu gehen. Er hatte nichts zu essen. Er hatte nichts zu trinken. Aber die giftige kleine Schlange erlaubte ihm nicht irgendwohin zu gehen, um nach Speise und Trank zu suchen.

Der Malla blieb in der Farm. Als der Malla aus der Farm nicht wiederkam,



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sagten die Leute des Malla: "Der Malla ist in die Farm gegangen. Er ist nicht wiedergekommen. Es muß ihm etwas zugestoßen sein. Wir wollen in die Farm gehen und nach ihm suchen." Die Leute gingen in die Farm. Sie schrien nach dem Malla. Der Malla wollte antworten. Die giftige kleine Schlange sagte: "Wenn du ein Wort laut rufst, beiße ich dich und du wirst sterben!" Der Malla schwieg. Er wagte nicht zu schreien. Die Leute des Malla sagten: "Er ist nicht in der Farm. Wir wollen wieder nach Hause gehen. Wir finden ihn nicht." Die Leute gingen nach Hause. Der Malla blieb in der Farm. Er hatte nichts zu essen. Er hatte nichts zu trinken.

Boadji (wohl die Zibetkatze) kam durch die Farm. Boadji sagte zu dem Malla: "Weshalb stehst du dort? Was ist mit dir?" Der Malla sagte: "Die kleine giftige Schlange bat mich, sie vor dem grauen Kranich zu verstecken. Ich versteckte sie in meinem Munde. In meinem Munde ist sie nun und will nicht wieder heraus. Sie sagt, ich dürfe nicht fortgehen, sonst würde sie mich beißen. Ich muß hierbleiben. Ich habe seit sieben Tagen nichts gegessen und getrunken. Ich werde aber bald sterben."Boadji sagte: "Ich könnte dir jetzt von der Schlange helfen. Aber ich weiß, daß du mir an einem andern Tage Schlechtes tun willst. Ich weiß das und werde dir doch helfen."

Boadji nahm Honig. Boadji strich von dem Honig auf die Lippen des Malla. Boadji strich von dem Honig auf des Mallas Kleider bis auf die Erde hin. Auf der Erde schüttete sie den Honig aus. Die kleine giftige Schlange begann den Honig von den Lippen des Malla abzulecken. Sie kam mit dem Kopfe aus dem Munde des Malla und leckte auch den Honig von den Kleidern. Die kleine giftige Schlange kam immer weiter herab und kroch auf die Erde. Auf der Erde begann sie den ausgeschütteten Honig aufzulecken.

Als die Schlange den Mund des Malla verlassen hatte und auf der Erde fortlief, fiel der Malla um. Er hatte kein Leben mehr. Boadji lief weg. Boadji holte Wasser. Boadji tropfte das Wasser auf das Gesicht des Malla. Der Malla wachte auf. Boadji lief hin und holte Fleisch. Boadji gab dem Malla das Fleisch zu essen. Der Malla ward wieder kräftig. Der Malla sagte zu Boadji: "Ich will dir fünftausend Kauri schenken!"Boadji sagte: "Was soll ich mit Geld? Behalte es!" Der Malla sagte: "Ich will dir zwei Gewehre schenken!"Boadji sagte: "Was soll ich mit den Gewehren? Behalte sie!" Der Malla sagte: "Was soll ich dir dann geben? Du hast mir das Leben erhalten. Ich muß dir etwas geben!"Boadji sagte: "Gib mir dann Erdnüsse!" Der Malla sagte: "Komm mit zu mir und nimm Erdnüsse!" Der



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Malla und Boadji gingen zusammen zur Stadt. Sie gingen zusammen bis zu Mallas Gehöft. Der Malla sagte: "Komm mit zu mir herein und nimm die Erdnüsse!"Boadji sagte: "Nein, ich bleibe besser draußen. Ich bleibe hier an der Ecke. Bringe mir die Nüsse! Wenn ich mit dir in das Gehöft gehe, werden mich die Hunde anfallen und beißen." Der Malla ging allein weiter. Boadji blieb an der Ecke stehen und wartete.

Eine der Frauen des Malla war schon seit langen Monaten schwanger. Während der Malla im Busche war, hatten die Wehen begonnen. Sie konnte aber nicht gebären. Die Frau sandte zu einem Bassanschi (Wahrsager) und ließ fragen, was man tun könne, daß sie gebären könne. Der Bassanschi antwortete: "Die Frau kann gebären, wenn das Fell einer Boadji untergelegt wird. Geschieht das aber nicht, so wird sie nie gebären können." Die Frau ließ nach dem Fell einer Boadji umfragen. Niemand hatte das Fell einer Boadji.

Der Malla kam nach Hause. Die Leute sahen ihn. Die Leute riefen: "Der Malla ist da! Der Malla ist nicht gestorben! Wo warst du?"Der Malla sagte: "Ich war in der Farm. In der Farm war ich krank geworden. Nun geht es aber wieder gut. Wie geht es meiner Frau?" Die Leute sagten: "Deiner Frau geht es nicht gut. Deine Frau ist in die Wehen gekommen. Sie kann jedoch nicht gebären. Sie hat zum Bassanschi geschickt und hat fragen lassen, was sie tun könne, daß sie gebären könne. Der Bassanschi antwortete: ,Die Frau kann gebären, wenn das Fell einer Boadji untergelegt wird. Geschieht das aber nicht, so wird sie nie gebären können.' Deine Frau ließ nach dem Fell einer Boadji umfragen. Niemand hatte aber das Fell einer Boadji."

Der Malla sagte: "Holt mir meinen Jäger!" Der Jäger wurde geholt. Der Malla gab dem Jäger vierhunderttausend Kauri und sagte: "Geh um die Ecke des Gehöftes. An der Ecke wartet eine Boadji. Wenn du diese Boadji erschießt und mir das Fell bringst, damit meine Frau darüber gebären kann, so schenke ich dir die vierhunderttausend Kauri." Der Jäger nahm die vierhunderttausend Kauri und ging damit aus dem Gehöft. Er holte seinen Bogen und seine Pfeile und ging an die Ecke. Er sah an der Ecke die Boadji stehen. Der Jäger wollte die Boadji erschießen. Boadji sagte: "Schieß nicht. Hör' erst. Geh zu dem Malla und sage ihm, ich hätte ihm das Leben gewahrt und Gutes getan. Er soll mich jetzt von dir frei kaufen. Geh zu dem Malla! Er soll für mich sprechen. Er wird es tun."Der Jäger ging in das Haus des Malla zurück. Er sagte zu dem Malla: "Boadji



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sagte, ich solle zu dir gehen. Boadji hat dir das Leben gewahrt und dir Gutes getan. Du sollst sie jetzt von mir frei kaufen. Du sollst für mich sprechen. Wenn Boadji dir das Leben gewahrt hat, mag ich sie nicht erschießen. Ich gebe dir die vierhunderttausend Kauri wieder. Du kannst das auch allein tun und brauchst mich nicht!" Der Jäger ging fort.

Der Malla nahm seinen Speer. Er ging selbst vor das Haus. Er ging um das Gehöft zu der Ecke, an der Boadji wartete. Der Malla nahm den Speer. Er wollte Boadji selbst töten. Er warf den Speer nach Boadji. Der Malla traf sie aber nicht. Boadji sagte: "Ich tat dir Gutes. Ich habe dir das Leben gerettet. Ich sagte dir: ,Ich weiß, daß du mir an einem andern Tag Schlechtes tun wirst. Ich will dir aber doch von der Schlange helfen.' Du bist aber nicht gut zu mir, wie ich es gegen dich war. Ich weiß, deine Frau kann nicht gebären, und deshalb willst du mein Fell haben. Ich habe aber eine bessere Medizin. Nimm dies und gib es deiner Frau. Wenn sie sie genommen hat, wird sie gebären können."Boadji gab dem Malla die Medizin. Der Malla nahm sie. Boadji lief fort. Der Malla hatte ihm keine Erdnüsse gebracht. Boadji ging und sagte: "Gott packe den Malla!"

Der Malla ging hinein. Er gab seiner Frau die Medizin. Die Frau nahm die Medizin. Sie konnte gebären. Am andern Morgen aber war der Malla verrückt. Am dritten Tag starb der Malla. Die Leute erzählten die Erlebnisse des Malla dem Edsu Madja. Der Edsu Madja rief alle Leute zusammen und sagte: "In Zukunft soll Freitags nicht mehr gearbeitet werden. Freitag ist kein Tag für die Arbeit!"


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