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Kapitel 

DICHTEN UND DENKEN IM SUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1925

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT EINER KARTE UND EINER TAFEL

f) Der Monafiki der Issazeit

In der Zeit, da Edsu Issa (es scheint der Issa des vorigen Jahrhunderts zu sein) herrschte, waren zwei Leute miteinander befreundet. Der eine von ihnen war sehr reich. Der andere von ihnen war sehr arm. Der Reiche hatte vierhunderttausend Kauri, der Arme hatte nur tausend Kauri. Der Reiche sagte eines Nachts zu dem Armen: "Ich möchte dich um etwas bitten." Der Arme sagte: "Was kann ich, der Arme, dir, dem Reichen geben?" Der Reiche sagte: "Wirst du es mir geben, wenn du es hast?" Der Arme sagte: "Wir sind Freunde. Ich werde dir alles geben, was ich habe." Der Reiche sagte: "Du hast ein schönes Glied (eba). Gib mir deinen Eba!" Der Arme sagte: "Nimm ihn dir!" Der Reiche schnitt den Eba des Armen ab und steckte ihn in die Tasche.

Am andern Tag kam der Arme zu dem Reichen und sagte: "Du hast mich gestern nacht gebeten, ich habe dir gegeben. Ich komme heute und bitte dich." Der Reiche sagte: "Was willst du von mir haben?" Der Arme sagte: "Ich habe nun keinen Eba mehr. Ich will



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den Rest meines Lebens wenigstens angenehm leben. Gib mir alles, was du besitzt." Der Arme nahm alles Geld des Reichen. Er lud die Säcke mit Kauri auf Esel und trieb alles zu sich.

Am andern Tag kam der (frühere) Reiche zu dem (früheren) Armen. Der Reiche sagte: "Wir sind Freund. Gestern hast du mich gebeten und ich habe dir gegeben. Heute komme ich und bitte dich." Der Arme sagte: "Was willst du von mir haben?" Der Reiche sagte zu dem Armen: "Ich will deine beiden Augen haben!" Der Arme sagte: "Nimm sie!" Der Reiche nahm ein Messer und schnitt dem Armen die Augen aus. Er nahm die Augen und steckte sie in seine Tasche. Der Arme konnte nun nicht mehr sehen. Der Reiche nahm alles Geld, das er gestern dem Armen gegeben hatte. Der Reiche nahm die Esel, die er gestern dem Armen gegeben hatte. Der Reiche lud die Säcke mit dem Geld auf die Esel und trieb die Esel wieder in sein Haus. Der Arme war blind, er konnte nichts sehen. Er konnte es nicht hindern. Der Reiche kam zurück. Er hatte dem Armen Eba und Augen geraubt. Er warf ihn nun aus dem Gehöfte. Er jagte ihn fort und sagte: "Nun geh' zum Edsu Issa!"

Der Arme tastete sich weiter fort. Er kam in den Busch. Er tastete sich von einem Platze zum andern. Er ging jeden Tag ein Stück weiter. Er kam in ferne Länder. Er irrte drei Jahre lang umher. Der Reiche aber ging als Händler von Stadt zu Stadt. Er kaufte hier, er kaufte dort. Er verkaufte dies, er verkaufte das. Der Reiche wurde immer wohlhabender. Er hatte viel Geld und Sklaven. Er ging in die Stadt Edsu Issas und wohnte da.

Der Arme irrte im Busch weiter. Er kam eines Tages an einen Baum. Er stieß an den Baum. Auf dem Baume hatte der König der Aasgeier (gulu, in Haussa: angulu) sein Nest. Der König der Gulu sagte: "Wer stieß gegen mein Haus?"Der Arme sagte: "Verzeih mir, ich bin aber blind." Der König der Gulu sagte: "Was willst du von mir?" Der Arme sagte: "Ich bin blind, ich kann nicht sehen. Zeige mir bitte den Weg." Der König der Gulu fragte: "Wie bist du blind geworden?" Der Blinde sagte: "Ich war arm. Ich war mit einem reichen Manne befreundet. Der Reiche bat mich um meinen Eba. Ich gab ihm meinen Eba. Am andern Tage bat ich den Reichen um seinen Reichtum. Der Reiche gab mir seinen Reichtum. Am nächsten Tage bat mich der Reiche um meine Augen. Ich gab ihm meine Augen. Dann nahm mir der Reiche wieder allen Reichtum. Er warf mich heraus und trieb mich in den Busch. Drei Jahre lang bin ich im Busch herumgeirrt."Der König der Gulu sagte: "Ich will besser zu dir sein



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als dein reicher Freund."Der König der Gulu breitete seine Flügel aus. Er stieg in die Luft. Der König der Gulu sagte: "Lege deinen Kopf zurück, wende dein Gesicht dem Himmel zu!" Der Blinde tat es. Der Gulu entleerte sich. Der Schmutz fiel gerade auf die Augen des Armen. Der Arme konnte wieder sehen. Er wandte sich um. Er konnte alles sehen. Er sah wieder wie früher. Der König der Gulu kam herab. Er flog von seinem Hause herab. Er gab dem Armen ein Paket von seinen Exkrementen. Der König der Gulu sagte zu dem Armen: "Stecke dies in deine Tasche. Gehe damit auf die Wanderschaft. Wenn du Menschen findest, die an den Augen leiden, so tue von diesem darauf. Du kannst viele Menschen gesund machen und dadurch reich werden." Der König der Gulu flog fort. Der Arme nahm von den Exkrementen des Königs der Gulu und steckte sie in die Tasche.

Der Arme ging in die nächste Stadt. Er wandte sich seiner Stadt zu. Er begegnete dem Reichen. Er fragte den Reichen: "Kennst du mich nicht?" Der Reiche sagte: "Nein, ich habe dich noch nicht gesehen." Der Arme sagte: "Ich bin der, der dir seinen Eba und seine Augen gab." Der Reiche sagte: "Jetzt weiß ich, wer du bist. Wir sind Freunde." Der Reiche fragte den Armen: "Wo gehst du hin?" Der Arme sagte: "Ich gehe, wie du mir früher sagtest, in die Stadt Edsu Issas."

Der Arme ging weiter. Er kam an Edsu Issas Stadt. Er ging in die Katamba des Edsu Issa. Der König fragte den Armen: "Was willst du?" Der Arme sagte: "Ich bin nur ein Armer." Der König fragte: "Was arbeitest du ?" Der Arme sagte: "Ich suche Blinde. Ich mache sie sehend." Der König sagte: "Ich habe eine erste Frau. Meine erste Frau ist blind. Ich habe alles versucht, sie sehend zu machen. Ich habe schon fünf Sklaven dafür ausgegeben, es ist aber nicht besser geworden." Der Arme sagte: "Wenn du willst, werde ich es versuchen." Edsu Issa sagte: "Versuche es!" Der Arme sagte: "Bringt mir eine kleine Schale mit Wasser!" Sie brachten ihm eine kleine Schale mit Wasser. Der Arme nahm aus seiner Tasche das Bündel mit den Exkrementen des Königs der Geier. Er brach etwas davon ab. Er warf das Abgebrochene in das Wasser. Der Arme sagte: "Kann ich deine erste Frau einmal sehen?" Der König führte den Armen in das Haus der ersten Frau. Der Arme goß das Wasser über die Augen der Frau. Die Frau hob den Kopf auf. Sie konnte wieder sehen. Die Frau sagte: "Ich danke dir! Ich danke dir! Ich danke dir!"



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Der König Issa sagte zu dem Armen: "Ich danke dir!" Der König Issa gab ihm fünf Sklaven. Er gab ihm ein starkes altes Pferd. Er gab ihm ein starkes junges Pferd. Der König machte den Armen zu seinem Schentali (Verwalter eines Stadtteils; in Haussa: adjia). Der König rief den Schentali jeden Morgen. Der Schentali mußte ihm in allem raten. Der Schentali wurde ein angesehener Mann. König Issa nahm vier junge Mädchen. Er schenkte die vier jungen Mädchen dem Schentali zu Frauen.

Der Reiche sah das. Der Reiche begann die Arbeit des Monafiki (Hetzers). Der Monafiki (also der Reiche) kam zum König Issa und sagte: "Der Schentali hat keinen Eba. Du hast ihm vier Frauen gegeben. Aber was soll er mit ihnen tun? Er hat mir früher seinen Eba geschenkt. Ich habe ihn ihm abgeschnitten." Der Monafiki zog den Eba des Schentali aus der Tasche und zeigte ihn dem König. Der Schentali kam jeden Morgen zum Edsu. Wenn der Schentali weggegangen war, kam der Monafiki und sagte: "Der Schentali hat keinen Eba. Du hast ihm vier Frauen gegeben. Aber was soll er mit ihnen tun? Er hat mir früher seinen Eba geschenkt. Ich habe ihm den Eba abgeschnitten." Der Monafiki zog den Eba aus der Tasche und zeigte ihn dem König. Der Schentali kam jeden Morgen zum Edsu. Wenn der Schentali fortgegangen war, kam der Monafiki.

Eines Morgens sagte der König: "Es ist gut. Morgen sollen alle Männer der Stadt zum Flusse gehen, um Fische zu fangen. Sie sollen alle Kleider ablegen und nackt in das Wasser steigen. Dann werde ich sehen, ob der Schentali einen Eba hat oder nicht." Der Edsu ließ das allen Leuten in der Stadt sagen. Der Monafiki sagte: "Nun wirst du es selbst sehen!" Als der Bote mit der Nachricht zum Schentali kam, begann der Schentali zu weinen. Der Schentali weinte die ganze Nacht. Der Schentali schrie die ganze Nacht.

Der Schentali weinte. Das große starke Pferd fragte den Schentali: "Was hast du?" Der Schentali sagte: "Als ich jung war, hatte ich einen Freund, der war reich. Der Reiche bat mich um meinen Eba. Ich gab ihm meinen Eba. Am andern Tage bat ich ihn um seinen Reichtum. Der Reiche gab mir seinen Reichtum. Am nächsten Tage bat mich der Reiche um meine Augen. Ich gab ihm meine Augen. Dann nahm mir der Reiche wieder allen Reichtum. Er warf mich heraus und trieb mich in den Busch. Drei Jahre lang bin ich im Busche herumgeirrt. Ich kam zum König der Gulu. Der König der Gulu machte mich sehend. Er gab mir Heilmittel. Ich kam hierher. Ich machte die Frau des Edsu Issa sehend. Der König schenkte mir



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Sklaven und Pferde. Der König machte mich zum Schentali. Der König schenkte mir vier Mädchen. Der Reiche kam und ward zum Monafiki. Der Monafiki sagte zum König, daß ich keinen Eba habe. Der König verlangte, daß alle Leute nackt zum Fischfang kommen sollten. Die Leute werden sehen, daß ich keinen Eba habe. Ich werde mich schämen. Ich werde sterben." Der Schentali weinte. Der Schentau schrie.

Das große Pferd sagte zu dem Schentali: "So weinst du also, weil du keinen Eba hast?" Der Schentali sagte: "So ist es." Das große Pferd sagte zu dem kleinen Pferd: "Hast du die Sache unseres Herrn gehört?" Das kleine Pferd sagte zu dem großen Pferd: "Ich habe alles wohl gehört. Du bist von uns beiden das größere. Was du als Großes darin tust, wird gut sein."

Das große Pferd sagte zum Schentali: "Lege mir eine Schnur um den Hals und steige auf meinen Rücken." Der Schentali legte dem großen, starken Pferd eine Schnur um den Hals und stieg auf seinen Rücken. Das große Pferd begann wegzulaufen. Das große Pferd lief aus der Stadt. Das große Pferd lief so schnell, wie kein Pferd sonst laufen kann. Das große Pferd lief an Kano vorbei. Das große Pferd lief immer noch. Das große Pferd stand still. Das große Pferd sagte: "Jetzt sind wir da." Der Schentali sah um sich. Ringsum war ein großer, großer Markt. Auf dem Markte wurden nur Eba feilgehalten. Die Eba, die so groß waren wie aufgerollte Schlafmatten, wurden für drei Kauris verkauft. Die Eba, die so groß waren wie Stuhlbeine (natürlich sind Stühlchen der Nupe gemeint), wurden für zwei Kauri verkauft. Die Eba, die so groß waren wie ein Finger, wurden für einen Kauri verkauft. Diese kleinen Eba waren für Kinder bestimmt.

Der Schentali stieg ab. Er ging umher und betrachtete die Eba. Er wählte einen schönen Eba für zwei Kauri. Er sagte zu der Frau (Händlerin): "Diesen Eba möchte ich kaufen." Er zahlte zwei Kauri. Die Frau sagte: "Ist der Eba für dich?" Der Schentali sagte: "Er ist für mich." Die Frau sagte: "So ziehe deine Hosen aus und lege dein Kleid ab! Stelle dich nackt in einiger Entfernung hin, spreize die Beine!" Der Schentali zog seine Kleider aus. Er ging in einige Entfernung und stellte sich der Frau zu auf. Er spreizte die Beine. Die Frau nahm den Eba. Sie warf den Eba gegen den Mann. Der Eba traf den Mann in der Spreize. Der Eba saß am Manne. Der Eba stand dem Schentali groß und dick wie ein Stuhlbein. Der Schentalj bekleidete sich. Der Schentali konnte die Hose nicht zubinden.



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Der Schentali ging zu dem großen Pferde zurück. Der Schentali stieg auf den Rücken des Pferdes. Das Pferd begann zu laufen. Das große Pferd lief vom Marktplatze weg. Das große Pferd lief, wie kein Pferd laufen kann. Das große Pferd lief zurück. Das große Pferd lief an Kano vorbei. Das große Pferd lief, bis es daheim angekommen war. Das große Pferd lief in das Gehöft des Schentali. Der Schentali lief in das Haus, in dem das erste Mädchen schlief, das ihm der Edsu geschenkt hatte. Er beschlief es. Der Schentali lief in das Haus, in dem das zweite Mädchen schlief, das ihm der Edsu geschenkt hatte. Er beschlief es. Der Schentali lief in das Haus, in dem das dritte Mädchen schlief, das ihm der Edsu geschenkt hatte. Er beschlief es. Der Schentali lief in das Haus, in dem das vierte Mädchen schlief, das ihm der Edsu geschenkt hatte. Er beschlief es. Dann lief der Schentali zu dem großen, starken Pferd und sagte: "Ich werde dir in Zukunft nicht Sorghum zu fressen geben, sondern Honig und alles Gute, was du von mir haben willst. Ich werde dich in Zukunft nicht mehr reiten, sondern dich stehen und gehen lassen wie du willst. Bis du stirbst, sollst du keine Arbeit mehr verrichten." Dann ging der Schentali in sein Haus und schlief ein.

Am andern Tage kamen die Leute an den Fluß, zogen die Kleider aus und gingen nackt in das Wasser. Der Schentali kam nicht. Der Schentali blieb daheim. Der Monafiki ging zu den Leuten im Wasser. Er sah, daß der Schentali nicht dabei war. Er ging in die Stadt. Er ging zu Edsu Issa und sagte: "Alle Leute sind in das Wasser gestiegen. Alle Leute sind nackt. Alle Leute haben einen Eba. Der Schentali ist nicht gekommen. Der Schentali ist daheim geblieben. Der Schentali hat keinen Eba. Der Schentali hat mir seinen Eba geschenkt. Ich habe den Eba in der Tasche. Jetzt kann der Schentali nicht nackt vor den Leuten ins Wasser gehen. Der Schentali schämt sich!" Alle Leute versammelten sich bei Edsu Issa. Alle Leute hörten es.

Der Schentali erwachte. Der Schentali zog sieben Hosen an. Der Schentali zog ein Kleid an. Der Schentali bestieg ein Pferd. Der Schentali ritt zu Edsu Issa. Er stieg ab. Er ging in die Katamba des Königs. Der König fragte den Schentali: "Warum warst du nicht draußen beim Fischen! ?" Der Schentali sagte: "Ich habe heute gegen Morgen meine vier Frauen beschlafen. Da war ich müde und habe es verschlafen." Der Monafiki sagte: "Du lügst! Du kannst keine Frau beschlafen. Du hast keinen Eba. Du hast mir deinen Eba geschenkt. Ich habe dir deinen Eba abgeschnitten. Hier habe ich



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deinen Eba!" Der Monafiki zog den Eba des Schentali aus der Tasche.

Der Schentali sagte nichts. Der Schentali zog die erste Hose aus. Alle Leute sahen hin. Der Schentali zog die zweite Hose aus. Alle Leute sahen hin. Der Schentali zog die dritte Hose aus. Alle Leute sahen hin. Der Schentali zog die vierte Hose aus. Alle Leute sahen hin. Der Schentali zog die fünfte Hose aus. Alle Leute sahen hin. Der Schentali zog die sechste Hose aus. Alle Leute sahen hin. Der Eba des Schentali war unter den Hosen aufgestiegen. Als nun noch eine Hose ihn zurückhielt, zerriß er diese Hose. Der Eba stand groß und dick da wie ein Stuhlbein. Alle Leute sahen es. Der Schentau sagte: "Mit diesem Eba soll ich die Frauen nicht beschlafen können, die mir der König geschenkt hat?!" Als die Leute diesen Eba sahen, bekamen sie Angst.

Edsu Issa sagte: "Nehmt den Monafiki. Bindet ihn. Bringt ihn auf den Marktplatz. Tötet ihn!" Die Leute nahmen den Monafiki. Sie banden ihn. Sie brachten ihn auf den Marktplatz. Sie töteten ihn.


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