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Kapitel 

DICHTEN UND DENKEN IM SUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1925

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT EINER KARTE UND EINER TAFEL

c) Edsu Masu und sein Sohn Audu (Abudu)

Edsu Masus Sohn und Saba war Audu. Edsu Masu wurde sehr alt. Als Edsu Masu ganz alt geworden war und nicht mehr recht gehen konnte, war sein Sohn Audu herangewachsen. Es waren in Jirna noch drei andere angesehene junge Leute, das waren: Egi-Majaki (= Sohn des Galadimas), der hieß Abu, Egi Maliemi (= Sohn des Mauern oder Alfa), der hieß Mamudu und Egi Atadjiri (der Sohn eines reichen Mannes), der hieß Suman (also eigentlich Usman). Die vier jungen Leute stritten viel miteinander. Jeder suchte den andern zu übertreffen. Jeder wollte mehr haben als die andern. Jeder wollte mehr sein als die andern. Sie stritten miteinander und machten schlechte Streiche. Der schlimmste und letzte aber war dieser:

Audu kam zu seinem Vater und sagte: "Ich bin der Sohn des Edsu Masu, ich bin dein Sohn! Gib mir ein Gewehr!"Damals gab es nur sehr wenig Gewehre im Lande. Der Edsu gab seinem Sohne ein Gewehr. Der Sohn des Majaki kam zu seinem Vater und sagte: "Ich bin der Sohn des Majaki. Ich bin dein Sohn! Audu, der Sohn des Edsu, hat ein Gewehr. Kaufe mir auch ein Gewehr!" Der Majaki sagte: "Was der Edsu für seinen Sohn tut, kann ich auch für meinen Sohn tun!"Der Majaki kaufte ein Gewehr und gab es seinem Sohne. Der Sohn des Mauern kam zu seinem Vater und sagte: "Ich bin der Sohn des Mauern, ich bin dein Sohn! Audu, der Sohn des Edsu, hat ein Gewehr. Abu, der Sohn des Majaki, hat ein Gewehr. Kaufe mir auch ein Gewehr!"Der Mauern sagte: "Was der Edsu und der Majaki



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für ihre Söhne tun, kann ich auch für meinen Sohn tun!" Der Mauern kaufte ein Gewehr und gab es seinem Sohne. Als Suman das sah, lief er zu seinem Vater und sagte: "Ich bin der Sohn eines Atadjiri, ich bin der Sohn des reichsten Mannes. Ich bin dein Sohn. Audu, der Sohn des Edsu, hat ein Gewehr. Abu, der Sohn des Majaki, hat ein Gewehr. Sogar Mamudu, der Sohn des Mauern, hat ein Gewehr. Was die haben, kann ich nicht haben?" Der reiche Mann sagte: "Gewiß! Was der Edsu, der Majaki und der Mauern für ihre Söhne tun, kann ich auch für den meinen tun. Ich bin ein reicher Mann. Ich kann noch mehr!" Der Atadjiri kaufte zehn Gewehre und schenkte sie seinem Sohne Suman.

Audu, der Sohn des Edsu, ging mit seinem Gewehr auf den Markt. Er sagte zu den Leuten: "Ich bin der Sohn des Edsu! Ich vermag mehr als andere. Seht, was ich kann!" Dann schoß Audu fünf Leute tot. Die Leute liefen zum Likali (= dem Alkali, dem Richter) und sagten: "Wir müssen uns beklagen. Audu hat fünf Leute totgeschossen." Der Likali sagte zu den Leuten: "Audu ist der Sohn des Königs Der Edsu Masu hat nichts dazu gesagt. Seid ihr also auch still und geht auseinander! Beruhigt euch!" Das Volk ging auseinander.

Der Sohn des Majaki ging auf den Markt. Er sagte: "Audu hat fünf Leute erschossen. Was der Sohn des Edsu kann, kann ich auch. Niemand hat Audu bestraft. Auch mich wird niemand bestrafen!" Dann schoß der Sohn des Majaki fünfzehn Leute tot. Die Leute liefen zum Edsu und sagten: "Der Sohn des Majaki hat auf dem Marktplatze fünfzehn Leute erschossen. Was ist nun Recht?" Der Edsu sagte zu den Leuten: "Dieser Abu ist jung. Dieser Abu ist der Sohn meines Majaki. Mein Majaki könnte den Krieg gegen mich eröffnen, wenn ich seinen Sohn bestrafe. Seid also still, beruhigt euch und geht auseinander!" Das Volk ging auseinander.

Der Sohn des Mauern ging auf den Markt. Er sagte: "Audu hat fünf Leute erschossen! Abu hat fünfzehn Leute erschossen. Audu ist nicht bestraft, Abu ist nicht bestraft. Was der Sohn des Edsu und der Sohn des Majaki dürfen, darf ich auch. Mich wird auch niemand strafen, denn mein Vater ist der Mauern!" Dann schoß der Sohn des Mauern zwanzig Leute tot. Die Leute liefen zum Edsu und sagten: "Der Sohn des Mauern hat zwanzig Leute erschossen. Was ist nun Recht?" Der Edsu sagte zu den Leuten: "Dieser Mamudu ist jung. Der Mamudu ist der Sohn unseres Mauern. Der Mauern hat den Katun (Koran). Wir alle verehren den Katun und den Mauern. Weshalb sollen wir den Mauern kränken dadurch, daß ich seinen Sohn



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bestrafe! Seid also still! Beruhigt euch und geht auseinander!"Das Volk ging auseinander.

Der Sohn des reichen Mannes ging auf den Markt. Er sagte: "Audu hat fünf Leute erschossen. Abu hat fünfzehn Leute erschossen. Mamudu hat zwanzig Leute erschossen. Audu ist nicht bestraft, Abu ist nicht bestraft, Mamudu ist nicht bestraft. Was der Sohn des Edsu, der Sohn des Majaki und sogar der Sohn des Mauern dürfen, darf ich auch. Ich kann sogar mehr, denn ich bin der Sohn des reichsten Mannes. Niemand darf mich bestrafen, denn mein Vater ist der reichste Mann!" Dann schoß Suman fünfzig Leute tot. Als Suman das tat, liefen alle Leute von dannen. Sie rannten aus den Häusern und stürzten in den Busch. Alle Welt verließ die Stadt. Die Leute des Edsu kamen zu Edsu Masu und sagten: "Alle Leute haben die Stadt verlassen und sind in den Busch gelaufen, denn Suman, der Sohn des reichen Mannes, hat auf dem Marktplatze fünfzig Menschen erschossen. In Jirna sind keine Menschen mehr!" Darauf sandte der Edsu Boten in den Busch und ließ den Leuten sagen: "Beruhigt euch und kommt zurück!" Darauf kamen die Leute nach Jirna zurück. Sie gingen zum Edsu und fragten: "Wie willst du den Suman bestrafen?" Der Edsu sagte: "Der Vater dieses Burschen gibt mir Geld, wenn ich es brauche. Ich mag seinen Sohn nicht strafen."

Danach rief Edsu Masu Audu, Abu, Mamudu und Suman zusammen und sagte zu ihnen: "Ihr habt viel miteinander gestritten und dabei Schlechtes getan, um euch zu überbieten. Seid in Zukunft Freunde und sucht euch im guten zu übertreffen!" Damit war der Streit zu Ende. Sie wurden wirklich gute Freunde.

Eines Tages besuchte Audu Suman in dem Hause des Atadjiri. Er sah einen großen Schafbock. Er hatte noch nie einen Schafbock gesehen, der so groß war wie dieser. Audu sagte zu Suman: "Schenke mir diesen Schafbock!" (Die Nupe hatten früher die Sitte, besonders schöne Widder wie wir etwa Haushunde zu ständigen Gefährten heranzuziehen. Sie waren mit kostbarem Halsband geschmückt und bekamen auch von dem Fürsten selbst ihre Nahrung vorgesetzt. Diese Tiere galten gewissermaßen als heilig. In Gbarra sollen Gräberverehrer solcher heiligen Fürstenwidder sein.) Suman sagte: "Der Schafbock gehört nicht mir. Er gehört meinem Vater. In dieser Nacht will ich aber in das Haus meines Vaters gehen. Ich will den Schafbock stehlen und ihn dir bringen!" Audu ging. Inder Nacht schlich Suman sich in das Gehöft seines Vaters und stahl den Schafbock. Dann brachte er ihn seinem Freunde Audu.



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Am andern Morgen sah der Atadjiri sich nach seinem Schafbock um. Er fragte: "Wo ist mein Schafbock?" Die Leute suchten den Schafbock. Sie fanden ihn nicht. Sie kamen zu dem Atadjiri zurück und sagten: "Der Schafbock muß gestohlen sein!" Der Atadjiri wurde zornig und sagte: "Sendet nach allen Seiten Leute, die danach sehen, wer meinen Schafbock gestohlen hat! Diesen Dieb will ich haben!" Die Frauen des Atadjiri kamen aber zu ihm und sagten: "Mache keinen großen Streit mit der Sache. Wir sahen deinen eigenen Sohn gestern mit dem Schafbock!" Der Atadjiri ließ seinen Sohn rufen. Er fragte ihn: "Weißt du, wo der Schafbock geblieben ist?" Suman sagte: "Gewiß weiß ich das. Mein Freund Audu, der Sohn des Edsu, wollte den Schafbock gerne haben. Da habe ich ihn ihm gegeben!" Der Atadjiri sagte: "So bringt mir meinen Kuti. Ich will jeden töten, der von dem Schafbock gegessen hat!" Suman sagte: "Wenn du den Kuti aufforderst, wird er alle töten, die von dem Schafbock gegessen haben. Das ist nicht gut. Du kannst nicht wissen, wer dabei war. Laß die Sache ruhen!" Der reiche Mann sagte: "Gut, ich will die Sache ruhen lassen!"

Am andern Tage kam Suman in das Haus Audus, um seinen Freund zu besuchen. Suman sagte zu Audu: "Du batest mich gestern um etwas. Ich gab es dir. Heute komme ich zu dir mit einer Bitte." Audu sagte: "Was willst du?" Suman sagte: "Ich möchte bei einer der Frauen deines Vaters schlafen!" Audu sagte: "Es ist gut, ich will dir die Frau selbst zuführen!" Am andern Tage ging Edsu Masu in die Massalatschi. Als sein Vater in die Massalatschi gegangen war, ging Audu in das Gehöft seines Vaters. Er rief die Frau seines Vaters herbei, die Suman genannt hatte. Audu sagte zu ihr: "Komm! Mein Freund will dich besitzen! Sei ihm zu Gefallen!" Die Frau sagte: "Was willst du? Mach, daß du fortkommst! Ich werde nie darauf eingehen!" Audu sagte zu der Frau: "Es ist gut. Aber mein Vater ist alt. Wenn mein Vater stirbt, werde ich Edsu werden und du sollst dann die erste Frau sein, die ich töten lasse! Es ist gut!" Die Frau sagte zu Audu: "Wenn du mich töten läßt, werde ich wenig davon haben. Dein Vater ist alt, ich habe nichts von ihm. Dein Freund ist stark. Laß deinen Freund kommen. Sage ihm, daß ich hier in der Katamba (=Durchgang; Torhaus = Sauri) auf ihn warte!" Audu lief schnell zu seinem Freunde. Er sagte zu Suman: "Geh schnell in die Katamba! Die Frau wartet auf dich!" Suman ging hinein. Er traf die Frau in der Katamba. Die Frau nahm ihn mit in das Gehöft. Suman beschlief die Frau. Dann ging er über den Hof zurück.



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Edsu Masu hatte sein Gebet in der Massalatschi beendet. Er bestieg sein Pferd. Er ritt nach Hause. Er ging durch die Katamba hinein. Er ging über den Hof. Er begegnete Suman. Er sagte zu seinen Leuten: "Nehmt diesen jungen Mann gefangen. Er hat sicher eine meiner Frauen beschlafen!" Die Leute nahmen Suman gefangen. Sie banden ihn. Es kamen Leute zu Audu und sagten: "Dein Vater hat deinen Freund Suman gefangen." Audu ging zu seinem Vater und sagte: "Du hast meinen Freund Suman in deinem Gehöft getroffen und gefangen. Ich habe ihn aber selbst hierhergebracht. Wenn du also meinen Freund tötest, so töte ich dich auch!"

Dann ging Audu zu dem Hause, in dem Suman gefesselt gefangen gehalten wurde. Das Haus war verschlossen. Audu sagte zu den Wächtern: "Laßt mich hinein!" Die Wächter sagten: "Der Edsu hat verboten, daß wir irgend jemand hineinlassen!" Audu ging fort. Abends kehrte er zurück und legte Feuer an dem Gehöft und an dem Hause an. Das Feuer flammte auf. Dann kamen aber viele Leute und löschten das Feuer aus. Audu konnte nicht zu seinem Freunde gelangen. Als er das einsah, bestieg er sein Pferd. Er ritt in den Busch, um einen Boagi (Meerkatzenart) zu fangen.

Edsu Masu rief alle alten Leute zusammen. Alle alten Leute kamen zusammen. Edsu Masu kam dann selbst. Er ließ Suman bringen. Suman war gefesselt. Edsu Masu sagte zu den versammelten Leuten: "Diesen Suman fing ich, als ich aus der Massalatschi heimkam, auf meinem Gehöft. Sicher ist er bei einer meiner Frauen gewesen, um bei ihr zu schlafen. Ich will ihn deswegen töten lassen. Mein Sohn Audu hat aber gesagt, er sei es selbst gewesen, der den Suman in mein Gehöft gebracht habe. Deshalb müssen wir warten, bis mein Sohn Audu kommt. Wir müssen Audu hören." Audu hörte, daß sein Vater die alten Leute zusammengerufen habe. Er sprang auf sein Pferd und ritt schnell nach der Stadt zurück. Er ritt bis zu der Versammlungsstätte.

Audu sprang vom Pferde. Er zog sein Schwert. Er trat mit entblößter Klinge herein. Er wollte seinen Vater töten. Er sah sich um. Er sah Suman stehen. Audu sagte: "Ich danke dir, mein Vater, ich danke dir. Du hast Suman angeklagt, daß er einer deiner Frauen wegen in dein Gehöft gekommen sei. Das ist aber unrichtig. Suman war in dem Gehöft, um einen Baschiko (oder Bajiko =Armring mit Zauberingredienzien) zu erlangen, den du in deinem Hause hast!" Edsu Masu sagte: "Wenn die Sache so ist, so wollen wir sie lassen.



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Bindet Suman los. Er soll mit seinem Freunde Audu gehen!"Suman ward freigelassen. Wenig später starb Edsu Masu und sein Sohn Audu wurde Edsu.


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