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Kapitel 

DICHTEN UND DENKEN IM SUDAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1925

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



Atlantis Bd_05-0004 Flip arpa

TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE

MIT EINER KARTE UND EINER TAFEL


13. Kapitel: Legenden der Nupe*

Die eigentlichen Erzählungen und Berichte der Nupe, Haussa und Joruba zerfallen in drei Gruppen:

Nupename. Haussaname. Jorubaname.
1. Historische Berichte,
also Geschichtsüber- Eian-jepain. Labari-nda. Jta-ati-djo.
lieferungen. J
2. Historische Legen- 1
den, Sagen, Überlie- Gamaga. Dama-gana. Aka weora.
ferungen. J
3. Märchen, Fabeln,
Geschichten, Volks-} Etschi. Tassunja. Ab.
erzählungen. J

Die ersten von diesen: die eigentlichen historischen Kenntnisse des Volkes, ruhen in den Köpfen der alten Leute und in tabellarischen Chroniken. Die Fulbe haben arabische Chroniken auf Papier geschrieben und Aufzeichnungen gemacht von der Zeit an, da sie in diese Länder kamen. Sie sind aber beim Sturme der Engländer auf Bida verbrannt. Wenigstens behaupten die Fulbe das. Es ist immerhin nicht ausgeschlossen, daß das nicht ganz wahr ist und daß hier oder da noch die Kopien einer arabischen Geschichtsbeschreibung der letzten Jahrhunderte bestehen. Die Nupe haben vordem Tatsachen ihrer Geschichte auf Leder geschrieben. Mit dem Islam kam andere Schrift und Schreibweise ins Land und wurden dann auch jene Königsreihen aufgezeichnet, von denen ich einige Niederschriften im Süden entdeckte. Die für die heutigen Nupe geschichtliche Periode beginnt vor etwa hundert Jahren mit dem Einzug der Fulbe, mit dem Auftauchen des Maliem-dando, mit jenem fürchterlichen Kriege, der das ganze Land zerstört, die Bevölkerung dezimiert und die Herrschaft in die Hände der Fulbe langsam, aber sicher hinübergespielt hat.

Was also dieser eigentlich historischen Periode vorangeht, was aus der Zeit vorher im Volke berichtet wird, muß als Legende, Sage,



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nur locker mit der Wahrheit verbundene Überlieferung bezeichnet werden. Dieses Gemenge von Überlieferungen wird zumeist von einer Art Spielleute lebendig erhalten. Nur die ersten Edegilegenden kennt der größte Teil des Volkes. Alle andern von Edsu Masu, Edsu Audu, Edsu Mjikako usw. usw. werden von den Spielleuten zur Gitarre gesungen. Diese Gitarre heißt in Nupe Dunguru, in Haussa Gurmi. Die Spielmannslaute der Nupe ist von langgestreckter Form, die der Haussa mit kugeligem Kalebassensarge versehen. Diese Lauten werden beide (zumal letztere) Jägergitarren genannt, und deshalb heißen die Barden bei den Haussa auch Gurmi-mahalla (Mahalla = Jäger), während sie bei den Nupe Dunguru satschi heißen. Jeder König hat an seinem Hofe eine Anzahl solcher Spielleute. Daß dies eine sehr alte Institution ist, die nicht erst mit dem Islam und den Fulbe ins Land kam, beweist ja der Name der "Jägergitarre" zur Genüge.

Diese Bardengesänge weisen, wie gesagt, einen verhältnismäßig schwachen Zusammenhang mit der historischen Wahrheit auf. Die Edegisagen, die Überlieferungen von der Einwanderung dieser alten Helden bergen vielleicht und wahrscheinlich noch am meisten Geschehenes. Geschichtlich wahr ist an der Mehrzahl der andern Sagen wohl nur der Name des betreffenden Königs, unter dessen Herrschaft sich die und die Geschichte abgespielt haben soll. Wir lernen also daraus, daß einmal ein Edsu (König) mit dem und dem Namen gelebt hat. Das ist alles. Das übrige ist ebensowenig historisch ernst zu nehmen wie etwa die Rotbartkyffhäusersage oder die Heiligengeschichte St. Georgs.

Somit würden diese Legenden an sich ebensogut unter die Volksüberlieferungen gerechnet werden können, ja noch besser dahin, als zu den geschichtlichen Betrachtungen, wenn sie nicht doch von den Märchen, Fabeln usw. von vornherein dadurch unterschieden würden, daß die Volksüberlieferungen vom Volke abends weitergetragen werden und von einem Mädchen- oder Burschenmund zum andern, diese "Sagen" aber von Spielleuten an Königshöfen gesungen werden. Das ist ein wesentlicher Unterschied, der von vornherein Aufmerksamkeit in der Unterscheidung fordert. Das Etschimärchen erzählt sich alle Welt. Die Gamagasage aber vererbt ein Spielmann an den andern; und der Spielmannsberuf ist in diesem Lande des Zunftwesens genau so erblich wie der der Glasarbeiter, der Metallarbeiter, der Gelbgießer usw.

Ich hatte schon einmal vor einem gleichen Unterschiede gestanden, das war bei den Bosso am Mittellauf des Nigers. Während in den Mandeländern die Bardengesänge von den Märchen in Typ und Inhalt so verschieden waren, daß nur in ganz, ganz wenigen Fällen eine Ähnlichkeit oder Annäherung in der Geistesart zutage tritt (vgl. Bd. VI und VIII), waren die sogenannten historischen Gesänge



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der Bossobarden so fantasiereich, so märchenhaft, so historisch unmöglich (vgl. Bd. VII), daß sie große Ähnlichkeit mit Volksgeschichten zeigten. Gar manches Mal drängte sich mir bei den Bosso die Frage auf, ob die Barden wohl nicht etwa nur ganz übliche Märchen an Stelle der verlorenen Epentypen sängen.

Dieser Verdacht tauchte auch im Nupelande bei mir auf und manchmal schüttelte ich anfangs meinen Kopf, bis sich dann eines Tages die Übereinstimmung einer solchen Nupetradition und einer entsprechenden Bossotradition aufdrängte. Ich verglich mein weiteres Material mit dem, was ich von den Bossosachen im Kopfe hatte, und kam zu der Überzeugung, daß hier ein tieferliegender Grund für die vielseitige Übereinstimmung gefunden werden müsse.

Wie immer in solchen Fragen, muß auch hier ein Hinweis auf das geographische Problem Aufklärung bieten. Die Bosso wohnen am mittleren Niger, westlich der Bogenhöhe, die Nupe am unteren Niger. Der Niger verbindet die Länder der Bosso und der Nupe. Und das ganze Gebiet, das zwischen den Bosso- und Nupeländern liegt, wurde in alter Zeit beherrscht von der Songhai-Kultur. Wie Fransen an einem schmalen, langen Schal laufen die Fäden der Bosso- und Nupekultur aus dem Gebiet dieses alten Kaiserreiches nach Nordwesten und Südosten aus. Es muß eine sehr alte Kultur sein, und die Übereinstimmung des Inhalts der Spielmannsgesänge scheint eine sehr ehrwürdige zu sein.

So betrachtet, sieht der Bardengesang der Nupe also ebenso anders aus, wie etwa der Typus des deutschen Märchens unterschieden ist von der Art der deutschen Sage - wenn beide auch aus gleicher Materie fließen und ähnliche Form vielfach angenommen haben. — Hier nun einige Gamaga.


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