Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

Grönländer und Färinger Geschichten


Übertragen von Erich von Mendelssohn

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1912


43. Sigurds Fahrt nach Norwegen

In diesem Frühling war ein Schiff von Norwegen zu den Färöern mit der Botschaft König Olafs gekommen, daß irgend



Thule-Bd.13-322 Groenlaender u. Faerinder Geschichten Flip arpa

einer seiner Hofleute Leif, Gilli oder Thoralf von den Färöern nach Norwegen kommen sollte.

Als diese Botschaft zu den Färingern kan und verkündet wurde, besprachen sie untereinander, was ihr Zweck wäre, und sie glaubten alle zu verstehen, daß der König sie nach den Geschichten fragen wollte, die einige fürwahr hielten, daß die beiden Schiffe, von denen niemand zurückgekehrt war, bei den Inseln untergegangen seien. Sie verabredeten, daß Thoralf fahren sollte.

Er rüstete ein Frachtschiff aus, das ihm gehörte, und bemannte es mit sehn oder zwölf Mann.

Als sie aber gerüstet waren und auf günstigen Wind warteten, geschah es auf der Ostinsel, daß Thrand an einem schönen Tage in die Stube trat, wo Sigurd, Thord und Gaut auf der Bank lagen. Da sagte Thrand: "vieles verändert sich während eines Menschenlebens. Selten geschah es in unserer Jugend, daß kräftige Männer bei schönem Wetter still saßen oder lagen, und unsere Vorfahren hätten geglaubt, daß Thoralf von Dimun tüchtiger sei, als ihr. Das Frachtschiff, das mir gehört, und das hier still liegt, ist wohl so alt geworden, daß es unter der Teerung verfault. Dabei ist hier jedes Haus mit Wolle angefüllt, und die Wolle wird nicht verkauft. Das verhielte sich nicht so, wenn ich einige Jahre jünger wäre."

Sigurd sprang auf, rief Thord und Gaut an und sagte, er wolle diese Vorwürfe nicht länger anhören. Sie gingen hinaus und dorthin, wo die Knechte waren, setzten das Frachtschiff ins Wasser, ließen die Waren herbeischaffen und beluden das Schiff.

In wenigen Tagen waren sie gerüstet. Sie waren zehn oder zwölf Männer auf dem Schiffe. Sie reisten zu gleicher Zeit wie Thoralf ab, und sie konnten einander beständig auf dem Meere sehen.

Nachts landeten sie bei Herlö. Sigurds Schiff lag etwas weiter draußen am Strande, doch war nur ein kleiner Abstand zwischen beiden Schiffen.

Eines Abends, als es dunkel geworden war, und Thoralf und seine Genossen sich schlafen legen wollten, geschah es, daß Thoralf



Thule-Bd.13-323 Groenlaender u. Faerinder Geschichten Flip arpa

mit einem anderen Manne an Land ging, um dort etwas zu verrichten . Als sie aber bereit waren, zurückzukehren, wurde —wie Thoralfs Begleiter später erzählte ihm ein Tuch über den Kopf geworfen, und er wurde vom Boden emporgehoben. Im selben Augenblick hörte er einen Schlag.

Dann wurde er fortgetragen und zum Wurf geschwungen. Dort unten aber war das Meer. Er wurde ins Wasser geworren .

Als er ans Land kam, ging er dorthin, wo er von Thoralf getrennt worden war. Er fand Thoralf und dieser war bis zu den Schultern gespalten und tot.

Aber als Thoralfs Genossen das erfuhren, trugen sie die Leiche auf ihr Schiff und ließen sie die Nacht über da.

Damals war König Olaf zu Gast in Lyren, und ihm wurde sofort Botschaft gesandt. Da wurde durch das Herumsenden eines Pfeils ein Thing anberaumt, und der König kam selbst auf das Thing. Er hatte die Färinger von beiden Schiffen auf das Thing laden lassen, und sie kamen dorthin.

Als das Thing eröffnet war, stand der König auf und sprach: "Solche Dinge, wie die, die hier geschehen sind, werden glücklicherweise nur selten gehört. Hier ist ein braver Mann getötet worden, von dem wir glauben, daß er unschuldig war, Ist hier auf dem Thinge ein Mann, der uns sagen könnte; wer diese Tat verübt hat Aber niemand rührte sich. Da sagte der König: "Ich will nicht verhehlen, was meine Meinung über diese Tat ist. Ich glaube, daß die Färinger sie verübt haben. Ich halte es das glaubhafteste, daß Sigurd, der Sohn Thorlaks, den Mann getötet, aber Thord den anderen Mann ins Meer geworfen hat. Der Grund dazu wird gewesen sein, daß sie nicht wollten, daß Thoralf von ihren Untaten berichtete, von denen er wußte, die wir aber ahnten, nämlich die Morde und Verbrechen, als meine Sendboten dort ermordet wurden."

Als der König seine Rede geschlossen hatte, stand Sigurd, der Sohn Thorlaks, auf und sprach:"Nie früher habe ich auf einem Thinge gesprochen und bin deshalb nicht redegewandt. Mir scheint es jetzt aber notwendig zu sein, etwas zu antworten.



Thule-Bd.13-324 Groenlaender u. Faerinder Geschichten Flip arpa

Ich vermute, daß die Beschuldigungen, die der König int vorgebracht hat, die verleumdungen solcher Männer sind, die viel unvernünftiger und schlechter als er sind, und es ist nicht zu leugnen, daß diese unsere wahren Feinde sind. Es ist auch unver-ständig gesprochen, daß ich Thoralf habe Schaden zufügen wollen, denn er war mein Pflegebruder und guter Freund. Wenn aber wirklich etwas zwischen Thoralf und mir vorgelegen hätte, wäre ich doch so klug gewesen, die Tat lieber zu Hause auf den Färöern auszuführen, als bier unter Eurer Hand, Königl Jetzt will ich diesen verdacht von mir und allen meinen Schiffsgenossen abweisen und Euch einen Eid darauf anbieten, wie es Eure Gesetze bestimmen. Wenn Euch das nicht genügt, will ich Eisen tragen und will, daß Ihr selbst bei der Probe zugegen seid."

Als Sigurd seine Rede beendet hatte, wandten sich viele an den König und sagten, man müsse es Sigurd ermöglichen, sich zu reinigen. Es dünkte sie, daß Sigurd wohlgesprochen hätte, und daß er unschuldig an dem verbrechen wäre, dessen er angeklagt war. Der König antwortete: "Bei diesem Manne liegen zwei Möglichkeiten vor: wenn er unschuldig in dieser Sache ist, muß er ein guter Mann sein. Sonst muß er aber ohne Beispiel frech sein, und zu der Ansicht neige ich. Doch glaube ich, daß er selbst Zeugnis über sich ablegen wird."

Auf die Bitte der Männer nahm der König Sigurds Angebot zur Eisenprobe an. Er sollte am nächsten Morgen nach Lyren kommen, und der Bischof sollte dort die Eisenprobe mit ibm vornehmen.

Damit schloß das Thing, und der König kehrte nach Lyren zurück.

Sigurd kehrte aber mit seinen Genommen zu ihrem Schiffe zurück. Bald darauf begann die Nacht hereinzubrechen. Da sagte Sigurd zu seinen Genossen: "Um die Wahrheit zu sagen: wir sind in eine sehr schwierige Lage gekommen und schwer beschuldigt worden, und der König ist so verschlagen, daß unser Schicksal vorauszusehen ist, wenn wir in seiner Hand sind. Zuerst ließ er Thoralf töten, und jetzt will er uns friedlos machen. Es wird ihm leicht sein, die Eisenprobe zu unserem



Thule-Bd.13-325 Groenlaender u. Faerinder Geschichten Flip arpa

Nachteil auszudeuten. Ich glaube, daß es dem schlecht ergeht, der sich mit ihm einläßt. Es, weht jetzt ein leichter Wind vom Lande her. Ich rate, daß wir unser Segel an der Mastspise hissen und in See stechen. Thrand mag in einem andern Sommer selbst fahren und seine Wolle verkaufen, wenn er will. Wenn ich aber jetzt entschlüpfen kann, so hoffe ich, nie mehr nach Norwegen zu kommen."

Den Färingern schien das ein kluger Rat zu sein. Sie hißten ihre Segel und fuhren in der Nacht aufs Meer hinaus, so weit sie kommen konnten und hielten nicht eher an, bis sie zu den Färöern kamen.

Thrand schalt sie wegen ihrer Fahrt, und sie antworteten ihm nicht freundlich.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt