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Grönländer und Färinger Geschichten


Übertragen von Erich von Mendelssohn

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1912


6. Von Butraldi

Thorkel hieß ein Mann, der in Zeugtal wohnte. Er war wohl reich, aber von niedriger Gesinnung, nachgiebig und furchtsam. Er war verheiratet, aber es waren nur zwei Menschen bei ihm: sein Weib und eine Dienstmagd.

Einmann hieß Butraldi. Er war unverheiratet, groß von Wuchs und stark, häßlich anzusehen, hart, jähzornig und rachgierig und hatte schon manchen Totschlag verübt. Er arbeitete im Sommer gegen Tage geld, im Winter aber wanderte er mit zwei Leuten herum und verbrachte oft mehrere Nächte auf einem Gehöfte. Er war mit Vermund aus dem Wasserfjorde verwandt , und deshalb bekam er nicht den Lohn, den er verdiente. Butraldi kam am Abend mit zwei Leuten zu Thorkel nach Zeugtal , um dort zu übernachten. Obgleich Thorkel geizig in bezug auf Speisung Fremder war, wagte er doch nicht; ihm die Herberge abzuschlagen. Sie wurden in die Stube geführt, machten Licht und saßen dort mit ihren Waffen, aber Thorkel war mit seinen Leuten im Schlafraume,

In diesen Tagen lag der Schnee in tiefen Wehen auf den Bergen . In den Niederungen war es ganz schneefrei, aber bei dem



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Frostwetrter und Schneesturm waren die Wasserläufe angeschwollen .

Thorkel kam in die Stube und Sagte jene nach den Dingen, die er begierig war zu erfahren. Er fragte Butraldi, wohin er zu gehen gedächte. Jener antwortete, er wolle südwärts zum Breitfjorde gehen. Thorkel dachte, es wäre nicht sicher, ob das Wetter am nächsten Tage so sein würde, daß man über die Heide kommen könnte. Da schlug ihm gleich das Herz, weil er fürchtete, jene würden länger bleiben, denn in seiner Brust trafen Geiz und Feigheit zusammen.

In diesem Augenblick hörte man, daß angeklopft wurde, und das erfreute Thorkel nicht. Er ging zur Tür, öffnete und sah einen großen Mann mit Waffen draußen stehen. Thorkel fragte den Mann nach seinem Namen. Jener sagte, er hieße Thorgeir. Thorkel Sagte, wessen Sohn er sei. Jener antwortete, er sei Havars Sohn. Da drang Furcht in Thorkels Brust, und mit klopfendem Herzen sagte er: "Butraldi ist mit zwei Männern hierher gekommen, und ich weiß nicht, ob er friedlich gegen dich gesinnt ist. Doch glaube ich, das seine Gedanken gegen dich nicht freundlich )ind, denn als Vermunds Freund ist er euer Feind. Aber ich kann kein Menschenblut sehen und würde in Ohnmacht fallen, wenn ihr zu fechten begännt." Thorgeir antwortete: Aus unserer Ankunft, Bauer, soll dir kein Schade entstehen."

Damit ging er in die Stube. Thorkel und sein Weib folgten ihm. Er nahm einen Tisch und stellte ihn vor Butraldi hin. "Kurz ist mein Tisch," sagte er, "so geh du Thorgeir und setz dich zu Butraldi." Thorgeir tat es, ging quer über den Estrich und setzte sich an das untere Ende von Butraldis Tisch.

Über das Essen wird genau berichtet: zwei Schüsseln wurden aufgetragen, auf der einen lag ein altes Rippenstück und auf der andern alter Käse im Überfluß. Butraldi segnete schnell das Essen, nahm dann das Rippenstück und schnitt sich davon ab und ass. Er legte es erst wieder hin, als alles Fleisch von den Rippen verschwunden war. Thorgeir nahm den Käse und schnitt sich von ihm ab, wieviel ibm gefiel. Der Käse war



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aber hart und schwer zu essen. Weder wollten sie die Messer noch die Speisen tauschen. Obgleich das Essen schlecht war, wollten sie doch nicht ihre eigenen vorräte hervorsuchen, denn es wäre beschämend für ihre Männlichkeit gewesen.

Dann wurde Essen für Thorkel und sein Weib aufgetragen. Sie aßen am Feuer und kamen zuweilen an die Tür und schauten ängstlich in die Stube. Als die Gäste satt waren, kam Thorkel mit seinem Weibe zu ihnen, und während die Frau das Essen vom Tische nahm, sagte Thorkel: "Diesen Lohn will ich für meine Gastfreundschaft haben, daß ihr einander kein Leid antut, solange ihr auf meinem Gehöfte seid. Es würde mir viel Ungemach bringen, wenn ihr hier zu fechten begännt. Es scheint mir am besten zu sein, daß Thorgeir bei uns schläft, Butraldi mit seinen Leuten, aber in der Stube."

Sie schliefen auf diese Weise in der Nacht.

Am nächsten Morgen waren sowohl Butraldi und Thorkel wie Thorgeir früh auf den Füßen. Es wurde Licht in der Stube gemacht und die Tische mit Essen hereingetragen, gerade so wie am Abende vorher. Jetzt nahm Thorgeir das Rippenstück und schnitt sich davon ab. Butraldi ass vom Käse.

Als sie satt waren, ging Butraldi mit seinen Leuten fort. Er nahm den Weg durch das Tal hinauf

Etwas später folgte ihm Thorgeir.

Durch das Zeugtal zieht sich ein steiler Rücken, über den die Landstraße führt. Am Rücken lagen hohe und harte Schneewehen.

Thorgeir sah, wo Butraldi ging und meinte, man käme hier schwer vorwärts.

So überschritt er den Fluß und folgte dem Ufer, während jene den Rücken erstiegen. Dann kehrte er auf die Landstraße zurück. Butraldi kam heran und schlug sich mit seiner Art den Weg. Oben vom Rücken sah Thorgeir; wo Butraldi ging. Butraldi rief: "Jetzt lief der Held." Thorgeir antwortete: "Ich lief nicht fort; sondern nahm den andern Weg, um mir nicht im Schnee vorwärts helfen zu müssen. Aber jetzt erwarte ich euch." Dabei stand Thorgeir oben auf dem Rücken, während Butraldi sich einen Weg durch den Schnee hieb.



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Und als er bis zur Mitte des Abhanges gekommen war, setzte sich Thorgeir auf seinen Speerschaft und drehte die Spitze nach vorn. Er glitt mit erhobener ?Art auf dem Schnee hinunter und auf Butraldi zu. Dieser hörte das Sausen von Thorgeirs Fahrt und blickte auf, aber bevor er sichs versah, hieb ihm Thorgeir in die Brust. Er fiel rücklings hin, aber Thorgeir lief über ihn, um in die Ebene zu kommen, so schnell, daß Butraldis Leute nach beiden Seiten flogen. Über diese Tat ist dies Lied gedichtet:

"Wohl taugt es, zu erwähnen
Wie Butraldi fiel.
Oft springt der Speer,
Adlerschrei klingt.
Wenig Dank wird man
Thorgeir zuerkennen,
Daß er ihn erschlug,
Ich versteh das wohl."

Butraldis Leute wagten nicht, ihn zu rächen und Thorgeir anzugreifen , denn sie glaubten schlecht unter Thorgeirs Waffen zur Nachtruhe zu kommen. Sie nahmen sich Butraldis an, aber Thorgeir wandte sich zur Heide und ging südwärts bis Reykjaholar.

Er wurde freundlich empfangen. Er blieb den Winter über dort und man verpflegte ihn gut. Der Winter war sehr streng in der ganzen Gegend. Das vieh starb den Leuten, und viele gingen nordwärts nach Strand zum Walfange.


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