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Grönländer und Färinger Geschichten


Übertragen von Erich von Mendelssohn

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1912


2. Thormods und Thorgeirs Jugend. Jödur erschlägt Havar

Havar hieß ein Mann. Er war Klepps Sohn und wohnte auf einem Gehöfte, das Gletscherquell hieß. Er stammte aus dem Süden von Akranes und hatte Totschläge wegen die Gegend verlassen müssen, denn er war ein wilder und gewalttätiger Mensch, der schon viele Totschläge verübt hatte.

Er hatte ein Weib, das Thorelf hieß. Sie stammte aus dem Breitfjorde und war die Tochter Alfio aus Dalir, der ein tüchtiger Mann aus angesehenem Geschlechte war.

Havar und Thorelf hatten einen Sohn, der Thorgeir hieß. Dieser war schon zeitig erwachsen und ein großer, starker und streitlustiger Mann. Schon in jungem Alter übte er sich mit dem Schilde und im Gebrauche der Waffen.

Bersi hieß einmann, der im Eisfjorde auf dem Gehöfte wohnte, das Prachtmoor hieß. Sein Weib hieß Thorgerd, und Thormod ihr Sohn. Dieser war schon in jungem Alter ein behender und mutiger Mann, mittelhoch, mit schwarzem, lockigem Haar.

In dieser Zeit wohnte in Reykjaholar auf Rauchspitz Thorgils, der Sohn Aris. Er war ein großer Häuptling, klug und beliebt, mächtig und rechtschaffen. Jllugi hieß sein Bruder, er war



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ein Hofmann König Olafs des Heiligen. Er war weitgereist und pflegte einen Winter bei König Olaf zu verbringen und den andern auf Reykjaholar. Auf seinem Schiffe hatte er Holz für die Kirche und das Schlafhaus nach Island gebracht.

Thorgeir und Thormod wuchsen im Eisfjorde auf. Sie schlossen bald Freundschaft, denn sie waren ähnlichen Sinnes. Bald erfaßte sie die Ahnung, die sich später als Wahrheit erwies, daß sie unter Waffen sterben würden, denn sie waren so gesinnt, daß sie sich niemals unterwerfen wollten, mit wem sie es auch zu tun hatten. Mehr lag ihnen an dem Ruhm in dieser Welt, als an den Freuden der andern.

Sie gaben einander dies feste Versprechen, daß der, der länger lebte, den andern rächen sollte. Denn obgleich sich die Leute Christen nannten, war das Christentum in jener Zeit noch jung und unvollkommen, da noch viele Funken des Heidentums zurückgeblieben waren.

Es war die Sitte unter berühmten Männern gewesen, einander zur Pflicht zu machen, daß der überlebende den andern rächen sollte. Dann mußten sie unter drei Rasenstreifen hindurch gehen , um den Schwur zu befestigen. Und so ging dies vor sich: man mußte drei lange Rasenstreifen so von der Erde losschneiden, daß ihre Enden fest in der Erde blieben, und die Streifen in einem Bogen in die Luft heben, und unter ihnen durchgehen. Auf diese Weise befestigten auch Thormod und Thorgeir ihren Schwur.

Thormod war etwas älter, trotzdem war Thorgeir stärker. Die beiden wurden bald bekannt. Sie kamen weit herum und waren nicht beliebt, denn sie standen im Rufe, rücksichtslos zu sein. Sie fanden immer Halt und Stütze bei ihren vätern, wie es zu erwarten war. Viele aber meinten, daß jene ihnen bei unrechtem Tun hülfen. Die Leute, die von ihnen Unrecht erlitten zu haben glaubten, gingen zu Vermund und baten ihn, diesem Übel abzustellen. Vermund entbot Havar und Bersi zu sich und sagte ihnen, daß den Leuten die Aufführung ihrer Söhne nicht gefiele.

"Nicht in unsere Gegend gehörst du, Havar," sagte er, "und hast dich hier ohne jemandes Erlaubnis niedergelassen. Wir



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haben bis jetzt nichts gegen deinen Aufenthalt hier gehabt. Aber jetzt scheint mir Unruhe und Sturm von deinem Sohne Thorgeir auszugehen. Wir wollen deshalb, daß du mit deinem Hausstände aus dem Eisfjorde ziehst.

Was aber Bersi und seinen Sohn betrifft, so wollen wir sie nicht von hier vertreiben, weil sie von hier stammen. Wir denken, daß Thormod weniger Unheil anrichten wird, wenn Thorgeir fort ist." Havar antwortete: " Es steht bei dir, darüber zu bestimmen, Vermund, ob wir mit unserer Habe aus dem Eisfjorde fortziehen. Aber ich weiß nicht, ob Thorgeir sich über seinen Wohnsitz vorschriften machen läßt."

Nach diesem Gespräch verlegte Havar seinen Wohnsitz südwärts nach dem Borgfjorde, und baute sich das Gehöft, das jetzt Havarsheim heißt.

Thorgeir war bald bei seinem Vater bald bei Thormod im Eisfjorde, und wo er hinkam war er ein Schrecken W viele Leute, obwohl er noch so jung war. Oft war er auf Reykjaholar bei seinem Vetter Thorgils und wurde gern von ihm gesehen. Sehr befreundet war er mit Thorgils' Sohn Ari von Jugend auf, und sie hielten ihre Freundschaft, solange beide lebten.

Jödur hieß ein Mann, er wohnte auf einem Gehöfte, das Schalenhang hieß. Er war ein großer Kriegsheld und Häuptling, gewalttätig und unbillig gegen viele und sehr unternehmungslustig. Sein Wort hatte Gewicht in der Gegend. viele Totschläge hatte er verübt, und nur selten büßte er sie mit Geld.

Da geschah es in einem Winter, daß Jödur mit seinen Knechten nach Akranes ritt, um Mehl zu kaufen. Auf der Reise kam er zu Havar und bat ihn, ihm bis Akranes ein Pferd zu leihen. Havar gab ihm das Pferd: " —doch will ich, daß du das Pferd hier zurücklässest, wenn du zurückkommst und es nicht länger behältst." Jödur antwortete, daß es so sein sollte.

Dann ritt er nach Akranes und kaufte Mehl, wie es seine Absicht gewesen war. Sobald er damit fertig war, begab er sich auf den Heimweg.

Als er am Grundfjorde an Havars Gehöft vorbeiritt, sagten ihm



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seine Knechte, daß sie zu Havar gehen müßten, um das Pferd zurückzugeben. Jödur antwortete: "Ich habe keine Lust zu einem solchem Aufenthalte. Das Pferd soll unter seiner Bürde mit uns gehen, bis wir zu Hause sind, und wir senden es Havar, wenn wir es nicht mehr brauchen." Die Knechte sagten:"Das kannst du tun, wie du willst. Aber Havar pflegt es nicht gern zu sehen, daß man gegen seinen Willen handelt." "Damit ist nichts zu machen," sagte Jödur.

Havar sah ihren Zug und erkannte die Männer. Er ging ihnen entgegen, grüßte sie und sagte:"Jetzt werdet ihr also das Pferd hier lassen." Jödur antwortete "Willst du mir nicht das Pferd bis zu meinem Gehöfte Schalenhang leihen:" Havar sagte: "Ich will nicht, daß das Pferd noch weiter geht." Jödur antwortete: "Dann werden wir das Pferd doch behalten, obgleich du es uns nicht leihen willst." Havar sagte: "Vielleicht geschieht das."

Er lief zum Pferde, schlug das Gepäck herunter, faßte das Pferd am saume und führte es auf den Weg nach dem Gehöfte

Jödur hatte einen Speer mit Widerhaken in der Hand, mit dem stürzte er auf Havar und durchbohrte ibn. An dieser Wunde verlor Havar sein Leben. Jödur nahm das Pferd mit sich nach Schalenbang.

Havars Hausleute wunderten sich, weshalb er nicht nach Hause käme. Sie suchten ihn und fanden ihn tot auf der Stelle liegen, wo er erschlagen war. Ihnen schien das ein großes Ereignis zu sein. Der Tod Havars wurde weit herum besprochen. Thorgeir war damals westwärts im Eisfjorde.


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