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Grönländer und Färinger Geschichten


Übertragen von Erich von Mendelssohn

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1912


5. Die Seuche im Weißlingssischerfjord

Jetzt ist davon zu berichten, daß Erichs Sohn Thorstein sich um Thorbjörns Tochter Gudrid bewarb. Der Antrag wurde gern angenommen und zwar sowohl von ihr, als auch von ihrem Vater Die Hochzeit wurde beschlossen und fand im Herbste zu Steilhang statt. Ein Gelage, zu dem viele eingeladen waren, wurde veranstaltet. Thorstein besaß ein Gehöft in der westlichen Ansiedelung, das Weißlingssischerfjord hieß. Er hatte den Hof zusammen mit einem andern Mann, der auch Thorstein hieß. Sigrid dieß dessen Frau.

Im Herbst fuhren Thorstein und Gudrid zusammen nach Weißlmgssischerfjord. Sie wurden freundlich empfangen und blieben dort den Winter über.

In der Zeit geschah es, daß eine Seuche in ihr Gehöft kam. Gardi hieß der verwalter. Er war ein wenig beliebter Mana



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Ihn ergriff die Seuche zuerst. Er starb, und es dauerte nur kurze Zeit, bis die Seuche auch andere ergriff, die ebenfalls starben. Die Seuche ergriff auch Erichs Sohn Thorstein und Sigrid, das Weib des andern Thorstein.

Eines Abends wollte sie zu dem gegenüberliegenden Hause gehen. Gudrid begleitete Sigrid, und als sie sich wieder der Tür zuwandten, rief Sigrid: "Oh" . Gudrid sagte: "Wir sind unvorsichtig gewesen, denn du hast keine Widerstandskraft gegen das kalte Wetter. Laß uns so schnell wie möglich ins Haus gehen. Sigrid antwortete: Ich kann nicht weitergehen, denn dort vor der Tür sehe ich alle Toten versammelt, und unter ihnen erkenne ich auch deinen Gatten Thorstein, und erkenne mich. Schmerzlich ist solch ein Anblick." Und als das Gesicht verschwunden war, sagte sie: "Laß uns jetzt gehen, Gudrid, jetzt sehe ich sie nicht mehr.

Da war auch der verwalter verschwunden, denn vorher dünkte es ihr, daß er mit einer Peitsche in der Hand dastünde und die Versammelten schlagen wollte. Sie gingen dann hinein, und bevor der Morgen kam, war Sigrid tot. Man zimmerte einen Sarg für die Leiche.

Am selben Tage wollten die Leute hinausrudern, und Thorstein begleitete sie zum Strande. Beim Einbruch der Dunkelheit ging er hin, um ihre Jagdbeute zu sehen. Da sandte Erichs Sohn Thorstein seinem Namensbruder die Botschaft , daß er zu ihm kommen solle, und sagte, daß es dort schlecht um die Ruhe stände, denn sein Weib Sigrid wolle aufstehen und in sein Bett steigen. Und als jener hereinkam, saß sie auf der Kante des Bettes. Er hielt sie fest und schlug sie mit einer Art vor die Brust.

Erichs Sohn Thorstein starb am Abend. Der Bauer Thorstein bat Gudrid, sich niederzulegen und zu schlafen, er wolle die Nacht bei den Leichen wachen. Sie tat es. Als aber ein kleiner Teil der Nacht verstrichen war, erhob sich Erichs Sohn Thorstein und sagte, man solle Gudrid herbeirufen, denn er habe mit ihr zu reden: " —Gott will, daß uns diese Frist gegeben werde zur Erlösung und Umwandlung." Thorstein ging, suchte Gudrid auf, weckte sie und bat sie, sich zu betreuzigen



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und Gottes Hilfe zu erbitten: " —Erichs Sohn Thorstein hat mit mir gesprochen, und er will dich sehen. Geh jetzt mit dir selbst zu Rate, denn ich kann dir keinen Rat geben." Sie antwortete: "Es kann sein, daß dieses wunderbare Ereignis zu Dingen führt, deren man später gedenken wird. Ich hoffe, daß Gottes Schutz über uns stehen wird. Ich werde im vertrauen auf Gott zu ihm gehen und mit ihm reden, denn meinem Unglück könnte ich doch nicht entgehen, und ich will ungern, daß der Tote noch länger umgehe. Eine Ahnung sagt mir, daß er es sonst tun wird."

So ging Gudrid zu Erichs Sohn Thorstein, und es dünkte ihr, daß er Tränen vergoß. Er flüsterte ihr einige Worte ins Ohr, die sie allein hören konnte, aber dann sagte er so laut, daß es alle hören konnten, daß die selig wären, die treu am Glauben hielten, denn ihm folgten Gnade und Hilfe. Aber er sagte auch, daß viele es schlecht mit dem Glauben hielten: " —ist es nicht eine Schande, daß man hier auf Grönland die Toten in ungeweihter Erde unter spärlichem Gesang begräbt, da doch das Christentum hier verkündet worden ist ! Ich will, daß ihr mich und alle andern, die gestorben find, zur Kirche tragt, aber Gardis Leiche sollt ihr schleunigst auf einem Holzstoße verbrennen, denn sie enthält alle Gespenster, die im letzten Winter hier gewesen sind. Er sprach zu ihr auch über ihr eigenes Geschick und sagte, daß es ihr wohl ergehen werde, aber erbat sie; sich vor einer Heirat mit einem Grönländer zu hüten. Er hieß sie auch, ihr Besitztum der Kirche und den Armen geben, und damit sank er zum zweiten Male hin.

Es war Sitte auf Grönland gewesen, seitdem das Christentum dahin gekommen war, die Leute auf dem Gehöft, wo sie starben, in ungeweihter Erde zu begraben. Einen Pfahl stellte man ihnen auf die Brust, und wenn ein Priester kam, zog man den Pfahl heraus und goß Weihwasser hinein und sang die Grablieder, auch wenn der Tote schon lange in der Erde gelegen hatte. Die Leichen wurden in die Kirche beim Erichsfjorde gebracht, und die Priester sangen über sie die Grablieder.

Darauf starb Thorbjörn, und alles Gut fiel Gudrid zu. Erich nahm sie zu sich und war zu ihr wie ein Vater


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