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Grönländer und Färinger Geschichten


Übertragen von Erich von Mendelssohn

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1912


2. Thorbjörn zieht nach Grönland

Thorgeir, Vifils Sohn, nahm äch Arnora, die Tochter Einars vom Quellenhange, zum Weibe. Eine andere Tochter Einars hieß Hallveig. Diese vermählte sich mit Thorbjörn, Vifils Sohn, und dieser bekam mit ihr das Land vom Quellenhange auf der Höhlenebene. Dorthin zog Thorbjörn und wurde ein angesehener Mann. Er ward Gode und führte einen prachtvollen Haus



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halt. Gudrid hieß Thorbjörns Tochter. Sie war überaus schön und tüchtig in allem, was sie sich vornahm.

Ein Mann hieß Orm. Er wohnte auf Adlersfels. Er hatte ein Weib, das Haldis hieß. Orm war ein tüchtiger Bauer und Thorbjörns guter Freund. Gudrid war lange bei ihm in Pflege. Einmann hieß Thorgeir. Er wohnte bei Thorgeirsberg. Er war ein freigelassener Höriger und sehr reich. Er hatte einen Sohn, der Einar hieß. Dieser war ein stattlicher Mann, der viel gesehen hatte und der sich prächtig zu kleiden verstand. Er war Seefahrer und stand sich gut dabei. Einen Winter pflegte er immer auf Island zu verbringen und den nächsten in Norwegen. Jetzt ist von einem Herbste zu berichten, als Einar auf Island war und mit seinen Waren zur Schneebergshalbinsel fuhr, um sie dort zu verkaufen. Er kam nach Adlersfels. Orm lud ihn ein, dort zu bleiben, und Einar nahm die Einladung an, denn sie waren Freunde. Einars Waren wurden in ein Vorratshaus getragen. Einar breitete die Waren aus, zeigte sie Orm und bat ihn und seine Leute, zu nehmen, was ihnen gefiele. Orm nahm das Anerbieten an und sagte, daß Einar ein tüchtiger Kaufmann wäre und das Glück mit ihm sei. Aber während sie sich noch mit den Waren beschäftigten, ging eine Frau an der Tür des vorratshauses vorbei. Einar fragte Orm, wer die schöne Frau wäre, die eben an der Tür vorbeigegangen sei: " — nie habe ich sie früher bier gesehen." Orm sagte: "Das war Gudrid, mein Pflegekind, die Tochter des Bauern Thorbjörn vom Quellenhange." Einar sagte: "Eine gute Wahl würde sie sein, oder haben sich schon andere um sie beworben:" Orm antwortete: "Gewiß hat man sich schon um sie beworben, Freund, aber das ist nicht so leicht, denn man findet, daß sie und ihr Vater gleich vorsichtig bei der Männerwahl sind." "Dann ist es gewiß", sagte Einar, "daß sie das Weib ist, um das ich werben will, und ich wünschte, daß du bei ihrem Vater für mich sprichst, und wenn du alles, was in deinen Kräften steht, für mich tust, werde ich dich mit meiner vollkommenen Freundschaft belohnen. Der Bauer Thorbjörn muß einsehen, daß eine Versippung uns beiden zum Vorteil gereichen wird, da er ein sehr angesehener Mann



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ist und viel Land besitzt. Was aber sein bewegliches Gut betrifft, so ist mir gesagt worden, daß er nur wenig hat. Mir und meinem Vater dagegen mangelt es weder an Land, noch an barem Gelde, und am meisten gewönne Thorbjörn, wenn mein vorschlag angenommen würde." Orm antwortete: "Gewiß glaube ich dein Freund zu sein, aber doch habe ich keine Lust, diesen Auftrag zu übernehmen, denn Thorbjörn ist hochmütig und sehr ehrgeizig." Einar sagte, er wolle doch, daß seine Werbung überbracht würde. Orm sagte, es läge bei Einar, das zu bestimmen. Einar reiste wieder südwärts seinem Gehöfte zu.

Nach einiger Zeit lud Thorbjörn zu einem Herbstgelage ein, wie er es zu tun pflegte, denn er war ein sehr vornehmer Mann. Dorthin kam Orm von Adlersfels und viele andere von Thorbjörns Freunden. Orm kam mit Thorbjörn ins Gespräch und sagte, dag Einar vom Thorgeirsberg kürzlich bei ihm gewesen und ein vielversprechender Mann sei. Damit brachte Orm Einars Werbung vor. Er sagte, sie wäre in jeder Hinsicht von vorteil: —"dir, Bauer, können er und sein Vater eine große Stütze sein mit ihrem Gelde." Thorbjörn antwortete: "Den Rat habe ich nicht von dir erwartet, meine Tochter dem Sohne eines Hörigen zum Weibe zu geben. Ihr müßt wohl gesehen haben, daß mein Besitz sich vermindert, wenn ihr mir solche Ratschläge gebt. Und Gudrid soll nicht länger bei dir sein, wenn du sie einer so geringen Heirat für wert hältst." Da ging Orm nach Hause, und ebenso ging ein jeder der Gäste nach seinem Gehöfte. Gudrid blieb bei ihrem Vater zurück und war den Winter über bei ihm.

Im Frühling lud Thorbjörn seine Freunde zu sich ein. Viele Männer kamen, und es wurde ein stattliches Gelage. Und mitten im Gelage erhob Thorbjörn seine Stimme und sprach: "Hier habe ich lange seiten hindurch gewohnt. Ich habe die Zuneigung der Leute genossen und ihre Freundschaft, und gut kamen wir miteinander aus. Doch nun bin ich mit meinem Besitz in Bedrängnis gekommen. An barem Gelde fehlt es, obwohl man bis jetzt von mir vermutet hat, ich besäße große Reichtümer. Aber ich will lieber mein Gehöft ver



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lassen, als meinem Ansehn schaden, lieber aus dem Lande ziehen, als meiner Sippe Schande bereiten. Jetzt werde ich in Erfahrung bringen, ob mein Freund Erich der Rote das versprechen hält, das er uns gab, als wir im Breitfjorde von einander schieden: nach Grönland werde ich noch in diesem Sommer fahren, wenn alles so geht, wie ich wünsche."

Die Männer überraschte die Mitteilung dieses Beschlusses sehr; denn Thorbjörn hatte viele Freunde gehabt. Aber sie glaubten zu wissen, daß man Thorbjörn nicht mehr umstimmen könne, wenn er einmal etwas gesagt habe. Thorbjörn gab allen Geschenke, das Gelage wurde aufgehoben, und die Männer gingen nach Hause, ein jeder nach seinem Gehöfte.

Thorbjörn verkaufte seine Ländereien und erwarb ein Schiff, das an der Mündung des Lavahafens lag. Dreißig Männer entschlossen sich, ihn auf seiner Reise zu begleiten, darunter Orm von Adlersfels mit seinem Weibe und alle die Freunde Thorbjörns, die sich nicht von ihm trennen wollten.

Darauf stachen sie in See. Als sie fortsegelten, hatten sie günstigen Wind, aber als sie auf hoher See waren, schlug der Wind um. Sie bekamen starken Sturm und schwere Fahrt hatten sie den ganzen Sommer über. Dabei brach eine Seuche unter den Leuten aus, und Orm und sein Weib und die Hälfte der Besatzung starben. Das Meer ging immer höher. Sie litten unter Nässe und vielerlei Ungemach und erreichten Herjulfsspis auf Grönland erst beim Beginn des Winters. Dort auf Herjulfsspitz wohnte ein Mann, der Thorkel hieß. Er war ein tüchtiger Mann und ein guter Bauer. Er beherbergte Thorbjörn und alle andern vom Schiffe den ganzen Winter über. Er sorgte gut für sie. Thorbjörn und seinen Genossen gefiel der Aufenthalt sehr.


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