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Sieben Geschichten von den Ostland Familien


Übertragen von Gustav Neckel

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1913


5. Thorhadds Träume

Es war ein Mann namens . . . ., der wohnte im Breiten Tal an der Klippe. Bei ihm war ein gewisser Stein zu Gast. Der deutete Träume besser als irgend ein anderer und war auch ein sehr geschickter Brettspieler . . . .

(Thorhadd war zu Besuch an der Klippe und unterhielt sich mit Stein.) Thorhadd war sehr lustig und schlug ein Brettspiel vor. ,Man hat mir erzählt,' sagte er, ,daß du ausgezeichnet Brett spielst, und ich finde auch Vergnügen daran.' Stein war es recht. Sie spielten, und Thorhadd unterlag. Da sagte er: Man hat mir deine Geschicklichkeit nicht übertrieben. Jetzt wollen wir aufhören mit dem Brettspiel, denn ich habe etwas anderes mit dir abzumachen.' Stein Sagte, was das sei. Thorhadd erwiderte: ,Man bat mir erzählt, du seiest ein sehr guter Traumdeuter. Darauf möchte ich jetzt die Probe machen. Ich habe nämlich wunderbare Träume gehabt, und es verlangt mich, zu wissen, wie du sie deutest.' ,Ich verstehe nur schlecht , Träume deuten, aber ich kann mir denken, daß du v! träumst, denn du redest viel.

Thorhadd sprach: ,Mich träumte, ich spränge mit einer Stange in der Hand den Bergabhang über der Straße hinauf und über etliche Gruben und Wege, und ich käme wieder hinab dort, wo es Am Bogen heißt.' — Stein sagte: ,Ich glaube deinen Traum so richtig zu deuten: deine Angelegenheiten



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wenden auf einen Abweg geraten, du biegst nämlich vom geraden Wege ab und schlägst einen krummen ein, und es kann sein, daß es eines Tages mit dir um die Ecke geht; das macht mir Angst.' Thorhadd versetzte: ,Du deutest ev wenig nach meinem Sinn.' .Erzähle mir nur solche Träume, von denen du willst, daß ich sie so deute, wie ich es fur richtig halte, sagte Stein.

Thorhadd sprach: ,Das war mein zweiter Traum: ich sah zwei Monde; der eine war ein gewöhnlicher Mond; der andere hing am Berge hinter meinem Hause, und ich nahm diesen Mond und ass ihn. ließ aber ein kleines Möndchen übrig und verwahrte das in meinem Beutel.' — Stein sagte: ,Das ist ein wunderbarer Traum. Doch glaube ich zu erkennen, was er bedeutet: du hast ein Weltwunder verschluckt, daher die ungeheuerlichen Reden, die aus deinem Munde kommen. Noch sind nicht alle heraus, die du in deinem Herzen verwahrst, denn du hast etwas von dem Monde übrig behalten.'

Thorhadd sprach: ,Es klingt nicht gerade erfreulich, was passieren soll; aber vielleicht hat der Traum wirklich nichts Gutes zu bedeuten. —Der dritte Traum war dieser: ich stand in einer Schmiede und machte einen Spieß, und meine Söhne fachten mit dem Blasebalg das Feuer an, aber die Arbeit wurde nicht fertig, obgleich die Funken stoben.' — Stein sagte: ,Das sind eure fauchenden Mäuler und die Spießruten, die ihr andere Leute laufen laßt, eine Arbeit, die nie fertig wird, obgleich die Funken davon über das ganze Cand sprühen du bist der Hauptmann, und deine Söhne gebn dir getreulich zur Hand.'

Thorbadd sprach: ,Mein vierter Traum ist dieser: ich ging in eine andere Schmiede; da war plötzlich alles wunderbar verändert , und ich bereute den Gang.' — Stein erwiderte: ,In der Tat bist du vor eine andere Schmiede gegangen als früher, wo du Ansehen bei den Menschen und die Gunst der Götter genossest; jetzt genießt du die Feindschaft der Menschen, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß dir die Schmiede einmal leid wird.' Thorhadd sprach: ,Dies war mein fünfter Traum: ich ging an den Strand hinab, wo Salz gesotten wurde, und meine Söhne mit mir; da ass ich glühendes Salz und trank Seewasser



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dazu.' - Stein sagte: ,Das bedeutet deine Lästerreden.' ,Du schonst mich wenig bei deiner Traumdeuterei,' sagte Thorhadd. Stein versetzte, er deute so, wie es ihm richtig scheine.

Thorhadd sprach: ,Dies ist mein sechster Traum: wir brachen von Hause auf, ich und meine Söhne, und wanderten zwischen dem Berge und der See; da warf uns eine Brandungswelle in eine Bergspalte, und es war sehr eng darin; ich hatte aber einen so langen Arm, daß ich damit bis oben an den Kamin reichen konnte, und so zog ich mich hinauf und zog meine Söhne nach, so daß wir alle miteinander oben auf dem Berge standen.' -Stein erwiderte: ,Wenn deine Arme länger waren als von Natur und von Rechtswegen, so zeigt sich das darin, daß du weit ausgreifende Torheiten begehrt und deine Söhne mit hineinziehst in deine verwicklungen; und wenn ihr hoch auf dem Berge standet, so bedeutet das: ihr fühlt euch erhaben über jede vernünftige Vorsicht.' Thorhadd sagte: ,Ich halte diesen Traum für einen guten Traum.' Stein versetzte, es werde schon so kommen, wie er voraussage.

Thorhadd sprach: ,Dies war mein siebenter Traum: ich zog meines Weges dahin, aber nicht auf der Hauptstraße, sondern auf einem nebenher laufenden Pfad, und ich gelangte auf einige Hügel hinter dem Gehöft An der Straße; Thorstein, Hall's Sohn, aber ging unter mir auf dem Hauptwege.' —Stein sagte, es sei klar, daß Thorstein auf dem rechten Wege wandle, ,du aber gehst krumme Wege bei euren Händeln, und zuguterletzt wird er dir von unten zu Leibe rücken.'

Thorstein sprach: ,Dies war mein achter Traum: meine Zunge war so lang, daß ich sie seitwärts in den Nacken zurückschlug und auf der andern Seite wieder nach vorne bis in den Mund.' — Sinn erwiderte: ,Es ist klar, daß sich deine Zunge wohl noch einmal um deinen Kopf wickelt."

Thorhadd sprach: ,Dies ist mein neunter Traum: ich stand auf dem Berge Held —so einen gibt es im Ostland —und schaute von da über alle Lande, nur nicht in die Nähe, da war alles in Nebel gehüllt.' — Stein sagte: ,Wenn du auf dem Berge Held standest, so bedeutet dies, daß du einstmals eine Art Held 1 Sprichwörtliche Redensart, die unmäßige Geschwidigkeit bezeichnet.



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warst, als du Thorsteins Godentum verwaltetest und vielen beistandest mit Geld und vor Gericht; jetzt aber bist du weitsichtig geworden, denn du machst Dummheiten und siehst nicht; was dir sehr nabe ist, dagegen siehst du genau alles, was weit weg im blauen Dunst liegt.

Thorhadd sprach: ,Mein zehnter Traum war so: ich kam auf eine stark besuchte versammlung, und da warf man mir Blechstücke in die Schürze, aber die Mächtigeren warfen schwere Eisen klumpen, so daß die Blechstücke zu Boden fielen.' —Stein sagte: ,vermutlich wird ein Einigungstermin anberaumt zwischen dir und Thorstein, und da werden, glaube ich, die kleinen Leute; die große Masse, dir Beistand leisten, weil du manchmal ihr Fürsprecher gewesen bist, aber die Großen werden alles, was dir helfen soll, niederschmettern und sich mehr an deine bösen Reden balten.'

Thorhadd sprach: ,Mein elfter Traum war: ich ging das Breite Tal hinauf und raffte den ganzen Bezirk wie eine Garbe Ähren in meine Arme.' — Stein deutete: ,Dann wirst du alle Leute im Bezirk vor der Brust haben als deine Gegner.'

Thorhadd erzählte den zwölften Traum: ,Ich wanderte aus dem Breiten Tal durch die Herdenscharte zu dem Hof 'Am Ende, da wohnte eine Witwe, und ich trat in eine Pfütze, glitt aus und fiel, während Thorstein quer über den Weg auf mich zuritt.' —Stein sagte: ,Das überrascht mich nicht, daß du durch die Schafscharte gehst und in die Patsche gerätst und dort ein Ende nimmst.' Thorhadd selbst fand es wahrscheinlich, daß er nicht alt würde. Damit beendeten sie das Gespräch, und Thorhadd ging heim.


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