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Sieben Geschichten von den Ostland Familien


Übertragen von Gustav Neckel

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1913


13. Grims Rache

Am selben Tage, wo oic am Bache arbeiteten, ging das Lämmerkap-Thing auseinander; und viele Männer begleiteten Helgi, Asbjörns Sohn, nach den Engen. Ein Bauer



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namens Ketilorm, der auf Hrollaugshausen wohnte, begleitete Helgi mit dreißig Mann. Auch Helgis Schwiegersöhne, Björn und Hjarrandi, waren dabei.

Am Abend verließen Grim und die beiden andern ihr Versteck und gingen nach dem Engenhof. Sie traten ein durch die Kuhstalltür. vom Kuhstall führte ein Gang in das Wohnhaus. Dort blieben sie stehn; sie konnten sehen, was drinnen geschah. An diesem Abend sagte Helgi, Asbjörns Sohn, zu seiner Frau: Wo, denkst du, sollen Ketilorm und seine Frau schlafend" Sie antwortete: ,Ich habe ihnen ein gutes Bett im Seitenraum hergerichtet.' Helgi sagte: ,Sie sollen in unserm eigenen Bett liegen, denn sie räumen uns jedesmal das ihrige ein, wenn wir dort sind.' Thordis versetzte: ,Du bist nicht immer gleich vorsichtig! Wäre ich an Grims Stelle, so würde ich dich aufsuchen, wenn recht viele Gäste hier sind und du alle Hände voll zu tun hast.' Darauf er: ,Oft hat man mir's verdacht, daß ich allzu vorsichtig sei" Und er verfügte über die Betten, nicht sie.

Grim sagte zu Thorkel: ,Geh hinein und sieh zu, das Schwert zu bekommen, das Thorbjörn gewetzt hat und das meinem Bruder Helgi gehörte.' Thorkel ging hinein, kam zurück und hatte das Schwert.

Etwas später sagte Grim: ,Geh und sieh zu, wo Helgi mit seiner Frau schlafen mag.' Thorkel war kurze Zeit fort. Dann meldete er Grim, sie schliefen im Seitenraum in einem Verschlag ohne Tür davor.

Helgi, Asbjörns Sohn, hatte einen Knecht namens Arnodd, war blind, aber stark von Gliedern. Er schlief Helgi gegenüber im Seitenraum an der Wand.

Nun sagte Grim zu Thorkel kcl: ,Dir habe ich zugedacht, hineinzugehn und Helgi eins zu versetzen. Denn du bist der Zweitnächste zur Rache fw meinen Bruder Helgi.' ,Das ist wahr,' sagte Thorkel. Da gab Grim ihm das Schwert in die Hand, und sie gingen zur Tür hinein. Thorkel blieb stehn und sagte zu Grim: ,Ich möchte nicht, daß du es so deutest, als hätte ich Furcht, zu Helgi hmeinzugehn. Und doch wundere ich mich, denn du hast einmal gesagt, du gönnest es niemand als dir selbst, deinen Bruder zu rächen.' ,Das kommt daher, weil mir



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die Aussicht auf Rache immer noch nicht ganz dahin scheint, solange ich selbst lebe.' Da wollte Thorkel hineingehn. Aber Grim hielt ihn fest und sagte: ,Ein wackerer Bursche bist du, Thorkel, aber du siehst mir so aus, als wäre es nicht ganz sicher, daß du Helgi so tief verwundest, wie ich möchte. Laß mich das wahr machen, woran du mich erinnert hast: Keinem vergönne ich die Rache für Helgi als mir selbst" Grim nahm das Schwert und sagte: ,Du, Thorkel, sollst den Türring festhalten. Denn dir traue ich am ehesten zu, daß du dich nicht ins Bockshorn jagen läßt. Und Glum soll den Schlagbalken vor die Tür legen. '

Ehe Grim hineinging, nahm er eine Garnwinde in die Hand. Er war im Hemd und in Leinenhosen und ohne Schuhe an den Füßen. Im Eintreten bemerkte er, daß an der Tür zum Kuhstall ein Haufe geschlagenes Hols lag. Glum hatte im Laufe des Abends allen Kühen im Stall paarweise die Schwänze zusammengebunden.

Grim betrat den Raum beim Bette des Helgi, legte das, was er in der Hand trug, am Eingang nieder und ging an das Beit heran. Er zog Helgi die Bettdecke weg. Der erwachte davon und sagte: ,Hast du mich angefaßt, Thordis ' Warum ist deine Hand so kalt: ' ,Ich habe dich nicht angefaßt, ' versetzte sie, ,aber du bist unvernünftig; ich fürchte, es hat schlimme Folgen. ' Beide schliefen wieder ein. Da trat Grim an Helgi heran und nahm die Hand der Thordis weg, die sie über ihn gelegt hatte. Er rief: ,Wach auf, Helgi; hast genug geschlafen! ' und dann durchbohrte er ihn mit dem Schwert.

Helgi rief: ,Wacht auf Burschen, im Schlafraum! Man er schlägt mich. ' Da nahm Grim das Holz auf, das er auf den Boden gelegt hatte, und schleuderte es. Es traf den Hol haufen, und der stürzte zusammen. Nun sprangen die Leute im Schlafsaal auf und glaubten, der Täter sei dort entwichen, wo der Lärm zu hören war. Grim aber wandte sich zur selben Tür, durch die er eingetreten war. Plötzlich faßte jemand ihn mitten um den Leib und hob ihn sich auf die Brust. Das war Arnodd. Er rief: ,Hierher, Leute; ich halte den Täter" Da sagte Grim: Unglücks mensch, laß mich los! Ich wollte Helgi rächen. ' Arnodd



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betastete ihn mit der einen Hand und merkte, daß er barfuß und in Linnenkleidern war. Da ließ er Grim los, sagte aber gleich darauf: ,Ich habe ihn losgelassen, weil ich nicht wissen konnte, daß es besser gewesen wäre. ihn festzuhalten.' Grim sprang zur Tür und entschlüpfte. Thorkel machte die Tür wieder zu. Glum warf den Schlagbalken vor, und sie liefen zu ihrer Erdhöhle, wo sie sich versteckten.

Im Hause beratschlagte man, und es wurde beschlossen, an allen Übergängen Wache zu halten und an die Brücken über die Gletscherach Hinterhalte zu legen. Zuerst kamen Hjarrandi, Ketilorm und Helgis verwandte heraus und gingen auf die Suche. Die meisten trafen bei ihrer Rückkehr Helgi noch am Leben. Er Sagte, ob Björn, Hjarrandi und die Ihrigen heimgekommen wären. ,Hier bin ich,' sagte Björn. ,Es ist wieder so,' sagte Helgi, ,daß Hjarrandi sich mir als der bravste Bursche zeigt.' Darauf starb er.

Die Nacht verging. Da verließen Grim und seine Freunde das Erdhaus und gingen am Seeufer hinauf bis Höfdi. Dort sahen sie ein Zelt. Grim trat darauf zu und rief: ,Warum überlast ihr Dieben euer Schiff:" Thorlak hieß der Mann, dem das Schiff gehörte. Er hatte norwegische Kaufleute zu ihrem Schiff begleitet. Er lieh Grim sein Boot, und sie setzten über. Grim ruderte das Boot zurück und schwamm dann über den See. Sie wanderten nun am Seeufer hinab und kamen zur Gletscherach. Grim schwamm mit Thorkel hinüber, während Glum sich hier von ihnen trennte. Von da ging es weiter zur Kreuzbucht . Thorkel war noch nicht heimgekommen. Man fragte sie nach Neuigkeiten. Sie sagten, sie erzählten keine.

Am nächsten Tage saß Grim mit einem Norweger beim Brettspiel , als ein Knabe, ein Sohn Thorkels und der Jorun, herangesprungen kam und das Brett umwarf. Der Norweger gab dem Knaben einen Fußtritt, und der furzte dagegen. Grim lachte lama uf. Da trat Jorun zu ihm und sagte: ,Was ist dir unterwegs zugestoßen, daß du jetzt lachen kannst: Was hast du Neues zu melden?' Da sprach Grim.

Laut erklang das Lachen,
Als mir Leid bereitet



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Ward, dieweil ich wund lag,
Wilden Schmerz im Hergen:
Anders saust es endlich
Südwärts ob dem Erdzaun, 1
Raunt von Feindestaten,
Fall des Allbeliebten.'

Ist es nicht so,' fragte Jorun, ,daß du deinen Bruder Helgi gerächt bast?. Da sprach Grim.

Rache darf ich rechnen,
Richtend und vernichtend
Helgis Feind und meinen,
Mir als Werk und Jubel:
Grund genug zur Sühne
Für den grimmen Bjarni;
Raben Freude biß der
Blanke Wundenfunke." 3

Nun wird es sich zeigen,' sagte Jorun, ,daß wir schutzlos sind, sobald der Bauer nicht zu Hause ist. Und doch könnten wir beide es ruhig abwarten, wenn nicht Helgis, des Asbjörnsohnes Schwager Björn uns so dicht vor der Tür säße.'

Grim und seine Gefährten blieben dort versteckt, solange Thorkel fort war. Als er heimkam, suchte er Grim auf und Sagte nach dem Geschehenen und besonders nach den Umständen Helgis Tod. Grim erzählte. wie alles sich zugetragen , und sprach die Weisen:

Harten Schwertes Schneide
Schnitt in Mannes Mitte —
Meine Faust umfaßte
Fest den Todesboten —,
Als er starb, enterbet
Alles Hallenjubels, 4
meines Bruders Todfeind,
Björns, des Asen, Sprößling.'



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Mit der Waffe schuf er, 1
Hallend auf der Walstatt,
Heldenwerf, das Helgis
Üngestüm berühmte,
Als er, froh des Streites,
Stritt in volkesmitte,
Drei der Feinde fällte,
Eh er fiel dem Beile.'
Wogenrosses Wächter 2
Mußt ' in Wildnis hausen
Sieben lange Tage,
Bebend um das Leben,
Als der Baum des Kampfes 3
Blutbespritzten Spaten
Stach in Leibes Erde,
Leichentau erreichend. '

Thorkel ritt zum Thing. Grim aber blieb in einem Zelte auf dem Berge, der Schneespitze beißt, oberhalb der Kreuzbucht, und seine Gefährten mit ihm.


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