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Sieben Geschichten von den Ostland Familien


Übertragen von Gustav Neckel

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1913


4. Der Retter in der Not

Es war eines Morgens früh, als der alte Thorbjörn erwachte . Er weckte Sam: ,Steh auf; ich kann nicht schlafen.' Sam stand auf und fuhr in seine Kleider. Sie gingen hinaus, zum Axtfluß hinab, unterhalb der Brücke, und wuschen sich dort. Thorbjörn sagte zu Sam: ,Das ist mein Rat, daß du unsere Pferde zusammentreiben läßt und wir nach Hause reiten. Es ist ja nun klar, daß uns nichts bevorsteht als Schmach.' Sam antwortete: ,Das ist gut, denn du wolltest ja durchaus mit Hrafnkel anbinden und schlugst Anerbietungen aus, die mancher, der um einen Verwandten trauert, gern angenommen hätte. Uns, die wir von der Sache nichts wissen wollten, schaltest du Memmen. Jetzt aber werde ich nicht abladen, bis ich sehe, daß wir etwas erreichen.' Das wurde Thorbjörn zu viel: er sing an zu weinen.

Da sahen sie am jenseitigen Ufer, ein wenig flußabwärts, fünf Männer aus einer Baracke treten. Der voranging, war hochgewachsen , doch nicht der kräftigste an Wuchs; er trug einen laubgrünen Rock und in der Hand ein verziertes Schweri; ein Mann von regelmäßigen Gesichtszügen, frischer Farbe und stattlichem Äußern; hellbraun und üppig das Haar. Dieser Mann war leicht kenntlich, denn er hatte eine weiße Stelle in seinem Haar auf der linken Seite. Sam sagte: ,Laß uns aufstehn und hinübergehn, jenen Leuten entgegen" Sie gingen den Fluß hinab. und der Mann, der voranging, grüßte sie zuerst und fragte, wer sie wären. Sie nannten ihre Namen. Sam Sagte den Mann nach dem seinigen, und er nannte sich Thorkel Sohn des Thjostar. Sam fragte nach seiner Verwandtschaft



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und Heimat. Er sagte, er stamme nach Geschlecht und Herkunft aus dem Westlande und sei am Dorschfjord daheim. Sam Sagte: ,Bist du Gode?' Er verneinte es. ,Was für einer bist du denn?' fragte Sam. ,Ein anhangloser Mann bin ich,' antwortete jener; ,letzten Winter kam ich ins Land; bin sieben Jahre auswärts gewesen und bis nach By anz gekommen, bin Gefolgsmann des Griechenkaisers. Jetzt bin ich zu Gast bei meinem Bruder, der Thorgeir heißt.' ,Ist der Gode?' fragte Sam. ,Gewiß ist er Gode, am Dorschfjord und weiter herum im Westlande.' ,Ist er hier auf dem Thing ,Gewiß ist er hier.' ,Wie stark ist seine Mannschaft?' ,Gegen siebzig,' sagte Thorkel. ,Seid ihr noch mehr Brüder?' fragte Sam. ,Noch ein dritter.' ,Wer ist das?' ,Er heißt Thormod und wohnt in Gard auf dem Schwanenkap. Seine Frau ist Thordis, die Tochter Thorolfs, Enkelin Skallagrims von Borg."

Willst du uns helfen?' sagte Sam. ,Was tut euch not?' fragte Thorkel. ,Hilfsmannschaft und Häuptlingsstärke,' war die Antwort" denn wir haben zu tun mit dem Freyspriester Hrafnkel wegen des erschlagenen Einar. Thorbjörns Sohn, eine Sache, die wir wohl zu Ende bringen können mit deiner Hilfe.' Thorkel versetzte: ,Ich sagte schon, daß ich kein Godentum habe.' Warum hast du dich beiseite schieben lassen: Du bist doch ein Häuptlingssohn so gut wie dein Bruder!' Thorkel erwiderte: ,Das sagte ich nicht, daß ich nie ein Godentum besessen hätte. Aber ich übertrug es, ehe ich außer Landes ging, meinem Bruder Thorgeir. Später habe ich es ihm gelassen, denn mir scheint, es ist bei ihm gut aufgehoben. Ihn solltet ihr aufsuchen . Bittet ihn um seine Fürsorge. Er ist kraftvollen Sinnes, ein wackerer Bursche und steht nach jeder Richtung seinen Mann, dabei ist er jung und ehrgeizig. Solche Männer sind es am ehesten, von denen ihr Hilfe erwarten könnt.' Sam: ,Wir werden nichts von ihm erreichen, wenn du nicht unsere Bitte unterstützt.' Thorkel: ,So viel will ich versprechen, daß ich eher mit als gegen euch sein werde. Denn mir scheint, jedermann bat Grund genug, für einen erschlagenen Verwandten einzutreten.



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Gebt nun voran zur Hütte und hinein. Die Leute liegen noch im Schlaf. Quer über die Hütte werdet ihr zwei Schlafsäcke liegen sehen. Aus dem einen komme ich eben, in dem andern liegt mein Bruder Thorgeir. Er hat, seit er auf dem Thing ist, ein großes Geschwür am Fuß gehabt und daher nachts wenig geschlafen. Diese Nacht ist es aufgegangen, und der Eiter ist heraus. Danach ist er eingeschlafen und hat den Fuß aus dem Schlafsäcke herausgestreckt auf das Fußbreit, weil ihm so heiß ist am Fuß, — Der Alte da soll vorangehn, immer weiter in die Hütte hinein. Er kommt mir recht altersschwach vor, auch an den Augen . . .Wenn du an den Schlafsack kommst, Mann, so mußt du arg stolpern. Fall auf das Fußbreit, pack die sehe, die verbunden ist, zieh sie an dich heran und sieh zu, wie er sich dazu stellt.' Sam versetzte: ,Ich zweifle nicht, daß du guten Rat für uns hast; aber dies scheint mir nicht rätlich.' Thorkel antwortete: ,Ihr habt die Wahl: tut, was ich euch vorschreibe, -der rechnet nicht auf meine Hilfe.' Sam nahm das Wort und sagte: ,Tun wir nach seinem Rat!' Thorkel erklärte, er werde nachkommen; er warte auf seine Leute.

Sam und Thorbjörn machten sich auf und kamen in die Hütte. Alle Leute schliefen noch. Sie sahen gleich, wo Thorgeir lag. Der alte Thorbjörn ging voran und stolperte sehr, und als er an den Schlafsack kam, da siel er auf das Fußbreit, ergriff die kranke Zehe und zog sie an sich. Darüber erwachte Thorgeir, sprang aus dem Sack auf und fragte, wer so tölpelhaft daherkäme, daß er Leuten auf die Füße trete, die kaum genesen wären. Sam und Thorbjörn wußten nichts zu antworten. Da betrat Thorkel die Hütte und sagte zu Thorgeir: Sicht so zornig, Bruder! Dir wird's wohl nicht schaden. Man greift wohl einmal daneben, und es kommt vor, daß man nicht auf alles gleich gut achten kann, wenn man den Kopf voll Sorgen hat. Es ist zu begreifen, Bruder, wenn dir dein Fuß noch web tut, in dem ein arges Übel gesteckt hat; das wirst du selbst am besten wissen. Es mag aber wohl sein, daß es einem alten Manne nicht weniger weh tut, wenn sein Sohn gefallen ist, er keine Buße erhält und sich nicht helfen kann;



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das wird er selbst am besten wissen! Und es ist kein Wunder. wenn ein solcher Mann nicht auf alles gut achten kann, denn er hat den Kopf voll Sorgen.'

Thorgeir sagte: ,Mich wundert, das er mich dafür verantwortlich macht. Ich habe seinen Sohn nicht erschlagen, und so kommt die Rache bei mir an die falsche Stelle.' ,Es war nicht als Rache gemeint,' sagte Thorkel, ,er hat dich nur härter angerannt, als er wollte. Das kommt von seinen schlechten Augen. Er hoffte auf deine Hilfe. Es wäre eine wackere Tat, einem alten Manne beizustehn, der es nötig bai. Er ist in einer Zwangslage und klagt keineswegs nur zum Vergnügen um den gefallenen Sohn. Alle Häuptlinge aber versagen den Leuten ihre Hilfe und zeigen damit, daß sie keine wackern Männer sind.' Thorgeir Sagte: ,Gegen wen klagen die Leute: Thorkel antwortete: ,Der Gode Hrafnkel hat den Sohn dieses Thorbjörn ohne Grund erschlagen. Er begeht eine Untat nach der andern und gibt niemandem Genugtuung.' Thorgeir sagte: ,Es wird mir so gehn wie den andern: ich erinnere mich nicht, den Leuten derart zu Dank verpflichtet zu sein, daß ich mich mit Hrafnkel einlassen möchte. Mir scheint, er schert alle, die gegen ihn klagen, Sommer für Sommer über denselben Kamm: sie erreichen von ihm nichts oder wenig; allen ergeht es gleich, soweit ich sehe. Das ist wohl der Grund, weshalb die Wenigsten dazu Lust haben, solange sie nicht geradezu gezwungen sind.' Thorkel sagte: ,Kann sein, daß ich auch spräche, wenn ich Häuptling wäre. Aber ich sehe doch nicht so große Hindernisse wie du. Ich möchte mich gerade gerne mit so einem messen, dem bisher niemand hat standhalten können. Dadurch würde ich —oder der betreffende Häuptling, der dem Hrafnkel eins versetzte — im Ansehen steigen, und jedenfalls nicht sinken, auch wenn es mir so schlecht gehn sollte wie den andern. Denn das Sprichwort sagt: mich kann treffen, was manchen trifft; aber auch: gewagt ist schon halb gewonnen.' Ich sehe,' sagte Thorgeir, ,wie es mit dir steht: du biss entschlossen , den Leuten zu helfen. So will ich dir denn mein Godentum und meine Herrschaft, die du früher gehabt hast, zurückgeben. Künftig wollen wir es zusammen verwalten,



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und du kannst dann allen helfen, denen du willst.' ,Mich dünkt, sagte Thorkel, ,unser Godentum ist am besten bei dir aufgehoben . Keinem gönne ich es so wie dir, denn du hast unter uns Brüdern am meisten von dem, was dem Manne wohl ansteht. Ich aber bin im Augenblick noch unschlüssig, was ich beginnen soll, und du weißt selbst, Bruder, daß ich mich kaum in irgend etwas gemischt habe, seit ich nach Island kam. Jetzt kann ich einmal erproben, wie viel mein Rat gilt. Weiter die Sache betreiben werde ich nicht. Kann sein, daß Thorkel Fleck noch einmal wohin kommt, wo seine Worte schwerer wiegen.'

Thorgeir sagte: ,Nun sehe ich, wie du es meinst, Bruder: es ist dir nicht recht so. Das konnte ich nicht wissen. Wir wollen uns also, wenn du es so haben möchtest, der Leute annehmen, es gehe dann, wie es mag!' Thorkel sagte: ,Ich pflege nur um solche Dinge zu bitten, die zu gewähren nach meiner Überzeugung das Richtige ist'

Was glauben die Leute selbst dazu tun zu können, daß ihre Sache guten Fortgang nimmt: 'Sagte Thorgeir. ,Es istso, wie ich heute schon sagte,' antwortete Sam: ,wir brauchen Unterstützung von Häuptlingen. Vorbringen werde ich die Sache schon selbst.' Thorgeir erklärte, dann sei es leicht, ihm zu helfen; ,nun kommt es darauf an,' meinte er, ,die Sache so korrekt wie möglich einzuleiten. Mich dünkt aber, Thorkel wünscht, daß ihr ihn aufsucht, ehe die Gerichte zusammentreten. Eins von zweien werdet ihr dann für euer heißes Bemühen zum Lohn bekommen: entweder ein bißchen Trost, oder aber Demütigung mehr noch als bisher, Arger und Kummer. Geht nun heim und seid fröhlich, denn wenn ihr mit Hrafnkel euch messen wollt, so müsst ihr eine Zeitlang den Kopf hoch tragen. Erzählt es aber niemand, daß wir euch Hilfe versprochen haben.' Da gingen sie heim ;u ihrer Hütte, ließen Bier bringen und waren fröhlich. Die Leute wunderten sich, daß sie so schnell umgestimmt waren, denn sie waren ja so traurig am Morgen aufgebrochen ,

Sie warteten, bis die Gerichte zusammentraten. Dann rief Sam seine Leute zusammen und ging zum Gesetzesfelsen, wo das Gericht tagte. Er trat dreist heran, begann sogleich die Zeugen



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aufzurufen und brachte seine Klage gegen den Goden Hrafnkel vor, genau nach den Landesvorschriften, unbarmherzig, in klingendem vortrag. Alsbald erschienen auch die Thjostarsöhne mit starkem Gefolge. Alle Leute aus dem Westlande hatten ihnen Zuzug geleistet, und es zeigte sich, daß die Thjostarsöhne beliebte Männer waren. Sam führte die Anklage bis zu dem Punkte, wo Hrafnkel aufgefordert wurde, sich zu verteidigen, wenn nicht etwa jemand da wäre, der für ihn die verteidigung führen wolle in richtigem Rechtsgänge. Lauter Beifall folgte Sams Rede. Keiner meldete sich, um Hrafnkel zu verteidigen. Einige Leute sprangen Hrafnkels Hütte und erzählten ihm, was im Werke war. Er gab sofort Folge, ließ seine Leute aufstehn und ging zu den Gerichten. Er wußte wohl, daß an verteidigung kaum zu denken sei, gedachte aber den kleinen Leuten, die gegen ihn klagten, das Handwerk zu legen, wollte dem Sam das Gericht auseinander jagen und ihm den Prozeß zerschlagen. Aber dazu war keine Aussicht-Es stand eine solche Menge Menschen davor, daß Hrafnkel nicht herankam. vielmehr wurde er mit großer Übermacht weggedrängt, sodaß es ihm nicht einmal vergönnt ward, die Rede seiner Ankläger zu hören. Es fiel ihm also schwer, seine verteidigung vorzubringen. Indessen führte Sam die Anklage bis zu Ende: bis die Acht heraussprang für Hrafnkel.

Hrafnkel ging zu seiner Hütte, ließ die Pferde satteln und verließ das Thing, übel zufrieden mit dem Urteil, denn erbaue ein solches noch nie erlebt. Er ritt auf die Lyngtalheide und weiter zur Halde und geradeswegs nach Hause ins Hrafnkelstal. Dort ließ er sich in Adelfarm nieder und tat, als wäre nichts geschehen.

Sam aber war noch auf dem Thing und trug den Kopf nicht niedrig. viele waren mit dem Ablauf der Sache wohl zufrieden , daß Hrafnkel einmal blamiert war; sie dachten daran, wie manchem er zu nahe getreten war. Sam wartete, bis das Thing sich auflöste und die Leute sich zur Heimreise anschickten. Er dankte den Brüdern für ihre Hilfe. Da fragte ihn Thorgeir lachend, wie er über die Sache dächte. Er äußerte sich sehr zufrieden. Thorgeir sagte: ,Glaubst du jetzt weiter zu sein als



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vorher: Darauf Sam: ,Hrafnkel hat eine Schande erlebt, von der man noch lange sprechen wird, von dieser seiner Schande, und das ersetzt eine hohe Geldbuße.' ,Der Mann ist nur halb geächtet, solange die Exekution nicht vollzogen ist, und das muß an seiner Heimstätte geschehen, vierzehn Tage nach der Waffennahme.' Waffennahme heißt es, wenn die Landsgemeinde vom Thing reitet. ,Und ich glaube,' fuhr Thorgeir fort, ,Hrafnkel ist heimgekommen und gedenkt, in Adelfarm zu bleiben. Er wird auch, euch zum Trotz, nach wie vor Gode sein. Du aber gedenkst jedenfalls heimzureiten und dich in deinen Hof zu setzen — wenn du dazu kommst, was der günstigste Fall ist. Dein Prozeß hat dir dann das eingebracht, daß du ihn Waldmann' nennen darfst. Aber seine Schreckensherrschaft wird andauern — wenn es dir nicht etwa noch extra schlimm ergeht.' ,Das geht mich nichts an', sagte Sam. ,Du bist ein tüchtiger Kerl', sagte Thorgeir, ,und mich dünkt, mein Bruder Thorkel, nachdem er einmal A gesagt hat, wird auch B sagen. Er wird dir zur Seite stehn, bis der Handel zwischen dir und Hrafnkel ganz ausgetragen ist, so daß du dann ruhig leben kannst. Ihr werdet finden, daß wir die Nächsten dazu sind, euch zur Seite zu stehn, da wir uns vorher am tiefsten auf die Sache eingelassen haben. Wohlan, wir wollen dir helfen, dich auf eine Zeitlang in die Ostfjorde begleiten. Weißt du einen Weg dahin. der keine allgemeine Landstraße ist" Sam erklärte, er werde denselben Weg einschlagen, den er gekommen war. Und er war froh hierüber.


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