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Kapitel 

MÄRCHEN AUS KORDOFAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1923

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE MIT EINER KARTE

c) Die Überwindung der Wasserrula

Wudandahasch tat nun wie bisher. Er stieß die Leute auf der Straße mit seiner Eisenstange in die Seite. Er tötete sie nicht und verwundete sie nicht, sondern er warf sie nur hin. Die Leute



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fürchteten sich aber, und alle Welt war zornig und alle Leute kamen zum König und sagten: "Wudandahasch stößt uns immer mit seiner Eisenstange, so daß wir hinstürzen." Darauf sagte der König: "Ist denn niemand da, der Wudandahasch überwinden kann?" Die Leute sagten: "Nein, es ist niemand da, der Wudandahasch überwinden kann." Der König sprach darauf mit seinem Wesir und sagte: "Was kann man nur tun, um Wudandahasch beiseite zu bringen? Wudandahasch ist für das Land eine Plage, und es ist niemand da, der ihn überwinden kann." Der Wesir dachte nach und sagte endlich: "Jetzt weiß ich, wer Wudandahasch aus dem Wege bringen könnte. Du hast hier bei deiner großen Stadt den schönen Fluß mit ausgezeichnetem Wasser. Nun muß aber ein jeder aus dem Brunnen das schlechte Wasser holen und keiner kann das gute Wasser des Flusses nehmen, weil zwei Rula in dem Flusse leben, die jeden töten, der an das Wasser kommt. Sende doch Wudandahasch an den Fluß mit deinen Schafen und Ziegen. Er soll die Herde am Ufer des Flusses hüten. Dann werden die beiden Rula ihn töten, und du hast deinen Vorteil. Sollte aber Wudandahasch die Rula umbringen, was nicht anzunehmen ist, so kannst du damit auch zufrieden sein." Der Melik hörte den Wesir an und sagte dann: "Du hast recht! So werde ich es machen."

Der Melik ließ Wudandahasch kommen und sagte zu ihm: "Nimm die Schafe und Ziegen und hüte sie am Ufer des Flusses!" Wudandahasch sagte: "Das will ich gern tun." Am andern Tage trieb Wudandahasch also die Schafe und Ziegen wieder aus und diesmal an das Ufer des Flusses. Wudandahasch trank von dem schönen Wasser des Flusses. Er stieg in den Fluß und badete. Er füllte einen Wassersack mit dem herrlichen Wasser. Es zeigte sich an diesem ersten Tag aber keine Rula. Wudandahasch nahm also den Sack mit Wasser, trieb die Herde heim und trug dann den Sack mit Wasser zum König. Er sagte: "Ich habe so, wie du es mir gesagt hast, deine Herde am Ufer des Flusses hingetrieben und habe dir hier von dem schönen Wasser etwas mitgebracht." Der König versuchte das Wasser und sagte: "Dies Wasser ist wirklich sehr gut; es ist viel besser als das schmutzige Wasser aus dem Brunnen. Nun bringe mir nur häufiger etwas von dem Wasser. Zuerst sage mir aber, was ich dir schenken kann." Wudandahasch sagte: "Ich will kein besonderes Geschenk von dir haben. Ich bitte dich nur, mir auch fernerhin zu erlauben, die Leute auf der



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Straße mit meinem Stock zu stoßen, so daß es etwas zum Lachen gibt."

Am andern Tage trieb Wudandahasch seine Herde wiederum zu dem Ufer des Flusses. Wudandahasch sah sich um und sah, daß eine der Rula im Wasser schwamm, während die andere schlief. Da näherte er sich vorsichtig der Rula und zog ihr, ehe sie es sich versah, einen silbernen Fußring vom Bein. Mit dem silbernen Fußring eilte er heim, gab ihn seiner Mutter und sagte: "Meine Mutter, bewahre mir diesen silbernen Fußring auf und bewache ihn." Die Mutter nahm ihn.

Am andern Tage trieb Wudandahasch wieder seine Herde an das Ufer des Flusses. Die beiden Rula sahen Wudandahasch nicht. Die beiden Rula sprachen miteinander. Die beiden Rula sagten: "Dieser Wudandahasch war erst täglich mit der Herde im Garten Madina Rulas. Er hat Madina Rula getötet. Er kommt jetzt täglich an unsern Fluß. Gestern hat er schon unsern silbernen Fußring genommen. Wudandahasch wird uns noch töten, wenn wir nicht Freundschaft mit ihm schließen. Wir haben unsere Errukhs (Errukhs sind ca. 2-4 cm lange und ca. 1/2 cm dicke Zweigstücke mit Rinde und ohne Ornamente, welche zu allerhand Verwandlungen gebraucht werden. Viele Leute tragen solche Errukhs als schützende und fördernde Amulette in der Tasche), mit deren Hilfe können wir die häßliche Haut der Rula anlegen und sind dann die schlimmsten Feinde der Menschen. Oder aber wir können diese häßliche Haut ablegen und sind dann schöne Frauen. Wir wollen nun unsere Errukhs anwenden und wollen die häßliche Haut ablegen. Wir wollen als schöne Frauen mit ihm Freundschaft schließen. Wir wollen aber unser Gerät mitnehmen, damit wir immer, wenn wir es brauchen, Rula sein können. So wollen wir es tun."

Wudandahasch hörte es, wie die beiden Frauen so miteinander sprachen. Wudandahasch merkte sich die Worte. Er ging um den Platz herum und kam von der andern Seite. Er trieb seine Herde an den Fluß. Am Flusse saßen zwei sehr schöne Mädchen. Wudandahasch sagte: "Ihr seid zwei schöne Frauen." Die beiden Frauen sagten: "Wir wollen mit dir kommen und in deinem Hause mit dir Freundschaft schließen. Wir wollen nur jede ihren Korb mitnehmen. Bist du damit einverstanden?" Wudandahasch sagte: "Ich will euch mitnehmen und mit euch Freundschaft schließen. Jede kann in ihrem Korbe ihre Sachen tragen. Aber ihr müßt mir



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in allem gehorsam sein, was ich will. Seid ihr damit einverstanden? Sagt es, denn wie ihr wißt, bin ich Wudandahasch." Die beiden Frauen sagten: "Wir wissen, daß du Wudandahasch bist und deshalb nur wollen wir mit dir gehen und wollen dir gehorchen. Wir sind damit einverstanden."

Wudandahasch sagte: "Dann kommt mir mir. Wir wollen erst beim Hause des Königs vorbeigehen und nachher könnt ihr bei meiner Mutter wohnen." Dann ging Wudandahasch mit den beiden schönen Frauen in die Stadt zum Hause des Königs. Jede der Frauen hatte aber ihren Korb bei sich. Als sie nahe am Hause des Königs waren, blieb Wudandahasch stehen. Er stützte sich auf seinen Eisenstock und sagte: "Nun ist es an der Zeit, daß ihr eure Errukhs herausnehmt und eure alten Häute als Rula anlegt." Die schönen Frauen erschraken und sagten: "Weißt du denn, daß wir Rula sind?" Wudandahasch sagte: "Ihr könnt Rula sein und könnt schöne Frauen sein, je nachdem wie ihr eure Errukhs anwendet. Ich habe aber euren Silberfußring und bin, wie ihr wißt, Wudandahasch. Ich will euch noch einmal als Rula dem König zeigen. Mehr will ich nicht." Wudandahasch hob seinen Eisenstock hoch.

Da fürchteten sich die zwei Rula und sie sagten: "Wir wollen tun, was du sagst." Sie nahmen die Errukhs und aus den Körben die Häute der Rula. Sie verwandelten sich in Rula und gingen nun folgsam vor Wudandahasch her. Die Leute aber, die die Rula sahen, erschraken und liefen kreischend von dannen. Die Leute liefen überall schreiend weg und flüchteten sich zum König und riefen: "Hilf uns, Melik! Wudandahasch hat die zwei Rula aus dem Flusse gebracht und treibt sie hierher. Er wird uns den zwei Rula ausliefern, so daß wir getötet und gefressen werden! Hilf uns, Melik!" Der Melik erschrak und sagte zu dem Wesir: "Was ist das? Was wird das? Was tun wir?" Die Leute schrien: "Du, der Melik, und du, der Wesir, ihr beide waret es, die Wudandahasch zum Flusse hinabsandten. Ihr seid schuld daran, wenn Wudandahasch uns nun die zwei Rula in die Stadt bringt, so daß sie uns alle fressen werden. Ihr müßt uns helfen! Ihr müßt Wudandahasch entgegengehen und müßt ihn bitten uns zu schonen."

Der Wesir sagte zum Melik: "Wir müssen tun, was alle die Leute verlangen. Wir wollen Wudandahasch entgegengehen und wollen ihn bitten, das Volk der Stadt nicht vernichten zu lassen." Der Melik und der Wesir standen auf. Sie gingen aus dem Palast her-



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aus. Da sahen sie auch, wie Wudandahasch die beiden Rula auf die Stadt zuführte. Als ihre Augen aber die beiden Rula sahen, erschraken sie und wollten fortrennen und sich im Palast verstecken. Sie wandten sich schon um; Wudandahasch rief ihnen aber zu: "Bleibt! Bleibt! Ich wollte euch die beiden Rula nur zeigen. Sie werden euch und niemand etwas tun, denn ich bin der Herr ihrer Kleider (dies ,Ich bin der Herr ihrer Kleider' ist wörtlich). Bleibt und seht nur!" Nun blieben der König und der Wesir stehen.

Der Melik und der Wesir standen still und sahen die zwei Rula. Die zwei Rula waren aber schrecklich zu sehen. Alle Leute sahen die Rula, und Wudandahasch stand hinter ihnen und war ihr Herr. Wudandahasch sagte: "Nun ist es aber genug. Ihr sterbt sonst alle vor Furcht!" Dann machte Wudandahasch ein Feuer und sagte zu den zwei Rula: "Nehmt eure Errukhs! Legt die Rulahäute ab, denn ich bin Wudandahasch!" Darauf nahmen die beiden Rula ihre Errukhs zur Hand, und gleich darauf hatten sie die zwei Rulahäute abgelegt und standen als schöne Frauen da. Darauf riefen der Melik und der Wesir und alle Leute: "O seht! Wie schön sie sind!" Alle Leute staunten.

Wudandahasch nahm aber die Errukhs und die Rulahäute der zwei Frauen und warf alles ins Feuer, so daß es verbrannte. Wudandahasch sagte: "Schöne Frauen sollt ihr bleiben. Nie wieder sollt ihr Rula werden." Dann brachte Wudandahasch die schönen Frauen zu seiner Mutter und sagte: "Bewahre und beschütze diese beiden schönen Frauen gut!" Der Melik ließ aber Wudandahasch kommen und sagte: "Wudandahasch, du hast etwas Großes vollbracht! Alle Leute brauchen nun nicht mehr das schmutzige Wasser aus dem Brunnen zu trinken, sondern können ungefährdet an den Fluß gehen und können von dort herrliches Wasser holen. Sage mir, ob ich nun etwas tun kann. Soll ich dir etwa eine große Hochzeit veranstalten, wenn du jetzt die beiden schönen Frauen heiratest?" Wudandahasch sagte: "Ich will diese beiden Frauen nicht heiraten, wenn sie auch sehr schön sind. Ich will jetzt nicht heiraten und will auch keine Geschenke von dir haben. Ich bitte dich nur, mir auch fernerhin zu erlauben, die Leute auf der Straße mit dem Stock zu stoßen, so daß es etwas zum Lachen gibt." Wudandahasch ging dann heim.

Wudandahasch tat nun wie bisher. Er stieß die Leute an der Straße mit seiner Eisenstange in die Seite. Er tötete sie nicht und



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verwundete sie nicht, sondern warf sie nur hin. Die Leute fürchteten sich aber vor Wudandahasch, und alle Welt war zornig. Alle Leute liefen zum König und sagten: "Wudandahasch stößt uns immer mit seiner Eisenstange, so daß wir hinstürzen." Darauf ward der König sehr traurig. Der König sagte: "Nicht Wudandahasch ist schlecht, sondern ihr seid schlecht! Ihr habt mir Wudandahasch verdorben. Wudandahasch hat große Dinge ertragen. Ihr alle seid aber ganz kleine Kinder!"

Die Leute kamen wieder und wieder zum Melik und beschwerten sich über Wudandahasch. Es kam der Wesir zum König und sagte: "Es geht nicht mehr so. Es ist unerträglich! Dieser Wudandahasch muß aus der Welt geschafft werden. Gib ihm einen Auftrag!" Der Melik sagte: "Niemand wagt, den Wudandahasch anzurühren. Wudandahasch ist stärker als jeder. Auch die Rula fürchten ihn. Wer soll es mit Wudandahasch aufnehmen?" Der Wesir dachte bis zum andern Tag nach. Dann kam er wieder zum Melik und sagte: "Melik, ich weiß, wie man Wudandahasch beseitigen kann." Der König sagte: "So sage es!" Der Wesir sagte: "Du hast dort deinen Feind, den andern König, der im vorigen Jahre mit dir Krieg gemacht hat. Der König ist über die Maßen machtvoll und stark. Er kann den Wudandahasch leicht überwinden. Sende Wudandahasch auf einem Schiffe mit vieler schlechter Ladung und mit einem Briefe an jenen König, dann wird er schon getötet werden, und du bist alle Sorge mit diesem Wudandahasch ein für allemal los." Der König sagte: "Es ist gut, so werde ich es tun! Ich werde Wudandahasch mit einer Ladung von Geschenken an den König des andern Landes senden und diesen so zornig machen, daß er Wudandahasch tötet."

Der Melik ließ nun viele Säcke mit Mist füllen und belud damit ein großes Boot. Dann schrieb er einen Brief, der war so gehalten, daß, wenn Wudandahasch mit der Mistladung ankam, er am andern Tag auf jeden Fall getötet werden mußte. Danach ließ der Melik Wudandahasch zu sich kommen und sagte: "Wudandahasch, du sollst als mein Bote zu dem andern König fahren und sollst da mit allen Ehren empfangen werden, denn ich will dir große Geschenke für ihn mitgeben. Sieh, dort habe ich schon ein Boot beladen lassen. Nimm nun den Brief und übergib ihn dem andern König." Wudandahasch nahm den Brief und sagte: "Ich werde alles so ausführen, daß es dir zur Ehre gereicht."

Wudandahasch ging hin, um von seiner Mutter Abschied zu



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nehmen. Unterwegs sagte er vor sich hin: "Ob dann aber auch mein Stock für die Reise genügt?" Und Wudandahasch versuchte ihn mit den Händen zusammenzubiegen. Da zerbrach die Eisenstange von 300 Rat! in seiner Hand wie ein Sumpfrohr. Wudandahasch ging dann zu einem Schmiedemeister und ließ alle Schmiede zusammenkommen. Er baute einen Schmiedeofen, der war sehr groß. Dann ließ er einen andern Eisenstock schmieden, der wog 10 Gontar (i Gontar = 100 Rat!, also 10 Gontar etwa = 10 Zentner). Er hob ihn in die Luft und schwang ihn wie einen Stock hin und her. Er sagte: "Dieser Stock ist gut für mich." So stark war Wudandahasch geworden.

Wudandahasch ging dann an das Ufer und bestieg das Boot. Wudandahasch stieß mit seinen Leuten vom Ufer ab und fuhr hinaus. Nachdem Wudandahasch eine Zeitlang gefahren war, begann er die Zahl der Säcke, die ihm der König mitgegeben hatte, zu zählen.

Nachdem Wudandahasch damit einige Zeit verbracht hatte, die Säcke zu zählen, sagte er: "Es sind sehr viele Säcke. Sehr schwer können sie nicht sein." Wudandahasch hob einen Sack auf und wog ihn. Wudandahasch sagte: "Es scheint, diese Könige schenken einander Hühnerfedern." Wudandahasch wog einen zweiten Sack, der ebenso leicht war und sagte: "Ich muß mir den Inhalt dieses Sackes doch einmal ansehen." Wudandahasch begann einen Sack zu öffnen. Die Schiffsleute sahen das und schrien: "Wudandahasch, niemand darf die Säcke öffnen als der König, zu dem sie gesandt sind. Laß es, Wudandahasch!" Wudandahasch lachte aber und sagte: "Was gehen mich diese Könige an. Diese Könige achten ihre Diener gering, wenn sie auch vieles vermögen, und suchen sie nur zu vernichten, wenn sie ihnen einmal ärgerlich sind. Diese Könige achten ihre Diener nicht. Weshalb soll ich nun diese Könige achten ?"

Wudandahasch öffnete den Sack und fand, daß Mist darin war. Wudandahasch lachte und sagte zu den Leuten: "Seht! Diese Könige senden einander Mist. Heute finde ich in der Tat etwas zum Lachen." Die Leute sagten: "Wudandahasch, wir bitten dich, schließe den Sack. Wudandahasch, wir bitten dich. Denn sieh, es ist der Mist der Könige." Wudandahasch sagte: "Was scheren mich die Könige! Wenn sie Mist verschicken, sollen sie es nicht gerade auf meinem Boote tun." Wudandahasch schüttete den Mist in das Wasser. Die Leute schrien: "Wudandahasch, was tust du!



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Es ist der Mist der Könige!" Wudandahasch sagte: "Ihr Klugen, glaubt ihr denn wirklich, daß der Mist, den Könige sich als Gabe senden, anders ist als der Mist der Esel, Pferde und Kamele anderer Leute!" Die Leute weinten aber und baten: "Wudandahasch, es ist nun einmal der Mist der Könige, und die Leute werden uns töten, wenn wir ihn nicht bringen." Wudandahasch sagte: "Mist wird überall gemacht. Ich will nicht der Überbringer solcher Gaben sein!" Wudandahasch schüttete also den Inhalt aller Säcke in das Wasser.

Danach öffnete Wudandahasch den Brief, den der Melik ihm für den andern König mitgegeben hatte. Aus dem Brief ersah er, daß der Melik den andern König veranlassen wollte, Wudandahasch, wenn er mit der Mistladung ankomme, zu töten. Wudandahasch las den Brief. Wudandahasch verbrannte den Brief. Wudandahasch schrieb dann einen andern Brief, in dem der andere König aufgefordert wurde, Wudandahasch mit großen Ehren zu empfangen. Nachdem Wudandahasch diese Änderung vorgenommen hatte, fuhr er mit seinen Leuten weiter, bis er bei der Stadt des andern Königs ankam.

Wudandahasch sandte einen Mann mit dem Brief zu dem Könige in die Stadt. Der König las den Brief und sagte zu seinen Leuten: "Der Mann, der diesen Brief gebracht hat, muß mit aller Pracht aufgenommen werden. Deshalb sollen alle Trompeten geblasen und alle Trommeln geschlagen werden, und ich will ihm selbst entgegenziehen." Die Leute kamen mit Pferden und Waffen und vielen Musikinstrumenten und machten großes Geräusch, als sie hinter ihrem König her zu Wudandahasch zum Boote hinabzogen. Als sie so kamen, sagten die Bootsleute zu Wudandahasch: "Das war die gleiche Musik mit Trompeten und Trommeln, die sie im vorigen Jahre machten, als sie gegen den Melik unseres Landes Krieg führten." Wudandahasch sagte: "Dann wollen wir unserm Melik diese Musikinstrumente als Geschenk mitbringen." Die Bootsleute erschraken und sagten: "Wudandahasch, sage nicht so schlimme Sachen!"

Wudandahasch wurde mit allen Ehren empfangen und speiste mit dem Melik. Er besichtigte die Stadt und sah, daß da eine große Tabia (das ist eine Art Fort, eine Burg) war. Es war aber tagsüber niemand in der Burg. Wudandahasch sagte: "Wozu haben die Leute diese Tabia ?" Als es nun Abend wurde, sah er, daß alle Einwohner der Stadt in die Tabia gingen und darin schliefen. Er



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aber ging in sein Boot und schlief auf dem Wasser. Am andern Tage wurden wieder die Trompeten geblasen und die Trommeln geschlagen, und es war ein großes Fest. Als es Nacht wurde, zogen aber alle Leute der Stadt wieder in die Tabia. Als Wudandahasch das sah, ging er nicht in das Boot, sondern er blieb mit seiner Eisenstange in der Stadt, und als alle Leute der Stadt in der Tabia eingeschlafen waren, ergriff er seine Eisenstange und begann auf die Tabia zu schlagen. Seine Schläge fielen so schwer auf die Burg, daß sie einstürzte. Wudandahasch ging herum und schlug von allen Seiten darauf, und sie fiel so ganz zusammen, und alle Leute, die in der Tabia waren, wurden von den einstürzenden Balken und von der Eisenstange Wudandahaschs getötet. So tötete Wudandahasch den großen freundlichen Melik und alle seine Leute auf einmal.

Danach ging Wudandahasch herum und trug alle Trommeln und Trompeten zusammen. Er trug sie zum Boote hinab und belud sein Boot damit, und er zeigte seinen Leuten, wie sie die Musikinstrumente handhaben sollten. Dann fuhr er ab und der Stadt des Melik zu, der ihn ausgesandt hatte. Nach langer Fahrt kam das Schiff nahe der Stadt an. Wudandahasch sagte zu seinen Leuten: "Nun blast und trommelt, so laut und so stark ihr könnt, denn der Melik und seine Leute müssen merken, daß wir für den Mist ein gutes Gegengeschenk mitgebracht haben!" Die Leute begannen nun auf dem Schiffe mit allen Kräften zu trommeln und zu blasen.

Als die Leute der Stadt das sahen und hörten, erschraken sie und liefen zu ihrem Melik. Der Melik hörte die Musik auch und sagte zu seinem Wesir: "Wesir, wir haben unklug gehandelt. Wir haben Wudandahasch mit einem schlechten Geschenk zu dem König gesandt, mit dem wir vorher Krieg gemacht haben. Nun ist er sicher empört gewesen über das, was wir von ihm verlangt haben, und er hat nicht nur Wudandahasch totgeschlagen, sondern er kommt mit allen seinen Leuten und mit seiner Musik, um genau wie früher mit uns zu fechten. Oder erkennst du etwa die Musik nicht wieder?" Der Wesir sagte: "Es kann kein Zweifel darüber sein, daß dies die Musik ist, von der du sprichst. Wir müssen aber abwarten, was geschieht."

Als Wudandahasch an die Stadt kam, ließ er das Boot anlegen und stieg mit seinen Leuten aus. Seine Leute machten die Musik und gingen hinter Wudandahasch her auf den Palast des Melik zu. Die Leute lugten aber hier und da zu den Türritzen heraus und



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erkannten Wudandahasch. Sie sahen Wudandahasch und stürzten aus ihren Häusern heraus und schrien: "Wudandahasch ist wiedergekommen! Wudandahasch ist wiedergekommen! Wudandahasch hat den großen König getötet und bringt seine Musikinstrumente mit!" Als der Melik die Schreie der Leute hörte, fiel er dem Wesir um den Hals und sagte: "Wesir, es ist Wudandahasch!"

Wudandahasch kam mit seiner Musik zu dem Melik. Er hieß seine Leute alle Instrumente vor dem König hinlegen und sagte: "Du hast mich mit köstlichen Geschenken zu dem feindlichen Melik gesandt. Der feindliche König hielt nichts von der Köstlichkeit deiner Geschenke und nannte sie Mist. Darauf habe ich den Melik und seine Leute totgeschlagen und bringe dir hier als Gegengeschenk seine Musikinstrumente. Sage es mir nur, wenn wieder einmal irgendein anderer König deine Geschenke als Mist bezeichnet, ich will dann gern alle Könige belehren in dem, was wertvoll und was wertlos ist." Der Melik war über diese Tat und über die Eroberung der Musikinstrumente sehr entzückt. Er sagte zu Wudandahasch: "Du hast nun wiederum etwas Großes vollbracht; sage mir, was ich dir schenken kann." Wudandahasch sagte aber: "Ich will keine Gabe von dir haben. Ich bitte dich nur, mir auch fernerhin zu erlauben, die Leute auf der Straße mit meinem Stocke zu stoßen, so daß es etwas zum Lachen gibt." Der Melik sagte: "Dein Stock ist aber größer geworden. Wirst du den Leuten auch nicht schaden?" Wudandahasch sagte: "Mein Stock wird noch mehr wachsen, aber nur dem Widrigen wird er schaden. Die Freunde wird er nur scherzend berühren."

Wudandahasch verließ darauf den Melik und ging zu seiner Mutter, um sie zu begrüßen.


Copyright: arpa, 2015.

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