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Sieben Geschichten von den Ostland Familien


Übertragen von Gustav Neckel

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1913


5. Wie Thorleif der Christ vorgeladen werden sollte

Brodd-Helgi war den Sommer über ziemlich verdrießlich und verlangte sehr nach Thorleifs Rückkunft. Auf jeder versammlung trafen sich Brodd-Helgi und Geitir und sprachen über ihren verlust. Brodd-Helgi fragte Geitir, was aus dem Kistchen geworden wäre, das Hrafn besessen hatte. Geitir sagte, er wisse nicht, ob Thorleif es mit dem übrigen ins Ausland mitgenommen oder ob der Norweger es bei sich gehabt habe. 'Ich glaube eher,' sagte Helgi, ,daß du es bei dir hast.' Geitir Sagte: ,Wo ist der Ring, den er am Finger trug, als er erschlagen wurde?' ,Das weiß ich nicht,' sagte Helgi, ,aber so viel weiß ich, daß er ihn nicht mit ins Grab genommen hat.' Und bei jeder versammlung, wo sie sich trafen, Sagte Helgi nach dem Kistchen und Geitir wiederum nach dem Ring, und es trat deutlich etwas zwischen sie. Es kam nun so, daß jeder der beiden fest meinte, er habe von dem andern etwas zu fordern, und ihre Freundschaft kühlte ab.

Im nächsten Sommer kam ein Schiff in die Rotwalförde; es gehörte Thorleif dem Christen, und mit ihm waren zwei Männer von den Hebriden an Bord. Thorleif verkaufte seinen Anteil an diese und ritt dann nach seinem Hof. Das war eine frohe Kunde für Brodd-Helgi. Als er jedoch erfuhr, Thorleif habe alles Geld an Hrafns Erben abgeliefert, da schien es ihm nicht angängig, gegen Thorleif zu klagen. Dafür gedachte er ihn auf andere Weise zu fassen.

Es gab da eine Frau namens Steinvör, die war Tempelpriesterin und verwaltete den Haupttempel, zu dem alle Bauern Zins zahlen mußten. Diese Steinvör besuchte den Brodd-Helgi, der ein verwandter von ihr war, und erzählte ihm von der schwierigen Lage; in der sie sich befand: Thorleif der Christ bezahle nämlich keinen Tempelzins wie andere Leute. Brodd-Helgi versprach, in ihrem Namen die Klage gegen Thorleif zu führen.'

Im Fließtal wohnte ein gewisser Ketil, genannt der dicke Ketil, ein wackerer Bursche.



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von Helgis Ritt ist zu berichten, daß er bei Kent Rast hielt und dieser ihn gut bewirtete. Dabei schlossen sie Freundschaft, Helgi sagte: ,Es gibt etwas, was ich dich bitten will, für mich zu tun: nämlich Thorleif den Christen wegen des Tempelzinses zu verklagen. Lade du ihn erst vor, ich komme dann zum Thing, und wir besorgen das Weitere gemeinsam.' Ketil antwortete: ,Hätte ich gewußt, daß dies dahinter steckt, so hätte ich nicht mit dir Freundschaft geschlossen; denn Thorleif ist beliebt; doch will ich nicht gleich das erstemal nein sagen.' Sie trennten sich darauf, und Helgi ritt wieder nach Hause.

Als es dem Ketil Zeit dazu dünkte, brach er, zehn Mann hoch, von Hause auf. Sie kamen in der Morgenröthe nach der Kreuzbucht . Thorleif stand draußen, begrüßte Ketil und die andern und lud sie alle su sich ein. Aber Keul erklärte, es sei zu früh zum Einkehren, zumal bei so schönem Wetter. Er fragte, ob Thorleif den Tempelzins schon entrichtet habe, und dieser antwortete , er werde jedenfalls bezahlt werden. ,Ich bin gekommen,' sagte Ketil, ,den Tempelzins zu holen. Es hat doch keinen Sinn, wenn du mit einer Zahlung zurückhältst, die dir unmöglich etwas ausmachen kann.' Thorleif antwortete: ,Ich habe einen besseren Grund als Kleinlichkeit: mich dünkt alles, was dahin gezahlt wird, übel angewendet.' Ketil versetzte: 'Das ist eine starke Überhebung, wenn du es besser zu wissen meinst als alle anderen Leute und deshalb solche gesetzlichen Abgaben nicht zahlen willst.' ,Es ist mir gleichgültig,' sagte Thorleif, ,was du über diese Sache redest.' Darauf ernannte Ketil seine Zeugen und lud Thorleif den Christen vor Gericht. Als die vorladung beendet war, lud Thorleif sie ein, dazubleiben, und meinte, das Wetter werde rauh und unbeständig. Ketil jedoch erklärte, er werde aufbrechen. Thorleif bat sie, wenigstens umzukehren, sobald das Wetter schlecht werde. Sie ritten nun davon, und nicht lange, so kam ein Unwetter. und sie mußten umkehren. Spät abends kamen sie zu Thorleif und waren todmüde. Thorleif nahm sie gut auf; das Wetter hielt sie zwei Nächte dort fest, und die Bewirtung wurde je länger um so besser. Und als Keul und die Seinen reise



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fertig standen. da sagte er: ,Wir 1ind hier gut aufgehoben gewesen . Du hast dich als den allerwackersten Burschen gezeigt, Thorleif. Ich will dir damit vergelten, daß die Anklage ungültig sein soll, und will fortan dein Freund sein.' Thorleif antwortete: ,Deine Freundschaft weiß ich zu schätzen. Aber es kommt wenig darauf an, ob ich verurteilt werde oder nicht. Ich habe einen Kameraden, auf den ich mich verlassen kann, und der dafür sorgt, daß so etwas mich nicht ansicht.' Damit trennten ue um.

Das Thing kam heran. Es wird berichtet, Brodd-Helgi habe ein starkes Gefolge gesammelt und sich einen Hauptspaß versprochen. Im verlaufe des Things frasie er Kezil, wie weit die Klage gegen Thorleif den Christen gediehen sei; und der sagte ihm die Wahrheit. Da sagte Helgi: ,Du hast mich arg im Stich gelassen, Ketil. Nun ist's aus mit unserer Freundschaft.' So konnte er Thorleif nichts anhaben, und von diesem ist nicht weiter zu erzählen.

Gleich nach dem Thing trafen sich Brodd-Helgi und Geitir. Helgi machte dem andern Vorwürfe, sagte, ihm verdanke er diese Schmach, die schwer su tilgen sein werde, und ihre Freundschaft ging immer mehr in die Brüche.


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