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Sieben Geschichten von den Ostland Familien


Übertragen von Gustav Neckel

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1913


4. Von Thorleif dem Christen und von Hrafns Tode

Es wird erzählt, daß eines Sommers ein Schiff in die Waffenförde kam. Steuermann war Thorleif, zubenannt der Christ. Sein Hof stand an der Kreuzbucht in der Rotwalförde, und er war ein Stiefsohn des Asbjörn Lodenkopf. Der zweite Steuermann hieß Hrafn, ein Norweger von Geburt, zauberkundig , reich an Kostbarkeiten, geizig, schweigsam und von ruhigem, gereiftem wesen. Man sagt, er habe einen Goldring besessen, den er immer am Finger trug, und eine kleine Kiste, die er oft unter seiner Bettstatt stehen hatte, und die Leute glaubten, sie set voll von Gold und Silber.

Thorleif ritt beim nach seinem Hof an der Kreusbucht, die Norweger aber suchten sich Unterkunft. Brodd-Helgi ritt zum Schiff und bot dem Steuermann an, bei ihm zu wohnen. Der Norweger erklärte, lieber suche er sich anderswo ein Unterkommen , ,denn', sagte er, ,du bist ein großer Mann und siehst auf deinen vorteil. wie mir gesagt wird; ich aber bin ein kleiner Mann und begnüge mich mit dem Meinigen; das paßt schlecht zusammen.' Brodd-Helgi wollte von ihm allerhand Kleinode kaufen, denn er war sehr schmuckliebend, doch Hrafn erklärte, kein Kleinod auf Frist verkaufen zu wollen. Brodd-Helgi erwiderte: ,Ehrenvoll hast du meine Reise werden lassen, die Gastung abgeschlagen und den Handel verweigert.'

Auch Geitir kam zum Schiff, suchte den Steuermann auf und sagte, er habe sich dumm benommen, den mächtigsten



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Mann im Bezirk gegen sich aufgebracht. Der Norweger erwiderte: ,Ich habe mir gedacht, bei irgend einem Bauer einzukehren —willst du mich aufnehmen?' Geitir wollte zuerst nicht recht, aber endlich nahm er den Steuermann doch auf Die Matrosen kamen anderswo unter, und das Schiff wurde auf Rollen gelegt. Dem Norweger wurde ein Speicher eingeräumt, uni seine Waren unterzubringen, und er verkaufte sie nach und nach.

Zu Wintersanfang gaben die Egilssöhne ein Gastmahl, und Brodd-Helgi und Geitir waren beide dort. Helgi hatte den vortritt und saß weiter oben, denn er hielt etwas auf Ehre vor den Leuten. Es fiel allgemein auf, daß er und Geitir so viel mit einander zu reden fanden, daß die Leute von ihnen garnichts hatten, weder Gespräch noch Kurzweil. Das Fest nahm ein Ende, und jeder ritt nach Hause.

Im Winter wurden auf dem Hofe Hag, dicht bei Hof. vielbesuchte Spiele abgehalten. Brodd-Helgi war auch dabei. Geitir machte dem Norweger Lust zu dieser Zusammenkunft und sagte, er werde dort viele seiner Schuldner treffen. So ritten sie hin. Sie fanden viel zu reden wegen seiner Forderungen. Und als die Spiele aus und die Leute beim Aufbrechen waren, saß Helgi noch in der Stube und sprach mit seinen Thingmannen . Da kam ein Mann herein und erzählte, der Norweger Hrafn sei erschlagen, der Täter unbemerkt geblieben. Helgi ging sogleich hinaus und äußerte sich mißbilligend über die Tat. Hrafn ward ehrenvoll bestattet nach der damals herrschenden Sitte.

Auf Gudmundhausen wohnte ein gewisser Torsi. Er war groß und kräftig und ein Freund des Brodd-Helgi und Geitir. Den ganzen Tag, an dem der Norweger erschlagen wurde, war er verschwunden. Einige erzählten Hrafns Ende so, man habe ihm einen falschen Weg gezeigt und er sei an einer gefährlichen Stelle verunglückt. Zwischen Brodd-Helgi und Geitir wurde abgemacht, daß jedem von ihnen die Hälfte von Hrafns vermögen zufallen sollte, die Teilung aber erst auf dem Frühjahrsthing stattfinden; bis dahin nahm Geitir die Waren an sich und hielt sie in einem Vorratshause verschlossen.



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Im Frühjahr rüstete Thorleif der Christ sein Schiff zur Abfahrt und wurde fertig zur Zeit des Frühjahrsthinges. Und als es so weit war, da ritten die Leute zum Thing ins Sonnental, auch Brodd-Helgi und Geitir. und es waren nun vielen Orten nur wenig Menschen daheim. Als das Thing eine Weile im Gange war, geschah es eines Morgens, daß Thorleif seine Matrosen weckte. Sie bestiegen das Boot und ruderten nach der Kreuzbucht in der Waffenförde, gingen dort an Land und zum Vorratshause des Geitir, öffneten es, trugen alle Waren fort, die Hrafn gehört hatten, und schafften sie an Bord des Schiffes, Frau Halla war anwesend, kümmerte sich aber nicht darum. Nun ritt Brodd-Helgi heim vom Thing und Geitir mit ihm, und schon unterwegs erfuhren sie, Thorleif habe Hrafns ganzen Nachlaß aufgehoben und wolle ihn außer Landes schaffen. Helgi drehte es so, daß Thorleif sich in einem Rechtsirrtum befinde und die Sachen alsbald herausgeben würde, sobald man es von ihm verlange. Darauf ritten sie hinaus zum Kaufschiff und verschafften sich eine Menge kleiner Boote, und sobald sie einander angerufen hatten, verlangte Brodd-Helgi, Thorleif solle das Geld herausgeben. Thorteip erklärte, er verstehe wenig von den Gesetzen, meine aber, der Partner habe das Geld den Erben zu bringen. Brodd-Helgi antwortete: 'Wir wollen nicht umsonst gekommen sein.' Darauf Thorleif: 'Ehe ihr einen Pfennig bekommt, schlagen wir uns lieber.' 'Hört einmal,' rief Helgi, ,was der Wicht da redet! Wir wollen ihnen doch eine Ladung auf den Pelz brennen, daß einigen heiß wird" Da ergriff Geitir das Wort und sagte: ,Es scheint mir nicht rätlich, sie anzugreifen mit unsern kleinen Booten. Es kann ja immer noch ein Gegenwind kommen und sie ans Land treiben. Dann kann man die Sache nach Belieben abmachen.' Dies fand allgemein Anklang, und es ward demgemäß beschlossen. Man ruderte ans Land, und Brodd-Helgi ritt mit Geitir beim und blieb bei ihm einige Nächte. Thorleif bekam alsbald günstigen Wind, hatte eine gute Überfahrt und brachte den Erben den Nachlaß des Hrafn; sie wußten ihm Dank dafür und schenkten ihm ihren Anteil am Schiff. Man schied in guter Freundschaft,


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