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Kapitel 

MÄRCHEN AUS KORDOFAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1923

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE MIT EINER KARTE

b) Der Kampf mit Madina Rula

Dann ging Wudandahasch an die Straße, dahin, wo viele Leute vorbeikamen. Und Wudandahasch begann mit dem Eisenstock die Leute in die Seite zu stoßen. Wudandahasch verwundete die Leute nicht, sondern brachte sie damit nur zum Hinfallen. Das freute ihn und er lachte. Die Leute waren aber böse darüber. Sie liefen zum Melik der Stadt und sagten: "Am Tore ist ein Bursche mit Namen Wudandahasch. Der stößt uns immer mit seiner Eisenstange, so daß wir hinfallen. Dieser Wudandahasch ist aber sehr stark."

Der Melik sagte zu seinem Wesir: "Was fange ich mit diesem Wudandahasch an, der so stark ist und der die Leute immer belästigt? Er ist so stark, daß niemand unter meinen Leuten es wagt ihn anzupacken." Der Wesir sagte: "Herr, das ist vielleicht in der Weise möglich, daß du ihn einem Stärkeren überantwortest. Du hast doch hier den großen Garten, in dem die schönsten Früchte



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des ganzen Landes wachsen. Du weißt, daß seit Jahren den Garten niemand betreten kann, weil die große Madina Rula jetzt darin lebt und jeden tötet. Wenn du nun den Wudandahasch beseitigen willst, so gib doch dem Burschen die Schaf- und Ziegenherden und beauftrage ihn, sie in dem großen Garten zu hüten. Wenn Wudandahasch dann in den Garten kommt, wird Madina Rula ihn schon töten." Der Melik hörte den Wesir an und sagte: "So werde ich es tun." Der Melik ließ alsdann Wudandahasch kommen und sagte zu ihm: "Wudandahasch, du bist ein starker Bursche, und ich kann dich deshalb sehr gut dazu gebrauchen, meine Herden zu hüten. Du kannst also morgen die Schafe und Ziegen in dem großen Garten hüten." Wudandahasch sagte: "Das will ich tun."

Am andern Tage kam Wudandahasch mit den Ziegen und Schafen und trieb sie auf den großen Garten zu, in dem Madina Rula lebte. Als er an den Garten kam, fand er, daß das große Tor geschlossen war. Darauf nahm er seine Eisenstange und schlug die Tür mit einem Schlage ein. Er trat in den Garten, und sogleich kam Madina Rula ihm entgegen. Madina Rula sagte: "Komm herein, Wudandahasch!" Der Bursche sagte: "Was, du kennst meinen Namen?" Madina Rula sagte: "Gewiß, ich kenne deinen Namen schon lange. Ich weiß schon lange, daß du kommen würdest. Ich werde dir etwas vorschlagen, Wudandahasch! Bleibe du dort drüben. Ich bleibe hier. So nimmt jeder einen Teil des Gartens für sich, und keiner stört den andern. Auf diese Weise vermeiden wir Unfrieden und Streit. Der Wezir und der Melik wollen uns aneinanderbringen, aber wir wollen Frieden halten." Wudandahasch sagte: "Es ist mir recht!"

Wudandahasch hütete an diesem Tage seine Herde auf der Seite des Gartens, die ihm nach der Verabredung mit der Madina Rula zufiel. Er sah die schönen Früchte an den Bäumen und pflückte viele und steckte sie in seine Tasche. Nachher trieb er dann seine Herde fort. Er ging aber zum König und sagte: "In dem Garten, in dem ich heute deine Herde hüten sollte, fand ich viele schöne Früchte. Ich habe dir deshalb einige der besten mitgebracht." Der König war über die schönen Früchte sehr erfreut und sagte: "Ich danke dir, Wudandahasch, für diese Früchte. Du darfst dir auch irgendein Geschenk von mir wünschen." Wudandahasch sagte: "Ich will kein besonderes Geschenk haben. Ich bitte dich nur, mir auch ferner zu erlauben, die Leute an der Straße mit meinem Stock zu stoßen, so daß es etwas zum Lachen gibt."



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Der König ließ Wudandahasch gehen und sagte zum Wesir: "Was sagst du nun hierzu, Wesir? Ich denke mir, daß auch die große Madina Rula vor diesem Wudandahasch solche Furcht hat, daß sie ihn nicht anzufassen wagt!" Der Wesir sagte: "Ich glaube das dem Wudandahasch nicht! Ich glaube, er ist gar nicht in dem Garten gewesen, sondern hat diese Früchte nur über den Zaun weg gepflückt. Willst du ihn mit seiner Herde morgen noch einmal in den Garten schicken, so will ich Leute hinterhersenden, die zusehen sollen, ob der Bursche wirklich in den Garten geht oder nicht." Der Melik war mit dem Vorschlag des Wesirs einverstanden und ließ Wudandahasch noch einmal rufen, um ihm zu sagen, daß er am andern Tage noch einmal in den Garten der Madina Rula gehen solle, um seine Herde da zu hüten.

Also trieb Wudandahasch am andern Tage wieder seine Schafe und Ziegen in den Garten der Madina Rula. Der Wesir sandte aber Leute nach, die sagen sollten, was er tue. Die Leute folgten Wudandahasch bis an den Garten. Die Leute sahen, wie er mit seiner Eisenstange das Tor öffnete. Die Leute sahen, wie er seine Herde in den Garten trieb. Die Leute liefen also zum König zurück und sagten ihm, daß Wudandahasch seine Herde wirklich in den Garten getrieben habe, nachdem er das Tor mit der Eisenstange geöffnet hatte. Abends kam aber Wudandahasch selbst mit seiner Herde wieder und brachte dem König einige der schönen Früchte mit. Der König war über die Früchte sehr erfreut und sagte: "Wudandahasch, ich danke dir für die schönen Früchte. Du kannst dir auch ein Geschenk von mir wünschen." Wudandahasch sagte: "Ich will keine besonderen Geschenke haben. Ich bitte dich nur, mir auch fernerhin zu erlauben, die Leute an der Straße mit meinem Stocke zu stoßen, so daß es etwas zum Lachen gibt."

Wudandahasch trieb seine Herde von nun ab alle Tage in den Garten der Madina Rula. Eines Tages* aber fand er, als er wieder in den Garten kam, Madina Rula schlafend. Da brachte er von allen Seiten Holz und trockenes Strauchwerk herbei und schichtete das über Madina Rula auf. Dann entzündete er es, und so entstand ein mächtiges Feuer, in dem Madina Rula starb. Als er sah, daß



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Madina Rula gestorben war, schnitt er ihr den Kopf ab. Dann nahm er den Kopf und brachte ihn dahin, wo ein mächtiger Felsblock lag. Er hob den Felsblock mit seiner Eisenstange auf (vom Erzähler pantomimisch als hebelnd angedeutet), legte den Rulakopf darunter und ließ den Felsblock wieder fallen, so daß er den Kopf völlig bedeckte. Dann trieb er seine Herde aus dem Garten und sagte zu den Leuten, denen er begegnete: "Ihr könnt jetzt ruhig in den Garten gehen. Die Rula ist tot." Dem König brachte er aber wie immer Früchte mit. Der König sagte: "Ich danke für die schönen Früchte. Du kannst dir auch ein Geschenk von mir wünschen." Wudandahasch sagte aber: "Ich will keine besonderen Geschenke haben. Ich bitte dich nur, mir auch fernerhin zu erlauben, die Leute an der Straße mit meinem Stocke zu stoßen, so daß es etwas zum Lachen gibt."

Die Leute aber, denen Wudandahasch auf seinem Heimwege gesagt hatte, daß jeder jetzt in den Garten gehen könne, da die Madina Rula tot sei, gingen zu dem Garten. Sie fanden das Tor offen. Sie gingen vorsichtig hinein. Da fanden sie den riesigen Leib der Madina Rula, der der Kopf abgeschnitten war. Erst erschraken sie bei dem Anblick, dann aber lief ein jeder, der das gesehen hatte, zum König und sagte: "König, ich bitte dich um ein Geschenk, denn ich habe die Madina Rula getötet." Der König hörte den ersten an und war sehr zufrieden. Dann kam ein zweiter, dann ein dritter. Es kam eine ganze Reihe von Leuten, und jeder verlangte ein großes Geschenk und behauptete, Madina Rula getötet zu haben.

Der König sagte: "Das ist eigenartig. Es können nicht so viele Leute die eine Madina Rula getötet haben. Ich werde diese Sache selbst ansehen." Er begab sich also mit dem Wesir und andern Leuten in den Garten und betrachtete den Körper der Madina Rula, dem der Kopf abgeschlagen war. Der König sagte zu seinem Wesir: "Es kann kein Zweifel sein, daß Madina Rula getötet vor uns liegt. Nun behauptet von allen diesen Leuten ein jeder, er allein habe die Rula getötet. Wie kann ich nun die Wahrheit erfahren?" Der Wesir sagte: "Der einzige, der hierüber etwas sagen kann, ist wohl Wudandahasch, der alle Tage hier im Garten war." Der König sagte: "Das ist richtig; wir wollen Wudandahasch rufen!" Also wurde Wudandahasch gerufen.

Als Wudandahasch kam, fragte ihn der König: "Weißt du vielleicht, wie ich in Erfahrung bringen kann, wer Madina Rula getötet



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hat?" Wudandahasch sagte: "Das ist sehr einfach. Wer Madina Rula getötet hat, wird auch wissen, wo der abgeschnittene Kopf ist." Der König sagte zu denen, die die Rula getötet haben wollten: "Wer kann denn sagen, wo der Kopf der Madina Rula ist?" Die Leute sahen sich verlegen um; es konnte aber keiner sagen. Der König sagte zu Wudandahasch: "Von diesen hier kann es keiner sagen. Weißt du sonst nichts?" Wudandahasch sagte: "Gewiß weiß ich etwas. Ich weiß genau, wo der Kopf Madina Rulas liegt. Er liegt unter jenem Felsblock dort. Es kann aber nur der Madina Rula getötet haben, der imstande ist, den Felsblock hochzuheben. Also meine ich, müßten alle, die die Rula getötet haben wollen, zeigen, ob sie den Felsblock hochheben können." Darauf ließ der König alle die, die vorher gesagt hatten, sie hätten die Rula getötet, nochmals herantreten und verlangte von ihnen, sie sollten versuchen, den Felsblock emporzuheben. Einer nach dem andern trat heran und versuchte den Felsblock zu heben. Aber nicht ein einziger vermochte ihn auch nur ein wenig zu bewegen.

Als alle gezeigt hatten, daß sie nicht imstande waren, den Felsblock zu heben, sagte Wudandahasch: "Nun ist es wohl ersichtlich, daß diese Leute gelogen haben. Jetzt werde ich zeigen, wer Madina Rula getötet und wer den Kopf Madina Rulas abgeschnitten hat." Wudandahasch ging also hin, hob mit seiner Eisenstange den Felsblock auf, nahm den Kopf Madina Rulas heraus und warf ihn vor die Füße des Königs. Wudandahasch sagte: "Jetzt wißt ihr es!" Da sahen alle Anwesenden, daß nur Wudandahasch es gewesen sein konnte, der die Madina Rula getötet und den Kopf abgeschnitten habe. Der König sagte: "Wudandahasch, ich will dich in einer meiner Städte zum König machen." Wudandahasch sagte: "Ich will nicht König einer deiner Städte werden. Ich bitte dich nur, mir auch fernerhin zu erlauben, die Leute auf der Straße mit meinem Stocke zu stoßen, so daß es etwas zum Lachen gibt." Der König sagte: "Du hast etwas Großes getan. Willst du denn sonst nichts?" Wudandahasch sagte: "Nein, sonst will ich nichts." Wudandahasch ging.


Copyright: arpa, 2015.

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