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Sieben Geschichten von den Ostland Familien


Übertragen von Gustav Neckel

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1913


Einleitung

Die sieben Geschichten, die dieser Band vereinigt, sind auch innerlich eine Einheit. Sie bilden im Reiche der Isländersagas die geschlossenste Provinz, zusammengehalten wie keine andere Gruppe durch den Schauplatz und durch die Personen. Auch sonst fallen ein paar Eigenschaften auf die jeweils die Mehrzahl von ihnen beherrschen die einheitliche Fabel, die novellenhafte Anlage drängt energischer an die Oberfläche als durchschnittlich; Strophen, dieses sonst fast unentbehrliche Schmuckstück der Saga, tauchen nur einmal auf; dem Waffenlärm so mancher anderen Isländergeschichte steht eine gewiße innere Stille und Friedfertigkeit gegenüber, wie sie swar im allgemeinen der Sagawelt keineswegs fremd ist, aber doch wenigstens den ersten unserer Stücke, denen, die um die Waffenförde zu Hause sind, ein deutliches Eigengepräge leibi.

Rücken somit die Ostlandgeschichten für den Betrachter nabe aneinander, so schärft sich zugleich der Blick für das. was die einzelnen unterscheidet. Es handelt sich um keine Reibe von Fortsetzungen'. vielmehr hat jede Erzählung ihren eigenen Schwerpunkt, ihre eigene Ökonomie.

Unsere sieben vertreter stellen gewissermaßen die Sagawelt im kleinen dar: reich genug, um im Ausschnitt das Ganze zu veranschaulichen, verleugnen sie einerseits Zusammenhang und Verwandtschaft nicht, andererseits ist keiner von ihnen schlechtweg der Teil eines Ganzen, sondern jeder ein Individuum, das mit seinem besondern Paar Augen in die Welt blickt.

Etwa gleichzeitig mit den andern Landesteilen (d. h. 870 bis 930) empfing auch der Osten Islands, die ,Ostfjorde', seine germanischen Bewohner. Es heißt, die Besiedelung dieses viertels sei eher abgeschlossen gewesen als die der drei andern Die Angabe ist glaubwürdig; nicht etwa, weil hier günstigere Lebensbedingungen gelockt hätten — im Gegenteil —, sondern weil die Ostseite den Färöern und Europa zugewendet ist. In der Tat sind alle ersten Besucher der Insel in ihrem Osten oder



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Südosten gelandet. Dort —beim Kap Horn —hatten die irischen Anachoreten ihre Anwesen, die sie vor den Wikingen räumten. Von ein paar der ältesten norwegischen Ansiedler — darunter Ingolf, der allererste —wird berichtet, sie ,inen aus dem Südosten, wo sie sich zuerst festgesetzt, bald ihren Wohnsitz nach der Westküste verlegt, weil dorthin die Strömung ihre Hochsitzpfeiler getriebe hatte, jene religiös verehrten Säulen, die man angesichts des Landes ins Meer warf, um den Willen des Gottes zu erkunden.

Denn viel hing davon ab, ob die bewährte göttliche Hilfe auch in der neuen Heimat dem Kolonisten treu blieb. Diese wetterharten Krieger spähten mit andern Gefühlen über den Schilderbord ihrer Drachenschiffe landwärts als etwa heute der naturbegeisterte Reisende oder der färingische Fischer. Weiß wie heute schimmerte aus den Wolken herab die Schneemasse des Wasserferners. Und wenn unten der Nebel zerriß, entstiegen graue Basaltwände der Brandung, gespalten durch schmale Fjorde, überragt von schneeigen Spitzen wie dem Berge Held (Gerpir, Islands Ostecke), weiter nördlich durchbrochen von farbenprächtigen, grünen, roten Liparitgängen, die in der Morgensonne leuchteten. Spritzte dicht neben dem Bug der Gischt einer Schäre auf, so war es die Fügung einer höheren Macht, daß man heil vorbeiglitt. Ob auch am Lande die Geister so freundlich gesonnen waren: Oben auf den Bergen und dahinter im unbekannten Innern wohnten die ,Landwichte', die Herren der menschenleeren Fjorde und Bergheiden. Wehe, wenn sie unversöhnt grollten über die Störung. Schon der gähnende Tierrachen am Vordersteven konnte sie schrecken und ihre Rache herausfordern. Nicht jedem waren sie so günstig wie jenem Ansiedler Hallfred (in ber Geschichte vom Freyspriester Hrafnkel Fet), dem der Wicht als Warner im Traume erschien, so daß er dem Bergrutsch rechtzeitig ausweichen konnte. Von den Wichten, Landwichten unb andern Wichten, und vom mitgebrachten Schicksal hing Wohl und Wehe im neuen Lande ab. Wer bisher gut gefahren war mit seinem Schicksal, ber steuerte getrost hinein in den dunklen Fjord, gesonnen, das Land und seine Geister sich zu unterwerfen. Nur immer auf der Hut sein, daß



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die Elben ihr Recht bekommen; nicht sie kränken durch Blutvergießen auf ihren Bergen (Geschichte von den Männern an der Waffenförde): Daun behält man schon Raum, die Arme zu rühren. Und wer schlecht gefahren war mit seinem Schicksal , wer etwa nur Trümmer von Sippe und Reichtum hinausgerettet hatte zum fernen Eislande; — nun, der hoffte, die neuen Landwichte würden ihm günstiger sein als die alten. opferte und ging rüstig daran, aus Stein und Rasen und etwa mitgebrachtem Bauholz sein Haus zu errichten.

Der fische, tatbereite Sinn des volkes war mächtiger als aller Aberglaube. Wie dem menschlichen, so trat auch dem übermenschlichen Feinde der Mann aufrecht gegenüber. Wer sterben soll, der stirbt auf jeden Fall; er ertrinkt im harmlosen Binnengewässer, und hat er auch zaghaft das Segel mit dem Ruder vertauscht. Den Heldentrotz des Wikings gelüstet es, Ägir, den Meergott, selbst mit dem Schwerte zur Rechenschaft zu ziehen für den Tod des Sohnes. Seine praktische Lebensphilosophie fließt nicht aus Denken oder Lehre, sie sitzt im Blut und in den Muskeln. Manche sprachen es offen aus, das sie auf diese Muskeln und auf ihre eigene ,Macht' mehr ver- trauten atv auf die Götter. Auch diese ,Macht' des Menschen ist etwas Göttliches, ein Geheimnis. Der eine hat es, und er ist sicher und übermütig; der andere hat es nicht, und er fügt sich darein, daß er überall vor dem Glücklicheren weichen muß. Dankbar zu sein für dieses Etwas als für eine Gabe von oben, sich zu beugen vor einer Gottheit, die die Geberin alles Guten ist, das bat allem Anschein nach den Germanen fern gelegen. Ihre Frömmigkeit war anderer Art. Der Gott, dem man vertraute, war der Freund, ein Auserwählter aus einer Schär feindlicher Wesen, denen gegenüber mißtrauische Klugheit allein geboten war. Freunde aber sollen einander erfreuen durch Gaben und Gegengaben; die Gabe sieht die Gegengabe nach sich; so schenkt Hrafnkel, der Freyspriester, dem befreundeten Gott das Miteigentum an seinem besten Hengst . . . .

Weit über ein Dutzend kleiner Fjorde schneidet vom Kap Horn bis zum Langen Kap im Nordosten in die Felsenküste ein. Im Südosten, am Fuße des Wasserferners, herrscht noch die



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Lagunen bildung des Südrandes. Solche Lagunen sind der Hornfjord, wo Grim sich landflüchtig einschifft (Geschichte von den Söhnen der Droplaug) und die Schwanenförde (Alptafjord) , beide durch lange, flache Landzungen vom Meere geschieden. Im Hintergrunde der Schwanenförde, nördlich vom Plateau der Haffheide 1 , wölbt sich der Hofgletscher, der östliche vorposten des Wasserferuers, benannt nach dem Gehöfte Hof am Fuße seiner Vorberge-Hof (sprich: How bedeutet im Altnordischen ,Tempel' und ist als Ortsname häufig. Zur Zeit, wo unsere Sagas spielen, insonderheit das Bruchstück von Thorstein, dem Sohne Siduhalls, das in diesem Winkel des Landes seinen Schauplatz hat, wurde zu Hof nicht mehr den Hetdengöttern geopfert. Siduhall batie im Jahre 997 den Missionar Dankbrand bei sich aufgenommen, der in dieser Gegend gelandet war, und hatte bald darauf sich taufen lassen, als erster unter den großen Häuptlingen der Insel. Sein Sohn Thorstein blieb der christlichen Sitte treu; Anno 1000 war durch Allthingbeschluß die neue Religion im ganzen Lande eingeführt worden. Der norwegische König stand dahinter, und unter den isländischen Großen waren Männer mit weitem Blick. Man beurteile nach unserm Bruchstück, wie weit das christliche Lebensgefühl in die Seele der ersten getauften Generationen eingedrungen sein mochte. Thorstein pocht einmal in schulmeisteindem Ton, der unsagamäßig berührt, auf ein kirchliches Moralgebot. Sein Empfinden aber und sein Handeln sind heidnisch. Dies stimmt durchaus zu den andern Isländergeschichten. die nach der Einführung des Christentums spielen. vie von ihnen erzählten vorgänge ziehen sich zum Teil hinab bis gegen die Mitte des 11. Jahrhunderts, aber Ton und Zuschnitt des Lebens sind um 1030 noch dieselben wie hundert Jahre früher, zu Anfang der Sagazeit.

Eine der nächsten Buchten ist der Bärinnenfjördr. von hohen Schneespitzen umstanden, zieht er sich als tiefe, schiffbare Rinne nordwestwäris hinein. Vor seinem Eingang liegen Inseln und Klippen verstreut, Nistplätze der Eidergans. Sein nördliches



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Ufer streckt sich weit hinaus als sogenannte Straße: ein schmaler Streifen zwischen Strand und Bergwand. Hier stand der Hof des von Thorstein verdrängten Thorhadd. Weiter nach innen liegt das Bärinnenkap mit mehreren Höfen; der Straße gegenüber, am südlichen Eingang, das Land- oder Baulandkap.

Wo die Straße nach Nordwesten umbiegt, Am Bogen, öffnet sich die Breitbucht mit dem Breiten Tal dahinter, landeinwärts begrenzt von steilen, phantastischen Zinnen und Zacken. Hier landete, der Geschichte von Hrafnkel zufolge; der Landnehmer Hallfred. Die weite, saftige Wiese mit dem guten Landungsplatz mag ihn gelockt haben. Aber er zog bald weiter über die Berge in das Hinterland, den Seefließbezirk.

Noch ein paar Fjorde; dann folgt der größte Einschnitt der Ostküste, die Rotwalförde (Reydarfjord, Walfjord)4 bis 5 Kilometer breit, 30 lang, in unsern Sagas am häufigsten genannt als Landungs-- und Ausfahrthafen.

Aus dem nördlich, jenseits des Berges Held, anschließenden Fjordbündel bedarf der Nordfjord der Erwähnung, als Schauplatz einer Episode der Geschichte von den Söhnen der Droplaug . Senkrechte Berg scheiden stehn zwischen den Meeresarmen, kaum Raum lassend für Graswuchs und Hofstätte. Nur am Nordfjord selbst breitet sich etwas Tiefland mit Wiesen aus. Landeinwärts ragt, 900 Meter hoch, die Firn Kippel der Fönn.

Nördlich der Schafförde und eines kleineren Fjords betont die Steilküste noch eine Strecke weit in zackigem Verlauf du Südnordrichtung, um Daun nordwestlich weiter zu ziehen. Zwischen hoben Bergen öffnen sich der kleine Borgfjord, der Namensvetter einer bekannteren Bucht im Westlande und die Njardbucht. Zwischen beiden zieht sich eine steile Geröllhalde hin, an der der einzige, gefährliche Weg von einer Einbuchtung zur andern läuft. In dieser Gegend spielt die Erzählung von Gunnar, Thidrandis Töter. Die bier genannten Buchten Breitbucht Gunnars Landungsplatz, und Häuserbucht sind zu suchen an der südnördlichen Küstenstrecke vor dem Borgfjord.



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Jenseits des Vorgebirges, das die Njardbucht westlich begrenzt, wird die Küste für eine Zeitlang flach. Das breite Schwemmland. das sich zwischen Hochländern öffnet —westlich die Butterseeheide mit dem Butterberg —, ist das Mündungsgebiet zweier stattlicher Ströme, des Seefließes (Seeflusses) und der Gletscherach (Gletscherfluß mit der Brücke), die vom Nordrande des Wasserfernrrs in nördlicher Richtung herabkommen. Zwischen ihrem Unterlauf, nahe dem Meere, liegt der Werder; darin Hallfredhausen. Weiter hinauf schiebt sich ein Hochland von zunehmender Breite zwischen sie ein, die Fließtalheide. Die Stromtäler, die es trennt, das schluchtartige Gletschertal westlich und das breite Fließtal östlich, sind die längsten Täler Islands.

Die reißende und tiefe Gletscherach ist nur auf Brücken zu überfchreiten. Deren gab es zur Sagazeit vermutlich zwei: die Brücke' im engeren Sinne, einen natürlichen Steinbogen, der den Oberlauf überquerte, und einen hölzernen Sieg, über den der Weg aus dem Werder auf die Butterseeheide hinaufführte, Die beiden Übergänge meint wahrscheinlich die Geschichte von den Droplaugsöhnen, wenn sie nach Gäms Rachetat von Wachen spricht, die an den Brücken der Gletscherach aufgestellt werden. Wenig unterhalb der oberen Brücke schneidet rechts das Hrafnkelstal in das Hochland ein. Einer der Quellbäche des das Tal durchströmenden Flusses ist die Steinfeldache, an der Hrafnkel seine Sennhütte stehen hatte. von hier reitet sein Hirt auf der Suche nach den Schafen hinauf auf das unbewohnte Hochland des Innern, weiter hinauf bis zum Fuße des Wasserferners und weiter westlich die Gletscherach hinab bis zu einer Sennhütte, die Rauchalm genannt wird. In jener Ode thronen, weithin sichtbar, die nördlichen Vorberge des Wasserferners: die eisbedeckte Glocke des Schneeberges, weiter nach dem Mücken see zu die Schulterbreite, ein abgestumpfter Kegel, breiter als hoch, mit leicht gewölbtem Firndach, das in der Mitte in einer zierlichen Spitze gipfelt, die kuppelförmigen Blauen Berge, und andere. Ein noch heute teilweise durch Steinwarten bezeichneter Reitpfad führte aus Gegend der Schulterbreite Südwestlich durch die Sprengisandwüste hinab ins Südland und weiter zum Allthing. Der



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Ritt war so um ein paar Tage kürzer als auf dem gewöhnlichen Thingmannenweg am Südabhang des Wasserferners die sogenannte Halde entlang.

Das Fließtal war allem Anschein nach der volkreichste Bezirk und die Hauptpulsader für das Leben im Ostlande. Davon zeugen die vielen Siedelungsnamen in der Geschichte von den Droplaugsöhnen, die hier ihre wichtigsten Schauplätze hat. Zu beiden Seiten des seeartig sich verbreiternden Fließes ziehen sich die Höfe hinab von Weitfelden und Hrafnkelshausen bis zu den Engen und zum Werder. Dazwischen liegen westlich vom See, unter der Fließtalheide, über deren Vorberge die Hallfredgasse südwärts führt, Arnheidhausen (die Heimat der Droplaugsöhne), der Witwenberg und der Rücken, letzteres Gehöft unmittelbar am Ufer. Am Ostufer springen mehrere Landzungen vor mit Höfen darauf: das Schmale Kap, das Felderkap (gegenüber dem Rücken), das Mückenkap. Auch das Lämmerkap, das als Thingstätte erwähnt wird, gehört in diese Reihe. Nabe beim Mückenkap mündet die Eyvindache, die von den Abhängen der Fönn nordwestwärts strömt. Dieses nördliche Fließtal ist flach und heißt die Felder. Weiter südlich ziehen niedrige Bergrücken parallel mit dem Wasser. Sie bilden das Rutschental (das im Hinterlande des Breiten Tals seinen Anfang nimmt) und westlich davon das Geißtal. Am Ende des sie trennenden Rückens lag das Muli-thing (muti ,Bergrücken'). Zwischen Geißtal und See erhebt sich der Hals, der nordwärts bis Gunnlaughausen und Bocksach, beinahe bis sum Schmalen Kap, reicht.

Am Fuße des Halses, nahe der Atlibucht, steht heute ein ziemlich stattlicher Birkenwald, einer der größten in Island. Im übrigen sind der Fließtalbezirk und die angrenzenden Täler ziemlich kahl. Im Mittelalter war das anders. Wie die Insel überhaupt viel waldreicher war, so auch diese Gegend, eine der blühendsten des Landes. Der Hof Bei den Engen z. B. lag zur Sagazeit inmitten dichten Waldgestrüpps. Die Wälder müssen das ihrige getan haben, die für Islands verhältnisse heitere Landschaft noch freundlicher erscheinen zu lassen als heute. Das Fließ, ihr Hauptschmuck, war fischreich, und es war



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zugleich der wichtigste Verkehrsweg, zumal in den langen Wintern durch die bequeme Eisbahn. vermutlich war es auch für Seeschiffe erreichbar, was beute durch einen Wasserfall nahe der Mündung ausgeschlossen ist.

Die Butterseeheide trennt den Fließtalbezirk, zu dem auch die Gletscherach noch gehört, von dem nächsten Siedlungsgebiet nordwestlich: der Waffenförde. Hier spielen die drei ersten Stücke unserer Sammlung. Im Mittelpunkte des Interesses steht überall die Familie der Goden von Hof. Das ansehnliche Gehöft dieses Namens liegt in dem geräumigsten der dem Fjorde zugewandten Täler, da, wo es sich verbreiternd den Blick freigibt auf die Förde, deren Ufer weit auseinander gebogen sind, das rechte, höhere östlich verlaufend zur kleinen jaren bucht, zum Bödvarstal und zum Schöntal, das linke nordwärts geschwungen (der ,Strand'). Oberhalb der Kreuzbucht ragen stattliche Berge. Auf ihnen findet Grim, Droplaugs Sohn, nachdem er den Bruder gerächt, eine Zeitlang ein versteck. In das Tal von Hof mündet von rechts das Sonnental. Parallel mit jenem verläuft das Westtal, so benannt aus dem Gesichtskreise der Leute von Hof.

Nur ausnahmsweise ragt das Gebiet nordwestlich von der Waffenförde in unsere Geschichten herein. Noch diesseits des Langen Raps liegt der Mittfjord. Dahinter fängt das Nordviertel an: der breite Distelfjord trennt das Lange Rap von dem rechteckigen Hochland der Fuchsebene (Polarfuchsebene), und jenseits der Fuchsebene öffnet sich der Axtfjord (Breitfjord). An der Westseite des Distelfjords liegt die Sveinungsbucht, am Axtfjord der Bolunghafen 1 . Der nächste große Einschnitt an der Nordseite ist die Inselförde, in deren Hinterland der Lauter see und das Tal der Lauterseescharte liegen.

Hin und wieder wendet sich der Blick entfernteren Landesteilen zu: der Südküste, die in ihrem östlichen Abschnitt noch 1



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um Ostviertel gerechnet wurde (Schweinberg, der Wohnsitz des einmal erwähnten Flosi), dem Kockenfund, Hausberg, Grimskap im Südwesten, dem Dorschfjord an der Westseite des Landes. Mindestens einmal verschiebt sich der ganze Schauplatz in eine andere Gegend: Sams Not und Errettung in der Geschichte von Hrafnkel spielt auf der Allthingebene (Thingvellir) . Diese bedeutsamste Stätte Islands liegt im Südwesten, einen Tagesritt landeinwärts von der Rauchbucht (Reykjavik), am Nordufer des größten Binnensees der Insel. Dem See zu strömt durch die Ebene der Axtfluß, nachdem er mit zwei Fällen die Allmännerkluft durchquert bat, jenen berühmten Felsgraben, der das Thingfeld westlich begrenzt. Die hochgetürmte äußere Mauer dieser Kluft bildete den nächsten Hintergrund des bewegten Treibens, das sich Sommer für Sommer an ihrem Fuße abspielte. Da tagten die Gerichte auf dem Gesetzesfelsen, einem vorsprung an der Allmännerkluft, und der Gesetzessprecher hielt von da oben seinen vortrag vor der Landsgemeinde. Man hauste in Buden, deren feste Wände jedesmal neu mit einem leichten Dach versehen wurden. Die Leute aus den Ostfjorden hatten ihre Buden östlich vom Axtfluß, die aus dem Westen jenseits. Während der Dauer der Verhandlungen weideten die Pferde auf der Allmende unten am See oder an den Abhängen der umgebenden Berge 1. — Es fügt sich gut, daß unsere Sammlung den Leser auch an diesen Mittelpunkt altisländischen Lebens führt. Das Allthing spielt in der Geschichte von Hrafnkel eine würdige Rolle: es bedeutet in dem Drama den Punkt der höchsten Spannung und des Umschwunges

Die Geschichte von Hrafnkel steht zeitlich an der Spitze; ihre Handlung wird um 900 fallen. In kurzem Abstand folgt die Erzählung von Thorstein dem Weißen. Ins Jahr 989 setzen die isländischen Annalen den Kampf im Bödvarstal,



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mit dem die späteren Händel an der Waffenförde abschließen. Um die Wende deo Jahrtausends spielt die Haupthandlung von den Droplaugsöhnen (Helgi fällt nach dem Schlußsatze der Saga 998), ebenso Thorstein Stangenhieb und Gunnar; Helgi, Asbjörns Sohn, ist Hrafnkels früh geborener Enkel. Den Beschluß macht Thorstein, Siduhalls Sohn, der zwanzigjährig in der Brjansschlacht bei Clontarf (roig) mitkämpft.

Beim Treffen im Bödvarstal vermißt Thorkel die saga würdigen Taten. Ähnliche Aussprüche kommen auch sonst vor. Sie beleuchten gut den Charakter der Saga als einer Heldendichtung in ungebundener Rede. In der Tat sind die Isländergeschichten, wenigstens von der einen Seite gesehen, das Epos der isländischen Heldenzeit, wie die Eddalieder das germanische Heldenalter rückblickend verklären. Zwar nimmt keine der Ostlandgeschichten ihren Flug so hoch wie einige große Sagas aus anderen Landesteilen, die die Ideale des Volkes in Kolossalsiguren ausprägen wie Egil und Grettir, Gunnar und Kari. Doch wie die stabreimende Heroendichtung Töne findet nicht nur für den Trotz des letzten Burgunden, sondern ebenso für Brynhilds abendliche Eifersucht und Sigurds halbe Wünsche, behaupten auch die feinen Charakterstudien vom Ufer der Waffenförde ihren Rang als Dichtung, als verfeinerte heroische Prosa.

Dies der Grundakkord, der jede echte Saga durchhallt-menschengrösse und Menschenschicksal sind das Thema, beide gesehen aus den Gesichtspunkten der heidnischen Germanen gesellschaft .

Aber die Saga ist freilich noch mehr als ein Heldengedicht in Prosa. Nicht nur ihr Stil, die trockene Alltagssprache, erweckt zunächst andere Empfindungen. Auch ihr stofflicher Inhalt, ihr Interesse unterliegt teilweise anderen Zwecken als denen der ästhetischen Spannung, Erschütterung und Teilnahme. vieles, was die Saga erzählt, besitzt die Teilnahme der Zuhörer von vornherein, braucht sie nicht durch die Mittel der Kunst zu erzeugen. Wo Hallfred landete, wohin er der Reibe



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nach seinen Wohnsitz verlegte, woher das Rutschental und der Hof Arnthrudhausen ihren Namen haben, das alles ist interessantes Wissen für Nachbarn und Nachkommen, auch wenn es zu keiner menschlich erregenden Handlung in irgendeiner Beziehung steht. Diese Dinge find nicht Dichtung, sondern Geschichte, sei es nun geschichtliche Überlieferung oder geschichtliche Kombination. Auch da, wo wir uns rein ästhetisch gefesselt fühlen, ist solch geschichtlicher Untergrund meist irgendwie vorhanden, und zuweilen liegt er sichtbar an der Oberfläche . Als Thidrandi von Gunnars Speer durchbohrt wurde, war ein blutiges Gefecht vorangegangen, in dem es fünf Tote gab. Diese Gefallenen zählt unsere Erzählung mit Namen auf; zwei der Namen begegnen nur an dieser einen Stelle-wir haben das Gefühl: Zahl und Namen find echt; wozu hätte man sie erfinden sollen Mancher ist vielleicht versucht, weiter zu fragen was gehen uns diese Namen an: sind sie nicht toter Ballast: Der Empfängliche jedoch wird empfinden, daß dieser Ballast nicht wertlos ist: erläßt das Schiff des Erzählers besser segeln, sicherer Kurs balten. Eben das Tote, das scheinbar Unkünstlerische gibt dem Ganzen höheres Leben, denn es leiht den Eindruck der Glaubwürdigkeit auch jenen Elementen der Erzählung, die tatsächlich Dichtung sind. Weil wir das eine glauben, glauben wir auch das andere. Wir erleben die aufreizenden Worte der Magd und die Gemütsstimmung , in der Gunnar aufsteht und zum Speer greift; als objektive Wirklichkeit. Der Eindruck der dichterischen Willkür kommt nicht auf. Aus dem Lande des alltäglichen Erlebens, des Äußerlichen und handgreiflich Faktischen, wandern wir an sicherer Hand unvermerkt hinein in das innere Geschehen der Gesinnungen und Leidenschaften, das nur Dichterkünste wahr machen können. Oder besser der Erzähler führt uns bis an die Grenze, so daß wir hinein schauen müssen, ob wir wollen oder nicht, während er selbst diesseits bleibt.

Nicht überall wird diese Funktion der chronikartigen Bestandteile gleich fühlbar. Es gehört zum Stil der Isländergeschichte , daß sie chronikhaft anfängt und schließt; von vornherein einen festen Untergrund herstellt und zum Schluß einschärft,



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daß wir noch immer auf dem Boden dep Wirklichkeit sind. Sind diese Stücke sehr umfänglich, so können sie den modernen Leser anmuten wie eine ermüdende Geröllhalde um den Fuß eines Aussichtsberges, und sie können ihm die Freude der Ausficht beeinträchtigen. Da gilt es su bedenken, daß die Saga eben auch Faktisches vermitteln will, familiengeschichtliche, antiquarische Belehrung. Die Saga will historisch sein und ist es von Haus ans in hohem Grade gewesen. Augenzeugen haben berichtet — ihr Standpunkt wird mit Bewußtsein festgehalten —, aufmerksame Zuhörer haben das Gehörte weitergegeben, und so fort, Generationen und Jahrhunderte hindurch bis zur Aufzeichnung (im 13. Jahrh.). Jeder erzählte mit dem Anspruch, Geschehenes wahrheitsgetreu zu überliefern. Viele Erzähler waren darauf bedacht, ihr Wissen um die Dinge zu bereichern, und sie gaben dann alles, was sie hatten erfahren können, verdiente es irgend Glauben und Beachtung. Dieses Sammeln und Sichten ist unzertrennlich vom Wesen der Saga. Es ist mitbedingend für ihre stärkste Tugend: ihren Realismus. Wir fühlen es oft den Texten an, wie der Erzähler vor der lauschenden Menge in heiliges Feuer geraten ist; das die Zuhörer hinreisst und ihn selber mitreißt. Aber ganz von selbst fügt sich seine Phantasie den Zügeln eines strengen Wirklichkeitssinnes. den sein Amt als Historiker ihm auferlegt. Er ergänzt, malt aus, getrieben von Formbedürfnissen, von denen er nicht hätte Rechenschaft geben können, und ohne zu merken, wie sich der Stoff unter seinen Händen umfärbt und verschiebt. Und gewiß selten genug bat es ein Hörer gemerkt, um so weniger, als den begleitenden, oft sehr starken Gefühlen saft nie verstattet wird, sich unmittelbar su äußern. Kein Erzähler der Sett hält unpersönlicher gieb zurück als der isländische Sagamann. Es ist darum doppelt schwer, in sein Inneres zu blicken. Aber mit der Tatsache müssen wir uns abfinden, wir müssen sie nachzuerleben suchen, daß er in einem Atemzuge vom Dichter zum Chronisten wird: er gestaltet in Sorten, die zu beben scheinen, den tragischsten Konflikt, und im nächsten Augenblick zählt er die Glieder eines Stammbaums auf.



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Zwei sehr verschiedene Wertmaßstäbe lassen sich demnach an die Isländergeschichten anlegen: man betrachtet sie vorwiegend als Quellen, oder vorwiegend als Kunstwerke. Uns liegt die zweite Betrachtungsweise näher. Es soll hier versucht werden, die sieben Geschichten, die dieser Band enthält, nach gewissen ästhetischen Eigenschaften zu kennzeichnen.

Die umfänglichste und personenreichste ist die Geschichte von den Söhnen der Droplaug. Sie nähert sich dem Charakter einer Bezirkschronik, so wechselnd und so weitverstreut — vom Nordfjord bis ins obere Fließtal — sind ihre Schauplätze. Die Ansprüche, die sie an Gedächtnis und Uberblick stellt, grenzen an das Höchstmaß dessen, was in dieser Hinsicht die Isländergeschichten von uns verlangen. Und sie verlangen durchschnittlich nicht ganz wenig. Aufmerksamkeit und wacher Verstand wird beim Publikum vorausgesetzt .

Gleichwohl ist die Geschichte von den Droplaugsöhnen ein wohlgegliedertes Ganzes.

Im großen überschaut, zerlegt sie sich in zwei Stücke: Bild und Rahmen. Der Rahmen schildert das halb galante Abenteuer des vorfahrs in Norwegen (Einleitung) und das ritterliche Ende des zweiten Helden, gleichfalls in Norwegen (Schluß). Seine milderen, lichteren Farbentöne stechen fühlbar ab von den harten und dunklen Konturen des Bildes selbst, das die heimischen Berge Islands zum Hintergrunde hat. Es ist ein jüngerer Geschmack, der Geschmack des Mittelalters, der der Einleitung und dem Schluß dieses Sondergepräge leiht. Die echte Saga mit ihrem Geist germanischen Altertums herrscht nur in dem Hauptteil der Geschichte.

Der Hauptteil hat ein einheitliches Thema: Helgis Reibereien mit seinem älteren Namensvetter, dem Goden Helgi, Asbjörns Sohne, sein heldenhafter Tod und Grims treue Rache. Dieser Faden wird, sobald er einmal aufgenommen, mit keinem Satze verlassen. Das erregende Moment ist die Verleumdung der Droplaug durch einen Freigelassenen des Goden und die prompte



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Sühne durch die kaum mündigen Brüder. Diese erste Tat Helgis zeigt zugleich eindrucksvoll und begeisternd (wenigstens für die alten Hörer) seine angeborene, früh ausbrechende Mannesart. Er tritt dann dreimal — man beachte hier und anderswo die formelhafte Zahl —in fremder Sache dem Nebenbuhler gegenüber, jedesmal siegreich in seinem jugendlichen Übermut. Köstlich istdie Sicherheit und überlegene Schlauheit; womit der als Gesetzeskenner bekannte Helgi dem allgemeinen Bewußtsein einen Paragraphen über trottelhafte Richter aufzwingt. Für dieses Mal verliert der Angegriffene sein Godentum. Beim zweiten Zusammenstoß wird er noch tiefer gedemütigt: was er durch ruhige Entscheidung beim eigenen Klienten nicht durchsetzen kann, erreicht der Jüngere durch rücksichtsloses vorgehen und giebt mit unmäßig reicher Beute ab. Der dritte Zusammenstoß überbietet wiederum die beiden ersten, inhaltlich, denn es ist eine Totschlagsklage im Spiel, und formell, denn er ist seinerseits dreifach, mit Steigerung, gegliedert wie der ganze Abschnitt. Dann erfolgt eine Sendung durch den Tod des Stiefvaters und Helgis Achtung, die seinen Fall im Gefolge hat. Zu dessen Voraussetzungen gehört auch die Drohung, die Helgi, Asbjörns Sahir, einmal am Thingfelsen ausgestoßen hat. Sie wird deshalb in Kapitel 8 eingeschoben, mitten in die Erzählung von Rannveig und Thorgrim Fellhaube, die den Anlaß zu der Katastrophe gibt. Ein besserer Platz dafür ist kaum denkbar; in den Zusammenhang der drei Begegnungen paßt die Drohung aus mehr als einem Grunde nicht hinein. Die Katastrophe selbst wird in typischer Weise eingeleitet. Der Fall des Helden pflegt in den Isländergeschichten einen dunklen Schatten voraus zu werfen. So auch hier (die weinende Freundin, der Traum), obgleich die Gefahr nur zufällig auftaucht: Helgi sieht ja nicht auf den Kriegspfad wie andere, wenn sie solche düsteren Vorzeichen erleben, die vorzeichen pind also schlechtweg wunderbar. Aber niemand bezweifelte das Vorkommen solcher Sunder, und sie waren, wie gesagt, dem Stilgefühl unentbehrlich. Etwas so Großes wie der Kampf an der Strandkluft darf nicht unangemeldet aus heiterm Himmel hereinbrechen. Der Schilderung des Gefechtes



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selbst fühlt man bei all ihrer ruhigen Gegenständlichkeit deutlich die leidenschaftliche Teilnahme des Erzählers an. Der Hinweis auf die Alternative, vor die Özur gestellt ist, überschreitet beinahe die Grenze der vorgeschriebenen Zurückhaltung. Der Höhepunkt ist da, wo Helgi, um den Bruder su rächen, hemmungslos vorstürmt in den Tod. Hier ist wilde germanische Kämpferleidenschaft. Man halte daneben das Treffen im Bödwarstal, wie es die Geschichte von den Männern an der Waffenförde darstellt.

Nach diesem ersten, höchsten Gipfel ersteigt die Saga einen zweiten, der notwendig folgen muß, in Grims Rache. Der Kontrast der Zurüstung und Stimmung ist so groß, daß der bloße Hinweis die Gestaltungskunst der Saga gewahr werden läßt. Auf den letzten Gipfel muß ein leises Abschwellen folgen: Grims Gefahr und Errettung.

Die ausschließlichen Helden sind die Brüder Helgi und Grim, erst Helgi, dann Grim. Auch das entspringt einer künstlerischen Rücksicht, daß bis zu Helgis Fall Träger der Handlung ist. Erst von da an tritt Grim in den vordergrund; als der Totgeglaubte unter den Händen der Frauen zum Leben erwacht, wird er für uns zum ersten Male lebendig. In dieser verteilung der Aufgaben, zusammen mit der verschiedenheit der Charaktere, liegt das schöne Gleichgewicht der Erzählung. Helgi, Asbjörns Sohn, kann es nicht stören. Trotz häufiger Erwähnungen wird er dach nur soweit charakterisiert, um als Gegenspieler ernst genommen zu werden. Im ganzen bleibt sein Bild beschattet, selbst da, wo er zuerst handelnd hervortritt, an der Strandkluft: ehe er einen Hieb ausgeteilt, wird er kampfunfähig. Er ist weniger Subjekt als Objekt, noch im Tode, wie Etzel unter Gudruns Rache im alten Etzelliede der Edda.

Damit hängt es zusammen, wenn Helgi, Asbjörns Sohn, nicht, wie Brauch, den Zuhörern präsentiert wird. Seine Persönlichkeit gilt als bekannt, wie noch einige andere, die zwar im Leben sehr wichtig waren, aber für die Erzählung wenig bedeuten. Es ist das eine sorglose Frische der Komposition. Etwas anderes ist es, wenn ein paarmal Örtlichkeiten und



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Personen verwechselt werden. Solche kleinen Unglücksfälle konnten beim mündlichen Erzählen begegnen und also auch wohl einmal auf dem Pergament fixiert werden. Dagegen wird es von Anfang an der Saga eigen gewesen sein, daß der Beweggrund zur Tötung des Stiefvaters unklar bleibt, eben )ö die Art und Weise, wie Grims Abgesandter (bei der Rache) das Schwert Helgis in seine Hand bringt. In beiden Fällen ist der Standpunkt des Zuschauers (im zweiten Falle Gäms!) folgerecht festgehalten, um Spannung und Überraschung zu erzeugen. Aber sonst pflegt der Erzähler wenigstens mit einem Wink unserer Vermutung die Richtung zu weisen.

Die Geschichte von den Männern an der Waffenförde hat etwas von einer Adelschronik; denn sie erzählt ausführlich von zwei Generationen der Leute von Hof, Sie erfüllt teilweise die Aufgaben einer Bezirksgeschichte; denn auch die andere große Familie der Gegend. die von der Kreuzbucht, wird in mehreren Gliedern umfassend geschildert, und kleinere Hofbefitzer treten daneben auf. Aber weder eine Familienbiographie noch eine Bezirksgeschichte haben wir vor uns, sondern die fein abgetönte Darstellung einer Verwandtenfehde. Wollen wir sie nach einem Helden benennen, so muß sie die Geschichte von Brodd-Helgi heißen. Denn mit Brodd-Helgis Kindheit hebt sie an; seine erste Waffentat führt zu der Weissagung des Sterbenden. der das ganze Unheil der Familie vorausverkündet; seine starke Persönlichkeit mit ihren grimmig-ironischen Kernsprüchen beherrscht alles Geschehen bis zu seinem Fall und darüber hinaus, denn um seinetwillen führt sein Sohn Bjarni den verhängnisvoller Streich nach dem Haupte des Oheims, und von da an ebbt sie Feindschaftswoge ab, die recht eigentlich von Brodd-Helgis Herrennatur aufgewühlt war.

von der nächtlichen Prophezeiung an erblicken wir eine steigende tragische Handlung. Die erste Entzweiung der Schwäger entspringt aus einem gemeinsamen unlauteren Unternehmen, dessen eigentlichen Urheber wir Brodd-Helgi erraten. Schon bier rückt Brodd-Hetgi in kritische Beleuchtung: sein Unter-



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nehmen gegen Thorleif den Christen ist zwar kunstvoll mit der Haupthandlung verknüpft (indem es ein Hebel zu (Sei tiro Charakteristik und ein neuer Faktor der Entzweiung wird), aber schon durch seine Breite zeigt es an, daß es auch eine selbständige Aufgabe hat: der Held soll eine Niederlage erleiden durch die innerlich überlegene Persönlichkeit des Christen. Wie Brodd-Helgi und Geitir zum zweiten Male aneinander geraten, ist es wegen der Frau, die sie verbindet. Dies reizt Geitir iim ersten Male empfindlich. Wieder behält der Erzähler den neuen Faden in der Hand: wie Thorleif, so wird ihm auch Halla zu einer selbständigen Charakterstudie, und sie hat ihre Rolle das Ganze noch nicht ausgespielt. Einstweilen folgt die dritte Begegnung, noch feindlicher als die zweite; es kommt zu Tätlichkeiten, und es gibt Tote. Geitir tröstet die Seinen mit witzigem Wort, auf Brodd-Helgis Kosten. Und in der Tat wird nun Brodd-Helgi von Geitir überlistet — seine zweite moralische Niederlage —, wenn er auch im wichtigsten, vor Gericht, Steger bleibt. Geitirs Groll wird verschärft durch seiner Schwester Tod; Brodd-Helgis Besuch bei ihr gibt zugleich dieser Episode die Krönung. Geitir scheint schon auf offene Feindschaft zu sinnen; doch Gudmund der Mächtige, der in diesem Kapitel nur beide Gegner überlegen kennzeichnen und in den Augen des Hörers demütigen soll, versagt sich ihm verdientermaßen, und Geitir gerät in ohnmächtige, furchtbeklommene Wut gegen Brodd-Helgi, bis seine Leute ihn zum Handeln zwingen. vorher muß er die Formel aussprechen für Helgis Übermut, denn jetzt ist dieser reif, um zu fallen. Sein Tod wird ahnungsvoll vorausverkündet . Leider fehlte in der Membran, auf der die erhaltenen Abschriften beruhen, das Blatt, auf dem dieser Tod erzählt war.

Schon dieser erste Teil zeigt vollkommen deutlich die feinere, kompliziertere, seelisch vertiefende Art dieser Geschichte gegenüber der zuerst besprochenen. Der Aufbau ist klar. der Fortschritt der Handlung stetig, aber es wird viel mehr gegeben als das, vor allem eine Charakteristik von erstaunlicher Feinfühligkeit, bald ironisch schimmernd, bald —so will es scheinen



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leicht elegisch. Wir haben den Eindruck einer überlegenen Erzähler persönlichkeit, die zwar einen Brodd-Helgi bewundert, aber mit vorbehalt. Welch einzigartiges Bild, dieser Christ, der den dicken Ketil beschämt abziehen läßt. Anderswo (in der Kristni-Saga) hören wir von der vorladung, die Thorleif von Ketil erfuhr wegen seines Christenglaubens. Daß Brodd-Helgi dahinter gesteckt habe, giebt aus wie eine Kombination desselben Mannes, dessen Hand wir auch sonst in der Geschichte spüren: er wollte den Horizont erweitern und dadurch das Format der alten Helden verkleinern. Drei Figuren sind es im ganzen, die stumm oder mit Worten den Glanz der überlieferien Hauptperson verdunkeln: außer Thorleif Halla und Gudmund der Mächtige; letzterer als bekannte Größe eingeführt.

Die Fortsetzung ist des Anfangs würdig. Der geschlossene vergleich. die bezahlte Buße beseitigen das Recht auf Rache. Aber Rache muß kommen für einen Mann wie Brodd-Helgi. So ist es geweissagt, so heischt es die Witwe, und Bjarni fügt sich. Die Szene, wie Geitir fällt, ist eine der psychologisch feinsten der gesamten Saga-Literatur. Sie bewährt mit am glänzendsten die oft bewährte Kunst dieser Geschichten, unter der leichten Decke der Worte die schwer arbeitende Seele fühlen zu lassen. Bjarnt ist seinem Vater unähnlich; er hat mehr von der Mutterseite geerbt. Doch ist er weniger eine problematische Natur als in eine problematische Lage hineingeboren: sein innerer Konflikt konnte jedem zustoßen, es ist der Widerstreit zwischen Rachepflicht auf der einen Seite, Vertrags- und Sippenpflicht auf der andern. Auch der Gegner scheint diesen Widersteit zu empfinden. Seine Maßregeln gleichen Schachzügen , die getan werden, weil die Spielregel sie erfordert. Thorkel handelt aus Pflichtgefühl und, wie es ernst wird, mit Pflichteifer, und er erreicht sein Ziel: blank geht sein Ehren- Schild hervor aus dem Kampf im Bödvarstal. Die Fehde ahne Haß findet ihr würdiges Ende in der Versöhnung, die beiden Ehre macht in Heiden- und in Christenaugen.

Wenn der Schluß eine Wiederholung des Versöhnungs- motivs bringt, so verdanken wir diesen störenden Nachtrag



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wohl am ehesten dem Mißverständnis eines reproduzierenden Erzählers: die in der Geschichte selbst künstlerisch geformte und motivierte Einladung ist dieselbe, die zugleich in getreuerer Überlieferung als einzelne Tatsache nachgelebt hatte.

Bei dem vorherrschenden Interesse das Innenleben der Menschen werden die äußeren vorgänge doch auch mit der gewohnten Liebe veranschaulicht; so der Kampf mit der Intervention des wackeren Eyvind. Die drei Anschläge Thorkels auf Bjarnis Leben gehorchen dem Gesetz der Steigerung. Neben ihnen steht selbständig das Kapitel von den Droplaugsöhnen, das in seiner ganzen Anlage und charakterisierenden Funktion der vorhemschenden Art unserer Geschichte verwandter ist als jene Abenteuer.

Die Symmetrie des Aufbaus liegt darin: bis zur Mitte eine sich verschärfende Spannung zwischen von Haus aus ungleichen Freunden; von Geitirs Fall an Annäherung der verfeindeten, einander würdigen Vettern bis zur Versöhnung. Denn das Fehlschlagen von Thorkels Versuchen wirkt hemmend, und der offene Streit; obgleich einen Augenblick bange Furcht erweckend, ist doch der erste Schritt um Frieden. Man kann nicht umhin, innere verwandtschaft zu empfinden zwischen diesem großmütig gebotenen und angenommenen Frieden am Ende und Thorleifs überlegener Großmut am Anfang: das früh auftauchende Friedensgebot — Thorleif verkündet es durch sein Handeln gegen Ketil, dessen vorgehen jeden andern schwer gereizt hätte — wird nach traurigen Wirren am Ende schön verwirklicht. Im ersten Teil hält Halla die Partei des Mannes, den sie bewundernd liebt, mit selbständigem Fühlen gegenüber dem Bruder; und im weiten Teil ist es wieder eine Frau, die, klug und wohlmeinend, die letzten Bedenken des Ehrgefühls zum Schweigen bringt.

Ähnlich gestimmt sind die beiden kleineren Erzählungen aus der Gegend der Wassenförde: von Thorstein dem Weißen und Thorstein Stangenhieb. Beide wären mit modernem Ausdruck als Novellen zu bezeichnen. Sie erzählen je eine merkwürdige Episode aus dem Leben zweier Herren von Hof.



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Die Erzählung von Thorstein dem Weißen hat zum Ziel djs einzig dastehende Versöhnung zwischen dem blinden Greise und dem Manne; der für den Tod seines besten Sohnes die Verantwortung trägt. Das Ziel ist dies; nicht der Inhalt. Niemals füllt eine einzelne Szene, und sei sie noch so reich, eine Isländergeschichte aus. Diese Denkmäler treiben nicht Stimmungsmalerei, noch auch lassen sie Szenen sich selbst exponieren wie gelegentlich das altgermanische Heldenlied; sie entwickeln die Handlungen ihrer vollen Länge nach. Die unserer Erzählung hebt damit an, wie Thorstein der Schöne mit der Familie von Hof sich verfeindet. Dazu ist es nötig, daß sein Handel mit Einar vorgeführt wird. Diese vorgänge haben ihre selbständigen Höhepunkte in Einars und Thorgils' Tod. Beide fallen unter solchen Umständen, daß unsere Sympathie für die Gegenpartei nur gesteigert wird. Was für widerwärtige Gesellen sind dieser Einar und der gehässige Ratgeber des Thorgils Wir gönnen dem Grani seinen Unfall bei der Sennhütte. Thorgils selbst hat unser tragisches Mitleid. Er ist zu gut ein solches Ende, und doch durfte er die Warnung nicht achten. Sein Tod ist ein Unglücksfall —ohapp, wie die Isländer sagten, nicht nur für die Seinen, den Vater sondern auch für die Sippe der Täter. Was wird das Ende sein: Der normale verlauf wäre der, daß die Brüder des Erschlagenen für die Rache sorgen. Diese Brüder werden am Anfang genannt; warum sie nicht eingreifen, bleibt unbegründet; folgerecht müßte jene Anfangspräsentation fehlen. Für die Erzählung sind nur der greise Vater und der unmündige Sohn vorhanden. Solange letzterer unerwachsen ist, braucht Thorstein nichts su fürchten. Sein Verhalten in dieser Lage ist seiner würdig. Er war von Anfang an der wackere Bursche. Einars Tötung war nach der alten Ethik gerechte Notwehr; Thorstein verfuhr mit Mäßigung, so schwer er gekränkt war. Darum gönnen wir ihm die doppelte Genugtuung (daß das Mädchen nun für den Freier entwertet sein könnte davon läßt der Erzähler sich nichts träumen). Auch hier endet der Kriegszustand mit Freundschaft durch großmütigen Entschluß, mag auch die Großmut zugleich Klugheit sein.



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Ähnlich in der Erzählung von Thorstein Stangenhieb. Diese kleine Perle der Sagakunst wird dem heutigen Geschmack von allem bier Gebotenen am leichtesten eingehen. Sie begnügt sich mit zwei Orten und zusammen acht Personen, von denen fünf episodisch sind und keine überflüssig oder bloßer Statist ist. Die Handlung, so kurs und einfach wie möglich, ist klar gegliedert und verläuft in schöner Linie vom erregenden Moment (dem Stangenhieb) stetig aufwärts zum reich entwickelten Gipfel, um nach einem Augenblick der letzten Spannung, wie üblich, leise zu verklingen. Thorstein ist kräftig in den Mittelpunkt gestellt. Um ihn gruppieren sich die Nebenfiguren, Licht werfend auf den Helden: der alte Vater härter, hitziger und ehrbedachter als der Sohn und doch so stolz auf ihn (in interessantem Gegensatz zu Thorstein dem Weißen); der übermütige Thord, der des bescheidenen Jünglings glaubt spotten zu können; die beiden Hetzer; deren verdientes Ende seine Reckenhaftigkeit verbürgt; die ängstliche Gattin, die vor dem Höllenkerl warnt; die Magd, die seine Partei nimmt gegen Thord und damit auch ihrem Herrn Bjarni einen Dienst leistet. Bjarni, der Gegenspieler, ist von vornherein der stille Bundesgenosse des Helden, der Einzige, der seinesgleichen ist, an Heldenart (der Kampf im Bödvarstal ragt legitimierend herein) und an ruhigem Wesen —,wohl gestillt' nannten es die Isländer. Doch was bei Bjarni Gereiftheit ist; ist bei Thorstein angeborene Art, und des Totschlag-Bjarni bewährtes Heldentum steht unbezweifelt über dem des namenlosen Bauernsohnes, der auch als der bedeutend Jüngere zu denken ist. Durch diese Überlegenheit erst wird der Hauptauftritt möglich. Thorstein bleibt darin derselbe , der er war, nur daß sein Bild noch etwas bereichert wird durch Züge von Ritterlichkeit und beinahe Ehrerbietung gegen Bjarni. Dieser bekommt erst im folgenden Auftritt mit dem Vater seine volle Rundung als vollsaftiger Charakter. Wir gönnen ibm den rüstigen Helfer in der Wirtschaft herzlicher noch als seinem Urgroßvater, Thorstein dem Weißen.

Kaum irgendwo im Bereiche der Isländergeschichten scheint der Stoff so nach rein künstlerischen Gesetzen gewachsen zu



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sein, kaum irgendwo gebt die Unterwühlung des heidnischen Lebensbodens durch mildere Seelenmächte so weit wie in der Erzählung von Thorstein Stangenhieb. Man wird aber bemerken , wie fest doch auch hier noch jener Lebensboden gegründet erscheint.

Die Erzählung von Gunnar ist eine bescheidenere Leistung, sowohl was Charakterzeichnung angeht wie Geschlossenheit des Aufbaus. Die meisten Figuren entbehren der lebensvollen Rundung. Doch heben sich die Porträtköpfe zweier Nebenfiguren eindrucksvoll ab, die als Kontraste gedacht scheinen, Asbjörn und Sveinki. Der menschliche Gehalt ist nicht gering, und die Geschichte wird in ihren Grenzen geschickt und lebendig erzählt; beides Dinge, die man bei dieser Literaturgattung selten vermißt. Vielleicht lassen sich die typischen Kunstmittel der Saga hier, wo sie mit geringerer Meisterschaft gehandhabt werden, leichter studieren als anderswo.

Thidrandis Tod ist nur die vorgeschichte. Das Hauptthema bildet Gunnars Ächter leben. Der reckenhafte verfolgte war ein Lieblingsheld der dichtenden Phantasie (vgl. Band s und 8 dieser Sammlung). Gunnars Abenteuer bekommen ihre eigene Farbe durch die wackeren Helfer, die um ihres Schützlings willen sogar das Leben aufs Spiel setzen: Sveinki, Helgi und Thordis, Gudrun. Sie reichen sich die Hände in ununterbrochener Kette, so daß die eigentliche Not des Ächter lebens (wie sie etwa Gisli erfährt, der Held der nach ihm benannten Geschichte) dem Helden fern bleibt und er am Ende glücklich in die Heimat entkommt. Am reichsten ausgeführt ist Gunnars Aufenthalt bei Sveinki am Borgfjord (gegen das Stilgesetz der Steigerung). Hier ist die Gefahr am größten, die List am erfinderischsten, und die Kameradschaft der starken und wackern Männer hat etwas Herzerquickendes. Man beachte den Hinweis: einige erzählten, auch der gefürchtete Helgi, der Droplaugsohn, sei unter den verfolgern gewesen. Der Erzähler , der Sveinkis standhaften Mut im Auge hat, will ihm doch nicht mehr nachrühmen als wahrscheinlich ist. Die fol



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senden Rettungen wirken schwächer. Aber die Erzählung versteht es, sie in eine gerade Linie zu rücken, überall die trotzig-hilfsbereite Gesinnung der Freunde scharf zu beleuchten. In diesem Sinne weicht denn auch der Schlußauftritt, am Heiligen Berge, bezeichnend ab von der Darstellung desselben vorganges in der Geschichte von den Leuten aus dem Lachstal (Kap. 69; Bd. 6 dieser Sammlung), Die Geschichte vom Freyspriester Hrafnkel gibt sich wie eine Biographie. Aber sie behandelt nur ein eng umgrenztes Ereignis aus Hrafnkels Leben, allerdings wohl das wichtigste, denn es führte zu seiner — der Saga zufolge siebenjährigen Verbannung von seinem Herrensitz Adelfarm. In leichtem biographischen Rahmen tritt uns wieder eine Novelle entgegen. Es ist eine der farbenprächtigsten, dramatisch bewegtesten kleineren Isländergeschichten, die wir besitzen. Die Charakteristik steht in ihrer Kraft und Feinheit auf gleicher Höhe mit den besten.

Die künstlerische Liebe des Erzählers gehört weniger dem Titelhelden ab den wichtigeren Beifiguren, zumal dem Gegenspieler Sam und seinem Bruder Eyvind, dem Hauptträger des Tragischen in der Geschichte. Diese, und vorher Einar, sind denn auch abwechselnd die eigentlichen Helden, ohne daß jedoch des Freyspriesters Bild undeutlich würde. Er bleibt der ideelle Mittelpunkt, wird mit Achtung und verständnis überall begleitet, darf Tüchtigkeit und Energie entwickeln und wird mindestens einmal auch unserm menschlichen Mitgefühl nahe gebracht: wie er nach der schadenfrohen Mißhandlung um der Söhne willen das Leben wählt. Diese Szene ist bezeichnend für das subjektive Ethos der Geschichte. Hrafnkels elementare Herrennatur wird uns nicht vergönnt zu schauen. Einar erschlägt er mit halbem Herzen; der Erzähler entschuldigt ihn und läßt ihn später sich selbst halb und halb entschuldigen. Und über den Angriff auf Eyvind wird kunstvoll ein Schleier gezogen. Es muß uns genügen, daß uns gesagt wird: er war ein großer Gewaltmensch. Einen künstlerischen Mangel bedeutet dies nicht, die alten Hörer schon deshalb nicht, weil



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jedermann ohnehin wußte, wie gefürchtet Hrafnkel gewesen war. Aber auch für uns nicht: die Geschichte hat ihren Schwerpunkt anderswo. Nach dem, was man von Hrafnkel gewußt zu haben scheint, war er wenig geeignet, als dichterischer Held im Mittelpunkt einer Saga zu strahlen (etwa wie Helgi, der Sohn der Droplaug); weder aufregende Abenteuer noch große Taten noch ein tragischer Untergang verklärten ihn. Aber nicht dies allein ist der Grund, warum wir seine Wildheit nicht erleben dürfen. Daß er so menschlich im Umgang ist, so redselig Aufschluß gibt über seine Beweggründe, das ist um so sicherer subjektive Interpretation, als ähnliche Fuge auch andern Personen beigelegt werden; und dieselbe Subjektivität ist bei der verteilung von Licht und Farben über das Ganze hin ohne Zweifel im Spiel.

Taucht der Erzähler in Hrafnkels Seele gleichsam nur bis zur halben Tiefe ein, so ist dafür sein eigentliches Studium Sam, dieser junge Mensch, dem das Unerhörte gelungen war. Wie er für die Klage gewonnen wird, hartnäckig aushält auch in der schwärzesten Stunde, den Retter gewinnt und unverhofft siegt, dann angetrieben werden muß, um weiterzugehn, und wieder zu früh Halt macht, zu seinem verderben und doch so begreiflich bei dem Jungen, Unerfahrenen, Bescheidenen , das ist unübertrefflich erzählt. Man beachte, wie das Äußere des Retters am Axtfluß stark hervortritt unter den angstvoll spähenden Blicken der beiden Einsamen; daß die typische Personenschilderung so organisch aus der Handlung herauswächst, ist selten.

Um Sam gruppieren sich andere Charakterköpfe: zunächst die Thjostarssöhne, lebensvolle Häuptlingsfiguren in ihrer überlegenen Klugheit, Unternehmungslust und Schadenfreude . Die humoristisch absonderliche Art, wie der Gode gewonnen wird, war für die alten Hörer mindestens ebenso reizvoll wie die Exekution in ihrer barbarischen Grausamkeit. Sam muß von dieser Grausamkeit entlastet werden. Hier ragt ein Stück Wirklichkeit wie eine scharfe Klippe in die Dichtung herein. — Und dann der alte Thorbjörn. Er wäre kein rechter Mann, wollte er des großen Herrn gnädiges Angebot



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als Sühne gelten lassen, und für solche Gesinnung haben unsere Geschichten ein Herz, auch wo sie im gebrechlichsten Leibe wohnt. Bald freilich sinkt der schwache Greis herab zur Folie für Sam.

Einar und Eyvind sind episodische, aber stark tragische Figuren . Einar ist Hrafnkels bester Knecht. Die Teilnahme für ihn wird rege gemacht schon beim Abschiede vom Vater Wir fürchten ihn, wie er das verbotene Roß sattelt: erst das Gebiß, dann die Decke. Der Renner ist gut, aber das Unheil schreitet schnell, und Einar ist zu ehrlich, um aus eichen, als er es kommen sieht. — Dem arglosen und mannhaften Eyvind glauben wir, daß er Sams Bruder ist. Der junge Bursche an seiner Seite, den er aus dem Elend gezogen und der ihn vergebens warnt, macht ihn uns noch lieber. Und eben deshalb muß er fallen. Das ist die moralische Weltordnung der Isländergeschichten.

Die Geschichte von Thorstein, dem Sohne Siduhalls ist nur als Bruchstück auf uns gekommen. Die vorgeschichte der Händel mit Thorhadd ist verloren, ebenso das Hauptstück des Schlusses. Des Helden Auslandreise, mit der das Erhaltene beginnt, unterbricht den Fluß der Ereignisse und weicht auch in der Erzählweise ab: direkte, überwiegend preisende Charakteristik statt indirekter durch die Mittel der Kunst. Thorstein wird erst lebendig für uns, sobald er wieder isländischen Boden unter den Füßen bai. Wir sehen einen jungen Hitzkopf im Streit mit einem alten Fuchs. Wie Thorstein heftig ausbricht in Entrüstung und gekränktem Stolz, Thorhadd brummt und schon hier gleich mit einer Anzüglichkeit bei der Hand ist, das läßt uns die Gestaltungskunst des Erzählers achtbar vorkommen. Sie hai etwas Skizzenhaftes, rasch Vorbeieilendes; aber die wenigen Striche werden mit sicherer Hand hingeworfen. Das war schon bei den Auftritten zwischen Thorhadd, seinem Schwiegersohn und seiner Tochter zu bemerken. Auch was folgt; wird in derselben Weise vorgetragen. Die Handlung ist nicht reich, arm an Personen und an Spannung. Thorhadds prophetische



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Träume, zur formelhaften Zwölfzahl erweitert, müssen ihr Fülle geben. von da an steuert alles auf Thorhadds Ende los: das Lachen auf der Butterseeheide; die Begegnung am Fluß; die Erscheinung der Mutter. Endlich die Ausfahrt mit der charakteristischen Aufmerksamkeit auf die vorzeichen, wie immer, wenn man in den Sagas zu wichtiger Unternehmung aufbricht. Der Fall von Thorhadds Söhnen wird uns noch gegönnt; sein eigener nicht mehr.

Auch hier ein deutlicher heroischer Schimmer. Aber die Menschen scheinen einer niedrigeren Sphäre anzugehören als in den meisten Isländergeschichten. Thorhadd ist ein Plebejer. Die abergläubisch-obszöne Verleumdung, die seine Hauptwaffe ist, und die witzigen Grobheiten, die er von dem Traumdeuter einstecken muß, charakterisieren ihn genügend. Thorstein selbst fehlt es ein wenig an Haltung. Er macht einen fühlbar andern Eindruck als die Häuptlinge alten Schlages. — Die übrigen Personen, alle nur kurz auftretend, werden höchstens ansatzweise gekennzeichnet.

Es ist eine untergegangene Kultur, in die uns die Isländergeschichten führen, eine Menschengesellschaft, die von der heutigen europäischen recht verschieden ist. Diese Erzählungen muten uns zu, daß wir Staat und Kirche und alles, was daran hängt, vergessen und ihnen folgen in eine fremde Welt. Das erschwert natürlich zuerst den ästhetischen GenußEs sind Schwierigkeiten da, die überwunden sein wollen. Und seien wir offen: Wenige überwinden diese Schwierigkeiten ganz und schauen auf die alten Menschen und Schicksale mit denselben Augen wie die Erzähler und ihre Zeitgenossen. Dennoch muß es versucht werden. Wer sich diesen Geschichten willig ergibt, kann bald das Gefühl haben, einem neuen Lande gegenüberzustehen, ein Entdecker zu sein. Nicht nur, daß die Reize der alten Kunst sich entschleiern; auch die germanische vorzeit enthüllt sich. Wir sehen aus nächster Nähe das kriegerische Leben und lernen seine Wurzeln empfinden als die Wurzeln auch unseres Daseins. Denn auf diesem Gleichgeblieben sein, ja, wenn man will, dieser Allgemein



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menschlichkeit der seelischen Wurzeln beruht die Möglichkeit unseres verständnisses der Saga. Und sind wir den Menschen erst nahe getreten, verstehen wir sie in ihrem gekränkten Ehrgefühl und der nagenden Sühnepflicht, so werden wir uns bald einleben mihr ganzes Sein und auch ihre äußeren Lebensformen verstehen lernen, die Lebensformen des heidnischen Germanentums.

Auf der andern Seite bieten die Isländergeschichten uns Lebenswerte. Ernst und unsentimental, wie sie sind, lehren sie eine Weltbetrachtung, die nichts vertuscht und nichts zu entschuldigen braucht, keinen anklagt und jedem das Seine gibt. Die beispiellose Offenheit im Enthüllen der Menschennatur wirkt auf den, der sie wahrzunehmen versteht; ebenso erfrischend wie der Sinn für Heldentum, dem es sich von selbst versteht, daß das Leben nicht der Güter höchstes ist. Neben vielem, was uns primitiv oder naiv, rauh oder roh anmuten mag, stehen sprechende Zeugnisse eines fein entwickelten Gefühls für moralische Werte, Würde und Schicklichkeit. Im ganzen aber will die Luft, die durch diese Geschichten weht, doch empfunden sein als ein gesunder Hauch aus lebensvoller vorzeit, rein und kräftig genug, um inbrünstig eingeatmet zu werden wie von manchem die Lüfte von Hellas.

Die Übersetzung beruht auf der Originalausgabe der Ostfjordgeschichten von Jakob Jakobsen, Kopenhagen 1903.

Zur Aussprache der altnordischen Namen sei bemerkt:

Das a in Asbjörn, das o in Thjostar, Jorun, die Vokale in An, AS, Brjan, Glum, Grim, Hol, Ost, Sam und einigen andern Namen sind lang. ey klingt wie eu: Eyvind, Frey. v ist zu sprechen wie in vulkan: Eyvind. Der Ton liegt auf der ersten Silbe.


Copyright: arpa, 2015.

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