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Fünf Geschichten aus dem Westlichen Nordland


Mit einer Übersichtskarte


Übertr. von W. H. Vogt u. Frank Fischer

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1914


10. Schiedsmännerwahl und Spruch

Jetzt wird erzählt, daß alles Volk am Tage darauf nach dem Gesetzesfelsen ging und dort eine große Menge zusammenkam. Egil und Gellir sammelten ihre Freunde um sich. Ofeig war Styrmir und Thorarin behilflich. Als nun alle am Gesetzesfelsen versammelt waren, auf deren Kommen man rechnete, da erbat sich Ofeig Gehör und sagte: "Ich habe mich in den Handel meines Sohnes Odd bisher nicht hineingemischt. Ich weiß aber, daß jetzt die Männer zugegen sind, die hier die Hauptbeteiligten sind. Nun möchte ich zuerst in dieser Sache Hermund angehen, wennschon dies auf so unerhörte Weise in die Wege geleitet worden ist, daß man umsonst nach einem zweiten Fall sucht, und ebenso seinen Fortgang genommen hat und vermutlich nicht anders enden wird. Ich möchte jetzt fragen, ob die Sache durch Schiedsspruch beigelegt werden kann?' Hermund antwortete: "Wir lassen uns nur darauf ein, wenn uns der Spruch selbst überlassen wird" Ofeig sagte:"Es wird



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dafür kaum ein zweites Beispiel geben, daß jemand acht Gegnern den Spruch überlassen habe; aber dafür gibt es Beispiele, daß einer ihn einem Gegner überlassen hat. Indes da nun die Sache in einer so unerhörten Weise betrieben worden ist, da will ich anbieten, daß zwei aus eurer Schar den Spruch fällen mögen. Hermund erwiderte: "Darauf gehen wir natürlich ein, und es nr uns gleich, welche zwei das tun." "Dann werdet ihr mir es gönnen, daß ich die vergünstigung habe mir aus euch verbündeten die beiden zu wählen, die ich mag." "Ja, ja gewiß!" sagte Hermund. Da sagte Thorarin: "Sag nicht zu allem ja, ja, ehe du weißt, ob du es nicht morgen zu bereuen hast!" "Jetzt kann ich es nicht zurücknehmen!" sagte Hermund.

Ofeig sah sich nun nach Bürgen um, und das siel nicht schwer, denn allen schien die Zahlungsfähigkeit gesichert. Darauf gaben die Männer sich Handschlag, und die einen gelobten damit die Auszahlung einer Summe zu, welche die beiden bestimmen würden, die Ofeig ernennen würde. Die Verbündeten wieder gelobten, die Klage fallen zu lassen. Nun war vorgesehn, daß die verbündeten mit ihrem Gefolge auf das Thingfeld hinaufgehen sollten. Die Scharen Egils und Gellirs blieben zusammen und lagerten sich an einer Stelle im Kreise.

Ofeig aber geht in den Kreis, sieht sich um, lüftet seine Mantel kapuze e, fährt sich über die Arme und stellt sich mit merklich höherem Kopf bin. Er zwinkert mit den Augen und sagt dann: "Da sitzst du, Styrmir! Es wird dem Volk wunderlich vorkommen , daß ich dich in der Sache nicht nehme, die mich jetzt angeht. Denn ich bin dein Thingmann und habe mich an dich zu halten, wenn ich Hilfe bedarf. Du hast manche schöne Geschenke von mir bekommen und sie alle böse gelohnt. Es scheint mir; als hättest du in diesem Handel zuerst unter allen meinem Sohn Odd Feindschaft gezeigt und wärst am meisten daran schuld gewesen, daß man sich dazu entschloß. Ich will dich ausscheiden !" —"Da sitzst du, Thorarin!"sagte Ofeig" ,es ist sicher, du hättest genug Verstand, um in dieser Sache den Spruch abzugeben. Indessen hast du es in diesem Streit auf Odds Schaden abgesehen und warst der erste, der mit Styrmir sich der



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Sache annahm: und darum will ich dich ausscheiden!" —"Da sitzst du, Hermund! Ein großer Herr," — bier richtete sich Hermund auf, weil er meinte, er würde gewählt werden, — "un dich glaube wohl, daß die Sache an den Rechten käme, wenn sie dir unterstellt würde. Aber da ist niemand so hitzig gewesen wie du, seit die Sache begann. Du hast gezeigt, daß du nur Ungebühr an den Tag legen willst. Es hat dich auch nichts dazu gebracht, als Begehrlichkeit und Habsucht, denn an Geld fehlt es dir nicht: ich scheide dich aus!" — "Da sitzst du, Jarnskeggi! Dir fehlt nicht das Nötige, um den Spruch zu fällen, und es würde dir wohl passen, wenn es an dich käme. Dein Selbst- gefühl war so groß, daß du auf dem Furtthing 1 ein Banner vor dir hertragen ließest, wie vor einem König. Doch sollst du nicht König über diese Sache sein und ich scheide dich aus!"

Nun sah sich Ofeig um und sagte: "Da sitzst du, Skeggbroddi! Ist es eigentlich wahr, daß König Harald Sigurdsson gesagt hat, als du bei ihm warst, daß du ihm unter allen Männern hierzulande am meisten zum König zu passen schienst:" Broddi erwiderte: "Der König redete oft freundlich mit mir; aber es ist nicht ausgemacht, daß er über alles so gedacht hat, wie er redete." Da sagte Ofeig: "Über andere Dinge magst du König sein, als über diese Sache: ich scheide dich aus:" — "Da sitzst du, Gellir" sagte Ofeig, "dich hat nichts in diesen Handel getrieben als allein nur die Geldgier. Es ist noch einigermaßen verzeihlich, weil du unvermögend bist und viele zu sorgen hast. Nun sehe ich aber, daß es nichts hilft: einem von euch werde ich die Ehre in dieser Sache geben müssen, obwohl ihr mir alle nichts wert erscheint. Es sind leider nur wenige übrig, und ich mag mich nicht entschließen, jemanden zu wählen, den ich schon abgelehnt habe. — So will ich dich denn wählen, denn ich habe von dir auch noch keine Unrechtlichkeit zu hören bekommen!" — "Da sitzst du, Thorgeir Halldorason!" sagte Ofeig, " es ist klar, daß noch nie eine Sache an dich gekommen ist, wenn sie von irgend einer Wichtigkeit war, denn du kannst solche Sachen nicht beurteilen und hast nicht mehr verstand als ein Ochse oder ein Esel auch: dich scheide ich aus!"



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Dann sah sich Ofeig um, und es wurde ihm im Munde ein verslein:

Schlimm ist's auf Erden
Ins Alter zu kommen,
Es stumpft die Augen
Und störi den Verstand.
Zur Wahl standen eben
Wackere Burschen:
Jetzt ist der Wolfsschwanz
Allein an der Angel.

Mir ist es ergangen, wie den Wölfen: die fressen einander, bis sie zum Schwanze kommen, und merken es vorher nicht. Ich hatte unter vielen Häuptlingen die Wahl. Jetzt aber ist grade der übrig, von dem man nur Schlimmes erwarten darf, der als der aller unbilligste bekannt ist, und der, um Geld zu bekommen, zu allem fähig ist, wenn er es nur kriegte Die einzige Entschuldigung, daß er es so gewissenlos mit dieser Sache nahm, ist noch, daß hier so viele hineinverwickelt sind, die vorher als rechtlich galten und die jetzt alle Bravheit und Mannesehre verspielt haben und Unredlichkeit und Habgier zeigen. Niemand wird glauben wollen, daß ich den wählen könnte, von dem man das Schlimmste erwarten darf, denn es gibt keinen Verschlageneren in eurem Kreise. Und es wird doch auf dich herauskommen, da alle anderen schon abgelehnt sind!'

Egil sagte und lächelte dabei: "Es geschieht, wie so oft: nicht deshalb kommen wir zu der Ehre, weil die anderen sie uns gegönnt hätten. —Dann müssen wir ja wohl aufstehen, Gellir, und beiseite gehen, die Sache unter uns zu besprechen."

Sie taten das, gingen beiseite und setzten sich da. Da sagte Gellir: "Was wollen wir denn nun sagen:"Egil antwortete: "Ich schlage vor, eine ganz kleine Geldbuße zu verhängen. Ich wüßte nicht, was sonst in Betracht käme, da wir uns ja ohnehin keine Freunde machen werden." Ist es nicht reichlich, wenn wir auf dreizehn Unzen in minderwertiger Münze erkennen:" sagte Gellir, " denn der Anlaß zur Klage ist mit großer Arglist gesucht; und es ist um so besser, je unzufriedener sie giaid. Aber keine Lust habe ich, den Spruch zu verkünden, denn ich



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habe eine Ahnung, als ob er Mißfallen erregen wird." "Tu, was du willst" sagte Egil, "verkünde den Spruch oder vertritt ihn nachher vor den anderen!"' "Da wähl' ich," sagte Gellir, "ihn zu verkündigen."

Nun gingen sie zu den Verbündeten zurück. Da sagte Hermund: "Stehen wir auf und hören wir unsere Demütigung!" Gellir sagte: Wir werden später auch nicht gescheiter sein. Es kommt nun alles auf eins heraus; unser Spruch, Egils und meiner, ist: uns Verbündeten zuzuerkennen dreizehn Unzen Silbers."

Da sagte Hermund:"Hör 'ich recht: Du sagtest dreizehn Hundert Unzen Silbers " Egil antwortete: "Hattest du eben auf deinem Ohr gesessen, Hermund, als du aufstandest Dreizehn Unzen freilich Und in Geld, wie es nur ein armer Teufel annimmt, — es soll gezahlt werden in Schildtrümmern und Ringbruchstücken und allem, was man am unerfreulichsten finden kann, und worüber ihr euch am meisten ärgert!" Da sagte Hermund: "Betrogen hast du uns, Egil" "Wirklich?' sagte Egil, "kommst du dir betragen vor:" "Betrogen komm ich mir vor, und du hast mich betrogen!' Egil antwortete: "Es scheint mir gut, einen zu betrügen, der niemandem traut, auch sich selber nicht. Beweisen kann ich das: du hast dein Geld bei so dickem Nebel versteckt, daß du hofftest, auch wenn du es wieder mit der Lust bekämft; darnach zu suchen, daß du's dann nicht wieder finden würdest 1." Hermund erwiderte: Das ist gelogen, Egil, wie auch das andere, was du im Winter behauptet hast, als du nach Hause zogst, nachdem ich dich aus deiner Bettelwirtschaft Weihnachten zu mir geladen hatte. Du warst zufrieden, wie nicht anders zu erwarten. Aber als Weihnachten vorbei war, da wurdest du verdrießlich, wie auch nicht anders zu erwarten, und es ward dir sauer, wieder heim ins Hungerleben zu ziehen. Und als ich das merkte, bot ich dir an, mit einem Begleiter dazubleiben, und das nahmst du an und warst vergnügt. Aber im Frühjahr nach Ostern, als du nach 1 So verstecken auch Erich der Rote (Thule XIII, S. i2) und Egil (Thule ll, S. 260) ihr Geld Grundbesitz ist Erbe und gehört dem Geschlecht; Fahrhabe folgt in der ältesten Seit dem Besitzer wo Grab,



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Borg heimgekommen warst, behauptetest du, daß mir von der Winterweide dreißig Pferde gefallen wären, und daß man die alle gegessen Hänel" Egil entgegnete: "Ich glaube nicht, daß man zu viel behaupten kann von deiner Mißwirtschaft! Ich glaube aber, daß eins wahr ist: entweder hat man nichts oder wenig davon gegessen. Doch jedermann weiß, daß es mir und meinen Leuten nie an Speise fehlt, wenn auch mein Vermögensstand manchmal unerfreulich ist. Aber bei dir zu Hause sind Zustände, daß du davon besser nicht anfangen solltest." "Ich wünschte nur eins, sagte Hermund, daß wir beide nächsten Sommer nicht wieder zusammen auf dem Thing wären" "Jetzt muß ich etwas sagen," sagte Egil, was ich glaubte, niemals sagen zu können, nämlich: sei gesegnet, daß du den Mund auftatest! Mir nämlich hat man geweissagt, daß ich an Altersschwäche sterben werde. Aber je eher dich der Teufel holt, desto besser gefällt es mir!'

Da sagte Styrmir: "Jeder hat recht, Egil, der von dir das Schlimmste behauptet und dich einen Schuft nennt!" "So ist es recht!" sagte Egil" ich fühl mich um so wohler, je mehr du mich lästerst und je mehr Beweise du dafür anschleppst. Denn ich habe gehört, daß ihr beim Biergelage das Spiel triebe daß ihr euch über den Wert von Männern strittet, und da hast du mich gewählt und bist für meine Überlegenheit eingetreten. Nun ist es ja klar, daß du irgend verborgene Schandflecken hast, die niemand kennt. Du mußt ja am besten wissen, wie es bei dir steht. Es sind aber doch Unterschiede zwischen uns: beide versprechen wir dem andern Hilfe, und ich leiste; was ich kann und schone mich nicht. Du aber läufst- sowie die Schwarzschäftigen 1 geschwungen werden! Das ist auch wahr, daß ich stets mit meiner Wirtschaft im Gedränge bin, und doch spare ich gegen niemanden mein Brot. Aber du bist ein Speiseknauserer Und das beweist es, daß du eine Schüssel besagt, die Speisesegen hieß, und nie kam jemand in dein Haus, der erfahren hätte, was darin ist, außer dir allein! Mir steht an, daß mein Gesinde es bart hat, weil nichts da ist. Aber solchen Leuten steht es übel an, ihr Gesinde hungern zu lassen,



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denen nichts abgeht. Überleg dir, wen ich meine!" Da schwieg Styrmir.

Da stand Thorarin auf. Egil sagte: "Schweig du, Thorarin! Setz dich wieder und halt den Mund! Ich könnte dir mit Schimpf dienen, der besser ungesagt bliebe. Mir scheint es nicht lächerlich, wenn auch die Burschen darüber lachen: daß du mit gepreßten Knien dasitzst und die Beine aneinander reibst." Thorarin antwortete: "Guten Rat soll man von jeder Seite annehmen", setzte sich und schwieg.

Da sagte Thorgeir: "Das können alle sehen, daß dieser Spruch sinnlos und dumm ist: dreizehn Unzen Silber zu verhängen und nichtmehr für solch eine Sache" "Und ich dachte," sagte Egil" ,daß dir gerade dieser Spruch sinnvoll vorkommen würde! Und das wird's auch sicherlich, wenn du dir's noch einmal überlegst. Dann mußt du dich erinnern an das Herbstthing an der Krummache 1, wo ein Bäuerlein dich am Kopfe mit drei ehn Beulen zierte, und dafür bekamst du dreizehn Mutterschafe als Buße, — ich dachte, daß dir diese Erinnerung lieb sein müßte!" Thorgeir schwieg. Skeggbroddi aber und Jarnskeggi hatten keine Lust, mit Egil zu streiten.

Da sagte Ofeig: "Nun möchte ich euch eine Strophe hersagen, daß mehr Leute diese Thing verhandlung im Gedächtnis behalten und das Ende dieses Streites, wie es jetzt gekommen ist:

Sonst des Goldes Stämme 2
—Geldesarmen stärkt das —
Sich mit Mindrem brüsten
—Met schenk ich des Bergvolks 3 !
Fürsten um die Köpfe
Flicken konnt' ich wickeln,
Herren streute Sand ich
Herzhaft in die Augen.

Egil antwortete: "Du darfst dich wohl damit brüsten, daß nie einer allein so vielen großen Herren den Wind aus den Segeln genommen hat!"



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Darauf gingen die Männer heim zu ihren Buden. Da sagte Gellir zu Egil:"Ich möchte, daß wir beide mit unsern Leuten beieinander bleiben." So taten sie. Jetzt gab es gewaltige Streitereien , bis das Thing zu Ende war; die Verbündeten waren gar übel mit diesem Ausgang der Sache zufrieden. Die Geldsumme aber wollte niemand haben, und sie wurde über das Thingfeld gestreut. Man ritt nun vom Thing wieder nach Hause.


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