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Kapitel 

MÄRCHEN AUS KORDOFAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1923

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE MIT EINER KARTE


23. Ausgetriebene Geilheit

Ein Mann heiratete eine Frau, die war sehr schön. Die Frau war sehr schön und sehr klug. Die Frau war aber auch über alle Maßen geil, und da der eine Mann, der sie geheiratet hatte, ihr nicht genügte, so wußte sie jede Gelegenheit wahrzunehmen, ihre Klugheit zur Ausführung eines Zwieschlafes mit einem Freunde oder hübschen Fremden auszunutzen. Wenn die Frau auf den Markt ging, so traf sie einen Freund auf dem Wege dahin und tat sich an ihm gütlich. Auf dem Markte suchte sie einen hübschen Fremden und wußte stets einen verborgenen Winkel zu finden, an dem sie sich mit ihm belustigte. Auf dem Heimwege besuchte sie dann eine Freundin, deren Mann ihr sicher gern willfährig war, und wenn sie dann heimkam, war ihre Freude an der Sache so gewachsen, daß sie ihren Gatten jedesmal noch einmal zu einer ehelichen Unterhaltung auf dem Angareb zu bewegen wußte. An dem Zustand aber, in dem die Geschlechtsteile seiner Gattin sich befanden, bemerkte der Ehemann aber stets, daß er an diesem Morgen sicher nicht der erste Beglücker der schönen Frau war. Und wenn die Frau dem Manne auch mehr Kraft abzunehmen bereit war, als er geben konnte, so war er doch sehr unzufrieden damit, daß die Frau, die er doch allein geheiratet hatte, den größten Teil von



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Vergnügungen, den sie beanspruchte, sich bei andern Männern lieh.

Dabei hatte der Ehemann für diese emsige Freude an geschlechtlichen Ergüssen seiner Frau keinen andern Beweis als eben den Zustand ihres erregten und mit Wärme und Feuchtigkeit und ständiger Sehnsucht nach Mehr erfüllten schönen Körpers. Die Frau war viel zu klug, als daß der Mann jemals hätte ihre geheimen Zusammenkünfte beobachten können. Sie wußte ihrem Gatten auf ihren Seitenwegen stets auszuweichen, und nicht selten geschah es, daß der Mann an einem Strohzaun stand und den Weg entlang nach seiner vermutlich ein Abenteuer suchenden Frau ausschaute, während sie, die Kluge, gerade nur durch die Strohmatte von ihrem Manne getrennt eben dies Abenteuer in vollen Zügen genoß.

Nachdem der Mann dies eine Zeitlang mit angesehen hatte, sagte er: "Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß meine Frau nicht nur vergnügungssüchtiger, sondern auch klüger als ich ist. Deshalb werde ich die Sache mit einem Freunde besprechen." Der Ehemann ging also zu einem Freunde und trug ihm die ganze Sache vor. Er sagte: "Mein Freund, ich bitte dich, mein wahrer Freund zu sein und mir in einer Sache zu helfen. Du weißt, daß ich mit einer schönen Frau verheiratet bin, die aber auch klug ist und außerdem mit der Gabe beliehen ist, die geschlechtliche Kraft vieler Männer genießen zu können, ohne selbst dabei ihre Kraft auch nur im Geringsten zu erschöpfen. Ich nehme an, daß alle meine Freunde von dieser letzten Tatsache durch eigene Erfahrung genau unterrichtet sind, und es liegt mir nichts ferner, als ihnen und somit auch dir diese Nutzung schöner Gelegenheitsgenüsse zu verübeln. Ich weiß, daß meine Frau nicht hinaus zum Pissen gehen kann, ohne das Organ, durch das sie ihr Wasser abläßt, auch noch zu dem andern von der Natur gewährten Dienst zu nutzen, und daß sie in jedem Augenblick einen Mann zu finden weiß, der mit ihr dies Vergnügen teilt, ohne daß ich um Erlaubnis gefragt werde oder es früher als zu spät wahrnehme. Ich nehme an, daß du dies weißt und schäme mich nicht dir zu sagen, daß ich erstens nicht klug genug bin, die mir durchaus unerwünschten Ausschweifungen meiner Frau zu entdecken, und zweitens auch noch dadurch leide, daß sie, einmal von einem andern erregt, von mir auch noch die Wiederholung der Übung verlangt, was meine Kräfte um so mehr erschöpft, je mehr Freunde und Teilhaber an dem eigentlich nur mir zustehenden Genuß sie findet. Ich sehe also den Zeitpunkt



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kommen, in dem ein jeder Einwohner dieser Stadt durch Teilnahme an meinem Eheglücke mich zu Kraftausgaben zwingt, die mich, da ich der Zahl nach dann als einzelner ebensoviel leisten muß als sie in guter Teilung alle gemeinsam, bald an den Rand des Grabes bringen müssen. Ich bitte also dich, mein Freund, mir einen Rat zu geben, wie ich meine Gattin der Männergemeinsamkeit entziehen und mir die Erholung und Ruhe gönnen kann, deren ich dringend bedarf."

Der Freund sagte: "Ich sehe, daß du diese Sache mit gelassener Ruhe und würdig besprichst und will gar nicht leugnen, daß die ungeheure Aufnahmefähigkeit und Klugheit deiner Frau stadtbekannt sind. Auch würde eine Erschöpfung deiner Kräfte in der Tat gar bald eintreten, da niemals ein einzelner Mann allein das vollbringen kann, was alle Männer der Stadt gemeinsam im Spiel erledigen. Du würdest also in diesem Wettkampf bald unterliegen, wenn du dem nicht bald abhilfst, und das kannst du nur in der Weise tun, daß du in eine andere Stadt ziehst. Ich werde dich dorthin begleiten, werde einen Tag dort bleiben und dann fortgehen. Du wirst sehen, daß der Zustand sich ändern wird, und ich hoffe, daß, wenn du deine Frau nun noch regelmäßig mehrere Stunden des Tages in dem kalten Wasser, das der Stadt eigen ist, sitzen läßt, die Sache sich völlig ändert. Nur mußt du mir erlauben, daß ich am Tage, an dem wir in der Stadt anlangen, noch einmal mit deiner Frau zusammenkomme; denn dieses wird nötig sein, um sie in den neuen Lebenswandel einzuführen und ihr Lehren zu erteilen. Wo du so viel Glücksgenossen bislang gehabt hast, kann es dir jetzt nicht auf diese eine Freundschaftsteilung ankommen, zumal dir hinterher völliger Alleinbesitz gesichert ist."

Der Ehemann war damit sehr einverstanden. Er ordnete die Verpackung aller seiner Sachen an, machte sich mit seinem Freunde und seiner Frau auf die Reise in die fremde Stadt und langte eines Nachmittags vor deren Toren an. Der Freund sorgte nun dafür, daß zuerst jeden Tag weite Wege zurückgelegt wurden; und da die Frau außerdem immer zu Fuß gehen mußte, so war sie jeden Abend derart erschöpft, daß ihr sonst übliches Bedürfnis der übergroßen Müdigkeit wich. Am letzten Tag, an dem sie vor den Toren der fremden Stadt ankamen, war der Tagesmarsch aber sehr klein gewesen, auch hatte die Frau sich schon an die ihr neuartige Verwendung der Beine gewöhnt, daß ihr früheres Bedürfnis mit doppelter Kraft erwachte.



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Somit ging die Frau hinter die Seriba des Lagers, schlug ihr Wasser ab und wußte den Freund ihres Mannes herbeizuwinken, der mit Vergnügen der Aufforderung Folge leistete und mit ihr eilig eine Ubung veranstaltete. Als er das erledigt hatte, sagte er: "Es wird dir gut tun, wenn wir dem Kamelhaar noch einen Dorn einsetzen." Die Frau war damit sehr einverstanden und wollte, nachdem auch diese Handlung erledigt war, sich erheben, als der Mann sagte: "Arme Frau, du gehst einer freudearmen Zukunft entgegen, und es wird gut sein, wenn ich den Sattel noch einmal auflege." Die Frau, deren Freude an der Sache mit der Wiederholung wuchs, sagte: "Komm nur schnell, denn ich kann leicht noch einen Reiter tragen." Danach fragte sie: "Weshalb meinst du denn, daß ich eine arme Frau sei, die einer freudelosen Zukunft entgegengehe?" Der Freund sagte: "Alle Männer der Stadt, in der du von nun an mit deinem Manne wohnen wirst, haben statt eines zwei männliche Glieder, die außerdem von Eisen sind, so daß die armen Weiber, die sich mit ihnen einlassen, statt eines Genusses einen schlimmen Schmerz empfinden." Die Frau erschrak und sagte: "Komm, mein Freund, und versuche schnell noch einen Sprung in den Graben." Der Freund kam den Wünschen nach und sagte dann zu der Frau: "Nun aber geh zu deinem Manne, der sicher schon wie ein wildes Tier auf seine Beute wartet, und überlasse nun ihm den weiteren Lämmerraub!" Damit trennten sie sich, und die Frau ging in das Zelt und nahm ihrem Manne alles ab, was er an diesem Tage abzugeben hatte. Der Ehemann sagte aber bei dem ersten Eintritt in das gastliche Tor seiner Gattin bei sich: "Wahrhaftig, mein Freund hat die Gelegenheit ergiebig ausgenützt und meiner Frau fleißig Lehren erteilt. Wenn es aber helfen sollte, mag es mir recht sein."

Der Ehemann zog mit Freund und Weib in die Stadt ein und ließ sich in einem angesehenen Hause bei einem freundlichen Manne nieder. Während er nun mit seiner Frau die Einrichtungen traf, setzte sich der Freund mit dem freundlichen Hausherrn und andern angesehenen Männern in einem Kaffeehaus nieder, und da er von früheren Reisen mit den Eingeborenen der Stadt schon bekannt war, so fragten diese ihn nach dem ihnen noch unbekannten Ehemann aus. Darauf sagte der Freund: "Dieser Mann ist sehr bedauernswürdig, denn er hat in jeder Stadt, in die er mit seiner Frau kommt, große Schwierigkeiten. Diese schöne Frau hat nämlich die Leidenschaft, alle Männer zu sich auf das Lager zu ziehen,



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ihnen aber nachher mit einer Schere das männliche Glied abzuschneiden. Da nun die Frau außerordentlich verführerisch ist und die Männer durch sie immer sehr eingenommen sind, so hat der Mann in jeder Stadt immer nach einem schweren Streit Abschied nehmen müssen und überall eine Reihe entmannter Jünglinge zurückgelassen." Diese Erzählung machte auf die Leute großen Eindruck. Man plauderte noch lange, und dann nahm man Abschied.

Der Freund verabschiedete sich am andern Tage vom Ehemann und sagte: "Ich würde unehrlich handeln, wenn ich noch länger bei dir und in der Nähe deiner Frau bliebe. Ich reise ab. Vergiß die kalten Sitzbäder nicht und glaube mir, daß in Zukunft alles einen guten Weg gehen wird."

Die Frau blickte nun alle Tage nach den Männern der Stadt, die ihr schön gewachsen und kräftig und sehr begehrenswert erschienen. Sie dachte bei sich: "Diese Sache mit den doppelten Eisengliedern ist sehr merkwürdig." Die Männer der Stadt sahen überall der fremden Frau nach, bewunderten ihre Schönheit und sagten bei sich: "Diese Leidenschaft der Scherenanwendung ist sehr merkwürdig." Am meisten brannte aber der freundliche Mann, in dessen Haus der Ehemann abgestiegen war, darauf, dieser schönen Frau einmal beizuliegen, und da er ihren Winken der nächste, sie außerdem in der Handhabung der Winke und Zeichen sehr geschickt war, so verabredeten sie eine geheime Zusammenkunft auf ihrem Lager für eine Stunde, in der der Ehemann in der Stadt zu tun hatte. Nun dachte der freundliche Mann bei sich: "Es wird gut sein, wenn ich mich gegen die Angriffe mit der Schere mit einem Messer bewaffne." Er versteckte also unter seinem Kleid ein Messer, kam herüber und legte sich neben die schöne Frau auf das Angareb. Die schöne Frau aber dachte: "Es scheint mir sicherer zu untersuchen, ob nicht doch etwas Wahres an der Geschichte mit den beiden Eisengliedern ist." Als der Mann sich ihr also auf dem Angareb näherte, strich sie möglichst vorsichtig unter seinen Kleidern entlang. Sie war schon ziemlich nahe bis an den Gegenstand ihrer Sehnsucht und Untersuchung gekommen, da stießen ihre silbernen Ringe gegen den Dolch, den der freundliche und vorsichtige Mann unter dem Kleide trug. Unwillkürlich berührte sie nun auch mit der Hand die Klinge des Messers und ritzte die Hand auf.

Als der Mann das Klappern der Ringe hörte, schrie er auf. Als die Frau den Dolch berührte, schrie sie auf. Die Frau sprang entsetzt



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in den Winkel des Zimmers und zitterte. Der Mann raffte sein Kleid zusammen und rannte von dannen. Die Frau sah das Blut über ihre Hand rinnen und sagte bei sich: "Welcher Gefahr habe ich mich ausgesetzt! Es ist also doch wahr! Wie schrecklich, wenn die harten Eisenglieder dieses Mannes das zarte Erdreich meines Freudengartens aufgerissen hätten! Die Männer dieser Stadt sind fürchterlich!"

Bald darauf kam ihr Mann nach Hause und sagte: "So, meine Gattin, nun nimm einmal ein Bad in dem herrlichen Wasser dieser Stadt."

Abends kam der freundliche Mann in das Kaffeehaus. Er saß verstört unter den Männern und sah nicht freundlich aus. Die andern Männer sahen ihn. Sie rückten näher. Ein älterer Mann sagte endlich: "Sprich dich aus, Freund. Du bist so erschöpft! Was ist geschehen? Ist er abgeschnitten?" Der freundliche Mann sagte: "Nein, es ist nicht dazu gekommen. Die Schere klapperte. Da merkte ich es und sprang noch im letzten Augenblick weg!"


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