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Kapitel 

MÄRCHEN AUS KORDOFAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1923

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE MIT EINER KARTE


17. Der Faris*

Ein Melik (hier ursprünglich ältere Bezeichnung für König; entspricht dem bei den Nilvölkern üblichen Mek und endet in dem abessinischen Menelik, ist heute aber dem in der Volkssprache eingebürgerten Ausdruck Sultan gewichen) war alt, sehr alt geworden. Er hatte keinen Sohn, der sein Nachfolger hätte werden können, und darüber war er sehr traurig und weinte sogar. Nachdem er sich nun eines Tages wieder sehr abgehärmt hatte, erschien ihm nachts Aïssa (hier mit Gott übersetzt) im Traum und sagte zu ihm: "Du wirst einen Sohn erhalten. Er wird ein starker Mann sein, und wenn er geboren sein wird, nenne ihn Ebaeid-aissa (= Gottes oder Issas, d. h. Jesus Sohn)." Der alte König wachte am andern Morgen auf, und ein Sklave trat zu ihm und teilte ihm mit, daß seine Gattin sich schwanger fühle. So wurde denn dem Melik ein Sohn geboren, wenn er auch schon sehr alt war. Man nannte ihn Ebaeid-aissa.

Ebaeid-aissa wuchs heran und wurde ein sehr starker Mann. Er wurde ein großer und schöner Jüngling. Eines Tages ging er über den Markt und sah beim Aischhandel zu; da hörte er die Leute untereinander sagen: "Es gibt kein schöneres Mädchen als die Tochter El-arabi (Tochter des Arabers)." Alle Leute sagten: "Es gibt kein schöneres Mädchen, als die Tochter El-arabi." Darauf sagte sich Ebaeid-aissa: "Wenn dies das schönste Mädchen des Landes ist, dann ist es meine passende Gattin."

Nun ging Ebaeid-aissa zu seinem Vater und sagte: "Mein Vater, ich möchte diese Tochter des El-arabi, die das schönste Mädchen der Stadt sein soll, sehen und heiraten." Der Melik sagte: "Mein Sohn, vergiß nicht, daß ich der reiche Melik der Stadt (Stadt =badia) bin, daß diese aber einem armen Buschvolk ohne Wohnung entstammt. Du kannst aber angesehene und schöne Mädchen der Stadt haben, so viele du willst." Ebaeid-aissa sagte: "Mein Vater, ich bitte dich, erlaube mir, die Tochter des El-arabi zu sehen." Dann ritt Ebaeid-aissa hinaus in den Busch zu den Zelten und sah das Lager und die Zelte. Und er sah das Mädchen. Die Tochter des El-arabi war sehr schön. Sie sah Ebaeid-aissa und sagte bei sich: "Dieser Fans ist schöner als irgendein Mann, den ich früher sah!" Als El-arabi aber hörte, daß der Sohn des Melik im Lager gewesen sei und den Wunsch habe, seine Tochter zu heiraten, erschrak er, brach das Lager ab und eilte mit seinen Leuten von dannen.



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Als der Melik nun nach der Rückkehr seines Sohnes in die Ehe einwilligte und alle Vornehmen zur Hochzeit zusammen waren, wartete man vergeblich auf El-arabis Tochter. Die ausgesandten Leute kamen zurück und sagten, daß die Araber und mit ihnen das schöne Mädchen sehr weit weggezogen wären, so weit, daß sie sie nicht mehr erreicht hätten.

Nun wurde Ebaeid-aissa sehr traurig und sagte endlich: "Ich habe die Tochter El-arabis gesehen und ich will sie heiraten. Ich will sie suchen, ich will ihr folgen und will ihr nachreiten, bis ich sie erreiche." Ebaeid-aissa ging zum Melik und sagte: "Mein Vater, ich will wegreiten und die Tochter El-arabis suchen." Der König sagte: "Mein Sohn, laß mich meine Leute senden. Meine Leute werden sie suchen und finden." Ebaeid-aissa sagte: "Nein, mein Vater, laß mich selbst reiten!" Danach sattelte der Königssohn sein Pferd, bestieg es und ritt von dannen.

Ebaeid-aissa ritt auf seinem Djauwad (Pferd) weit in die Wüste hinein. Der Königssohn ritt den ganzen Tag bis zum späten Abend. Dann hatte er Durst und war müde. Er überlegte, wie er den nächsten Tag wohl ohne Wasser noch weiterkommen könne; da sah er einen gefüllten Wassersack an einem dürren Ast hängen, den hatte die Tochter des El-arabi für ihn hingehängt. Nun stieg Ebaeidaissa ab und gab seinem Pferde zu trinken, und er trank auch und stärkte sich durch Schlaf. Am andern Tag ritt er weiter, und als es spät abends war, kam er wieder an einen Wassersack, und so ging es weiter - sechs Tage lang.

Am siebenten Tage ritt der Königssohn weiter, er verirrte sich, und so kam es, daß er bis in die Nacht hinein ritt, ohne den Wassersack der Tochter El-arabis zu finden. Als es Nacht und schon sehr dunkel war, kam er an ein mächtiges Gasr (Schloß), das hatte einen riesigen Turm und war verschlossen durch ein mächtiges Tor aus Eisen. Dieses Eisentor war so schwer, daß vierzig gewöhnliche Männer es nicht bewegen konnten. In dem Schloß wohnten aber sieben Brüder, die waren weit stärker als andere Männer, und sie waren imstande, gemeinsam das Tor zu öffnen und zu schließen.

Ebaeid-aissa kam nachts an dieses Tor. Er stieg vom Pferd und schob es zurück. Er war so stark, daß er allein das vermochte, was die sieben ungewöhnlich starken Männer sonst nur gemeinsam konnten. Danach trat der Königssohn ein, band sein Pferd dort an, wo er die sieben Pferde der sieben Brüder fand, und als er dann in das nächste Haus kam und dort die sieben Brüder schlafend am



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Boden liegen sah, legte er sich neben sie. Er schlief, da er sehr müde war, sogleich ein.

Von dem Geräusche erwachte einer der sieben Brüder. Er stand auf und sah über die Brüder hin. Da sah er, daß neben ihm noch sieben Männer schliefen. Der Mann sagte bei sich: "Wir sind doch sieben Brüder, und nun liegen hier neben mir sieben Männer, so daß wir mit mir acht Brüder wären. Das ist nicht in Ordnung." Der Mann weckte seine Brüder. Die Brüder sahen den fremden Fans. Ein Bruder sagte: "Wir wollen den fremden Mann töten." Ein anderer Bruder sagte: "Weshalb willst du ihn töten? Er ist so stark, daß er allein das große Tor geöffnet hat und uns doch nichts tat. Weshalb wollen wir ihm nun etwas zuleide tun? Wir wollen unserer Mutter lieber sagen, daß sie zum Morgen für einen Freund mehr Essen bereite."

Die Brüder gingen hinaus. Sie sagten zur Mutter: "Wir sieben Brüder genießen jeden Morgen sieben Lämmer und sieben Töpfe Merissa. Nur dadurch erhalten wir unsere Kraft. Nun ist diese Nacht ein Freund zu uns gekommen, der auch ein Fans ist. Bereite also zum Frühstück acht Lämmer und acht Töpfe Merissa." Das sagten die Brüder zu der Mutter. Dann trieben sie ihre Herden hinaus. Als das Essen aber bereit war, sandte die Alte ihre Tochter, die Schwester der sieben Brüder, auf den höchsten Turm, daß sie mit dem Garran (Blashorn) zum Essen rufe. Die Tochter stieg auf den Turm und blies auf dem Garran. Davon erwachte Ebaeid-aissa und erhob sich. Die sieben Brüder kamen aber heim und schüttelten dem Fans die Hand und begrüßten ihn. Die Männer gingen alsdann zum Essen. Jeder der sieben Brüder verzehrte sein Lamm und trank seinen Topf Merissa. Ebaeid-aissa aber aß nur wenig. Darüber erstaunten die Brüder und sagten: "Wie kommst du nur mit so geringer Nahrung aus? Und dennoch bist du stärker als wir. Denn nur wenn jeder von uns alltäglich sein Lamm ißt und seinen Topf Merissa trinkt, können wir gemeinsam die schwere Eisentür öffnen und schließen. Du aber genießt fast nichts und kannst doch die schwere Eisentür allein handhaben." Der Fans sagte: "Es ist so. Ich brauche nicht mehr Nahrung."

Ebaeid-aissa blieb bei den sieben Brüdern drei Monate lang. Während all der Zeit sagte er nicht, was ihn hierher führe und was er suche. Es war aber in der Nähe der Melik der Djehud (König der Juden) wohnhaft, dem mußten die sieben Brüder jedes Jahr



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Abgaben zahlen. Die Brüder hatten alljährlich diese Bedingung erfüllt und hatten dem Melik gegeben, was er verlangte. In diesem Jahre aber hatten die Brüder nichts, was sie dem Melik hätten geben können. Die sieben Brüder sagten: "Was sollen wir denn geben? Wir haben nichts!" Die sieben Brüder sagten: "Wir wollen nun das Eisentor schließen und niemand hereinlassen. Unsere Schwester soll mit dem Garran auf den Turm steigen und sie soll blasen, wenn sich ein Feind zeigt." Und die sieben Brüder sagten zu Ebaeidaissa: "Steig doch mit unserer Schwester auf den Turm des Gasr. Schau mit ihr um, ob der Melik nicht seine Leute sendet. Und wenn sie kommen, dann sorge, daß unsere Schwester das Garran blase, so daß wir unsere Herden ins Gasr treiben und das eiserne Tor schließen können." Der Fans sagte: "Ich werde mit eurer Schwester vom Turm aus das Land übersehen."

Ebaeid-aissa stieg mit dem Mädchen auf den Turm. Die sieben Brüder zogen mit ihren Herden fort. Der Fans blickte mit der Schwester über das Land hin. In weiter Ferne sah man eine Staubwolke. Omo-chaijan (die Schwester der sieben Brüder) sagte zu Ebaeid-aissa: "Dort kommen die Leute des Melik, die von den Brüdern die Abgabe erheben wollen. Ich will sogleich den Garran blasen." Der Fans schliff gerade sein Saef (Schwert) mit dem Schleifstein (=Missann[e] oder Hadjr Miessaenn). Der Fans sah auf und sagte: "Warte!" Der Fans prüfte sein Schwert, ob es scharf sei. Omo-chaijan sagte: "Ich werde blasen, denn die Leute des Melik kommen näher." Der Fans sagte: "Wenn du das Garran bläst, werde ich dich totschlagen." Dann nahm der Fans dem Mädchen das Blashorn fort.

Der Fans stieg vom Turm herab. Er sattelte sein Pferd und ritt den Leuten des Melik entgegen. Der Fans ritt mit gezogenem Schwert auf die Leute des Melik zu und griff sie an. Die Leute des Melik wollten sich wehren. Sie sahen, daß der Fans stärker war, als sie alle. Die Leute des Melik wollten fliehen. Aber der Fans tötete sie bis auf zwei, die verwundete er, schnitt ihnen Ohr und Nase ab, setzte sie dann wieder auf ihre Pferde und sagte: "Nun reitet zurück zu eurem Melik und sagt ihm, daß er in diesem Jahre keine Abgabe erhalten könne, weil ich, Ebaeid-aissa, es nicht will." Die beiden Verwundeten kehrten zurück, und der Fans ritt auch wieder in das Schloß.

Als die Verwundeten zu ihrem Melik zurückkamen, war der sehr zornig und sandte am andern Tage einen zweiten Trupp von Leuten;



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der war stärker und zahlreicher. Aber der Fans kam ihnen wieder entgegen, und es erging ihnen nicht anders als den ersten. Der Fans sandte wieder die beiden übriggebliebenen Verwundeten zurück und ließ wieder sagen, daß der Melik in diesem Jahre keine Abgabe erhalten würde, weil er, Ebaeid-aissa, es nicht wolle! Ganz ebenso verfuhr der Fans mit einer dritten Abordnung des Melik, so daß der König nicht wußte, was er gegen den fremden Fans noch ausführen könne, um ihn in seine Gewalt zu bekommen. Der Melik hatte aber eine Tochter, das war eine Sahara, denn sie hatte Macht über die Aldjann. Sie war sehr schön und hieß Chadjidja. Chadjidja hörte, was sich ereignet hatte, und sie war neugierig, den fremden Fans kennen zu lernen. Sie ging also zu ihrem Vater, dem Melik der Djehud und sagte: "Mein Vater, ich will mit der Kraft, die mir verliehen ist, den Ebaeid-aissa fangen und hierher bringen."

Chadjidja machte sich also auf den Weg. Sie ritt zu dem Gasr der Brüder. Als sie nahe war, kam ihr der Fans entgegen um zu sehen, wer nun wieder mit ihm kämpfen wolle. Chadjidja verfuhr aber nach der Art der Sahara. Sie schrieb etwas auf einen Zettel und rief damit die ihr dienstbaren Aldjann herbei. Sie sagte den Aldjann, sie sollten den Fans mit Blindheit schlagen und ihn binden. Sie machte ihr Sachr (das ist die verzaubernde Bewegung der Hand). Sie nahm dann den geblendeten und gefangenen Fans auf ihr Gasr. Dort gab sie dem Fans das Augenlicht und die Freiheit wieder.

Chadjidja, die Tochter des Melik der Djehud, sah aber, daß der Fans sehr schön war, und sie sagte zu ihm: "Ebaeid-aissa, ich will dich nicht meinem Vater übergeben. Mein Vater würde dich töten. Bist du bereit, mich zu heiraten, so will ich mit dir hingehen, wohin du willst." Der Fans sagte: "Ich will dich heiraten; aber mit dir schlafen will ich noch nicht." Chadjidja sagte: "Dieses soll dein Wille sein. Wir wollen alles halten, wie du es willst." Und als es Nacht war, ging Chadjidja mit Ebaeid-aissa herab, und sie banden im Hofe zwei sehr schöne Pferde ab. Damit kehrten sie auf dem alten Wege zu dem Schlosse der sieben Brüder zurück.

Die sieben Brüder hatten auf den Fans gewartet. Sie waren hinausgeritten. Sie hatten alle die toten Leute gefunden, die der Fans in den ersten drei Kampftagen getötet hatte. Sie suchten nach Ebaeid-aissa und konnten ihn nicht finden. Sie sagten: "Unser Bruder ist getötet und fortgebracht. Er ist nicht mehr lebend." Der Fans kam aber mit Chadjidja, der Tochter des Königs der Juden. Die Schwester der sieben Brüder stand auf dem Turm, und als sie



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die Reiter kommen sah, blies sie das Garran. Darauf ritten die sieben Brüder den Ankommenden entgegen. Sie hatten die Schwerter gezogen und glaubten, es kämen neue Boten von dem Melik der Djehud, um die Abgaben einzuziehen. Mit den Boten wollten sie kämpfen.

Als sie aber ganz nahe zu dem Fans herangekommen waren, erkannten sie ihn und riefen: "Das ist Ebaeid-aissa. Das ist unser Bruder." Ihre Freude war groß, und sie hießen ihre Mutter Lämmer schlachten und Merissa brauen, und sie feierten die Hochzeit des Fans mit der Tochter des Judenkönigs. Sie dankten dem Fans für alles, was er für sie getan hatte und sagten zu ihm: "Du bist nun unser wahrer Bruder (Ausdruck innigster Freundschaft). Du sollst nicht wieder fortgehen." Sie bauten für Ebaeid-aissa ein schönes Haus, daß der Fans mit seiner Frau, der Tochter des Königs der Juden, darin wohne.

Ebaeid-aissa rührte aber Chadjidja, seine Gattin, nicht an. Jeden Abend, wenn er sich zu ihr auf das Angareb legte, zog er das Schwert heraus und legte es zwischen sich und seine Frau. Chaddjidja war aber eine Sahara (das ist ein prophetisch angelegtes Weib, das etwa einem Kudjur entspricht und alle Dinge durchschauen kann), und sie wußte, was den Fans bewegte. Chadjidja stand eines Tages mit der Schwester der sieben Brüder auf dem hohen Turm des Schlosses und sagte zu dem Mädchen: "Ich weiß, weshalb mein Mann mich nicht anrührt und weshalb er an jedem Abend das Schwert zwischen mich und sich legt. Ebaeid-aissa hat seinen Vater verlassen und ist fortgeritten, um die schöne Tochter des Elarabi (Arabers) zu freien und zur Gattin zu gewinnen. Ehe er nicht dies schöne Mädchen zur Gattin gewonnen hat, wird er mich nicht anrühren. Sieh nun von hier aus in jene Richtung. Der Turm, auf dem wir stehen, ist so hoch, daß wir weit über das Land sehen können. Dort drüben kannst du in weiter Ferne ein Feuer sehen. Das ist das Feuer der Leute El-arabis. Dort ist das schöne Mädchen, und in zwei Tagen wird das Mädchen von ihrem Vater mit ihrem Vetter verheiratet werden."

Der Fans stand unten im Turm und hörte alles. Er ging dahin, wo sein Pferd stand. Er legte seine Waffen an und nahm einen Beutel mit Gold. Er ritt in der Richtung auf das Feuer zu, denn alles andere war ihm gleichgültig, wenn er nur zu der schönen Tochter des El-arabi kam. Der Fans ritt so schnell er konnte. Der



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Fans kam im Lager des Arabers an dem Abend an, als die Hochzeit gefeiert wurde. Der Fans näherte sich vorsichtig der Lagerhecke und band sein Pferd an einen Ast an.

Der Fans blickte über die Hecke in das Lager. Er sah eine Adjura (eine alte Frau) vorübergehen. Er rief die alte Frau an. Die alte Frau erschrak erst; der Fans schüttelte aber mit dem gefüllten Goldbeutel. Als die Adjura das hörte, kam sie näher heran. Die alte Frau sagte: "Was willst du?" Der Fans sagte: "Du kennst mich nicht mehr? Weißt du nicht, daß einmal der Sohn eines Melik bei euch im Lager war, der um die schöne Tochter El-arabis freite?" Die alte Frau sagte: "Ich weiß es. El-arabi ist dann fortgezogen, bis er hierherkam." Der Fans sagte: "Der Sohn des Melik bin ich. Kennst du mich jetzt?"

Die alte Frau kam heran. Sie sagte: "Ja, jetzt sehe ich es. Du bist der Sohn des Melik. Was willst du von mir? Weshalb schüttelst du den Beutel mit Gold?" Ebaeid-aissa sagte: "Wenn du es machen könntest, daß das schöne Mädchen hier allein vorbeikommt, so würde ich dir dies Gold schenken." Die alte Frau sagte: "Warte ein wenig, ich werde sogleich sehen, was ich tun kann. Die jungen Mädchen sind alle beim Tanz, denn die Tochter El-arabis soll heute heiraten und nachher dem Zelte ihres zukünftigen Mannes zugeführt werden. Warte aber ein wenig. Ich werde bald wiederkommen."

Die Mädchen des Arabers tanzten der schönen Tochter El-arabis zu Ehren, die heute heiraten sollte. Das schöne Mädchen tanzte mit. Die alte Frau kam heran. Die Mädchen hörten mit dem Tanze auf, denn sie wollten jetzt das junge Mädchen zum Zelte ihres Mannes bringen. Die alte Frau sagte: "Es ist nicht gut, wenn das junge Mädchen gleich in das Zelt ihres zukünftigen Mannes kommt. Es ist besser, wenn das Mädchen erst als Sibr (=Opfer, Darbringung, Weihe oder so) mit mir einmal um die Lagerhecke geht. Dann wird sie ausgezeichnete Kinder haben." Die Mädchen sagten: "Du bist eine Adjura (alte Frau). Du mußt es wissen. Bringe die Braut nur bald wieder zurück!" Die Braut sagte: "Du, alte Frau, tue, was gut für mich ist. Den Mann, den ich liebe, werde ich doch nicht heiraten können."

Die alte Frau ging mit dem schönen Mädchen weg. Sie führte das schöne Mädchen zur Dornenhecke aus dem Lager. Die alte Frau sagte: "Den Mann, den du liebst, wirst du doch noch heiraten können." Das schöne Mädchen ging schneller und sagte: "Glaubst



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du das?" Die Alte lief keuchend neben dem schönen Mädchen her und sagte: "Lauf nicht gar so schnell. Ich weiß aber, daß du den Mann, den du liebst, heiraten wirst. Lauf nicht so schnell; ich muß mit dir um die Hecke bis zu der Ecke dort gehen."

Die alte Frau lief neben dem schönen Mädchen an der Dornenhecke hin bis zu der Ecke. Als der Fans sie kommen sah, sprang er auf das Pferd. Der Fans sagte: "Schönes Mädchen El-arabis; ich bin es! Ich, Ebaeid-aissa!" Der Fans warf der Alten den Beutel mit Gold zu. Dann hob er das Mädchen auf sein Pferd und ritt mit ihr fort in der Richtung auf das Gasr der sieben Brüder. Er ritt sehr schnell. Ehe die Araber den Verlust des schönen Mädchens bemerkten, war der Fans schon weit fort. Der Fans kam glücklich im Schlosse der sieben Brüder an. Die sieben Brüder begrüßten ihn mit herzlichen Zurufen. Die sieben Brüder veranstalteten ein großes Hochzeitsfest.

Nachdem Ebaeid-aissa so die zwei Frauen geheiratet hatte, sagte er eines Tages zu den sieben Brüdern: "Ich habe nun die schöne Tochter El-arabis gewonnen, deretwegen ich das Haus meines Vaters verlassen habe, und außerdem habe ich noch Chadjidja, die Tochter des Königs der Juden, geheiratet. So will ich denn nun zu meinem Vater, der ein alter Mann ist, zurückkehren und werde ihm die Bürde des Königstums abnehmen." Die sieben Brüder waren sehr betrübt darüber, daß der Fans sie verlassen wollte. Sie gaben seinem Drängen aber nach und bereiteten alles zur Abreise vor.

Die zwei Frauen wurden jede auf ein Kamel gehoben, der Fans bestieg sein Pferd, und die sieben Brüder begleiteten Ebaeid-aissa ein gutes Stück weit, bis sie nämlich dahin kamen, wo der Weg sich teilte und ein Arm zur einen, der andere zur andern Seite durch die Wüste hinauslief. Die sieben Brüder sagten: "Hier wollen wir sieben Brüder von dir Abschied nehmen und zu unserem Schlosse zurückkehren. Merke aber auf, teurer Bruder, daß der Weg sich hier trennt. Dieser Wegarm führt in das Land eines sehr schlimmen Gui. Du mußt den andern Weg reiten." Damit nahmen die sieben Brüder Abschied und kehrten zurück.

Ebaeid-aissa setzte seinen Weg fort. Er ritt aber nicht den Weg, den die sieben Brüder ihm als den guten bezeichnet hatten, sondern er ritt mit den beiden schönen Frauen hinter sich auf den Kamelen auf das Land des Gui zu. Bald kam er auch in die Nähe des Schlosses des Gui, der gerade herausschaute. Als der Gul den



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Weg hinsah, erkannte er, daß zuerst ein Mann auf einem Pferd, hinter ihm aber auf Kamelen zwei sehr schöne Frauen kamen. Der Gui sagte also bei sich: "Diese beiden schönen Frauen kommen mir gerade zurecht. Ich werde also den Mann beiseitebringen und die zwei schönen Frauen zu mir nehmen."

Der Gui stand also auf und ging hinab und auf der Straße hin dem Fans entgegen.

Der Gui sagte: "Mein Freund, es scheint mir, als ob du ein Fans seiest. Ich schätze aber den Kampf. Wir wollen miteinander ringen, wollen uns aber nicht töten. Wer den andern überwindet, kann den Überwundenen zum Sklaven nehmen." Der Fans sagte: "Es ist mir recht." Sie packten einander an, und gleich darauf warf der Fans den Gui so hart gegen den Felsboden, daß es dröhnte. Der Gui erhob sich. Ebaeid-aissa sagte: "Nun bist du mein Sklave!" Der Gui sagte: "Nicht doch, wir wollen noch einmal ringen. Wer den andern wirft, dem gehört all das Besitztum des Geworfenen, eingeschlossen seine Frauen." Der Fans sagte: "Es ist mir recht!"

Sie packten sich wieder an. Der Gui faßte aber hinterrücks den Fans am Fuß und brachte ihn so zu Falle. Der Gui sagte: "Nun bist du mitsamt deinen Weibern mein Eigentum." Ebaeid-aissa sprang aber wieder auf und sagte: "Nicht doch! Jetzt wollen wir noch einmal miteinander ringen. Diesmal soll aber der Sieger den Geworfenen töten." Der Gui wollte dagegen sprechen. Der Fans aber sagte: "Eile dich! Ich will nicht soviel Zeit verlieren!" Dann packte Ebaeid-aissa den Gui und warf ihn so hart auf die Erde, daß der Felsen unter seinem aufstürzenden Falle barst. Der Fans sagte: "So, nun will ich dich töten!" Und er rief seinen Frauen zu: "Gebt mir ein Messer her, daß ich dem Gui die Kehle durchschneide."

Der Gui sah nun, daß der Weg hier ein Ende nehmen wollte und schrie laut: "Nicht doch! Nicht doch! Laß mich am Leben, ich habe eine schöne Tochter, die will ich dir zur Frau geben. Laß mich am Leben." Der Fans sagte: "Ich habe schon zwei Frauen, ich denke, ich töte dich lieber!" Der Gui jammerte aber, schrie und sagte: "Nein, Fans, so warte doch nur, bis du meine Tochter Luli gesehen hast." Und der Gui schrie, was er konnte: "Luli! Luli! Luli!" Als die schöne Tochter des Gui hörte, daß ihr Vater so jämmerlich schrie, antwortete sie vom Schloß herab: "Ich komme, mein Vater! Ich komme!"

Dann eilte Luli herab auf die Straße. Als Luli ihren Vater am Boden liegen und den Fans auf ihm knien sah, schrie sie auf und



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warf sich vor Ebaeid-aissa nieder und sprach: "O Fans, ich bitte dich! Schone meinen Vater!" Und Luli rutschte auf den Knien zu den Kamelen und flehte die Frauen an und schrie und weinte und bat: "Ihr schönen Frauen, bittet doch diesen Fans, daß er meinen Vater am Leben lasse!" Darauf baten die beiden Frauen Ebaeid-aissa, den Vorschlag des Gui anzunehmen und dessen Leben gegen die schöne Tochter auszutauschen.

So schenkte Ebaeid-aissa dem Gui das Leben, und dieser beeilte sich, dem Helden eine herrliche Hochzeit zu veranstalten. So erwarb denn der Fans sein drittes Weib, und nachdem er einige Tage bei dem Gui verbracht hatte, zeigte dieser selbst ihm den Weg in die Heimat. Er nahm also von seinem Schwiegervater Abschied und ritt an der Spitze der drei Frauen der Stadt zu, in der sein Vater König war.

Nachdem der Fans vierzehn Tage weit gereist war, kam er an den Feldern an, die die Stadt seines Vaters umgaben. Da baute er eine Rekuba im Busch und sagte zu seinen drei Frauen: "Ich werde zu meinem Vater in die Stadt gehen und ihn begrüßen. Ich komme bald wieder und hole euch dann ab. Ich bitte dich, Chadjidja, aber dafür Sorge zu tragen, daß euch nichts widerfährt." Danach machte der Fans sich auf den Weg zu seinem Vater. Als er in die Stadt kam, sahen ihn die Leute. Die Leute blieben auf der Straße stehen und sagten: "Ist das nicht Ebaeid-aissa, der Sohn des Melik, der vor langer Zeit auf Reisen ging, um eine schöne Araberin zu freien?" Und das Volk drängte ihm nach zu dem Palast.

Ehe noch der Fans im Palaste ankam, liefen die Vornehmen voraus und schrien dem Türhüter zu: "Sagt dem Melik, daß sein Sohn wiedergekehrt ist!" Alles Volk versammelte sich rundum, und der alte Melik erhob sich von seinem Angareb und kam dem Fans entgegen. Der Fans aber überragte an Kopfeslänge alles umstehende Volk, und sein eiserner Helm blitzte weithin im Licht. Der Melik weinte Tränen der Freude über die Wiederkehr des Sohnes. Und als der Sohn dem Vater erzählt hatte, daß er drei schöne Frauen gewonnen hatte, die draußen in einer Rekuba auf ihn warteten, da drängte er ihn, doch schnell zurückzureiten und seine drei Frauen zu holen.



***
Während nun in der Stadt Ebaeid-aissa den Vater begrüßte, kam draußen im Busch ein Araber bei der Rekuba vorbei, in der der Fans seine Frauen zurückgelassen hatte. Der Araber sah zwei



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der Frauen und eilte zum Schech aller Araber, der in der Nähe weilte, und sagte: "In dem Busch ist eine Rekuba mit schönen Frauen, die hat ein fremder Fans gewonnen, der in die Stadt gegangen ist. Unter den Frauen ist aber eine schöne Araberin." Als der Schech der Araber das hörte, sagte er: "Daß ein fremder Mann eine Araberin zur Frau gewonnen hat, ist eine Schande. Geht hin und bringt mir die Frau. Drei von euch sollen aber am Wege im Busch mit Lanzen auf die Rückkehr des Fans warten und sollen ihm dann die Lanzen in den Leib stoßen und ihn töten."

Die Araber überfielen die Rekuba, noch ehe der Fans aus der Stadt zurückkam. Chadjidja bemerkte es beizeiten und verwandelte sich in eine alte Frau. Als die Räuber der Weiber kamen, sagte Chadjidja: "Ich bin die alte Wärterin dieser Frauen. Ich will sagen, wann der Zeitpunkt für den Schech gekommen ist, diese schönen Weiber auf sein Angareb zu nehmen, ohne daß es dem Schech Schaden bringt." Darauf fürchteten die Araber die Adjura (die Alte) und ließen ihretwegen die jungen Weiber unbehelligt. Der Schech sagte aber zu der Adjura: "Sage es mir nur beizeiten, wann die Zeit gut ist, daß ich diese schönen jungen Frauen mir zu eigen mache. Ich will dich dann auch beschenken." Die Adjura sagte: "Es ist recht; ich will es dir schon sagen, denn ich möchte gern Gold von dir verdienen." Darauf glaubte ihr der Schech.

Inzwischen kam der Fans nichts ahnend auf einem Esel den Weg zur Rekuba. Als er eben aus dem Busch reiten wollte, warfen ihm die drei Burschen ihre Speere in den Rücken, so daß er auf die Erde fiel und viel Blut hervorsprang. Die Burschen hielten ihn nun für tot, nahmen sein Schwert und liefen von dannen. Nach einiger Zeit kam aber ein Mann vorbei, der fand Ebaeid-aissa mit den drei Speeren im Rücken auf dem Wege. Da hob er ihn auf und brachte ihn in das nicht allzuweit liegende Gehöft einer Frau. Die Frau sah den Verwundeten, der in Ohnmacht lag und sagte: "Das ist Ebaeidaissa, der Sohn des Königs." Darauf entkleidete und verband sie ihn, und als der Fans wieder zu sich kam und sie bat, niemandem etwas zu sagen, daß er hier und noch lebend sei, da hielt sie das Versprechen und verschwieg es. Als also der Melik in der Gegend nach seinem Sohne forschen ließ und seine Leute nur den toten Esel, eine Blutlache und ein blutiges Kleidungsstück des Helden fanden, da glaubte er und alle Stadtleute nicht anders, als daß Ebaeid-aissa durch die wilden Tiere getötet worden sei.

Der Fans sandte aber seine alte Wärterin insgeheim zu dem



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Lager des Araberschechs und zu Chadjidja und ließ sie bitten, ihn wissen zu lassen, wann der Schech sich die Frauen aneignen wolle, vor allem ihm aber sein Schwert zu senden. Chadjidja sandte Ebaeid-aissa erst sein Schwert und dann die Nachricht: "Heute abend will der Schech deine jungen Frauen heiraten und deshalb für sie tanzen lassen." Als der Fans das hörte, steckte er das wiedergewonnene Schwert in das Unterkleid, so daß er es auf der Brust und den Griff handlich am Halse hatte, und hüllte sich dann in Weiberkleider. In den Weiberkleidern ging er hin in das Lager des Araberschechs, um den Weibern beizustehen.

Alle Weiber tanzten vor dem Schech, nur der Fans stand in Weiberkleidern am Kopfende des Angarebs des Schechs und tanzte nicht mit. Der Araberschech sagte: "Du, Mädchen oder Frau! Weshalb tanzt du nicht mit?" Der Fans sagte: "So will ich denn auch tanzen; keiner von euch Räubern und Mördern soll aber je den Tanz vergessen." Dann zog er das Schwert heraus. Er erschlug den Schech. Er warf die Weiberkleider ab und sprang unter die Burschen und Männer. Er tötete die, die ihn mit Lanzen getroffen und fast getötet hatten. Er tötete an dem Tage viele Araber, und wenige Männer entkamen dem Tode.

Dann aber nahm er seine drei Frauen mit sich und brachte sie in die Stadt zu seinem Vater. Der alte Melik war glücklich, daß der totgeglaubte Sohn nun doch noch lebte und setzte ihn ein zum Melik an seiner Statt.


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