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Kapitel 

Fünf Geschichten aus dem Westlichen Nordland


Mit einer Übersichtskarte


Übertr. von W. H. Vogt u. Frank Fischer

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1914


5. Thorstein söhnt sich in Gautland mit Zökuls Vater aus

Eines Tages sagte Thorstein zu seinem Vater er wolle nach Osten zum Jarl Ingimund reisen, wie er es Jökul versprochen habe. Ketil fand es nicht klug, seinen Feinden in die Hände zu laufen, und bat ihn, lieber zu Hause zu bleiben: — "Wenn der Jarl dich auch nicht zu Schaden bringen wollte, so könnte es doch sein, daß viele mit dir Händel suchten und



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dir bösen Sinn trügen." Thorstein entgegnete: "Was ich Jökul versprochen habe, das will ich halten; und wenn sie mir dort beide Beine brächen, so will ich doch reisen."

Da machte sich Thorstein fertig und ritt nach Gautland, und es traf sich, daß er eines Tages früh zum Hause des Zars kam. Der Jarl war auf Jagd geritten nach großer Herren Art. Thorstein trat in eine Trinkstube und setzte sich mit seinen Reisegenossen auf eine Bank. Da kam das Weib des Jarls in die Stube, erblickte die Ankömmlinge und sah, daß sie Aus- länder seien. Thorstein sagte, er sei ein Norweger: — "Ich habe aber eine geheime Botschaft an dich; wir wollen mit einander beiseite treten." Sie taten es.

Da sprach Thorstein: " Eine Kunde habe ich dir zu berichten, Jökuls Tod, deines Sohnes." Sie antwortete: "Schwer deucht sie mir, aber sie kommt mir nicht unerwartet wegen seines Tuns und bösen Treibens. Aber was führt dich dazu, diese traurige Nachricht zu bringen und eine so weite Reise zu machen:"

Thorstein erwiderte: "Großes swingt mich dazu. Ich habe es ihm bei unserem Scheiden in Treuen versprochen, zu euch zu reisen und euch die Wahrheit darüber zu erzählen, wie wir schieden. Daher darf ich es nicht verhehlen, daß ich sein Mörder wurde; es deuchte nämlich unseren Leuten unerträglich, unter seiner Hand zu sitzen, vor Totschlägen und Räubereien. Und doch, dir's aufrichtig zu sagen, —ich kam in seine Gewalt, und er hatte es in der Hand, mich zu töten, wenn er wollte. Aber er schenkte mir das Leben und legte mir auf, mit seiner Botschaft zu dir zu reisen, und du kannst es wohl sehen, daß ich es daheim besser hätte, als eure Gnade zu versuchen. Nun habe ich bier einen goldenen Ring; den, sagte er, werdet ihr wiedererkennen. Er bai mich, ihn zum Wahrzeichen zu tragen, damit du mir zur versöhnung mit dem Jarl verhelfest, so daß ich eure Tochter Thordis zur Gattin erhalte. Er hoffte auch, du würdest seine Botschaft, seinen letzten Willen, höher achten als meine Tat."

Vigdis wurde sehr rot und sprach: " Ein kühner Mann mußt du sein, und ich glaube, daß du die Wahrheit über euer Begegnen



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sagst, und wenn Jökul dir das Leben geschenkt hat; so sollte es mein Rat sein, das du es behaltest; denn man sieht es dir an, du bist ein Glücksmann. Wegen Jökuls Fürbitte will ich deine Sache vor den Jarl bringen; du aber verbirg dich zunächst."

Als der Jarl nach Hause kam, ging die Herrin zu ihm und sprach:"Eine Kunde habe ich dir zu sagen, die uns beide trifft." Der Jarl antwortete: "Du wirst mir den Tod meines Sohnes Jökul sagen." Sie sprach, so sei es.

Der Jarl sagte: "Er wird nicht an einer Krankheit gestorben sein.

Sie erwiderte: "Es ist wahr, er ist erschlagen worden. Aber vor seinem Tode hat er große Ritterlichkeit geübt: Er hat dem Manne das Leben geschenkt, der ihn schlug, und ihn hierher in unsere Gewalt geschickt mit echtem Wahrzeichen, daß du ihm Gnade gewährest und die Schuld verzeihest, wie groß sie auch sei. Es könnte dir auch eine Stütze in diesem Manne erstehen, wenn du seine Stellung durch verschwägerung, durch die vermählung mit deiner Tochter, stärktest nach Jökuls Wunsche. Er hai gehofft, du werdest seine teste Bitte ein wenig ehren. Du kannst auch sehen, wie treu dieser Mann seinem Eide gewesen ist; da er hierher ins Feindeshaus von seinen Gütern uns in die Hände gezogen ist. Nun hoffe ich, du wirst um meiner Fürsprache und deines Sohnes Botschaft willen tun, was ich dich bitte. Und hier schau das Wahrzeichen!" Da zeigte sie ihm den goldenen Ring.

Der Jarl brauste zornig auf und rief: "Viel hast du geredet und sehr kühn, daß ich dem Manne Ehre antun solle, der meinen Sohn erschlagen hat. Der hätte eher den Tod verdient, aber nicht freundliche Gabe."

Die Herrin sprach: "Darauf ist zu sehen, Herr, was es heißt, das Wort Jökuls zu ehren und des Mannes Rechtschaffenheit, daß er sich in deine Gewalt begeben hat. Dann auch dein hohes Alter, daß du eines vogtes bedarfst; und der Mann taugte dazu wohl. Wenn ihm nun Jökul das Leben geschenkt hat, wo er doch volle Gewalt über ihn hatte, und dieser Mann, so



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häßlich sein Anschlag auch war, sein Glück bei ihm gefunden hat, -so dürfen auch wir diesen Sieg oder das Glück dieses Mannes und unseres Sohnes ritterlichen Entscheid nicht zunichte machen. Und das ist ein großer Sieg, sil handeln, wie es Jökul getan hat, dem Manne das Leben zu schenken, der uns solches angetan hat; die größte Schmach aber ist es, ihm Böses zu tun, da er sich in unsere Gnade be- geben hat."

Der Jarl sprach: "Mächtig verteidigst du diesen Mann- er hat dir sehr gefallen. Gewiß, ich will ihn sehen und er- wägen, was ich mir von ihm versprechen kann. Es wird für ihn viel darauf ankommen, wie er vor meinen Augen be- steht."

Da wurde Thorstein vorgeführt und blieb vor dem Jarl stehen Die Herrin hatte es aber so eingerichtet, daß sein grimmigster Zorn schon verraucht war.

Thorstein sprach: "Ich bin nun ganz und gar in Eurer Hand, Herr Jarl. Es ist Euch kund, welche Botschaft ich hierher gebracht habe Ich will Euch auch bitten, ver- gleich zu nehmen; aber ich bin nicht bekümmert darum, was Ihr beschließt. Es ist ja auch Häuptlingssitte, denen das Leben zu schenken, die sich freiwillig in ihre Gewalt begeben."

Der Jarl sprach: "Du gefällst mir so, daß ich dir das Leben schenken will. Es wäre auch die beste Sohnesbuße, wenn du an meines Sohnes Statt trätest, wenn du bei mir blei- ben willst; denn das Zeichen des Glückes ruht auf dir. Auch ist es nicht edel, den zu verunglimpfen, der sich selbst aug- liefert."

Thorstein dankte dem Jarl für sein Leben und weilte eine Zeit- lang da, und die Männer lernten sich kennen.

Der Jarl merkte bald, daß Thorstein ein verständiger Mann war und ausgezeichnet in jeder Beziehung. Einstmals sagte Thorstein zu ihm: "Ich möchte jetzt wissen, wie es um die Verschwägerung mit Euch steht, Herr." Der Jarl antwortete:"Ich will sie nicht versagen, denn )ie könnte unserem Geschlechte Stück bringen; aber ich will, daß du bei uns bleibst." Thor-



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stein sprach: "Dazu sage ich ja, und gern willich hier bleiben, solange ihr lebt. Aber nach deinem Tode werden die Männer mir bier nicht die Ehren gönnen, und dann muß jeder nach seinem eigenen Geschick sein Heil suchen." Das hieß der Jarl verständig gesprochen.


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