Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

Fünf Geschichten aus dem Westlichen Nordland


Mit einer Übersichtskarte


Übertr. von W. H. Vogt u. Frank Fischer

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1914


3. Thorstein tötet den Räuber Jökul

Es war kurze Zeit, nachdem Vater und Sohn miteinander gesprochen hatten, da ging Thorstein allein hinaus vom 1 Der Ausdruck Opland umfaßt das besiedelte Hochland des inneren Norwegens. Siehe Thule III S, 43 1.



Thule-Bd.10-025 Gesch. aus dem w. Nordland Flip arpa

Gelage. Er dachte bei sich, er solle doch auf seines vaters Glück bauen und sich seine vorwürfe nicht weiter gefallen lassen; lieber wollte er sich nun in rechte Gefahr wagen. Er nahm sein Pferd und ritt allein in den Wald, wo er die Übeltäter am ehesten vermutete, obgleich er wenig Hoffnung auf Erfolg gegen eine solche Übermacht hatte, wie er sie vor sich erwartete. Aber jetzt wollte er lieber sein Leben einsetzen, als unverrichteter Sache umkehren.

Er band sein Roß am Waldsaum fest, drang in den Forst ein und fand einen Steg, der von der Heerstraße abbog. Und als er ihn eine lange Zeit gegangen war, stieß er im Walde auf ein großes, schönes Haus. Thorstein dachte, das müsse die Wohnung dessen sein, der die Wege verlegt hatte, ob es nun einer oder mehrere seien. Dann ging Thorstein in die Halle und fand dort große Truhen und viele Herrlichkeiten. Da war ein großer Stapel Spaltholz aufgeschichtet, und auf der anderen Seite lagen Waren in Säcken und allerlei Kaufmannsgut. Da sah er eine Bettstelle; die war viel größer, als er jemals eine gesehen hatte, und er dachte, das muß einmal ein großer Mann sein, dem dies Bett paßt; das Bett war schön bezogen. Da war auch ein Tisch mit sauberen Tüchern und herrlichen Leckerbissen und dem kostbarsten Trank gedeckt. Thorstein aber rührte nichts davon an. Dann suchte er sich ein Versteck, damit er dem Manne. der die Halle bewohnte, nicht gleich in die Augen siele; denn er wollte erst wissen, was er für ein Mann sei, ehe sie Worte wechselten und sich sähen. Darauf kletterte er zwischen den Säcken auf den Warenboden und sap da still.

Nach einer Weile, als der Abend zu Ende ging, hörte er draußen einen großen Lärm, und dann trat ein Mann herein und zog ein Pferd hinter sich her. Der war sehr groß; lichtblond war sein Haar, und es siel ihm in schönen Locken auf die Schultern; Thorstein deuchte er der schönste Mann, den er je gesehen hatte. Dann blies sich der Mann das Feuer auf, führte aber vorher sein Pferd in den Stall. Er setzte ein Becken vor sich, wusch sich und trocknete sich in einem weißen Tuche. Er schenkte aus einem Tönnchen einen köstlichen Trunk in einen gewaltigen Humpen und setzte sich zum Mahle. Das ganze Wesen dieses Mannes



Thule-Bd.10-026 Gesch. aus dem w. Nordland Flip arpa

schien Thorstein wunderbar und gar ritterlich. Er war viel größer als sein Vater Ketil und erschien ihm als der größte der Männer, — und das war er auch.

Als sich der Wirt nun gesättigt hatte, ließ er sich am Feuer nieder, blickte hinein und sprach: "Hier ist etwas nicht 1pi Ordnung; es liegt mehr weiße Asche am Feuer, als ich dachte. Es muß vor kurzem aufgeblasen worden sein, und ich weiß nicht, was das bedeutet; mag sein, Menschen sind gekommen und trachten mir nach dem Leben, und das wäre auch nicht ohne Grund. Ich will gehen und das Haus absuchen."

Dann ergriff er. einen brennenden Span und suchte und kam an den Warenboden. Nun konnte man von dem Boden aus in einen breiten Schornstein steigen, der auf der Halle stand. Und als der Bösewicht den Boden untersuchte, war Thorstein draußen, und er konnte ihn nicht finden; denn Thorstein war ein anderes Geschick bestimmt, als hier erschlagen zu werden. Jener durchsuchte dreimal das Haus und fand nichts. Da sagte der Wirt: "Ich muß es ruhen lassen, und es bleibt ungewiß, wie die Sache ausläuft, und es mag sein, daß es mir ergeht, wie es im Sprichwort heißt: Böses muß mit Bösem enden."

Dann ging er nach hinten zum Bett und legte das Schwert ab. Thorstein schien es das größte Kleinod und sehr scharf zu sein, und er malte sich aus, wie schön es wäre, wenn er das Schwert gewänne. Nun fielen ihm auch des Vaters aufeizende Worte ein, daß Kraft und Mut dazu gehörten, solche und andere Heldentaten zu vollführen; das bringe Ruhm und reichliches Gut und werde ihm dann besser behagen, als an der Mutter Herd zu hocken. Da kam ihm auch in den Sinn, daß sein Vater gesagt hatte, er tauge nicht besser zu den Waffen als seine Tochter oder irgend ein anderes Weib, und es sei ehrenvoller für die Sippe, daß dort eine Scharte im Geschlecht sei, wo er stehe. Das spornte Thorstein an, und ersann darauf, wie er allein vieler Leute Unbill rächen könnte; aber dann tat es ihm auch wieder um den Mann sehr leid.

Darauf schlief der Hausherr ein; Thorstein aber versuchte mit



Thule-Bd.10-027 Gesch. aus dem w. Nordland Flip arpa

Lärmen, wie fest er schlafe; der erwachte und drehte sich auf die Seite. Und wieder verging eine Zeit, da machte Thorstein einen zweiten versuch, und der Mann wurde wieder wach, aber doch nicht so sehr. Das dritte Mal trat Thorstein vor und führte einen gewaltigen Hieb gegen den Bettpfosten; aber alles blieb ruhig um ihn her. Da machte Thorstein Licht, ging zum Bett und wollte sehen, ob der Mann weg sei. Thorstein sah, daß er da lag. Er schlief in einem goldverbrämten Seidenhemd, das Gesicht nach oben. Thorstein zückte das Schwert und stieß nach der Brust des mächtigen Mannes und schlug ihm eine tiefe Wunde. Der schrak auf und griff nach Thorstein und riß ihn neben sich ins Bett. Das Schwert aber steckte in der Wunde, und Thorstein hatte so kräftig zugestoßen, daß die Spitze ins Gestell eindrang. Aber dieser Mann war fürchterlich stark und ließ das Schwert stehen, wie es stand. Thorstein aber lag zwischen ihm und der Wand.

Der Wunde sprach: "Wer ist der Mann, der mich angefallen hat:"Jener antwortete: "Thorstein heiß ich und bin der Sohn Reut Raums."

Der Mann sagte: "Ich habe deinen Namen vorausgeahnt. Und doch dachte ich mir's, um euch beide, dich und deinen Vater, grade am wenigsten verdient zu haben, denn ich habe euch wenig oder gar keinen Schaden getan. Nun aber bist du ein wenig zu schnell und ich ein wenig zu langsam gewesen Denn ich war eben bereit, aufzubrechen und diesem Frevel den Rücken zu kehren. Noch aber habe ich alle Gewalt über dich, dich leben zu lassen oder zu töten. Wenn ich dir nun täte, wie du es verdient hast, redete kein Mensch ein Wort über unsere Begegnung. Aber ich denke, es ist am besten, dir das Leben su schenken; ich könnte von dir vorteil haben, wenn es sich träfe. Jetzt will ich dir auch meinen Namen nennen: Ich heiße Jökul und bin der Sohn Ingimunds, des Jarls von Gautland. Nach der Art der Söhne großer Herren suchte ich Reichtum, wenn's auch ein wenig hart zugegriffen sein mußte; und jetzt war ich grade bereit zum Aufbruch . Wenn dir an deinem Leben etwas liegt, so reite zu meinem Vater; sprich aber vorher mit meiner Mutter Vigdis und erzähle ihr diese Geschichte; bring ihr meinen herzlichen Gruß



Thule-Bd.10-028 Gesch. aus dem w. Nordland Flip arpa

und bitte sie, dich mit dem Jarl in Frieden und volle Freundschaft zu bringen, der Art, daß er dich seiner Tochter, meiner Schwester. vermählt, die Thordis heißt. Hier ist ein goldener Ring; den sollst du sum Wahrzeichen tragen, daß ich dich sende, und wenn meine Mutter auch großen Schmerz um mich fühlt, so hoffe ich doch, daß sie meine Liebe und Botschaft höher achtet als deine Untat. Aber mir sagt's mein Herz, daß du ein Glücks- mann werden wirst. Nun, wenn dir oder deinen Söhnen ein Sohn geschenkt wird, dann laß meinen Namen nicht vergessen sein. 1 Das deucht mir Gewinn, und ich nehme es zum Danke dafür, daß ich dir das Leben geschenkt habe."

Thorstein forderte ihn auf, über sein Leben und Sterben zu de- stimmen, wie er wolle, und sagte, er werde nicht darum flehen, Jökul erwiderte, sein Leben sei in seiner Hand. — "Gewaltig mußt du von deinem Vater zu dieser Tat gehetzt worden sein, und sein Anschlag bat mich ja auch genug getroffen. Ich sehe wohl, dir wäre es auch recht, wenn wir beide das Leben ließen. Aber ein höheres Geschick ist dir bestimmt. Die sind nicht schlecht behütet, deren Schutzherr du bist, um deiner Kühnheit und Mannhaftigkeit willen, und besser ist für meine Schwester gesorgt, wenn du sie nimmst, als wenn Wikinger sie im Kriege rauben. Nun, wenn dir auch in Gautland die Herrschaft angeboten wird, so kehre lieber auf deine Eigengüter im Raumstal zurück. Denn meines Vaters Anverwandte werden dir nach seinem Tode das Reich nicht gönnen, sondern es könnte sein, daß trauriger Mord in eurem Geschlechte heimisch würde und die Männer ihre schuldlosen Vettern verlören. Nenne meinen Namen nicht aller Welt, sondern nur deinem Vater und meinen Vettern; denn mein Leben ist häßlich gewesen, aber jetzt ist's auch nach Verdienst vergolten, und so geht es den meisten Übeltätern. Nun nimm hier den Goldring und trag ihn Wahrzeichen; reiß das Schwert heraus, unsere Zwiesprache wird nicht mehr lange währen."

Da riß Thorstein das Schwert heraus, und Jökul starb.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt