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Fünf Geschichten aus dem Westlichen Nordland


Mit einer Übersichtskarte


Übertr. von W. H. Vogt u. Frank Fischer

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1914


Zur Einführung in die erste Geschichte

Wir waren mit kursen Ruhepausen seit früh neun Uhr im Sattel, als wir in den ersten Morgenstunden eines Julitages die letzten Ausläufer des Seetals 1 erreichten. Wir hatten die reißenden Gletscherwasser der Weißache, die ihre Fluten dem Borgfjord im Südwesten Islands zuwälzt, überschritten , der spitze Strut und die stumpfe Kuppe des Eiriksgletschers waren an uns langsam vorübergezogen, und die weite Hochebene der Adlerseeheide 2 hatte uns in ihre Einsamkeit aufgenommen. Nun tauchte der Sandberg 3 auf und wanderte weit ab zur Rechten an uns vorbei, und die Nacht senkte sich herab. Es war schon nicht mehr die silberne Nacht des Juni, die ihren milden Schein wohl vom Meere empfängt; es war schon Schwärze, die sich auf die rötlichen Steine und das spärliche Moos, auf das Messingzaumzeug, auf die abgespannten Gesichter der Reiter legte. Die Sonne war hinter den Hügelrücken, die uns noch vom Seetal trennten, verschwunden; ein leises Rot, das von Westen nach Osten wanderte, zeigte ihren Lauf. Gleichmäßig klapperten die Hufe unserer Pferdchen auf dem Boden.

Da rieselten Bäche aus den braunen Mooren, und Gräser siedelten sich an und wuchsen und wurden frischer von Stunde zu Stunde. Immer wieder brachen die hungrigen Tiere aus, um vom saftigen Grün zu naschen: das grasreiche, fruchtbare Seetal kündigte sich an. Und wie wir nun die sperrende Barre erklommen hatten, da strahlte uns die liebe Sonne ins Gesicht, und der Blick ward hineingezwängt in den engen Weg der Seetalsache.

Der stumpfere Rücken und die sanfteren Lehnen des Weidentalsberges 4 führen zur Linken, der zackige Kamm des Seetalsberges 5 und seine steilen Schrunde zur Rechten das Auge; in ruhigem Fluß zieht die Ache, nur einmal einen weichen Bogen nach Osten und gleich darauf wieder einen scharfen Haken nach



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Westen schlagend, ihren Weg durch das Wiesengelände. Sie ist wohl etwas schmaler als die Saale an der Rudelsburg. Viele Gehöfte wenden ihre breite Stirn dem Flusse zu; die Wie kriecht an ihren Torfwänden hinauf und über die Dächer hin : das Land schlingt die Wohnstätten der Menschen in sich hinein.

Viel anders hat es vor tausend Jahren hier auch nicht ausgesehen . Nur daß der Fluß dort, wo er Setzt einen großen Bogen schlägt, sich teilte und auf der Insel ein üppiges Grasland umarmte; das beste im ganzen Tal; nur daß der Pfad damals auf der rechten Seite des Baches hinlief während er jetzt erst am Ausgang des Tals die Furt findet.

Eine Bank sperrt das Wasser und staut es zu einem See; von ihm hat das Tal seinen Namen. Dann sucht sich der Fluß durch dürres, sandiges Gelände seinen Weg zum Welpensee, 1 der sich breit in den großen Welpenfjord öffnet. Bis tief in den Welpensee hinein segelten die Meerschiffe.

von den obersten Siedlungen auf den gewölbten Zungen, die das Hochland zwischen den vier Quellbächen der Ache ins Tal streckt, bis zum See hat sich das Leben unserer Saga im wesentlichen abgespielt, in einem Landstrich, nicht zwei Kilometer breit, dessen Länge der Reiter in zwei bis drei Stunden durcheilt . Etwa in der Höhe der Inselwiese 2 im oberen Drittel des Talzuges hatte Ingimund, der erste Siedler, Hof und Tempel 3 errichtet. Sein Wirtschaftsland reichte vom Hochland bis zu den zwei Teichen, dem Geröllteich 4 und dem Heiligen See, 5 die zur Rechten und Linken des Flusses noch oberhalb des Sees die Wiesenstreifen unterbrechen. Weiter unten nahmen seine Fahrtgenossen kleinere Landstrecken in Besitz: rechts Jörund bis zum Braunkluftsbach, 6 der in den See stürzt, dann Hvati, links Asmund . Ingimund siedelte seine Hintersassen auf seinen Fluren an: wo sich der Karnsbach 7 in die scharfe Ecke des Flusses ergießt, seinen Schwiegersohn Hallorm; auf der untersten Zunge finden wir dessen Bruder Thororm auf Thorormszunge; 8 Habichtskluft



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1 und Grimszungen, 2 wohl auch der größere Hof im Schattental 3 scheint zu seiner Zeit gelegt worden zu sein. Gerade einem Hofe gegenüber setzte er Hrolleif auf dem Hügelrücken jenseits des Flusses an.

Zu seiner Söhne Zeiten sehen wir neue Höfe entstehen: Jökul und Smid suchen sich ihre Heimwesen oben auf den Zungen und wohl auch sein Enkel Gudbrand. Noch weiter hinauf haben wohl nur Gesellen Hausung gesucht. Nördlich von Rücken, Hrolleifs Hause, siedelte sein Sohn Thorir auf dem Rinderhofe. 5 Den Mittelpunkt für das Rechts- und Wirtschaftsleben aber fand die Gemeinde auf dem breiten, flachen Sandhügel westlich des Welpensees, auf dem Thingsand. 6 Da wurde dann auch im zwölften Jahrhundert das erste Benediktinerkloster gegründet.

In diesem Tale war der Erzähler der Geschichte von den Leuten aus dem Seetale zu Hause. Hier kannte er jedes Gehöft und jede Schlucht, und jedes Gehöft und jede Schlucht erzählte ihm von längst vergangenen Tagen; von den Tagen, da Ingimund mit seinen Genossen hier Land nahm und weise und friedlich herrschte, bis er von der Hand des Schurken Hrolleif; dem er so viel Gutes getan hatte, den Tod fand; von den glanzvollen Tagen seiner Söhne, Thorstein und Jökul, die den Zauber brachen und dem Übermut steuerten; von der kurzen Herrschaft des lebens- und liebesfrohen Ingolf und seines Bruders Gudbrand frühem Tode; und wieder von der kraftvollen Gestalt des Helden Thorkel, der das Geschlecht der Seetalsgoden zur letzten strahlenden Höhe erhob und mit ihm in die neue Welt des Christentums einging.

Hoch oben im Tale, wo die schwarzen Klippen enger an einander treten, am Fridmundsbache 7 tollte der Junge mit seinen Gesellen um die Burg des wüsten Thorolf Höllenhaut, fuhr mit ihnen die kühne Fahrt Jökuls, erstürmte die Feste und verfolgte den Feind bis hinauf zum Tränenmoor, wo der feige



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Übeltäter weinend seinen Tod erwartet hatte. Im Schattental spielte er die Heldentat Thorkels nach und versteckte sich vor den suchenden Genossen in den Löchern am Fluß, in denen der tapfere Thorkel seine Rettung gefunden hatte; aber schnell eilte er an der Habichtskluft vorüber, denn dort lagen die letzten schrecklichen Berserker, die das Tal heimgesucht hatten, verscharrt. Überhaupt gab's so mancherlei Stellen im Tal, an denen man sich besser nicht verweilte. Seit der Zauber der Gros die Felsmassen dort oben zwischen den Zacken des Seetalsberges losgerissen und auf ihr eigenes Gehöft geschleudert hatte, wollte dort kein Mensch mehr hausen; die Stelle stand öde. —Ob's wohl wahr ist, daß da auf der alten Hofstelle Thorolf Hammers am Gestade des Heiligen Sees entsetzliche Zauberkatzen zu sehen sind: Wer wagt sich wohl dorthin : — Auf Rücken, Hrolleifs zerstörtem Hofe, kann man freilich ohne Sorge einhergehen; über diesen Unhold hatte Jakut einen kräftigen Fluch gesprochen, als er ihm das Haupt abschlug —der kam nicht wieder —. Das waren furchtlose Männer, die diesen Übeltätern zu Leibe gingen, die Ingimundssöhne. Wer wollte wohl jetzt gegen den bösen Blick, der die Waffen stumpft und wohl gar die erschlagenen Kämpfer ins Leben zurückzwingt, angehen wie sie? Wer die männermordenden Schneestürme Islands kennt, der weiß, was es heißt, daß Jökul im Zauberwetter der Helga von Tempel bis nach Borg im Weidental zog. Aber was waren das auch für Riesen, er und sein lustiger Freund Farabrand, der, nebenbei bemerkt, vom Sege zum wahren Gott ein Stückchen weiter ab war als die Brüder.

Dort streckt der Seetalsberg zwei Hügel in die Ebene; die umschließen ein feundliches Tälchen; da steht der stolzeste Hof des Tals, Herrn Ingimunds Gehöft, zu dem König Harald selbst das Bauholz geschenkt bat; dahinter hat einst der fromme Mann seinem Gott den Tempel errichtet. Er glaubte noch an die Heidengötter, denn er lebte in der Zeit des alten Gottesdienstes, der gute, milde Mann, der nie die Hand von einem Schützling zog und noch für seinen eigenen Mörder Fürsorge trug, Sollte er wirklich so ganz verirrt gewesen sein: Für Frey hat



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er den Tempel errichtet; das ist gewiß. Aber es war doch eben nur ein Gott, zu dem er gebetet; er hat wohl schon geahnt; daß ein milder Gott über uns Menschen seine Hand hält, der, welcher uns und die Sonne geschaffen hat.

Wie klug und stark haben seine Söhne in seinem Geiste die Herrschaft im Tale weitergeführt! War mußte es dort unten auf der Walstatt gegenüber der Karnsache einsehen, daß seine Waffen, ja sogar der Zauber seines Mannes gegen das Glück Thorsteins und das Schwert seines starken Bruders Jakut nichts ausrichten konnten; nur Thorsteins Gerechtigkeit sprach ihm damals das heiß umstrittene ?Umland zu. 1 Wie hoch stand der Herr des Seetals über den plumpen Herausforderungen des Prahlers Berg und des hochmütigen Herrn des Weidentals Finnbogi Könnt ihr Weidentaler es leugnen, daß eurem großmächtigen Helden von unserem Jökul die Schandstange errichtet worden ist: Wißt ihr wohl etwas Glaubwürdiges davon zu erzählen, daß Finnbogi und Berg jemals den Waffen der Brüder gestanden haben: Verbannt durch Urteilsspruch an Ort und Stelle, wo sie sich getroffen hatten, mußten die Weidentaler ihre Stätte räumen. Der glückhaften Klugheit und Kraft der Brüder hat nichts widerstehen können.

Drüben an der Straße im Gebüsch ragt ein Hügel; das ist Ingolfs Grab. 2 Er war der schönste aller Männer aus dem Geschlechte der Seetaler, und alle Mädchen waren in ihn verliebt, — und er in sie. Deshalb wollte er auch recht nahe an der Straße begraben sein, daß die Seetalsmädchen seiner gedächten , so oft sie an der Stelle vorüberkamen. Er war der schönste Mann und der geschickteste Spieler; gewiß, aber die Besonnenheit der Ahnen war nicht sein eigen. Seine Liebschaft mit valgerd, Ottars Tochter von den Grimszungen, brachte ihm üble Händel und seinem Bruder den Tod. Aber Ingolf war doch ein ganzer Mann. Er wußte, was er seinen Bauern schuldig war und scheute nicht den Tod für sie.

Ein anderer Geist als in den Ahnen schien zuerst in Thorkel



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Krabbler zu walten. Er stammte nicht aus seines vaters ehelichem Beit, aber er hob sich durch Kraft und Schönheit über seine Brüder echter Geburt. Freilich, die Sklavin, die ihn geboren , war eine Fürstentochter; im Jarl der Orkneys fand er seinen Vetter. Kein Sunder, daß er sich mit starker Tat als ebenbürtig ins Geschlecht einführte und von den Leuten im Seetal mit allen Mitteln zur Godenwürde erhoben ward. Wenn irgend einer Händel hatte, dann wandte er sich an ibn; man wußte es sich weit und breit zu erzählen, mit welch schneller Klugheit er dankbar seiner einstigen Helferin Hild den Sohn vom Tode rettete. Und er, der erste Christ des Geschlechts, ward von seinen Bauern geliebt. wie nur einer geliebt werden kann, der den wahren Gott über alles liebt.

So viele und so vielerlei Erinnerungen hatte der Knabe in sich aufgenommen, der sich als Mann in der Kutte des Mönches hinsetzte, die Geschichte des Herrengeschlechts seines lieben Heimattates aufzuschreiben. —Er war nicht den Weg des wilden Jökul gegangen; nicht Schild und Schwert, sondern Buch und Feder lagen seiner Hand gerecht. Nicht die harte Selbstsucht, die starre Ehre der Ahnen, sondern die milde Lehre des allmächtigen Gottes, Vaters, Sohnes und heiligen Geistes, und die Tugenden des Christentums füllten sein Herz. Ihn schreckte die Herrschgier der Großen seiner Zeit, das zuchtlose Treiben ihrer wilden Banden, die als Freunde oder Feinde gleich unwillkommen auf ihren Thingritten im stillen Tale hausten. Er sehnte einen Häuptling herbei, der weise und friedlich, mit glückhafter Hand seinem Tale Ruhe schaffte, Übeltäter und Zauberer strafte und gerecht die Händel der Bauern schlichtete, Herren, wie Gott sie liebt, demütigen Sinnes, Männer, wie sie in den alten Zeiten das glückliche Tal beherrscht hatten, nur daß die Heiden gewesen waren.

Ihm war der christliche Ritter auch wohlbekannt. König Hakorem der Alte hatte die Schreib- und Sprachkundigen seines Reiches angeregt, südländische Rittersagen zu übersetzen. Da gingen die zierlichen Helden aus Artus' Tafelrunde wunderlich einher in der Umgebung nordischer Bauerngewohnheiten. Die Be



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griffe des festländischen Rittertums suchten nun auch in nordischer Sprache Ausdruck: höfische Zucht, Frauendienst, Maßhalten, Edelmut gegen den Feind, Demut, der tolle Ansturm des Tjosts, die empfindliche Ehre des Ritters, die durch keinen Fehler der Zeremoniells verletzt werden darf, —das alles tauchte wie eine neue Welt vor den Nordmännern auf und ward auf eine gar buntscheckige Weise mit den handfesten Begierden und Ehrbegriffen der Heimat durchschossen —parrieret, wie Wolfram von Eschenbach gesagt hätte. Eine gehobene Stimmung klang aus diesen fremden Geschichten; die Sprache der Übersetzungen liebte Fülle des Ausdrucks, den Schmuck der Wiederholung und des Reimklangs am Anfang des Wortes. Der Dichter war in die Seelen seiner Helden eingedrungen, seine Kunst zerlegte die feinen Regungen in Wechselreden, Selbstgespräche und stille Betrachtungen.

Solche Geschichten kannte unser Erzähler wohl; wir merken es seinem Stil, der Entfaltung der Gedanken seiner Helden und den Idealen, mit denen er sie ausstattet oder an denen er sie mißt, an. Er schwärmt in seiner armseligen Zelle für die Pracht des Palastes, für Edelmut und Demut im Herzen des starken Mannes, für ritterliches Draufgehen und sorgsame Zierlichkeit der Form, wo Ehre auf dem Spiele steht.

Und wie er nun die Geschichten der alten Zeit vor sich ausbreitete, da erschienen ihm ihre Gestalten leise umstrahlt vom Lichte seiner frommen Wünsche und dichterischen Vorstellungen: Er sah ihre Arbeitsfreudigkeit, ihr bäuerlich festes Zugreifen in der Wirtschaft und auf Gelagen, daheim und beim Gastfreund als Dienstwilligkeit, ja als Demut an; ihre Besonnenheit, , ihr Maßhalten glänzte als Tugend, die denen des christlichen Ritters recht nahe lag; der hohe Ahnherr hatte ja sogar für seinen Feind gesorgt: er hat gewiß den wahren Gott geahnt , und der hat es Ingimund gewiß in seinem Reich vergolten , daß ein Schurke ihn meuchlings tötete. Wenn der Räuber Jökul seinem Mörder das Leben schenkt, so erschien ihm das als Sieg, wie ihn der Christ erficht. Der Wikingszug des jungen norwegischen Bauern ward ihm zur ritterlichen Ausfahrt gegen Piraten und der Kampf mit dem Wiking zu einem



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Tjost, wie ihn etwa Parzival gegen Feirefis rennt. Wie gefällt ihm die Pracht im Hause des Räubers und die höfische Sitte des Jarlssohns

Aber es ist eben doch nur ein Schimmer der romantischen Wette der sich über seine Helden legt. Sie bleiben doch Isländer trotz der christlichen und ritterlichen Färbung. Nur in den Stoffen, die der Erzähler selbst zur Füllung von Lücken herangetragen oder mit vielen anschaulichen Zügen ausgestattet hat, wie in der märchenartigen Großtat Thorsteins Retilssohns, der heldischen Wikingsfahrt Ingimunds und der ritterlichen Ausfahrt Thorkels, überwiegt die Farbe südländischer Dichtungen. Wo ihm alte Stoffe zuflossen, verstand er wohl ihren Sinn und gab ihn treulich wieder, ja er wählte sogar den echten alten volksgedanken vom Glück, das dem Menschen zu eigen ist, zum Leitgedanken für seine ganze Geschichte.

Was die Ingimundssöhne auch anfaßten, geriet wohl: Der Mörder ihres Vaters mochte sich verstecken, wo er wollte, sie spürten ihn doch auf; sie scheuchten ihn auf ohne großen Lärm, so daß sein Vetter nicht einmal Ungelegenheiten oder Schande wegen der Preisgabe seines Schützlings hatte, und das ohne Mühe, durch ein paar besonnene Worte und eine Hand voll Geld. Aller Zauber half ihm nichts, sie brachen ihn. Sie sahen den Feind, der sie durch seinen bösen Blick schädigen wollte, immer zuerst, wenn's drauf- und dran kam, so daß sein Zauber zunichte ward. Das waren nicht glückliche Zufälle, die auch ausbleiben konnten; das war ein Glück, das tief in ihrem Wesen saß. Es war wie ein wunderbarer Segen, der in ihnen ruhte und alle ihre Werke zum guten Ende führte; es war wohl ein Geist, der mit den Männern geboren war und ihr Denken und Handeln lenkte. Wie Thorstein als Groas Gast dem zauberischen Steinschlag zum Opfer fallen sollte, ist ihm die Frau im Traum erschienen, die seine Ahnen begleitet hatte, und hat ihn gewarnt und so gerettet. Das war nichts ganz Ungewöhnliches jeden Menschen begleitet ja sein Folgegeist durchs Leben- und über den Sippen waltet wohl auch ein eigner Schutzgeist. Er erscheint dem Menschen wohl vor seinem Tode als unliebes Zeichen, wie dem Thorkel Silbern in Gestalt eines Rosses. Der



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Folgegeist der Ingimundssöhne und seiner Sippe aber war besonders stark; er schenkte Glück durch die Besonnenheit und voraussicht.

Auf Thorsteins Söhnen ruhte das Glück weniger; auf Ingolf noch eher; der sah's den Meuchelmördern, die Ottar schickte, auf der Stelle an, daß sie ihm Unheil brachten. Sein Bruder Gudbrand nahm einen nach dem andern auf. Es war seine Geschicklichkeit, ein glücklicher Zufall vielleicht, daß er der Waffe des ersten entging; aber er hatte eben kein Glück: der zweite traf ihn sicher. Thorkel hatte das Glück wieder: als zwölfjähriger Knabe vollbrachte er Mannestat; der verfolger erreichte ibn nicht; durch unübertreffliche Gewandtheit rettete er den Mann, den er selbst verfolgen mußte.

Nun durchschaute unser Erzähler das Geheimnis seines Herren- geschlechts: der Glücksgeist hat es geleitet.

von hier aus mußte er seine Geschichte zu verstehen suchen, und in der Geschichte des Ahnherrn, die an die Schwelle der undurchschaubaren Urzeit grenzte, entdeckte er die Ouelle dieses Glanzes: das wußte er für gewiß, daß sein Herrengeschlecht aus dem nördlichen Norwegen stammte, aus dem Raumstal, und eine Kunde ist auch an sein Ohr geklungen, daß der Vater Ingimunds durch die unerhörte Heldentat der Tötung eines gewaltigen Räubers sich großen Ruhm errungen habe. Hier ließ erden Hebel seiner Einbildungskraft einsetzen: dieser Mann ward ihm der Held, der das Glück in die Sippe geführt hat: es gelingt dem jungen und nicht grade starken Thorstein Ketilssohn dank dem Glück seines Vaters den riesigen Räuber zu verwunden; aber er gerät in die Hand des Unholds, und der schenkt ihm um seines glückhaften Aussehens willen das Leben. Ja er sendet ihn zu seinem Vater dem Jarl von Gautland, und sorgt dafür, daß er durch seiner Mutter Fürsprache sein Haupt vom Jarl löst und gar die Tochter zur Gattin erhält. Aus der verbindung dieser zwei glückhaften Sippen, der des Herrn vom Raumstal und der des Jarls von Gautland, wird Ingimund geboren, der Träger eines ungeahnten Glückes. Den konnte der Erzähler nun, wie es die Mode der Saga mit sich brachte, auf Wikingszüge ausziehen lassen; sein Glück spendet



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ihm Reichtum und strahlenden Ruhm und edle Männerfreundschaft und läßt ihn in der durch alle Nordlande hochberühmten Schlacht im Bocksfjord Huld und Ehrung und Freundschaft des glänzenden Königs erringen. Denn Ingimund hat sofort durchschaut, daß auf des Königs Seite das Glück liegt.

Von hieraus glaubte der Erzähler nun den Faden des Glücks durch die Geschichte des Geschlechtes ziehen zu können. In der glückhaften Landnahme und Siedelung Ingimunds glänzt er durch, im Leben der Söhne strahlt er hell und endlich in den kühnen und weisen Taten Thorkels. Das Glück gibt seinen Trägern Besonnenheit, Klugheit, daß sie die Dinge durchschauen treffendes Wort und sicheren Plan, aber auch Mut zur entscheidenden Tat und Stärke des Arms.

Aber ganz so glatt, wie es nach dem ersten Entwurf scheinen mochte, legten sich die fest überlieferten Ereignisse doch nicht in die Linien dieses Gedankens. Ingimund ist nicht gern aus der Heimat geschieden; hartes Geschick hat ihn mit unheimlicher Gewalt gezwungen. Er hat es versucht, sich gegen die Weissagung der Finnin zu stemmen, aber die Probe hat ihr Orakel bestätigt; gegen das Geschick kann sich niemand halten. Das ist eine alte vorstellung; ja es ist die Vorstellung, welche die Grundlinien im Weltbild des alten volkes abgegeben hat. — Und Ingimund ist nach einer glückhaften Herrschaft im Seetal von einem Schurken getötet worden. Das alles sieht nicht nach dem Wirken des Glückes aus.

Man hat gemeint, daß der Erzähler das Widerspiel der unverträglichen Gewalten zu einem nachdenklichen Zusammenhang verwoben habe: Ingimunds Glückslauf werde durchkreuzt durch das Schicksal, das ihn nach Island wirft, und endlich zerbrochen durch die gemeine Tat Hrolleifs gegen das Schicksal kann niemand an, auch nicht das Glück Ingimunds, Uns scheinen für diese Auffassung die Belege zu fehlen oder nicht stark genug zu sein; wir glauben andere Gedanken im Kopf des Erzählers spielen zu sehen. Ihn beherrschte die alte Vorstellung von der Macht des Schicksals als einen Sohn seine8 Volkes trotz seinem neuen Glauben doch recht stark; stand er 1



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doch auch unter dem Druck des Zauberglaubens. Ihn erwärmte der Stoff, er konnte so recht nachfühlen, wie die Weissagung auf den Gemütern der Männer lastete. Das nahm ihn so gefangen, daß er den Gegensatz des Waltens von Schicksal und Glück nicht wahrnahm. Und so ergriff ihn auch der Tod Ingimunds sehr stark: er schilderte den edlen, milden Mann, der im Tod über seinen Mörder Sieger wird, und vergaß die Scharte im Glück. —Es mag ihn auch wohl die Achtung vor dem Stoffe vor starken Eingriffen zurückgehalten haben: daß die Thorsteinssöhne nicht recht glückhaft gewesen sind, sah er wahl und verschwieg es nicht.

Wir haben versucht, uns die Kenntnisse unseres Erählers vorzustellen, uns in seine Stimmungen einzuleben und seiner Arbeit nachzugehen. Er hat es unternommen, einen großen Bau aufzuführen. Er hat einen Plan entworfen und einen Gedanken zum Herrscher über das Ganze zu machen gesucht . Er hat alte Grundrisse, altes Mauerwerk, ja alte Gebäude benutzt. Aber er hat auch selbst den Meißel angesetzt und die Formen nach seinen Gedanken gewandelt. Er hat auch viele neue Steine herbeigeführt, in die alten Werke gefügt und ganz neue Teile errichtet. Uns erscheint sein Werk ähnlich wie eine Kirche unseres Mittelalters, an der viele Geschlechter geschaffen haben, jedes mit seinen vorstellungen vom Schönen, die sich doch als ein Ganzes darbietet; als ein Werk formreicher Mannigfaltigkeit aus einem Guß.

Wir achten in unserem Erzähler eine selbständige Verfasserpersönlichkeit: einen christlich denkenden Mann, mit warmem Herzen für sein Volk und lebhafter Neigung für die glanzvolle Literatur, die die letzte Zeit ihm gebracht hatte. Wir mögen ihn uns wohl als einen Mönch vorstellen und dürfen der Vermutung Raum geben, daß er im Thingsand-Kloster seine Zelle hatte. Hier mag er in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts die Geschichte von den Leuten aus dem Seetal gedichtet haben.

Moys bei Görlitz . W. H. vogt


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