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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

UBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 2

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DER MAUS UND DEM WIESEL

Einst hatten eine Maus und ein Wiesel ihre Wohnung bei einem Bauern; jener Bauer aber war ein armer Mann, und einer seiner Freunde war erkrankt. Als dem der Arzt enthülsten Sesam verschrieb, bat der Bauer einen seiner Bekannten um Sesam. damit er ihn für den Kranken enthülse. Jener gab ihm ein Maß voll Sesam zum Enthülsen, und der arme Bauer brachte ihn seiner Frau und befahl ihr, ihn herzurichten. Sie weichte ihn ein, breitete ihn aus, enthülste ilm und machte ihn zurecht. Als das Wiesel den Sesam sah, kam es herbei und schleppte unaufhörlich den ganzen Tag lang Körner davon in sein Loch, bis es das meiste fortgeschafft hatte. Nun aber kam die Frau wieder herzu und sah deutlich, daß der Sesam abgenommen hatte. Verwundert blieb sie stehen; dann setzte sie sich hin, um aufzupassen, wer dorthin käme, und um zu erfahren, warum das



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Korn abnahm. Als das Wiesel wieder herbeikam, um wie gewöhnlich Körner fortzuschleppen, und die Frau dort sitzen sah, merkte es, daß sie es beobachtete, und sprach bei sich: ,Fürwahr, dies Tun könnte einen schlimmen Ausgang haben; ich fürchte, daß die Frau dort mich beobachtet. Wer die Folgen nicht bedenkt, dem wird vom Schicksal keine Freundschaft geschenkt. Ich muß also eine gute Tat tun, durch die ich meine Unschuld beweise und alles Böse, was ich getan habe, wieder abwasche.' Dann fing es an, die Körner, die in seinem Loche waren, wieder fortzuschleppen; es brachte sie heraus und legte sie zu dem Reste. Die Frau beobachtete es, und wie sie das Tun des Wiesels ansah, sprach sie bei sich: ,Dies Tier ist nicht die Ursache des Verlustes; denn es bringt ja den Sesam aus dem Loche dessen, der ihn gestohlen hat, und legt ilm zu dem anderen. Es handelt wirklich gut an uns, daß es das Korn zurückbringt. Und wer Gutes tut, dem muß auch mit Gutem gelohnt werden. Dies Tier hat wirklich dem Sesam nicht geschadet. Ich will aber weiter aufpassen, bis der Räuber kommt und ich erfahre, wer er ist.' Das Wiesel nun erriet, was für Gedanken der Frau gekommen waren, und darum lief es zu der Maus und sprach zu ihr: ,Schwester, an dem ist nichts Gutes, der die Pffichten der Nachbarschaft verabsäumt und in der Freundschaft unbeständig ist.' Die Maus erwiderte: ,Jawohl, lieber Freund, Gott segne dich und deine nachbarliche Freundschaft! Doch was bewegt dich zu diesen Worten?' ,Wisse,' entgegnete das Wiesel, ,der Hausherr hat Sesam mitgebracht; nun hat er mit den Seinen davon gegessen, sie sind satt und brauchen ihn nicht mehr, und so haben sie noch viel übrig gelassen. Alle Lebewesen haben schon davon genommen; wenn du jetzt auch davon nimmst, so bist du seiner eher wert als die anderen, die davon gegessen haben.' Da quietschte die Maus vor Vergnügen



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und tänzelte, spitzte die Ohren und schwänzelte, und von der Gier nach dem Sesam verführt, machte sie sich sofort auf und kam aus ihrem Loche heraus. Nun sah sie den getrockneten und enthülsten Sesam so hell schimmern, während die Frau noch dort saß und aufpaßte. Aber die Maus dachte nicht an die Folgen; und obgleich die Frau einen Knittel zurechtgelegt hatte, konnte die Maus sich nicht mehr bezwingen, sondern lief auf den Sesam zu, wühlte ihn durcheinander, warf die Körner hin und her und begann davon zu fressen. Da hieb die Frau mit dem Knittel auf sie ein und zerschlug ihr den Kopf; so kam sie um, weil sie gierig war und auf den Ausgang der Dinge nicht achtete. « * * *

Da sprach der König: »O Schehrezâd, bei Allah, dies ist eine schöne Geschichte! Weißt du aber auch noch eine Erzählung von der Schönheit der treuen Freundschaft und davon, wie sie in der Not aushält, so daß sie aus dem Verderben errettet? « »Jawohl!«erwiderte sie, »mir ist auch berichtet worden


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