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Kapitel 

MÄRCHEN AUS KORDOFAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1923

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE MIT EINER KARTE


12. Der Sohn der Beischläferin

Ein Scheich mit Namen Ismain Ali hatte ein Weib und eine Beischläferin (kordof. = kosche). Von seiner Frau hatte er zwei Söhne, von der Beischläferin nur einen, und dies war sein jüngster. Der Scheich hatte große Reichtümer, und zumal er sah, daß die Söhne mancher anderer Familien das Besitztum und Erbe der Väter leicht und schnell vergeudeten, sagte er sich: "Ich will meine Söhne beizeiten an den Besitz gewöhnen, so daß sie ihn früh behandeln lernen. Denn nur wer von Jugend auf mit Kamelen zu tun gehabt hat, lernt ein gutes Tier richtig zu behandeln." Der Scheich rief seine drei Söhne und sagte zu ihnen: "Meine Söhne! Ihr sollt etwas von andern Leuten und andern Ländern kennen lernen. Auch will ich sehen, wer von euch der Würdigste ist, nach meinem Tode meine Besitztümer zu verwalten. Deshalb werde ich euch hiermit eine Summe Geldes geben. Jeder von euch erhält den gleichen Betrag. Zieht fort, jeder wohin er will, und seht, was aus dem Gelde unter der Tätigkeit eurer Gedanken und Überlegungen wird. Wer später die reichsten Erträge von diesem Gelde heimbringt, dem werde ich die Leitung meines Besitzes übertragen." Damit übergab der Scheich jedem einzelnen seiner Söhne eine gleiche Geldsumme und wünschte ihnen allen dreien gutes Gelingen.

Die drei Söhne verabschiedeten sich aber von ihrem Vater und rüsteten sich für die Reise. Sie sagten ihren Müttern Lebewohl und hörten von ihnen die letzten Worte.

Die Mutter der ältern Söhne sagte: "Meine Söhne, einer von euch beiden wird nun der Erbe eures Vaters werden. Streitet euch nicht darum, sondern lernt beizeiten euch vertragen. Kommt mit schönen Kleidern aus den andern Ländern zurück, damit die Leute euch gleich als die Söhne angesehener Eltern erkennen." Die Beischläferin sagte: "Nach der Ansicht vieler Leute sind die Söhne der Beischläferinnen klüger als die der Ehefrauen. Sei du aber nicht nur klug, sondern handle vor allen Dingen ehrenhaft. Es ist besser, ehrenhaft zu unterliegen, als aus Klugheit der Schande gegenüber



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blind zu sein. Geh, mein Sohn, und denke stets an die Liebe deiner Eltern!"

Nachdem die Frauen ihren Kindern noch diese Worte gesagt hatten, brachen alle drei Söhne des Scheichs auf. Die ältesten beiden, die Söhne der Ehefrau, gingen gemeinsam, der jüngste aber, der Sohn der Beischläferin, ging seinen eigenen Weg.

Nachdem die ältern beiden Brüder viele Tage weit gereist waren, kamen sie in einer Stadt an, in der die Leute viel Merissa tranken, jeden Abend tanzten und die Zeit mit Lachen und Singen verbrachten, ohne daran zu denken, ihr Besitztum durch Handwerk oder Handel zu vermehren. In dieser Stadt wohnte aber ein Mädchen mit Namen Fatma, das war über alle Maßen schön, und es war klüger als alle Männer der Stadt. Alle Männer sagten: "Ich möchte dich heiraten, werde meine Frau!" Das Mädchen aber antwortete stets: "Ich will den sehen, der klüger ist als ich es bin; komm, spiele mit mir Mangala*, setze, was du hast. Ich setze, was ich habe. Wer gewinnt, der erhält das Besitztum beider." Die Männer, die nun mit dem schönen Mädchen spielten, verloren ihr Geld, und so gewann sie immer größere Reichtümer. Da aber auch viele durchziehende Kaufleute ihr Glück auf diese Weise versuchten, so wuchs der Reichtum Fatmas ununterbrochen, und es war niemand im Lande, der so wohlhabend war als Fatma. Fatma aber nannte ihr Besitztum die "Dummheit der Männer".

Als die beiden Brüder in diese Stadt kamen und als sie abends von dem Mädchen und seiner Gewohnheit hörten, sagte der älteste: "Ich muß die Schönheit und den Reichtum dieser Fatma sehen." Der zweite sagte: "Geh hin, aber spiele nicht mit ihr Mangala; denn du hörst, wie es den andern gegangen ist." Der Älteste sagte aber: "Was ich zu tun habe, weiß ich ganz allein." Dann ging der Älteste.

Der Älteste kam zu dem Hause Fatmas. Fatmas Haus lag in einem Garten, und vor dem Hause war ein weiter Platz mit Kies, auf dem Matten und Kissen ausgebreitet waren. Auf den Matten lagen und saßen viele Männer; in ihrer Mitte aber saß auf einer Stufe Fatma. Der Älteste sah Fatma und sagte bei sich: "Wer dieses Mädchen einmal zur Frau gewinnt, wird nicht nur die klügste, sondern auch die schönste Frau heiraten." Der älteste Sohn des Scheichs setzte sich unter die Zahl der Männer. Nachdem er einige Zeit zu dem Mädchen aufgesehen hatte, sagte er: "Fatma, ich will



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mit dir Mangala spielen." Das Mädchen sagte: "Überlege dir diese Sache!" Der Älteste sagte: "Ich will mit dir spielen." Das Mädchen sagte: "Willst du meinetwegen oder des Geldes wegen mit mir spielen?" Der Älteste sagte: "Ich will deinetwegen mit dir spielen." Das Mädchen sagte: "Dies antworten mir alle. Ich will es aber trotzdem tun. Ich setze die Dummheit der Männer gegen all dein Geld." Der Älteste sagte: "Es ist mir recht!"

Die Sklavinnen brachten nun ein Mangala, das war aus Elfenbein geschnitzt und mit Diamanten und Rubinen besetzt. Sie spielten mit goldenen Kugeln darin. Fatma sagte: "Wir wollen spielen. Ich gehe den Weg der weiblichen List, und du magst den der männlichen Klugheit beschreiten. Ich setze die Dummheit der Männer und du all dein Besitztum, das du ja jetzt klug anzuwenden vermeinst und deshalb als deine Klugheit einsetzen kannst." Der Älteste sagte: "Du hältst nicht viel von den Männern, aber ich will doch mit dir spielen." Darauf spielte Fatma mit dem ältesten Sohn. Der älteste Sohn des Scheich verlor. Fatma sagte: "Nun ist auch deine Klugheit in der Dummheit der Männer aufgegangen." Die andern Männer lachten aber und sagten zum Sohne des Scheich: "So wie es dir gegangen ist, so ging es uns auch. Fatma ist klüger als alle Männer."

Der älteste Sohn des Scheich ging durch die Stadt zu seinem jüngeren Bruder. Der jüngere Bruder sah, daß der ältere traurig war, und er sagte zu ihm: "Erzähle mir, was mit dir ist? Sind wir nicht Söhne eines Vaters und einer Mutter? Sage mir also den Grund deiner Trauer!" Der Ältere sagte: "Ich war bei diesem Mädchen." Der Jüngere sagte: "Ist sie wirklich so schön?" Der Ältere sagte: "Sie ist das schönste Mädchen, das ich je sah!" Der Jüngere sagte: "Hast du etwa mit ihr gespielt?" Der Ältere sagte: "Ja, ich habe gespielt; denn das Mädchen ist so schön, daß man mit ihr spielen muß!" Der jüngere Bruder sagte: "Hast du etwa alles verloren?" Der Älteste sagte: "Ja, ich habe alles verloren!" Der Jüngere sagte: "Ich habe dir vorher gesagt, du sollst nicht spielen. Nun hast du nichts mehr und mußt als Diener dein Brot verdienen." Der Ältere sagte: "Ich werde dir etwas sagen: Geh du auch hin. Spiele du auch, dann wirst du mein und ihr ganzes Besitztum gewinnen; dann wirst du ein reicher Mann sein und kannst mich in deine Dienste nehmen. Denn ich will natürlich lieber in deinem als in einem fremden Dienst arbeiten." Der Jüngere sagte bei sich: "Dies ist eine gute Gelegenheit, der Nachfolger meines Vaters zu werden, denn da mein Bruder der Älteste ist, wird



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er ja doch dessen Besitztümer erben, wenn er nicht selbst darauf verzichtet." Der Jüngere sagte darauf zum Älteren: "Willst du, wenn ich gewinne, mein Diener sein und freiwillig auf alles Besitztum unseres Vaters verzichten?" Der Ältere sagte bei sich: "Wenn mein Bruder verliert, wird er ebenso arm sein wie ich und daher mit ebensowenig Ansprüchen zu unserm Vater zurückkommen wie ich. Wenn mein Bruder aber gewinnt, wird er auch Fatma zur Gattin erlangen, und dann werde ich ihn eines Tages töten um Fatmas willen." Der ältere Bruder sagte: "Mein Jüngerer, an dem Tage, an dem du gewinnst, will ich dein Diener sein und als dein Diener auf alle Rechte des Ältesten verzichten bis zu deinem Tode."

Da nahm auch der Jüngere das Geld, das ihm der Vater mit auf die Wanderung gegeben hatte und ging hinaus zum Garten Fatmas. Der Ältere begleitete ihn. Als die beiden in den Garten kamen, waren noch alle andern Männer auf den Matten versammelt, und in ihrer Mitte saß noch immer auf ihrer Stufe Fatma. Als die Männer die beiden Brüder kommen sahen, lachten sie und sagten: "Schaut, wie der eine den andern mit herangebracht hat. Sieh, Fatma, die Quelle deines Wohlstandes wird nicht versiegen." Der jüngere Bruder hatte auf dem Wege zu Fatmas Garten nur daran gedacht, daß er die Rechte des Erstgeborenen erspielen wollte. Der Jüngere hatte bisher an nichts anderes gedacht. Als er nun aber die schöne Fatma sah, hatte er alles vergessen. Die schöne Fatma lachte mit den Männern und fragte den Jüngeren: "Willst du auch mit mir Mangala spielen?" Der Jüngere sagte: "Ja, ich will auch mit dir spielen." Fatma sagte: "Willst du meinetwegen oder des Geldes wegen mit mir spielen?" Der Jüngere hatte alles vergessen, was er vorher gedacht hatte und sagte: "Ich will deinetwegen mit dir spielen." Fatma sagte: "Gut denn! Ich fürchte, ihr seid alle gleich, und ich werde nie einen Gatten gewinnen. Setze also deine Klugheit. Ich setze die ,Dummheit der Männer'!" Der Jüngere spielte. Der Jüngere verlor. Fatma sagte: "Siehst du, nun ist auch deine Klugheit auf dem Wege der weiblichen List in der Dummheit der Männer aufgegangen." Fatma sagte: "Oh! Wann werde ich endlich einen Gatten gewinnen!" Und Fatma rief ihre Sklavinnen und sagte: "Weist mir nun alle Männer aus dem Garten, ich bin ihrer überdrüssig!"

Die beiden Brüder gingen traurig durch die Stadt. Der Jüngere sagte: "Wir werden nun beide durch Arbeit unsern Unterhalt verdienen müssen." Der Altere sagte: "In dieser Stadt werden wir aber



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keine Stellung erhalten, denn hier sind alle Leute nur mit Tanzen und Singen und Trinken beschäftigt. Wir werden also in die nächste Stadt gehen müssen." Der Jüngere stimmte dem bei, und somit schnürten sie sogleich ihre ärmlichen, gehaltlosen Bündel und machten sich auf den Weg. Sie wanderten noch ein gutes Stück, die ganze Nacht und einen Tag lang und langten endlich in einer sehr großen und betriebsamen Stadt an, in der viele Kaufleute und Handwerker wohnten.

Am andern Tage sahen sich beide sogleich nach einem einträglichen Unterkommen um. Da sie nun aber nichts mehr hatten, mußten sie das erste ergreifen, was sich ihnen bot, und so ward der eine der Diener in einer Kaffeeküche und der andere Austräger eines Händlers im Basar. Sie erhielten zwar nur sehr geringen Lohn, aber aus der Stadt Fatmas strömten so viele verarmte Burschen hierher, daß ein Überfluß an Arbeitsangebot da war, und daß gar nicht daran zu denken war, eine bessere Unterkunftsgelegenheit zu finden. So waren die beiden ältesten Söhne des Scheichs und dessen rechtmäßiger Frau zu ganz armen Leuten geworden.

Inzwischen war der dritte Sohn des Scheichs, den er mit einer Beischläferin gezeugt hatte, allein seines Weges gezogen. Überall in den Karawansereien hörte er aufmerksam zu, wo dieses und jenes, diese und jene Ware gut aufgekauft oder wieder abgesetzt werde, und auf welche Weise dieser und jener reiche Mann seinen Wohlstand gegründet habe. Forderte ihn ein Wandergenosse auf, in einem oder dem andern Geschäft sein Geld mit anzulegen, so sagte er, er sei arm und besitze nichts. Forderten die Leute ihn auf, sich einmal an einem Spiel zu beteiligen, so sagte er, er sei taub und verstehe nicht recht. Lockte ein schönes Mädchen, so sagte er, seine Augen seien zu schwach, um sehen zu können, und lud ihn jemand ein, einen Trunk mit ihm zu tun, so sagte er, sein schwacher Magen verbiete ihm den Genuß. Nachdem er sich aber weidlich umgetan hatte, begann er hier und dort Seide und Elfenbein, kostbare Steine und kunstvolles Geschmeide aufzukaufen, und da er vorher genau aufgemerkt, an welcher Sache ein jeder einen besondern Gefallen habe, so wußte er jede Sache auch wieder gut unterzubringen, so daß er nie einen Schaden hatte. Wie er aber vorher niemals am Trunk, an Frauengesellschaft und am Spiel teilgenommen hatte, so wußte er auch jetzt es immer zu vermeiden, daß er den schönen Sachen, die er kaufte, anhing. Wenn er einen schönen Stein erworben



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hatte, sagte er bei sich: "Später, wenn ich ein reicher Mann und der Erbe des Reichtums meines Vaters sein werde, will ich mir auch solch schöne Sachen kaufen und als Eigentum hinlegen. Jetzt aber dürfen sie nicht an meinen Fingern hängen bleiben, sondern müssen bald wieder in andern Besitz kommen, damit ich an ihnen verdiene und nicht verliere."

Der dritte Sohn des Scheichs wurde so alle Tage wohlhabender und vermehrte den Besitz, den der Vater ihm mit auf Reisen gegeben hatte, um das Vielfache. Dadurch, daß viele schöne Sachen durch seine Hände gingen, lernte er das Schöne schätzen und beachten. Und dadurch, daß er ständig beobachtete, wie die reichen Leute durch Ankauf, Besitz und Verlust solcher Sachen glücklich und unglücklich, reich und arm wurden, vermehrte er immer mehr die Klugheit, die ihm seine Mutter mit auf den Weg gegeben hatte. Indem er aber sorgfältig beachtete, daß er durch seine Geschäfte niemals einen Menschen in das Unglück stieß, daß er vielmehr manchmal den Vorteil gehen ließ, um durch guten Rat andere vor drohendem Untergange zu bewahren, behielt er ein Verständnis für das Glück und Unglück anderer und wurde so niemals zu einem Wucherer.

Als der jüngste Sohn des Scheichs einen bedeutenden Reichtum gewonnen hatte, sagte er: "Es wird nun Zeit, daß ich heimkehre. Ob ich nun mit dem Geschenk meines Vaters mehr oder weniger verdient habe als meine Brüder, so will ich doch heimkehren, denn meine Eltern sind nicht mehr jung, und ich möchte noch einige Jahre in ihrer Nähe leben." So belud er denn eine Karawane und machte sich auf, mit seinen Schätzen heimzukehren. Da er es aber liebte, möglichst viel von der Welt zu sehen, so ließ er seine Karawane auf einem andern Weg als auf dem, der ihn hinausgeführt hatte, zurückkehren. So kam es denn, daß er in jene Stadt gelangte, in der seine Brüder dienten.

Der Jüngste erreichte diese Stadt an einem Morgen. Er ließ seine Karawane vor der Stadt lagern und ritt selbst hinein, um die Basare zu besichtigen. Als er nun aber in den Basar kam, sah er bei einem Kaufmann einen Ausläufer stehen, der ihm bekannt war. Er hielt an, betrachtete die Waren, erkannte an dem Gespräch, daß der junge Mann der Ausläufer des Kaufmanns war, und hörte auch an der Stimme, daß der Ausläufer sein älterer Bruder sein müsse. Der Kaufmann wollte den jungen Mann soeben mit einem Auftrage fortschicken; der jüngste Sohn des Scheichs sagte aber: "Sende den



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Burschen jetzt nicht fort. Ich will bei dir einige Sachen kaufen, und diese kann er mir sogleich hinaus zu meiner Karawane bringen." Dann kaufte der Jüngste, was ihm von den Waren günstig erschien, bezahlte und ordnete an, daß der Bursche das Gekaufte zur Karawane herausbringen und draußen auf ihn warten solle, da er ihm für die Besorgung ein Backschisch geben wollte.

Während der ältere Bruder nun mit den Waren, und freudig erregt durch die Aussicht auf ein Geschenk, zur Karawane herauslief, ritt der jüngste weiter durch die Stadt. Unterwegs ward er nun aufmerksam durch ein zorniges Streiten zweier Männer, das aus einer Kaffeeküche zu ihm herüberdrang, und da er die eine der streitenden Stimmen zu kennen glaubte, stieg er ab und blickte hinein. In der Kaffeeküche stritt der Koch mit seinem Diener, und an den Worten, die der letztere gebrauchte, indem er nämlich sagte, er sei der älteste Sohn eines Scheichs, der andere aber nur der Sohn einer niedern Magd, erkannte er seinen eigenen Bruder, von dem er in der Kinderzeit oft genug gleiche Reden gehört hatte. Der Jüngste stieg also ab und sagte: "Haltet einen Augenblick Frieden. Denn bei dir, Kaffeekoch, will ich einen Vorrat an Kaffee und Zucker kaufen, und du, mein wackerer Bursche, kannst sie mir für ein gutes Backschisch zum Lager hinausbringen."

Die Aussicht auf Gewinn beruhigte schnell beide Streiter. Der Jüngste kaufte seine Vorräte, bezahlte sie, gab sie dem Diener zum Hinaustragen und ritt schnell von dannen.

Als der Jüngste bei seiner Karawane angelangt war, traf er seinen ältern Bruder an. Er ließ sich die gekauften Waren zeigen und fragte ihn dann: "Mein Bursche, du bist hier in dienender Stellung. Wieviel zahlt dir dein Herr denn für deine Arbeit?" Der Bursche sagte: "Ich erhalte jeden Monat dreißig Piaster." Der Jüngste sagte: "Ich will dir monatlich hundert Piaster, Kleidung und Essen geben, wenn du als Diener in meine Dienste treten willst." Der andere war damit sehr einverstanden, und der Jüngste gab ihm den Auftrag, sogleich seinen Dienst zu beginnen, indem er unter Leitung seines alten Sklavenaufsehers die neugekauften Waren verpacke.

Inzwischen kam der älteste Bruder mit dem Kaffee und Zucker. Der Jüngste nahm ihn beiseite und sagte zu ihm: "Aus eurem Gespräch, das ich vorhin in der Stadt hörte, schien mir hervorzugehen, daß du mit dem Dienst und Lohn, den du bei deinem Herrn gefunden hast, nicht ganz zufrieden bist." Der älteste Bruder sagte: "Seht Herr! Ich bin der älteste Sohn eines Scheichs und einer Araberin.



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Wie sollte ich nun bei schlechtem Lohn mit dem Dienst bei einem Manne von niederer Herkunft zufrieden sein!" Der Jüngste fragte: "Wieviel zahlt dir denn dein Herr monatlich ?" Der älteste Bruder sagte: "Mein Herr zahlt mir monatlich dreißig Piaster und nicht mehr." Der Jüngste sagte: "Das ist in der Tat, wenn man an deine edle Herkunft denkt, nicht sehr viel. Wärst du es denn zufrieden, als Kaffeekoch in meine Dienste zu treten, wenn ich dir monatlich hundert Piaster und Kleidung und Nahrung gebe?" Der älteste Sohn des Scheichs sagte: "Hiermit bin ich zufrieden."

Am Nachmittag ließ der Jüngste die Karawane aufbrechen und bis in die Nacht hineinmarschieren. Als es Abend war, machte er an einem schattigen Platz halt und setzte sich, während die Diener mit dem Gepäck beschäftigt waren, unter einem Zelt nieder. Der jüngste Sohn des Scheichs sah zu, wie seine beiden ältern Brüder unter den andern Dienern und Sklaven ihrer Arbeit nachgingen und sagte bei sich: "So also ist das Wiedersehen mit meinen Brüdern verlaufen."

Nachdem es nun dunkel geworden war, ließ er die beiden neuen Diener hereinrufen und forderte sie auf, ihm etwas aus ihrem Leben zu erzählen. Der Jüngste sagte: "Ich will nichts von euch, was ich nicht selbst tun will. Ich hörte von euch, daß ihr von edlem Blute seid, und somit ist irgend ein Unglück oder eine Schuld die Ursache dafür, daß ihr in solche Stellung gekommen seid, in der ich nicht einmal bin, obgleich ich, wenn auch von einem Scheich gezeugt, nur der Sohn einer Beischläferin bin." Die beiden ältern Brüder sagten nichts, denn sie schämten sich, ihren wahren Ursprung anzugeben. Als der Jüngste das sah, sagte er: "Ich sehe, ihr wollt einem Fremden gegenüber euer Schicksal nicht enthüllen. Würdet ihr es denn tun, wenn ihr euren Bruder vor euch hättet?" Die beiden ältern Brüder sahen auf, sie sagten aber nichts. Nachdem der Jüngste eine Zeitlang gewartet hatte, sagte er: "Erkennt ihr mich denn nicht? Seht ihr denn nicht, daß ich euer Bruder bin?" Die ältern Brüder sahen den Jüngsten an. Sie schlugen die Hände vor das Gesicht und fielen weinend zur Erde.

Nach einiger Zeit sagte der Jüngste: "Nun erzählt, wie es verlaufen ist." Die beiden Brüder erzählten, wie sie in die Stadt Fatmas gekommen seien und im Spiele mit ihr das ganze Besitztum, das der Vater ihnen mitgegeben habe, verloren hätten. Der jüngste Bruder hörte alles an. Er ließ sich die Erfahrungen, die sie im Spiel gemacht, die Worte Fatmas und alle Einzelheiten mehrmals



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berichten und sagte dann: "Meine Brüder! Ich will selbst zu dieser Fatma gehen und sehen, ob ich euch euer Vermögen zurückgewinnen kann. Morgen in aller Frühe wollen wir zu der Stadt Fatmas aufbrechen und wollen dann sehen, welcher Ausgang uns beschieden ist. Was sich aber auch ereignen mag, so wollen wir doch unser Besitztum an Geld und Gut gleichmäßig teilen, da wir die Söhne eines Vaters sind." Damit entließ der Jüngste seine Brüder. Er selbst rief aber seinen Sklavenaufseher und befahl ihm, noch in dieser Nacht ein einfaches, hölzernes Mangalabrett mit einfachen Kugeln zu besorgen.

Am andern Tag zog die Karawane zu Fatmas Stadt. Der Jüngste ließ außerhalb derselben lagern und allen Leuten verbieten, die Stadt zu besuchen. Am andern Morgen hüllte er sich in einfache, ärmliche Kleider, schlug das Mangalabrett in einen Lappen und machte sich auf den Weg zu Fatmas Garten.

Als der Jüngste, in alte Kleider gehüllt, in den Garten Fatmas trat, lagen auf den Matten und Kissen schon viele Männer umher, und Fatma saß auf einer Stufe. Der Jüngste ging bescheiden um die Matten herum und setzte sich, seiner ärmlichen Tracht entsprechend, außerhalb des Kreises auf den Kies nieder. Fatma bemerkte den Fremden sogleich und winkte einer Sklavin, daß sie ihm eine Schale mit Kaffee reiche. Ohne daß es jemand bemerkte, ließ sie aber in den Kaffee ein Geldstück gleiten, denn sie meinte, daß, wenn jener ein Bettler wäre, wie es schien, so müsse er es als Gabe dankbar annehmen; wenn er dagegen ein ungewöhnlich vorsichtiger Mann sei, würde sie an seinem Gebaren gleich etwas Beachtenswertes sehen.

Keiner von allen Männern auf den Matten hatte dieses bemerkt. Als die Sklavin aber den Kaffee dem ärmlichen Gaste auf dem Kies reichte, sagte dieser: "Gib deiner Herrin den Kaffee zurück, danke ihr und sage, ein Glas mit Wasser, in dem ich jeden Inhalt und jede Zutat erkennen kann, sei mir lieber." Die Sklavin brachte den Kaffee der Herrin zurück. Als Fatma die Botschaft hörte, richtete sie sich auf und sagte: "Ist denn heute niemand hier, der mit mir Mangala spielen will ?" Die Männer auf den Matten lachten und sagten: "Von uns allen weißt du, daß wir nichts mehr zu verlieren haben. Nun käme es auf den Gast an, der sich den Kies zum Teppich gemacht hat." Fatma sah zu dem ärmlichen Manne hinüber, der sein Antlitz und seine Augen mit den abgetragenen Tüchern halb verhüllt hatte. Als die andern Männer ausgelacht



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hatten, fragte sie ihn: "Willst du mit mir spielen? Es ist gleich, ob du nur einen Piaster besitzt oder tausende. Ich setze die Klugheit der Männer dagegen. Wenn du gewinnst, sollst du all mein Besitztum haben." Der ärmliche Mann sagte: "Weshalb soll ich nicht mit dir spielen? Wieviel jeder von uns hat, soll ausgerechnet werden, wenn der Gewinn bekannt ist." Die Männer auf den Matten schrien: "Fatma, hüte dich! Dieser Bettler spielt einen Piaster gegen dein ganzes Vermögen!" Fatma aber ward zornig und sagte zu den Männern: "Schämt euch! Hier ist niemals nach Piastern gezählt worden. Schämt euch! Bis heute ist nie ein Gast gekränkt worden! Komm, fremder Mann, setze dich zu mir auf diese Stufe!" Der Jüngste ging zwischen den andern Männern hindurch zu der Stufe, auf der Fatma saß. Fatma sprach: "Willst du meinetwegen oder des Geldes wegen mit mir spielen?" Der Jüngste sagte: "Du selbst hast dein Geld und dein Besitztum gegen mein Geld und mein Besitztum gesetzt. Wir spielen also um Geld."

Fatma sah den ärmlichen Mann an. Die Männer auf den Matten aber schrien wieder: "Siehst du, Fatma! Dies ist nur ein Geldgieriger. Wir alle haben deinetwegen unser Besitztum verloren. Dies hier ist aber ein Bettler, der dich für nichts und deinen Reichtum für alles achtet." Fatma sagte: "Schweigt, ihr Männer. Dieser ärmliche Mann hat mir in zwei Worten mehr Kluges gesagt, als ihr alle zusammen im Laufe von Jahren."

Fatma winkte den Sklavinnen, daß sie das Mangalabrett und die Kugeln bringen sollten; und diese brachten das kostbare Elfenbein, besetzt mit Diamanten und Rubinen und die goldenen Kugeln. Sie setzten alles auf die Stufe. Der ärmliche Mann aber sagte: "Diese Herren hier unten mögen es gewöhnt sein, mit Elfenbein und Gold und Diamanten und Rubinen zu spielen. Ich aber bin ein armer Mann, der durch solchen Glanz geblendet wird. Ich bitte dich, mit mir auf meinem Gerät zu spielen." Mit diesen Worten zog er das hölzerne Mangalabrett und die Fruchtsteine hervor und setzte sie auf die Bank.

Die Männer auf den Matten aber schrien: "Siehst du, Fatma, der Mann will dich betrügen! Sicherlich sind sein Brett und seine Steine von den Alledjenu verzaubert!" Fatma aber rief den Männern zu: "Schweigt, ihr Gedankenlosen! Keiner von euch hat je gefragt, ob nicht mein Brett und meine Kugeln von den Alledjenu verzaubert sind!" Dann aber wandte Fatma sich zu dem ärmlichen Mann und sagte: "Wie du es wünschest, so soll es geschehen. Wir wollen auf



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deinem Brett mit deinen Kugeln spielen. Ich nenne alles, was ich besitze, ,die Dummheit der Männer'. Sage mir, wie du das Deine nennst?" Der ärmliche Mann sagte: "Muß ich ihm einen Namen geben?" Fatma sagte: "Es ist bei unseren Spielen Sitte." Der ärmliche Mann sagte: "Dann setze ich der ,Dummheit der Männer' gegenüber -die ,Eitelkeit der Welt'." Fatma sagte: "Wir spielen!"

Der Jüngste spielte gegen Fatma. Jahrelang hatte Fatma gewonnen. Fatma hatte gleichgültig die Kugeln aus den Schalen genommen und in die Schalen geworfen. Die Männer hatten gleichgültig dem Spiele zugesehen. Ein Spiel hatte geendet wie das andere. Die lachenden Männer hatten einen Spieler nach dem andern lachend als Kameraden begrüßt. Heute standen die Männer auf und blickten dem Spiel zu. Immer hatten die Goldkugeln klirrend sich bei Fatma versammelt. Der ärmliche Mann spielte gegen Fatma. Die Fruchtsteine kamen nicht zu Fatma. Der ärmliche Mann gewann.

Fatma blickte den ärmlichen Mann an. Fatma sagte: "Die ,Dummheit der Männer' ist in der ,Eitelkeit der Welt' aufgegangen." Die Männer drängten aber drohend gegen die Stufe an, auf der Fatma und der ärmliche Mann saßen. Die Männer schrien: "Der Bettler hat dich bestohlen und betrogen! Der Bettler hat uns bestohlen und betrogen!" Die Männer wollten gegen den Ärmlichen herandrängen, um ihn herunterzureißen. Da riß dieser seine Lappen und Lumpen herab und stand nun in reichem Kleide mit Waffen da, zog das Schwert und sagte: "Fort mit euch!" Da drückten sich die Männer zur Seite und versteckten und verkrochen sich unter den Büschen und im Schatten der Bäume.

Fatma war aufgestanden und blickte auf den Jüngsten. Fatma fragte: "Wer bist du?" Der Jüngste sagte: "Ich heiße Hassan und bin der Sohn eines Scheichs." Fatma sagte: "Das ist nicht alles. Du bist mehr! Du bist ein Mann! Hassan, ich bitte dich! Spiele noch einmal mit mir Mangala. Ich will mich selbst zum Pfand setzen." Hassan blickte das Mädchen an, Hassan sah, daß das Mädchen sehr schön war. Hassan sagte: "Erst haben wir um Geld gespielt. Wollen wir nun um uns selbst spielen?" Da nahm Fatma das Brett aus Elfenbein mit Rubinen und Diamanten. Sie warf es weit fort und sagte: "Nein, wir wollen nicht um uns spielen. Nimm mich mit und mache mich zu deiner Gattin!" Der Jüngste schloß Fatma in seine Arme und sagte: "Behalte alles Deine, werde aber du meine Gattin!"



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Als die Männer, die sich im Garten versteckt hatten, dies sahen und hörten, kamen sie noch einmal aus ihren Schlupfwinkeln hervor und schrien und brüllten. Hassan aber sprang mit seinem Schwerte unter sie und jagte sie zum Garten Fatmas hinaus. Als er zurückkam, sagte Fatma: "Ehe ich nun mit dir komme, mein Hassan, will ich dir eins geben. Viele Leute werden dich beneiden und verfolgen. Damit wir uns nun immer wiederfinden können, nimm einen meiner Negl (Fußring; gleich dem arabischen chulchal). Es gibt nur zwei von dieser Art. Kein Silberschmied kann sie nachbilden. Bewahre den deinen sorgfältig. Wenn einer von uns beiden den andern verliert und sieht den zweiten Ring, dann weiß er, daß der andere in der Nähe ist." Der Jüngste sagte: "Du bist ein kluges und vorsichtiges Mädchen, meine Fatma."

Fatma ließ ihre Reichtümer auf Esel laden. Sie übergab die Aufsicht über das Haus und den Garten einem treuen Sklaven und folgte mit ihrem Zuge Hassan, der sie seiner Karawane zuführte. Noch am gleichen Abend rief Hassan seine Brüder und sagte zu ihnen: "Meine Brüder, wir wollen nun heimkehren zu unserem Vater. Ich möchte aber nicht, daß ihr in dieser jämmerlichen Lage ihm vor die Augen tretet, und da ich selbst viel gewonnen habe, so wollen wir alles das, was ich mit dem Gelde unseres Vaters erworben habe, in drei gleiche Teile zerlegen und jeder einen Teil davon nehmen. Auf diese Weise bringt ihr weit mehr heim, als euer Vater euch mitgegeben hat."

Die Brüder dankten ihrem Bruder, und als dieser nun mit Hilfe der Sklaven die Teilung vornahm, sahen sie erst, wie bedeutende Schätze Hassan in der Zeit, in der sie gedient hatten, gewonnen hatte.

Als die beiden Brüder nun ihre Kamele und Sklaven aus dem Lager Hassans herausführten, sahen sie die reichbepackten Esel Fatmas. Darauf sagte der Älteste zum Zweiten: "Seht ihr, daß unser Bruder uns um einen Teil betrogen hat? Er sagte, er wolle alles, was er erworben habe, mit uns teilen. Sieh nur, wie viele reich geschirrte Esel hier lagern, die sicherlich noch manche wertvollen Schätze enthalten." Der jüngere Bruder sagte: "Du hast recht. Wir wollen zu unserem Bruder zurückkehren und von ihm verlangen, daß er dieses hier auch aufteilen müsse."

Während die Brüder dieses sagten, wurde ein Zelt geöffnet, das dort aufgeschlagen war, und heraus trat Fatma. Fatma sagte zu



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den Brüdern: "Ich habe euer Gespräch soeben gehört und will die Angelegenheit in Kürze besprechen. Anstatt, daß ihr eurem Bruder dankt für seine Güte, werft ihr ihm unehrliche Teilung vor. Ihr seid also ebenso niedrig denkend wie die meisten Menschen. Aber nicht nur, daß ihr eure schlechte Gesinnung an den Tag legt, befindet ihr euch auch noch im Irrtum. Das, was ihr hier seht, hat euer Bruder nicht mit dem Gelde seines Vaters, sondern durch die Klugheit und die Güte seiner Mutter erworben. Hättet ihr euch auch mit der Klugheit und Güte eurer Mutter versehen, so hättet ihr alles das auch gewinnen können. Ihr habt nichts davon gezeigt. Als ihr mit Geld hättet spielen sollen, habt ihr mich im Gedanken gehabt und habt daher verlieren müssen. Eurem Bruder hat aber mein Anblick die Klugheit nicht gestört, und als ich nachher mich als Gewinn setzte, hat er um mich nicht spielen wollen. Das alles hättet ihr auch haben können. Söhnt euch also lieber mit dem Schicksal aus. Ihr seid nicht klug. Verfallt nun nicht in den schlimmen Fehler der Dummen, daß sie die Klugen hassen und unterdrücken wollen. Stellt den Klugen an eure Spitze und folgt ihm. Das ist der Rat, den ich euch gebe, und zeigt, daß ihr wenigstens klug genug seid, den Rat einer Frau in Erwägung zu ziehen! Wenn ihr wirklich edle Abkömmlinge einer edlen Familie seid, dann kann euch das nicht schwer fallen."

Fatma ging. Der ältere Bruder sagte zum andern: "Komm mit mir in die Wüste, wo nur Hyänen und Schakale hören, was wir sprechen und höre mir zu."

Die beiden Brüder gingen weit fort. Als sie draußen ganz allein waren, sagte der zweite: "Wir müssen uns vor unserem Bruder schämen. Wir haben all das Unsere verloren und kommen mit dem heim, was er erwarb und uns schenkte." Der ältere Bruder sagte: "Unser jüngster Bruder wird alles unserem Vater erzählen, und unser Vater wird uns verspotten. Unser jüngster Bruder ist der Sohn einer Beischläferin, aber er wird die Besitztümer unseres Vaters erhalten!"

Der jüngere Bruder sagte: "Er hat noch das ganze Besitztum der Fatma gewonnen." Der ältere Bruder sagte: "Er will dies Mädchen heiraten. Aber er soll dies Mädchen nicht heiraten." Der Jüngere sagte: "Wir wollen ihm sein Besitztum wegnehmen." Der älteste Bruder sagte: "Wir wollen ihm die Fatma wegnehmen!" Der jüngere Bruder sagte: "Wir wollen ihn in der Wüste lassen." Der älteste Bruder sagte: "Ich werde es besorgen."



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Danach gingen die beiden Brüder zu dem Lager des Jüngsten zurück.

Am andern Tag brach die Karawane der Brüder und Fatmas auf. Sie zogen nun der Stadt des Vaters der drei Brüder zu. Als sie aber nur noch wenige Tage vom Ziel entfernt und mitten in der Wüste waren, kamen die ältern Brüder nachts zu dem Jüngsten in das Zelt, baten ihn, mit ihnen einen Ritt in die Wüste zu unternehmen und rissen ihn dann draußen vom Pferd. Der älteste Bruder aber stach dem Jüngsten die Augen aus und sagte: "Nun kann dich der Anblick deines Reichtums und der schönen Fatma nicht mehr blenden." Danach ritten die Brüder in das Lager der Karawane zurück und führten diese der Stadt des Vaters zu.

Am andern Morgen saß der Jüngste allein und einsam in der Wüste unter einigen dornigen Bäumen, auf denen die Vögel sangen. Der Jüngste dachte über sein Schicksal nach und griff dann in die Brusttasche, um zu sehen, ob er den Negl Fatmas noch habe. Als er aber den Silberring mit den Händen berührte, verstand er die Sprache der Vögel auf dem Dornenbusch. Der eine Vogel sang: "Die Brüder haben diesen Mann geblendet." Ein anderer Vogel sang: "Der Negl Fatmas wird ihn wieder zu Fatma führen." Ein dritter Vogel sang: "Wenn er die Blüten dieses Baumes auf die Augen legt, kann er wieder sehen." Der Blinde stand auf und pflückte von den Blüten. Er legte sie auf die Augenhöhlen, da konnte er wieder sehen. Und er machte sich auf den Weg und wanderte der Stadt seines Vaters zu. Wenn die Hitze der Sonnenhöhe ihn ermattete, griff er mit der Hand zum Silberringe Fatmas. Und die Berührung erfrischte ihn. Wenn der Durst und der Hunger ihn quälten, tastete er nach Fatmas Ring, und sobald er ihn ergriffen hatte, war er gesättigt und erfrischt. Die wilden Tiere der Wüste konnten ihn nicht erschrecken, und die Finsternis der Nacht konnte ihn nicht ängstigen. Er war frei von Müdigkeit und unbekümmert um die Länge des Weges. Seine Hand ruhte auf dem Ring Fatmas, und dieser Ring wies ihm den Weg, den das Mädchen vor ihm her zurückgelegt hatte.

Also kam auch der Jüngste in die Stadt seines Vaters. Er kam aber bei Nacht an und ging an der Mauer des Hauses entlang. Er lehnte an der Mauer und hörte seine Mutter singen. Seine Mutter aber sang: "Mein Sohn wird kommen; ich weiß es. Mein Sohn ist nicht gestorben; ich weiß es. Es wird viel gesprochen zwischen



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Himmel und Erde, eine Mutter aber hört die Stimme ihres Kindes über die Wüste und durch die Nacht." Der Jüngste hörte es. Der Jüngste ging weiter.

Am andern Tag ging er aber zum ersten Silberschmied der Stadt und bat ihn, ihn doch als Blasebalgstoßer in seinen Dienst zu nehmen. Dann blieb er bei dem Silberschmied.

Inzwischen waren die beiden ältern Brüder in der Stadt angekommen. Sie zeigten dem Vater ihre Schätze und erzählten, daß ihr jüngster Bruder in der Wüste von wilden Tieren getötet sei. Und der älteste Sohn führte Fatma vor seinen Vater und sagte: "Dieses Mädchen will ich heiraten." Der jüngere Bruder stand daneben, sah Fatma an, dachte an ihren Reichtum und sagte: "Nein; ich will diese Fatma heiraten." Der Scheich aber fragte Fatma: "Meine beiden Söhne wollen dich zum Weibe nehmen. Welchen willst du nun wählen?" Fatma nahm ihren Negl vom Fuß und sagte: "Ich nehme nur den zum Gatten, der einen zweiten gleichen Ring besitzt." Der Vater sagte: "Meine Söhne, ihr habt es gehört." Der älteste Sohn sagte: "Gib mir den Ring, ich will sehen, ob ich nicht einen gleichen Ring in meinen Besitz bringen kann!"

Der älteste Sohn nahm den Ring an sich. Der älteste Sohn ließ die Silberschmiede zu sich kommen. Der älteste Sohn zeigte den Silberschmieden den Fußring Fatmas und sagte: "Wie schnell könnt ihr mir einen zweiten, ganz gleichen herstellen?" Der älteste Bruder reichte den Schmieden den Ring. Einer der Schmiede nach dem andern nahm den Ring in die Hand und betrachtete ihn. Der Ring ward dreimal in der Runde von Hand zu Hand gereicht. Die Silberschmiede sagten zu ihrem Ältesten: "Sage du für uns alle die Wahrheit!" Der älteste Sohn des Scheichs wurde ärgerlich. Der älteste Sohn des Scheichs sagte: "Was habt ihr? Welche Zeit braucht ihr, um einen solchen Ring zu schmieden? Hier habt ihr Silber und Gold!" Der älteste Sohn warf einen Beutel mit Gold und Silber hin. Der älteste der Silberschmiede schüttelte aber den Kopf. Er schob den Beutel zurück und sagte: "Herr! In diesem Lande kann kein Silberschmied einen solchen Ring schmieden." Darauf wurde der älteste Sohn des Scheichs sehr zornig. Er stand auf und sagte: "Ihr seid nicht Silberschmiede, sondern Wortverdreher (?) und habt sicherlich schon Geld von meinem Bruder genommen, um ihn mir zuvorkommen zu lassen. Ich bin aber der älteste Sohn meines Vaters, und ich sage euch, daß, wenn ihr mir



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den Ring nicht in drei Tagen bringt, ich euch alle töten lasse! Nehmt den Beutel da!" Dann ging der älteste Sohn fort.

Die Silberschmiede aber begaben sich nach Hause. Sie gaben dem ältesten Silberschmied den Ring und den Beutel mit Silber und Gold und sagten: "Sieh du, was du vermagst, du kannst noch am meisten von uns." Dann verließen sie ihn. Der alte Silberschmied legte aber Ring und Beutel beiseite, setzte sich traurig auf eine Matte und seufzte.

Hassan, der jüngste Sohn des Scheichs, der als Diener bei dem Silberschmied wohnte, sah, daß sein Herr traurig war. Hassan kam heran und sagte: "Du bist traurig, mein Herr! Sage mir doch, was dich bedrückt!" Der alte Silberschmied sagte: "Was willst du, törichter junger Mann!" Hassan sagte: "Nenne mich nicht jung und töricht, denn ich habe mancherlei Arbeit gelernt, die selten ist. Zum Beispiel kann ich einen Fußring wie den, den du eben dort in die Ecke legtest, wohl anfertigen, was hier gewiß niemand kann." Der alte Silberschmied sagte: "Was sagst du? Du sagst, du könnest einen solchen Ring machen?" Hassan sagte: "Wenn ich mich heute abend an die Arbeit mache, kann ich dir morgen früh den zweiten geben." Der alte Silberschmied sagte: "Warum willst du aber bei Nacht damit anfangen?! Fange doch jetzt an!" Hassan sagte: "Jeder hat seine Art; solche Sachen macht man dort nur bei Nachtzeit. Wenn du deine kleine Tochter mit mir einschließt, daß sie mir den Blasebalg stößt, dann soll bis morgen alles besorgt sein."

Abends brachte der Silberschmied Hassan und seine kleine Tochter in die Werkstatt. Hassan sagte: "Ich brauche zwei Matten und viele Datteln." Man brachte Datteln und Matten. Danach schloß Hassan die Tür, gab dem Mädchen viele Datteln und sagte: "Lege du dich drüben auf die eine Matte, ich werde mich auf dieser Seite auf meine Matte legen. Wenn wir genug geschlafen haben, gehen wir an die Arbeit." Danach legten sich beide nieder und schliefen. Als aber am andern Morgen der Tag graute, weckte Hassan das Mädchen und sagte: "Nun komm und stoße mir ein wenig den Blasebalg, sonst glauben die Leute womöglich, daß wir gar nichts getan hätten. Das Mädchen stieß darauf den Blasebalg, und Hassan nahm sowohl den Ring, den der Silberschmied ihm gegeben hatte, als den, den er in der Tasche trug und reinigte sie gründlich, so daß beide ganz neu und genau gleich aussahen. Kurze Zeit danach kam der Silberschmied, klopfte draußen an die Tür und fragte: "Hassan! Mein Hassan! Ist der Ring schon zu sehen?" Hassan aber sagte:



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"Komm nur herein, Herr!" Der Silberschmied kam herein. Der Silberschmied nahm die beiden Ringe. Der Silberschmied sagte: "Ganz gleich! Ganz gleich! Ganz gleich!" Er umarmte Hassan und rief: "Hassan! Ich danke dir! Hassan! Ich danke dir! Willst du meine Tochter zur Frau haben, so nimm sie!" Hassan sagte: "Herr, ich habe eine Sache mit einer Frau, die macht mir genug zu schaffen!"

Der Silberschmied nahm die beiden Ringe und ging zu dem ältesten Sohn des Scheichs. Er zeigte dem ältesten Sohn des Scheichs die Ringe. Der Älteste sagte: "Siehst du, du verlogener Mensch, daß du es zuletzt doch gekonnt hast? Ihr seid doch alle miteinander Betrüger." Dann ging der Älteste und brachte die beiden Ringe zu seinem Vater, dem Scheich. Der Scheich betrachtete sie und sagte: "Wir wollen sie Fatma zeigen." Der Scheich ging mit seinem Sohn zu Fatma. Er sagte: "Fatma, du hast dem unter meinen Söhnen die Ehe versprochen, der einen Ring wie deinen Negl besitzt. Mein ältester Sohn hat einen Negl gebracht, der von dem deinen nicht zu unterscheiden ist." Fatma sagte: "Wo ist er?" Der Scheich zeigte Fatma den Ring. Fatma sah die beiden Negl. Fatma schrie auf. Fatma rief: "Wo ist der zweite Ring her! Schnell bringt den Mann! Der älteste Sohn sagte: "Ich habe ihn von einem Silberschmied machen lassen! Ich will ihn rufen lassen."

Der älteste Silberschmied wurde in das Serail zurückgerufen. Der Silberschmied trat zum Scheich, dessen Sohn und Fatma. Fatma sagte: "Dieser Mann lügt. Er hat den Ring nicht gemacht. Wenn er nicht sogleich sagt, woher er den Ring hat, bitte ich dich, mein Scheich, ihn zu töten!" Der Silberschmied begann zu zittern. Der Silberschmied sagte: "Ich habe den Negl nicht selbst gemacht. Kein Mensch in dieser Stadt kann eine solche Arbeit machen. Aber da der älteste Sohn des Scheichs mir mit dem Tode gedroht hat, wenn ich nicht in wenigen Tagen einen solchen Ring bringe, hat ihn ein junger Mann gemacht, der in meinem Hause dient." Der Scheich sagte: "So schicke den jungen Mann hierher!" Nach einiger Zeit kam Hassan. Fatma sah ihn. Fatma erkannte ihn. Hassan war aber in schmutzige Kleider gehüllt und mit Ruß und Kohle bedeckt. Fatma sagte zu Hassan: "Ja, von dir ist der Ring!" Fatma fragte den Scheich: "Kennst du diesen Mann?" Der Scheich sagte: "Nein, ich kenne ihn nicht." Fatma fragte den ältesten Sohn des Scheichs: "Kennst du denn vielleicht diesen Mann?" Der älteste Sohn sagte: "Wie soll ich dazu kommen, die



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Sklaven der Silberschmiede zu kennen ?" Fatma sagte zum Scheich: "Du hast Söhne von zwei Frauen. Von einer Araberin und von einer Beischläferin. Laß doch die Beischläferin kommen und laß sie sehen, ob sie diesen Mann kennt." Der Scheich sandte zum Hause seines Kebsweibes hinüber. Das Kebsweib kam. Das Kebsweib sah Hassan. Das Kebsweib fiel vor ihm nieder, erfaßte seine Hände, küßte sie und sagte: "Mit den schwarzen Händen des Dieners kehrst du wieder zurück, mein Hassan! Hat dich denn alle Klugheit und alle Güte nicht schützen und dir zum Glücke nicht verhelfen können?" Fatma aber sagte: "Du irrst, meine Mutter. Die Hände meines zukünftigen Gemahls sind weiß, wie seine Augen klug und gut sind. Die Hände seiner Brüder aber sind schwarz von dem Diebstahl, den sie an ihm begingen, um seines Geldes und meines Besitzes willen. Klugheit und Güte haben ihm zu einem Glücke verholfen, das seine Brüder von Anfang an verspielten und auch durch Übermacht nicht zurückzugewinnen vermochten."

Hassan ward Scheich. Sein Serail war angefüllt von allem Schönen, was alle Länder boten und das, was ihm sein erstes Vermögen eintrug, kehrte jetzt zu ihm zurück und schmückte sein Haus. Die größte Zier seines Hauses und des ganzen Landes aber war Fatma.


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