Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

MÄRCHEN AUS KORDOFAN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1923

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS / JENA



Atlantis Bd_04-0004 Flip arpa

TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F.H. EHMCKE MIT EINER KARTE


8. Der Silberschmied

Ein sehr reicher Mann hatte zwei Söhne. Der Mann sagte: "Der Reichtum zerfließt, aber ein gutes Können erhalt." Er dachte lange darüber nach, und endlich ließ er seinen ältesten das Handwerk eines Blechners (Samkari), den jüngeren aber, der ein sehr schöner Knabe war, das eines Silberschmieds (Ssaig) erlernen.

Nachdem nun jeder der Burschen etwas Gründliches gelernt hatte, sagte der Vater zu ihnen: "Meine Söhne, nun braucht ihr nicht weiter nach eurem Handwerk zu sehen. Ich bin wohlhabend genug, euch geben zu können, was ihr braucht. Wählt euch also ein Geschäft



Atlantis Bd_04-074 Flip arpa

aus, das euch am besten gefällt, betreibt es, und erst, wenn ihr etwa sonst in Schwierigkeiten kommt, kehrt zur Tätigkeit eures Handwerks zurück."

Jeder der beiden Söhne mietete sich also einen Laden im Basar und richtete ein Kaufmannsgeschäft ein. Beide betrieben den Handel, jeder für sich, und zwar so lange, als der Vater lebte und noch einige Jahre weiter; dann aber hatten sie das ganze Vermögen ihres Vaters verbraucht und waren gänzlich arm. Der ältere Bruder sagte zum jüngeren: "Nun werden wir unsere Freunde nicht mehr zur Azurne einladen können. Nun werden wir keine Mädchen mehr kommen lassen und keinen Wein mehr trinken können." Der jüngere sagte: "Ja, mein Älterer, das wird nun alles nicht mehr sein, denn wir haben alles verbraucht, was wir von unserem Vater geerbt hatten."

Die Mutter sah, daß ihre beiden Söhne sehr traurig waren. Die Mutter sagte: "Meine Söhne, was seid ihr traurig? Da ich euch selber die Erbschaft eures Vaters ausgeteilt habe, weiß ich, wieviel es war, und da ich euer Leben beobachtete, weiß ich auch, daß ihr alles verbraucht haben müßt, und dieses wird also der Grund eurer Traurigkeit sein." Die beiden Söhne sagten: "Meine Mutter, du hast recht, so ist es!" Die Mutter sagte: "Dann aber, meine ich, habt ihr keinen Grund zur Traurigkeit. Euer Vater war ein kluger Mann, und darum hat er jeden von euch ein Handwerk lernen lassen. Kehrt zu diesen Arbeiten zurück und verdient euch so euren Unterhalt. Wenn diese Arbeit euch dann einmal zu schwer wird, denkt an die fröhlichen Stunden zurück, die ihr früher hattet, und so werdet ihr immer vergnügt aus einer früheren Zeit Nutzen und Erfrischung haben." Die beiden Söhne stimmten der Mutter zu.

Der Blechner kehrte nun zu seinem früheren Meister zurück und nahm die Arbeit bei diesem wieder auf.

Da er tüchtig und emsig seinem Werke nachging, so war der Blechnermeister sehr zufrieden. Der Alte hatte keinen Sohn, wohl aber eine Tochter, und als er nun sah, daß ihm wohl schwerlich ein besserer Eidam werden könne, gab er dem Sohne des Kaufmanns seine Tochter zur Frau und zog sich selbst mehr und mehr vom Geschäft zurück.

Der jüngere Sohn, der ein Silberschmied und ein sehr schöner junger Mann war, zog dagegen in das Haus seiner Mutter und begann selbst eine kleine Werkstatt zu eröffnen. Die Mutter ging ihm dabei in allem zur Hand und sagte zu ihrem Sohne oft: "Glaube



Atlantis Bd_04-075 Flip arpa

mir, an solchem durch Arbeit gewonnenen Verdienst wirst du mehr Freude haben, als an allem Ererbten." Die Mutter sagte aber auch: "Mein Sohn, mache deine Arbeit für jedermann. Jedermann wird dich lieben und gern haben. Ich warne dich aber vor einem: hüte dich vor den Leuten, die aus der Wüste kommen. Es sind Leute darunter, die das beste anbieten und anfangs auch geben, nur um nachher die Beschenkten zu eigenem Vorteil der Vernichtung preiszugeben. Noch kurz, ehe dein Vater starb, hat er mir gesagt, ich solle dich vor diesen Leuten warnen." Der Silberschmied sagte: "Meine Mutter, ich werde deine Warnung befolgen."

Der Silberschmied war emsig und fleißig und verdiente mancherlei, da er außerdem geschickt war und die Frauen nach der Frauen Weise bei ihm, seiner jungen Schönheit wegen, lieber arbeiten ließen, als bei alten und häßlichen Männern. Aber der Silberschmied mußte oft viel arbeiten und manches Mal untätig neben dem Werkzeug sitzen, weil er nicht Mittel genug hatte, eine Arbeit auf eigene Gedanken, mit eigenem Gold oder Silber herzustellen, um sie dann liegen zu lassen, bis sich ein Liebhaber finde.

Eines Tages traf ein Mann mit dem jungen Silberschmied auf dem Markte zusammen, von dem der junge Mann schon gehört hatte, daß er ein Goldhändler sei und ein großes Besitztum habe. Der Goldhändler nun setzte sich zu dem Silberschmied, sprach mit ihm und fragte ihn, ehe er ging: "Du bist ein braver Bursche und ein tüchtiger Arbeiter. Was verdienst du denn mit deinem Gewerbe?" Der Silberschmied sagte: "Den einen Tag verdiene ich hundert, manchen Tag fünfzig, andere zwei und einen und viele, viele Tage auch keinen Piaster." Der Goldhändler sagte: "Das ist zu wenig für einen so tüchtigen Burschen, wie du bist. Nimm hier dieses Zweigstück, lege es auf einen Topf voll Zinn und schmelze es. Was du gewinnst, mag dein sein!" Der Goldhändler gab ihm ein rotes Stückchen Holz und ging.

Der Silberschmied ging sogleich zu einem Nachbarn, der viel Rasaß (Zinn) hatte, und sagte: "Leihe mir doch eine Schüssel voll von diesem Zinn." Der Freund gab es. Der Silberschmied eilte zurück in seine Werkstatt, füllte seinen Tiegel mit Zinn, legte das Holzstückchen darauf und schmolz es. Als die geschmolzene Masse aber kalt war, sah er, daß der ganze Tiegel voller Gold war. Er verkaufte nun das Gold, zahlte seinem Freund den Betrag für das Zinn zurück und kam durch die Gabe des fremden Goldhändlers in den Besitz eines ansehnlichen Betrages.



Atlantis Bd_04-076 Flip arpa

Nach einigen Tagen kam der Goldhändler wieder seines Weges daher. Der Silberschmied lief zu ihm, bat ihn, ein wenig bei ihm Platz zu nehmen, und sagte ihm, als der reiche Mann der Einladung Folge geleistet hatte: "Ich frage dich nun, wieviel ich dir von dem Gelde abzahlen muß, das ich durch den Verkauf des Goldes verdient habe." Der Goldhändler lachte und sagte: "Ich sagte es ja. Du bist ein ehrlicher und tüchtiger Bursche. So war das aber nicht gemeint, und jenes Stückchen gelben Holzes habe ich dir geschenkt. Was du damit verdient hast, ist dein." Der junge Silberschmied sank seinem Wohltäter nun zu Füßen und sagte: "Mein Vater, wie habe ich solche Güte verdient! Mein Vater, wie soll ich dir für solche Güte danken." Der Goldhändler sagte: "Mein junger Mann, ich mag dich leiden und das genügt. Seitdem ich nun aber auch deine unbegrenzte Dankbarkeit erkannt habe, bist du mir lieb, wie mein eigenes Kind. Ich will dich also die Kenntnis der Goldbereitung lehren, damit du für dein Leben keine Sorgen mehr zu haben brauchst."

Der junge Silberschmied wollte dem alten Goldhändler wieder in Dankbarkeit zu Füßen fallen; der Alte sagte aber: "Laß das jetzt. Vielmehr wollen wir gleich die Belehrung beginnen. Nur wollen wir schnell irgendwo einen Imbiß nehmen, damit wir für eine kleine Wanderung, die uns bevorsteht, gestärkt sind. Wohnst du vielleicht hier in der Nähe?" Der junge Silberschmied sagte: "Ich wohne nicht weit von hier bei meiner Mutter. Ich schließe schnell meine Werkstatt, und dann können wir uns gemeinsam auf den Weg machen. Steige nur schon auf deinen Esel. Ich laufe zu Fuß nebenher." Der alte Goldhändler stieg also auf seinen Esel, ritt in der angegebenen Richtung und wurde bald von dem schnellen jungen Silberschmied eingeholt.

Als der reiche Goldhändler es sich bei ihm bequem gemacht hatte, sagte der junge Silberschmied: "Warte einen Augenblick, ich will nur schnell meine Mutter benachrichtigen, daß sie ein wenig Essen vorbereite." Er ging zu seiner Mutter hinüber, um mit ihr zu sprechen. Seine Mutter aber kam ihm händeringend entgegen und sagte: "Mein Sohn! Mein Sohn! Wen hast du da in mein und dein Haus gebracht! Das ist jener Mann, vor dem ich dich gewarnt habe. Das ist der Mann, der den jungen Leuten erst Wohltaten erweist, um sie dann, wenn es sein Vorteil erheischt, verschwinden zu lassen. Mein Sohn, das ist der Mann, vor dem dein Vater uns vor seinem Tode gewarnt hat! Mein Sohn, laß diesen Mann fortgehen.



Atlantis Bd_04-077 Flip arpa

Ich flehe dich an!" Der junge Silberschmied aber sagte ärgerlich: "Meine Mutter, über alle reichen und absonderlichen Menschen wird viel gesprochen. Laß mich für heute damit in Frieden; richte vielmehr bald ein gutes Essen her, da wir nachher zusammen wegreiten wollen. Hier hast du einiges Gold, kaufe was nötig und nimm einen Knaben zum Bedienen." Und ohne weiter auf die Einsprache seiner Mutter einzugehen, begab sich der junge Silberschmied zum Goldhändler.

Nach einiger Zeit sandte die Mutter durch den schnell gewonnenen Diener die Nachricht, daß das Essen bereit stünde, und somit machten sich denn beide Männer zum Essen bereit. Als sie sich nun bei der Mahlzeit befanden, langte der reiche Goldhändler eine kleine Flasche aus der Tasche und tropfte unbemerkt dem jungen Mann davon in den Sorbet. Kaum hatte der junge Silberschmied aber davon getrunken, so fiel er in tiefer Ohnmacht wie betrunken hintenüber.

Sobald dies aber geschehen war, nahm der Goldhändler den zu Boden Gesunkenen auf und trug ihn zum Zimmer hinaus und zu seinem Esel. Er legte den Silberschmied quer über den Eselsnacken, deckte einen Sack darüber, stieg selbst auf und trabte durch die Stadt zum Tore hinaus.

Der Goldhändler ritt mit dem ohnmächtigen Silberschmied weit, weit in die Wüste hinaus. Am andern Tag hielt er erst an, legte den Ohnmächtigen in den Sand und blies ihm ein Pulver in die Nase. Durch dieses Pulver ward der junge Silberschmied zum Leben zurückgerufen. Er hob den Kopf und fragte den Goldhändler: "Wie komme ich denn aus dem Hause meiner Mutter in diese Wüste?" Der Goldhändler sagte: "Dies ist nur ein kleiner Vorgang. Wir sind gemeinsam auf der Reise zu dem Platze begriffen, an dem allein das goldmachende Kraut wächst. Ich habe dich aber mitgenommen, damit du diese Sache auch kennenlernen und dich dieser Kenntnis nutzbringend erfreuen mögest."

Der junge Silberschmied ward hierdurch vollkommen beruhigt, zumal der Goldhändler ihm in der Ferne einige Berge zeigte, in denen die wunderbaren Gewächse heimisch waren. Der Goldhändler bestieg seinen Esel, und der junge Mann lief fröhlich nebenher. Das ging so lange, bis sie an die Berge kamen. Die Berge fielen aber rund herum viele hundert Fuß hoch schroff ab, so daß es unmöglich war, an den Abhängen irgendwie hinaufzukommen.

Der Goldhändler sagte: "Siehst du die Bäume, die da oben an der



Atlantis Bd_04-078 Flip arpa

Felskante wachsen? Nun, das Holz dieser Bäume verwandelt Zinn in Gold, und deine Aufgabe besteht nur darin, sobald du oben bist, mir möglichst viele von den abgestorbenen Ästen dieser Bäume herabzuwerfen. Wenn du nachher wieder herunterkommst, können wir den Erlös miteinander teilen." Der junge Silberschmied sagte: "Das ist alles recht gut. Wie soll ich aber da hinaufkommen?" Der Goldhändler lachte und sagte: "Das will ich dir schnell zeigen. Da helfen uns andere Leute."

Der Goldhändler hatte ein Schaf mitgebracht. Er schlachtete es, und sowie das Blut zu Boden tropfte, sagte der Alte: "Sieh, mein Sohn, wie der große Gjau (Adler) nun dort oben auf der Bergspitze herumfliegt. Er sieht nach Nahrung für seine Kinder. Ich werde die Knochen und das Fleisch aus dem Hammelfell schälen und dich dann hineinnähen. Ich werde zurücktreten, und der Adler wird sogleich herabkommen. Der Adler wird dich im Hammelfell herauftragen. Sowie du oben sein wirst, schneidest du mit diesem kleinen Messer, das ich dir mitgebe, die Haut auf und steigst aus dem Fellmantel. Danach brichst du möglichst viele von den trockenen Ästen der Bäume, deren Holz zur Goldgewinnung dient, ab und wirfst sie herab. Wir teilen diese Zweige, sobald du wieder nach unten gekommen sein wirst. Ist es nicht sehr einfach?"

Der junge Silberschmied sagte: "Ja, das ist sehr einfach. Nähe mich nur schnell in die Schafhaut!" Der Goldhändler nähte den jungen Silberschmied in die Schafhaut. Er trat bei Seite. Von der Höhe aus sah das der Adler und kam herab. Er trug den eingenähten Silberschmied hinauf auf den Berg und legte ihn zwischen die Bäume nahe dem Neste, in dem seine Jungen waren, nieder.

Dann machte der Silberschmied aber ein Geräusch. Der Adler flog auf, der junge Mann trennte mit dem kleinen Messer die Haut auf und kam heraus. Er sah sich mitten zwischen den Bäumen, von deren Ästen, wie er jetzt erkannte, der Goldhändler ihm vor einiger Zeit ein Stück gegeben hatte, das, mit dem aufgekochten Zinn verbunden, dann Gold ergeben hatte. Weit, weit unten sah der junge Silberschmied auch den Goldhändler mit seinem Esel stehen, und er beeilte sich, schnell viele von den dürren Zweigen abzubrechen und herabzuwerfen. Als er nun große Mengen davon gebrochen und hinabgeworfen hatte, sagte er: "Es ist schon spät! Ich möchte nun wieder hinunter von diesen Felsen und aus diesem Wald."

Der junge Mann sah sich nach einem Weg um, auf dem er hinabkommen



Atlantis Bd_04-079 Flip arpa

könne. Aber ebensowenig, wie er vorher einen gesehen hatte, der ihn hätte heraufbringen können, ebensowenig fand er jetzt einen solchen, der hinab geführt hätte. So trat er denn an die Kante des Felsabsturzes und rief dem Goldhändler zu: "Wie komme ich nun wieder hinab?" Der Goldhändler hatte unten alles Holz in Säcke gesteckt und auf seinen Esel geladen. Als der Silberschmied ihn anrief, sagte er: "Viele sind da schon hinauf gekommen, keiner aber bisher wieder herunter. Sieh dich nur um, so wirst du viele Kameraden finden." Nach dieser Antwort trieb der Goldhändler seinen Esel an und zog mit ihm durch die Wüste, der fernen Stadt zu.

Der junge Silberschmied sah sich inzwischen um. Er sah nun allenthalben Knochen von Menschen, die hier oben verhungert und verdurstet waren. Einige waren sehr alt und morsch, andere konnten noch nicht lange hier liegen. Eine große Anzahl von Menschen war hier hinauf gekommen und dann gestorben. Der junge Silberschmied sagte: "Ich will nicht so schnell sterben. Lieber will ich mich umsehen, ob ich nicht auf der andern Seite des Berges ein Unterkommen finde." Damit machte der junge Mann sich auf und ging nach der andern Seite. Er wanderte erst durch den Wald. Und der Wald mit seinen Gold spendenden Bäumen wollte kein Ende nehmen; allenthalben sah er auch noch die Knochen verhungerter Menschen. Endlich wurde das rote Holz der Bäume spärlicher. Es wurde lichter.

Der junge Silberschmied war schon sehr müde, aber er ging weiter und weiter. Die Menschenknochen wurden immer seltener und endlich hörten sie auf. Er ging nun über eine weite Ebene hin, bis er am Horizonte einen Garten erkannte, aus dessen Mitte ein hohes Gasr (Turmgebäude) auftauchte. Der Silberschmied nahm seine Kräfte zusammen und erreichte das Gebäude. Als er aber die Hand an die Türe legte, fiel er ohnmächtig und völlig erschöpft zu Boden. Als er wieder zu sich kam, fand er sich in einem großen Zimmer, auf weiche Kissen gelegt, in eine Luft süßer Düfte gehüllt und umgeben von sieben sehr schönen Mädchen. Als er die Augen aufschlug, sagte das älteste Mädchen: "Sieh, auch seine Augen sind schön!" Die andern Mädchen brachten ihm nun zu trinken. Sie befahlen den Sklavinnen, dem Kranken Kühlung zuzufächeln, und als er sich ein wenig aufrichtete und fragte: "Wo bin ich denn?" da sagte eine von ihnen: "Du befindest dich im Hause der Töchter des Alledjenukönigs."



Atlantis Bd_04-080 Flip arpa

Der junge Silberschmied mußte nun seine Erlebnisse erzählen. Das älteste Mädchen sagte, nachdem er geendet hatte: "So macht es dieser schlechte Mensch jedes Jahr, Jahr um Jahr! Er opfert in einem Widderfell immer einen Mann, um zu seinem roten Goldholz zu kommen. Und alle die hübschen jungen Männer sind im Walde des roten Holzes gestorben, bis auf dich, der du unser Gasr erreicht hast. Du mußt nun ein Jahr bei uns bleiben. Dann kommt der schlechte Mann wieder, um in einem Widderfell wieder einen jungen Menschen durch unsere Adler herauftragen zu lassen. Dann werden wir dich aber auf einem unserer jungen Adler herabsenden, und du mußt den Mann töten." Der junge Silberschmied sagte: "Ich kann mir nichts Angenehmeres denken, als ein Jahr in eurer Gesellschaft weilen zu dürfen. Es tut mir nur weh, daß meine Mutter sich meinetwegen so viele Sorgen machen wird."

Der junge Silberschmied blieb nun ein Jahr lang in dem Gasr der Alledjenutöchter. Er wurde bewirtet und versorgt, wie der Sohn eines Sultans. Jeder seiner Wünsche ging in Erfüllung, und er lernte in Bälde das Leben der Prinzen führen, die nicht nur unbegrenzt in ihren Wünschen, sondern auch würdig und gemäßigt eine reichere Umgebung zu genießen wissen. Der junge Silberschmied war daher sehr erstaunt, als die sieben Schwestern ihm eines Tages in großer Betrübnis sagten: "Du hast nun fast ein Jahr mit uns gelebt, und wir haben dich lieb gewonnen wie einen Bruder. In wenigen Tagen wird der reiche Goldhändler wiederkommen. Dann mußt du uns verlassen." Als die Mädchen das sagten, wurde der Silberschmied sehr traurig.

Nach einigen Tagen brachte die eine der Schwestern dem jungen Silberschmied einen jungen Adler. Eine andere Schwester gab ihm ein Saif (Schwert). Sie sagten: "Deine Zeit ist abgelaufen. Fliege nun erst hinunter und bringe uns den Kopf des schlechten Mannes herauf. Nimm für den Burschen, den er wieder mitgebracht hat, um ihn auf die Berge zu schicken, einiges von dem roten Holz mit." Der junge Mann nahm Abschied von den Schwestern. Er hing das Schwert um und bestieg den Adler. Der Adler aber führte ihn schnell zu dem Walde mit den roten, trockenen Ästen und ließ sich da nieder. Der junge Mann stieg ab; er blickte von der Felskante herab in die Wüste. Unten stand der alte Goldhändler mit einem jungen Burschen und hatte soeben das Messer herausgezogen, um einem Widder die Kehle durchzuschneiden.

Da brach der junge Silberschmied einige trockene Äste von den



Atlantis Bd_04-081 Flip arpa

Bäumen, stieg auf den Adler, flog hinab und zog während des Hinabgleitens sein Schwert. Der Adler ließ sich hinter dem alten Goldhändler, der den Widder schlachtete, nieder, und dieser nahm den Silberschmied erst wahr, als er mit geschwungenem Schwert hinter ihm stand. Der Silberschmied schlug zu. Der Kopf des Goldhändlers fiel in den Sand und vor die Füße des Burschen, den jener mitgebracht hatte. Der Bursche schrie auf: "Oh, warum hast du den guten, alten Mann getötet!" Der Silberschmied sagte: "Dieser Mann war nicht gut!" Danach erzählte er dem Burschen alles, was er selbst und in viel schrecklicherer Weise viele andere vor ihm erlebt hatten. Der Bursche erkannte nun, in welcher Gefahr er geschwebt hatte und dankte dem Silberschmied für seine Rettung. Der Silberschmied aber sagte: "Du, mein Bursche, nimm nun den Esel des schlechten Goldmachers und kehre auf dem Weg, auf dem du gekommen bist, möglichst schnell heim. Nimm hier diese dürren roten Zweige, deren Verwendung du kennst und deren Ausnützung dich bis an dein Lebensende vor Not schützen wird." Danach steckte der Silberschmied das Schwert wieder ein, nahm die Medikamente aus dem Rock des Goldmachers, nahm den abgeschlagenen Kopf, bestieg den Adler und flog wieder empor zu den sieben Alledjenuschwestern.

Seinem Versprechen gemäß überreichte er ihnen den Kopf des schlechten Goldmachers. Sie dankten ihm und baten ihn, noch länger bei ihnen zu verweilen. Er aber sagte, daß er seine Mutter schon lange in Sorge allein gelassen habe und daß er unbedingt zu ihr zurückkehren müsse. Das sahen die sieben Töchter des Alledjenukönigs ein. Sie nahmen weinend Abschied von ihm, und jede gab ihm noch ein kostbares Andenken. Er bestieg seinen Adler, flog am Walde vorbei, nahm noch einige dürre Zweige mit sich, und dann trieb er seinen Vogel an, ihn schnellstens der Heimat zuzutragen.

Der junge Silberschmied fand seine Mutter noch lebend vor. Die sieben Alledjenutöchter hatten ihr öfter im Schlaf gesagt, daß ihr Sohn noch lebe und in nicht allzu ferner Zeit als ansehnlicher Mann wiederkehren werde. Zwar hatte sie so viel geweint, daß sie blind geworden war; als ihr Sohn ihr jetzt aber um den Hals fiel und sie küßte, ward sie wieder sehend. Der wiedergekehrte Silberschmied hatte so reiche Schätze mitgebracht und hatte in der Zeit seines Aufenthalts bei den Alledjenutöchtern sein Wesen so geändert, daß niemand glauben wollte, daß dies der frühere Silberschmied sei.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt