Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

Vier Skaldengeschichten


Übertragen von Felix Niedner

Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1914


2. Thorsteins Traum

Eines Sommers, heißt es nun, landete ein Schiff vom Meere in Dampfachmünde (Gufaros). Sein Führer hieß Bergfinn. Er war norwegischer Abkunft, begütert und schon ziemlich bejahrt, ein wohlverständiger Mann. Thorstein ritt zum Schiff. Er hatte stets das meiste zu sagen, wo ein Handel stattfand. So auch hier. Die Norweger suchten sich eine Herberge, den Führer des Schiffes aber nahm Thorstein bei sich auf, da jener den Winter zu ihm wollte. Bergsinn sprach wenig in diesem Winter, Thorstein aber bewirtete ihn wohl. Der Norweger hatte viel Gefallen an Träumen.

Im Frühling frug Thorstein eines Tages Bergfinn, ob er mit ihm nach Valfell reiten wolle. Dort nämlich war damals der Thingplatz der Leute aus dem Borgfjord, und man hatte dem Thorstein gemeldet, daß die Wände seines Zeltes eingefallen wären. Der Norweger sagte gern zu, und sie ritten nun noch bei Tage mit Thorsteins Knecht zu dritt von Hause fort, bis sie nach Valfell in das Gehöft Grenjar kamen. Dort wohnte ein armer Mann, namens Atli, ein Pächter Thorsteins. Thorstein ersuchte ihn, ihnen bei der Arbeit zu helfen und Hacke und Spaten mitzunehmen. Er tat es. Als sie nun zu dritt an den Zeltplatz kamen, machten sie sich alle ans Werk und führten die Budenwand wieder auf. Der heiße Sonnenbrand schuf Thorstein und dem Norweger Beschwerde. Als sie die Wand fertiggestellt hatten, setzten sich Thorstein und der Norweger auf dem Zeltplatze nieder. Thorstein schlummerte ein und schlief sehr unruhig. Der Norweger saß neben ihm und überließ ihn still seinem Traume.



Thule-Bd.09-027 Vier Skaldengeschichten Flip arpa

Da Thorstein aber erwachte, war ihm unbehaglich zumute. Nun fing ihn der Norweger, was er geträumt habe, da sein Schlaf so unruhig gewesen wäre. Thorstein erwiderte:"Träume sind ohne Bedeutung." Als sie aber abends heimritten, frug der Norweger wiederum nach Thorsteins Traum. Thorstein antwortete: "Wenn ich dir den Traum sage, sollst du ihn mir auch richtig deuten." Der Norweger meinte, er wolle es versuchen.

Thorstein erzählte nun:"Mir träumte, ich wäre daheim in Borg und stünde vor dem Haupteingang des Hauses. Ich sah zum Hause empor und erblickte an dem Dachfirst einen schönen und glänzenden Schwan. Er war mein und gefiel mir auserordentlich wohl. Da sah ich oben von den Bergen her einen großen Adler fliegen. Erflog dazu, setzte sich neben den Schwan und zwitscherte zärtlich auf ihn ein. Jenem schien das aber gar wohl zu behagen. Nun sah ich auch, daß der Adler schwarze Augen und eiserne Klauen hatte. Er schien mir ein forscher vogel zu sein. Bald darauf sah ich einen anderen vogel von Süden her fliegen. Der flog ebenfalls nach Borg. Er setzte sich auf den Dachfirst zum Schwan und wollte diesen für sich einnehmen. Es war gleichfalls ein großer Adler. Bald schien mir der Adler, der vorher gekommen war, sich gewaltig über den Neugekommenen zu erbosen. Sie kämpften heftig und lange, und ich sah, daß beide bluteten. Ihr Kampfspiel endete so, daß jeder nach einer Seite vom Dachfirst nieder sank. Beide waren da tot. Der Schwan aber blieb sehr traurig und niedergeschlagen sitzen. Da sah ich nun einen vogel von Westen fliegen. Das war ein Habicht. Er setzte sich zum Schwan und tat schön mit ibm. Darauf flogen beide zusammen nach der gleichen Himmelsrichtung fort. Und da erwachte ich. Aber "setzte Thorstein hinzu," der Traum fällt nicht ins Gewicht. Es deutet wohl auf Stürme, daß die vögel sich in der Luft treffen, aus den Himmelsgegenden, von denen jene kamen."

Der Norweger erwiderte:"Ich glaube nicht, daß sich das so verhält." Thorstein sagte: "Dann entnimm du dem Traum das, was dir am wahrscheinlichsten dünkt, und laß es mich hören." Der Norweger sprach: "Die Vögel mögen Folgegeister 1 von



Thule-Bd.09-028 Vier Skaldengeschichten Flip arpa

Männern sein. Deine Frau aber ist unpäßlich und wird ein wunderschönes Mädchen zur Welt bringen, und du wirst es sehr lieb gewinnen. Es werden dann zwei stattliche Männer um deine Tochter freien aus den Himmelsrichtungen, woher die Adler im Traum zu fliegen schienen. Beide werden sie übermäßig lieben, sich um sie schlagen und dabei ihr Leben lassen. Darauf wird ein dritter Mann um sie werben aus der Gegend, von der der Habicht zuflog. Der wird ihr Gatte werden. Nun habe ich dir deinen Traum gedeutet und meine, so wird er in Erfüllung gehen."Thorstein erwiderte:"Schlecht und wenig wohlwollend ist die Auslegung des Traumes. Du verstehst wohl' kaum Träume zu deuten." Der Norweger sagte: "Du wirst ja noch früh genug erfahren, wie sich der Traum erfüllt."

Thorstein wurde von jetzt an unfreundlich gegen den Norweger. Dieser fuhr im Sommer wieder fort und kommt in der Geschichte nicht weiter vor.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt